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Veröffentlicht am 06.01.2025

Wenn Love Island zu Survivor wird

One Perfect Couple
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Lyla ist nicht gerade die typische Kandidatin für eine Reality-TV-Serie, hat sie doch nicht einmal die Zeit, sich so etwas anzuschauen: Als junge Wissenschaftlerin ist sie viel zu sehr mit Zellreihen und ...

Lyla ist nicht gerade die typische Kandidatin für eine Reality-TV-Serie, hat sie doch nicht einmal die Zeit, sich so etwas anzuschauen: Als junge Wissenschaftlerin ist sie viel zu sehr mit Zellreihen und Versuchsanordnungen beschäftigt, forscht zu tropischen Krankheiten und sorgt sich wie viele Nachwuchsforscher um die Finanzierung ihres nächsten, stets befristeten Vertrages. Da gibt es einfach andere Prioritäten.

Dass Lyla aber tatsächlich zu einem Insel-Resort im Indischen Ozean unterwegs ist, um an einem neuen TV-Projekt "One perfect couple" teilzunehmen, ist daher lediglich Unterstützung ihres Freundes Nico, eines jungen Schauspielers, dessen Karriere gerade stockt. Eine möglichst erfolgreiche Serienteilnahme könnte da hilfreich sein - Mehrere Paare, die sich beweisen müssen und durchaus in neue Partnerkonstellationen gebracht werden sollen. Lyla ist wenig begeistert, aber entschlossen, sich innerhalb ihrer zwei Wochen Urlaub rauswählen zu lassen. Das dürfte doch nicht so schwer sein für eine introvertierte Akademikerin unter Influencern und B-Promis?

Natürlich kommt es in Ruth Wares Thriller "One perfect couple" ganz anders. Nico scheidet gleich am ersten Abend aus und muss die Rückreise antreten. Lyla hat unerwartet Bestwerte kassiert. So hat sie sich ihren Serieneinstand nicht vorgestellt. Doch es kommt noch schlimmer: Ein nächtlicher Sturm trifft die Insel, auf der die Kandidaten unter sich sind - die Filmcrew ist auf der Yacht, die gerade mit Ex-Kandidat Nico die nächste Insel mit Flugplatz ansteuert. Ein nächtlicher Sturm zerstört einen Teil der Hütten, sorgt für Tote und Verletzte, der Strom ist weg, Handys haben die Kandidaten sowieso nicht mehr. Nur ein Funkgerät mit schwächelnder Batterie funktioniert - noch. Was als eine Art Love Island geplant war, wird zum Kampf ums Überleben.

Die lineare Handlung wird ergänzt durch Funksprüche und Tagebucheintragungen, die den Leser im Ungewissen zappeln lassen: Wer ist tot? Warum widersprechen sich Tagebuchtexte und die geschilderte Handlung so sehr? In der Schicksalsgemeinschaft brechen Konflikte auf: Solidarität und Unterstützung hier - Kontrollsucht und Egoismus dort. Es hat ein bißchen was vom "Herr der Fliegen", wenn die knappen Wasservorräte Erpressung und Druck dienen. Doch Lyla findet unter ihren Mit-Kandidatinnen auch Verbündete. Denn toxische Männlichkeit und Alphaspielchen bedrohen das Überleben auf der Insel mindestens ebenso sehr wie die widrigen Umstände.

Spannend, rasant und in tropischer Kulisse ist "One perfect Couple" auch ein Buch über Frauensolidarität und Überlebenswillen. Lyla ist eine glaubwürdige Antiheldin, die über ihre Grenzen hinauswächst.

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Veröffentlicht am 26.12.2024

Rückblicke der Ex-Kanzlerin

Freiheit
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"Das gibt´s nur einmal" ging mir beim Lesen von Angela Merkels Autobiografie "Freiheit" durch den Kopf - nicht nur, weil sie als erste Frau überhaupt Bundeskanzlerin wurde, sondern eben auch als erste ...

