Beeindruckendes Mosaik eines schrecklichen Tages
Und auf einmal diese StilleDas Datum kennt wohl jeder, Bilder und Geschichten haben sich eingebrannt in das kollektive Gedächtnis nicht nur, aber ganz besonders der Amerikaner. Der 11. September oder "nine eleven" - das ist ein ...
Das Datum kennt wohl jeder, Bilder und Geschichten haben sich eingebrannt in das kollektive Gedächtnis nicht nur, aber ganz besonders der Amerikaner. Der 11. September oder "nine eleven" - das ist ein Synonym für den Terror, für den Tag, an dem die Welt ein großes Stück Unbekümmerheit verlor, der Tag, der Sicherheit auf Flughäfen für immer veränderte. Alles schon gesagt? Mit "Und auf einmal diese Stille" greift der Historiker und Journalist Garrett M. Graff auf die Tradition der "oral history", also der mündlichen Geschichtsüberlieferung zurück.
Die Menschen erzählen lassen - Bekannte und Unbekannte, Entscheider und solche, die sich als Spielball der Ereignisse erfahren, damit schließt Graff an die Tradition etwa von Studs Terkel an, der Weltkriegssoldaten und Zivilisten eine Stimme gab. Hier nun sind es Banker und Angestellte der Firmen in den Türmen des World Trade Centers, Feuerwehrleute, Ärzte, Polizisten, Überlebende und die Angehörigen der Toten, Piloten oder die Frau vom Bodenpersonal, die Mohammed Atta und die mit ihm fliegenden Terroristen für ihren Flug eingecheckt hatte.
Von einem Tag, an dem das einzig Ungewöhnlich der extrem blaue, wolkenlose Himmel war, bis zu den Wolken aus Staub und den Bergen von Trümmern, Leichenteilen und weiterhin flackernden Bränden zieht der Bogen der Schilderung. Die Zitate nehmen den Leser mit zu Krisensitzungen und improvisierten Kommandoständen, zu Feuerwachen und in die brennenden Türme, an Bord der Air Force One und in Schulen, in denen die Lehrer versuchen, ihren Schülern das Unerklärliche zu erklären. In Abschriften von Funksprüchen und Telefonaufnahmen kommen auch die Toten zu Wort.
Der deutsche Titel des Buches stammt aus einem Zitat eines Feuerwehroffiziers, der von der Lobby im Erdgeschoss des Nordturms zu einer Rettungsmission aufbrach "Wie man sich denken kann, war die Akustik in der Lobby des World Trade Center nicht gerade besonders gut, es hallte sehr stark. Und auf einmal diese Stille. Einer der Feuerwehrmänner von Rescue 1 schaute nach oben und sagte: Vielleicht werden wir diesen Tag nicht überleben."
Anders als in Mitchell Zuckoffs Buch "9/11 - Der Tag, an dem die Welt stehen blieb", das ebenfalls vor ein paar Monaten erschien und das ich hier rezensiert habe: https://nimm-ein-buch.blogspot.com/2020/04/911-der-tag-dem-die-welt-stehen-blieb.html , geht Graff nicht allzu ausführlich auf Einzelschicksale als dramatische Schilderung des Tages ein. Sein Buch ist eher wie ein Mosaik von Stimmen und Zitaten aus unterschiedlichen Perspektiven, wobei einige der zitierten und beschriebenen Akteure in beiden Büchern berücksichtigt werden. Die ganze Dramatik des Tages, das quälende Warten auf Rettung, auf Nachricht von den Liebsten, auf neue Hiobsbotschaften ist auf nahezu jeder Seite spürbar. Am eindringlichsten sind dabei nicht die Stimmen der Polit- und Medienprofis, unter ihnen der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der damalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani oder der einstige Vizepräsident Dick Cheney, sondern die der Menschen, für die seit dem 11. September nichts mehr so ist wie früher. Es gibt Schilderungen, die tun weh, andere lassen den Leser mitzittern oder staunen über den Mut von Menschen, die in einer Krise über sich selbst herauswachsen. "Und auf einmal diese Stille" berührt.