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Veröffentlicht am 16.03.2024

Rites of Passage

Issa
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In ihrem Debütroman "Issa" hat Mirrianne Mahn zumindest einiges mit ihrer Ich-Erzählerin Issa gemeinsam: In den späten 1980-er Jahren in Kamerun geboren, in Deutschland in einem Dorf im Hunsrück aufgewachsen, ...

In ihrem Debütroman "Issa" hat Mirrianne Mahn zumindest einiges mit ihrer Ich-Erzählerin Issa gemeinsam: In den späten 1980-er Jahren in Kamerun geboren, in Deutschland in einem Dorf im Hunsrück aufgewachsen, lebt heute in Frankfurt. Zu Beginn des Romans sitzt Issa im Flugzeug, ungeplant schwanger, und auf dem Weg nach Kamerun zu "den Omas", ihrer Großmutter und ihrer Urgroßmutter. Denn ihre Mutter, zu der sie ein schwieriges Verhältnis hat und die über die Schwangerschaft noch vor Abschluss des Studiums alles andere als begeistert ist, ist überzeugt, dass das ungeborene Kind Issa umbringen wird, wenn nicht die nötigen Rituale begangen werden. Die Beziehung zum Kindsvater ist nicht ungetrübt und Issa befindet sich in einer emotionalen Achterbahn, weiß nicht wirklich, was sie will nur dass sie ihr Kind keinesfalls abtreiben will, das ist ihr völlig klar.

Die Reise zu den Omas ist auch buchstäblich eine Reise zu den Wurzeln, und das in zweifacher Hinsicht. Denn die Omas haben Issa in ihrer frühen Kindheit aufgezogen, während ihre Mutter in Nigeria Medizin studierte. Es geht in dem Roman aber auch um die Geschichte der Frauen der Familie, die Ahnen, die Kindheit der Uroma noch während der deutschen Kolonialzeit und im Ersten Weltkrieg. Während Issa eintaucht in die ihr fremde Welt der Rituale, wird zugleich auf anderen Erzählebenen die Familiengeschichte entblättert, in der sich Frauen mit Verlust, Missachtung und Überlebensstrategien auseinandersetzen mussten. Männer sind fast immer Nebenfiguren, bis auf wenige Ausnahmen toxisch, manipulativ oder gewalttätig.

Issa mag zwar in Kamerun geboren sein, hat aber den Blick von außen und fühlt sich auch immer wieder als Außenseiterin, als "Kokosnuss" (außen braun,innen weiß), die weder Pidgin noch die ethnische Sprache Bakwara spricht, die auf dem Markt oder im Taxi nicht den Mund aufmachen soll, weil bei der Erkenntnis, mit einer Deutschen zu tun zu haben, gleich die Preise steigen. Immer wieder geht es um Identitätssuche und das Gefühl, nicht dazu zu gehören - in Deutschland, wo sie als Kind in der Schule gemobbt wurde, wegen ihrer Hautfarbe, in Kamerun wegen der fehlenden Sozialisation und Unwissenheit über kulturelle Traditionen.

Auch wenn Issa nach Jahren bereits erwachsen ist,ist dieser Roman doch eine coming of age story, in der Identitätssuche und Auseinandersetzung mit der künftigen Mutterrolle wie auch den Beziehungen zu den Frauen der Familie Issas Weg prägen. Nebenher geht es um das Konzept afrikanischer Großfamilien, die Herausforderungen polygamer Ehen und die Verbindung zu den Ahnen und traditionellem Glauben.

Das Buch ist lebendig geschrieben und vielschichtig, auch wenn die Autorin nicht auf einige Platitüden verzichten kann, wenn sie etwa über schwarze Mütter und ihren Erziehungsstil schreibt oder andere Verallgemeinerungen über afrikanische Kultur beziehungsweise schwarze Identität von sich gibt.. Angesichts der ethnischen Vielfalt und großen sozialen Unterschiedie in den mehr als 50 afrikanischen Staaten ist das dann doch arg vereinfachend. Dennoch ein lesenswertes und interessantes Buch, das starke Frauen in den Mittelpunkt stellt.