"Das gibt´s nur einmal" ging mir beim Lesen von Angela Merkels Autobiografie "Freiheit" durch den Kopf - nicht nur, weil sie als erste Frau überhaupt Bundeskanzlerin wurde, sondern eben auch als erste Ostdeutsche. Und es ist schon mit Blick auf die Demografie in den Politikerjahrgängen nicht zu erwarten, dass Deutschland noch einmal von einem Politiker oder einer Politikerin regiert wird mit einer Geschichte in beiden deutschen Staaten.

Ich war gespannt: Wo würde Angela Merkel das Bedürfnis haben, sich zu erklären, vielleicht auch zu rechtfertigen für Entscheidungen? Welche Weltpolitiker oder Personen deutscher Politik würden eine Rolle spielen? Würde die Frau, die in der Öffentlichkeit eher zurückhaltend gewirkt hatte, hier Persönliches zeigen?

Beim Lesen hatte ich manchmal das Gefühl, gewissermaßen als Soundtrack die Stimme der Ex-Kanzlerin zu hören - ein bißchen trocken, eher unaufgeregt, wie sie halt so klang in Statements und Bundestagsreden. Da wurden einstige Rivalen auch in den eigenen Reihen noch mal unspektakulär aber überzeugend abgewatscht, wird nüchterne Bestandsaufnahme gezogen und, das dann doch eher unerwartet, die "innere Freude" über die Arbeit heraufbeschworen.

Für mich war vor allem der Abschnitt über die ersten 35 Jahre im Leben der Angela Merkel interessant, vor ihrem Weg in die Politik, als Pastorentochter in der DDR, zwischen Pionieren und Kirchenchor gewissermaßen. Und irgendwie war es nicht besonders überraschend, dass Fleiss und Disziplin auch am 9. November 1989 für die junge Physikerin der Akademie der Wissenschaften galt: Erst wie gewohnt mit einer Freundin in die Sauna, anschließend nach einem Bierchen rüber nach West-Berlin. Aber ohne ausuferndes Feiern - Dr. Merkel musste schließlich noch an einem Vortrag für die Uni Torun arbeiten.

Und natürlich, die schon fast vergessene Zeit, als die politische Entwicklung in der DDR noch in den Händen der Oppositionellen war, als noch nicht importierte Politiker aus dem Westen Karrierechancen witterten, als es zumindest ein paar Wochen lang möglich schien, dass hier der Anfang von etwas ganz Neuem liegen könnte.

Aus dem späteren Leben der Politikern Angela Merkel, ihrem Aufstieg in der CDU und ihrer Kanzlerschaft ist natürlich mehr bekannt, interessant war es trotzdem zu lesen, war in dem Buch Erwähnung fand und was eben nicht. Etwa die unseligen Debatten, die einmal über Kleidungsstil und Frisur der CDU-Chefin geführt wurden, Debatten, von denen männliche Politiker unbehelligt bleiben. Die Abrechnung mit innerparteilichen Rivalen - geradezu hanseatisch knapp und zurückhaltend.

Ob Putin oder Trump, Merkel schildert eher nüchtern-distanziert die Erlebnisse auf dem internationalen diplomatischen Parkett. Gelegentlich schimmern persönliche Freundschaften durch, Wertschätzung und Vertrauen, etwa zur langjährigen Bürochefin Beate Baumann, die auch Ko-Autorin des Buches ist. In ihrem Buch zeigt sich Merkel über weite Strecken so, wie man sie auch als Kanzlerin wahrgenommen hat: Pragmatisch und unprätentiös, mit Machtbewusstsein aber ohne die demonstrative Eitelkeit manches männlichen Kollegen.

Veröffentlicht am 26.12.2024

Alte Freunde, alte Lügen

Das Wochenende
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Mit ihrem Thriller "Das Wochenende" liefert Hannah Richell eine überzeugende Mischung: Eine Gruppe von Freunden, in der alles alles übereinander zu wissen scheinen, die düstere Landschaft Cornwalls, ein ...

Mit ihrem Thriller "Das Wochenende" liefert Hannah Richell eine überzeugende Mischung: Eine Gruppe von Freunden, in der alles alles übereinander zu wissen scheinen, die düstere Landschaft Cornwalls, ein einsamer Campingplatz auf einer sturmumtosten Landzunge, ein verschwundenes Kind und sehr viel Suspense. Denn schnell stellt sich heraus, dass eine 20 Jahre alte Freundschaft auch die Grundlage vieler Lügen und Geheimnisse sein kann. Mal ganz abgesehen von der bekannten Tatsache, dass sich in dieser Zeit Lebensumstände und Persönlichkeiten gewaltig auseinanderentwickeln können. Ist die alte Freundschaft da tatsächlich noch so viel wert wie zu Uni-Zeiten?

Denn die Unterschiede zwischen den vier Paaren sind mittlerweile beträchtlich: Die Architekten Max und Annie, Adoptiveltern eines zwölfjährigen Sohnes mit allerlei emotionalem Gepäck aus einer Kindheit voller körperlicher und emotionaler Vernachlässigung, haben London den Rücken gekehrt und in Cornwall ein Glamping-Ökoresort errichtet. Hierhin haben sie ihre alten Studienfreunde eingeladen - die Späthippies Jim und Suze, die Ärztin Kira, seit neuestem verpartnert und Mutter eines Babies und TV-Persönlichkeit Dominic mit dessen zweiter Ehefrau plus den jeweiligen Kindern.

Das harmonisch geplante Wochenende steht unter schlechten Vorzeichen, schon am ersten Abend kommt ein handfester Streit auf. Die Lage eskaliert, als die Männer die Kinder unbeaufsichtigt zu einem Strandausflug schicken, von denen eines nicht zurückkommt. Gleichzeitig zieht ein schweres Unwetter auf, die kleine Gruppe ist abgeschnitten von der Außenwelt, ohne Mobilfunk-Signal. Und schon der Prolog hat die Erwartungshaltung verstärkt, dass etwas Schlimmes passiert ist.

Richell schafft es gut, sich von ihren Lesern nicht in die Karten blicken zu lassen und gleichzeitig Verdachtsmomente gegen fast jedes Mitglied der Freundesguppe zu schüren. Lügen und Geheimnisse, testosterongesteuerte männliche Konkurrenz , ein bißchen Zickengefahr sind ebenso vertreten wie Solidarität, Stärke und Vetrauen. Was davon ist berechtigt, was nicht? Das muss bis zum Ende mit manchem Cliffhanger-Moment herausgefunden werden.

Ich kannte die Autorin bisher nicht. Sowohl die Charaktere wie auch das Setting und die Beschreibung der rauen cornischen Landschaft haben mir sehr gut gefallen. In der Hörbuchfassung haben Anne Düe und Günther Harder als Sprecherin und Sprecher überzeugt und die bedrohliche, zunehmend von Spannungen und Verdächtigungen geprägte Atmosphäre der Buches gut herübergebracht.

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Veröffentlicht am 15.12.2024

Vermisstensuche in Alaska

In der Kälte Alaskas
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Mein Land, das ist der Winter, hat der frankokanadische Dichter Gilles Vigneault geschrieben. Alaska gehört zwar bekanntlich zu den USA - aber mit kalten Wintern kennen sich die Menschen auch dort aus ...

Mein Land, das ist der Winter, hat der frankokanadische Dichter Gilles Vigneault geschrieben. Alaska gehört zwar bekanntlich zu den USA - aber mit kalten Wintern kennen sich die Menschen auch dort aus und "In der Kälte Alaskas" von Dana Stabenow lässt die Leer*innen schon beim Lesen frösteln, wenn die einstige staatsanwaltliche Ermittlerin Kate Shugak sich auf Bitten ihre einstigen Chefs sich auf die Suche nach einem seit Wochen vermissten Parkranger und einem ebenfalls seit zwei Wochen verschwundenen FBI-Ermittler in einem entlegenen Parkgebiet macht.

Kate hat sich buchstäblich in ein Blockhaus in der Wildnis verkrochen, nachdem ihr letzter Fall für sie beinahe tödlich geendet wäre. Es ist auch eine Rückkehr zu ihren Wurzeln - Kate gehört dem indigenen Volk der Aleuten an. Ihre Großmutter, zu der sie ein zwiespältiges Verhältnis hat, hat zwar keine Funktion im Stammesrat, doch ohne ihre Stimme wird eigentlich nichts entschieden.

Zugleich ist Kate, die das Stammesgebiet verlassen hatte, um in der Stadt zu leben, in der Community für manche eine Reizfigur, für andere wieder Vorbild. Sie selbst steht ein wenig zwischen beiden Welten. Die Welt der Indigenen wird nicht romantisch gezeichnet - für viele junge Menschen gibt es vor Ort wenig Perspektiven, doch in der Stadt sind schon zu viele unter die Räder geraten.

So ist "In der Kälte Alaskas" mehr als "nur" ein Krimi - es geht um indigene Kultur zwischen Tradition und Moderne, um verschiedene Auffassungen von Naturschutz und Erschließung, zugleich die Begehrlichkeiten, die die Rohstoffe in der abgelegenen Region wecken. Natur und Winter, Kälte, Schnee und Eis spielen hier ihre eigene Rolle, Auch die doch sehr speziellen Charaktere, die so weit weg von der "Zivilisation" teils freiwillig, teils gezwungenermaßen leben, sind eine Bereicherung dieses Buchs. Daneben ist "In der Kälte Alaskas" spannend geschrieben und bietet allerhand Überraschungen, bis Kate der Wahrheit auf die Spur kommt.

Eine ungewöhnliche Protagonistin in einer faszinierenden Landschaft.

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Veröffentlicht am 12.12.2024

Stimmen eines historischen Jahres

1945
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Es war das Jahr des Endes und des Neuanfang: 1945 endete mit den Niederlagen Nazi-Deutschlands und Japans der Zweite Weltkrieg. In dem Buch "1945" lässt Volker Heise Menschen zu Wort kommen, die das Jahr ...

Es war das Jahr des Endes und des Neuanfang: 1945 endete mit den Niederlagen Nazi-Deutschlands und Japans der Zweite Weltkrieg. In dem Buch "1945" lässt Volker Heise Menschen zu Wort kommen, die das Jahr an den verschiedenen Fronten, in Berlin, im Hinterland, in den einstigen deutschen Ostgebieten erlebt haben, als allierte oder deutsche Soldaten, Teenager, Menschen, die in Opposition zum Dritten Reich standen und überzeugte Nazis. Dementsprechend unterschiedlich die Stimmen und Erfahrungen: Was für die einen eine unvorstellbare Katastrophe war, war für andere die ersehnte Befreiung, verbunden mit Hoffnungen auf eine andere Gesellschaft, auf das Wiedersehen mit Angehörigen. Doch gerade im Fall der im Untergrund lebenden Berliner Juden war dies eine Hoffnung, die für viele mit schrecklichen Gewissheiten enden sollte.

Die Todesmärsche der KZ-Häftlinge sind ebenso Thema der zitierten Aufzeichnungen wie die jugendlichen Flakhelfer, die als letztes Aufgebot verheizt wurden, die Erfahrungen der von Soldaten der Roten Armee vergewaltigten Frauen kommen in Tagebuchaufzeichnungen und Erlebnisberichten, aber auch Protokollen der Ärztlichen Dienste ebenso zu Wort wie das Elend der Flüchtlinge, die sich als menschliches Strandgut durch halb Europa schleppten.

Als Chronik zum Kriegsende sind es vor allem die Stimmen ganz alltäglicher Menschen, auch wenn etwa mit Erich Kästners Tagebuchaufzeichnungen und zitierten Durchhaltereden von Goebbels bekannte Namen auftauchen. Fast 80 Jahre nach Kriegsende ist zwischen Parolen und Resignation, naivem Hoffnung an den "Endsieg" und verzweifeltem Wunsch, dass der Schrecken endlich ein Ende haben solle, ein Darstellung entstanden, die angesichts der vielen historischen Ereignisse dieses historischen Jahres nur selektiv sein kann. Schwerpunkt sind die Geschehnisse in und um Deutschland. Das ist für mich ein wenig die Schwäche des Buches, weil so viele Perspektiven und Erfahrungen fehlen. Dennoch lesenswert, um den bekannten historischen Fakten menschliche Bezüge zu geben.