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Veröffentlicht am 16.03.2024

Frau mit Geheimnissen

Wer zuerst lügt
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Auf den ersten Blick hat Evie Porter das große Glück gefunden: Der wohlhabende, gutaussehende Ryan hat sich Hals über Kopf in die junge Frau verliebt und sie wohnt bereits in seiner säulengeschmückten ...

Auf den ersten Blick hat Evie Porter das große Glück gefunden: Der wohlhabende, gutaussehende Ryan hat sich Hals über Kopf in die junge Frau verliebt und sie wohnt bereits in seiner säulengeschmückten Südstaatenvilla. Einigen von Ryans Freunden geht das schon ein bißchen zu schnell - ist Evie womöglich nur auf Ryans Geld aus und wird ihm das Herz brechen? Das Kennenlernen bei einer angeblichen Autopanne war in der Tat inszeniert. Aber Evie hat eine ganz andere Agenda - und sie heißt auch nicht Evie, sondern Lucca und ist Trickbetrügerin im Auftrag eines Unbekannten, den sie nur als Mr Smith, eine Stimme vom Telefon, kennt.

In Ashley Elstons Thriller "wer zuerst lügt" geht es um Täuschung und Betrug auf vielen Ebenen. Denn auch Ryan hat einige Geheimnisse vor Evie. Noch komplizierter wird es, als ein Jugendfreund Ryans auf einer Party mit seiner neuen Freundin auftaucht, die Evie nicht nur ausgesprochen ähnlich sieht, sondern als Lucca Marino vorgestellt wird - Evies richtiger Name. Als die falsche Lucca am folgenden Tag bei einem Unfall ums Leben kommt, ahnt Evie, dass nicht nur ihr Lügengebilde bedroht ist. Sie fürchtet, dass Mr Smith jedes Mittel recht ist, um sie einzuschüchtern und unter Kontrolle zu halten. Versagen, das wird immer klarer, kann tödlich sein.

In einer Reihe von Rückblenden geht es nicht nur um Evies vergangene Täuschungsmanöver, sondern auch um ihren Weg in das Leben einer Betrügerin: Jugendliche Einbrecherin, um die teuren Medikamente ihrer krebskranken Mutter zu bezahlen, mit 16 Jahren verwaist und dann bei einem verpatzten Coup von Mr Smith rekrutiert. Kann sie sich aus diesem Leben befreien - und will sie es überhaupt? Beim Versuch, die Identität von "Mr Smith" zu lüften, riskiert Evie ihr Leben.

"Wer zuerst lügt" ist durchaus dramatisch, auch wenn die Charaktere ein bißchen oberflächlich bleiben. Dass Evie street smart ist, nehme ich ihr sofort ab, in anderen Bereichen kommt sie mir als Mädchen aus dem Trailer Park eher unglaubwürdig vor. Einige ihrer Betrügereien brauchen schon ein bißchen mehr Know-How und Hintergrundwissen, als von einer jungen Frau erwartet werden kann, die gerade mal den high school Abschluss hat. Die Südstaatenclique kommt ebenfalls reichlich klischeehaft daher und auch der nerdige IT-/Hacker-Experte darf nicht fehlen. Spannende Unterhaltung bietet "Wer zuerst lügt" dennoch. Wer obendrein auf Romance steht, wird vermutlich zufrieden sein.

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Veröffentlicht am 13.03.2024

Unterwegs auf Flüssen und Weltmeeren

Gebrauchsanweisung für Kreuzfahrten
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Als eingefleischter Individualurlauber dachte Thomas Blubacher eigentlich immer, dass er völlig kreuzfahrtunkompatibel sei, ja dass eine derartige Reise für ihn ein Urlaubs-Albtraum sein dürfte. Sein Neffe, ...

Als eingefleischter Individualurlauber dachte Thomas Blubacher eigentlich immer, dass er völlig kreuzfahrtunkompatibel sei, ja dass eine derartige Reise für ihn ein Urlaubs-Albtraum sein dürfte. Sein Neffe, sselbst auf einem Kreuzfahrtschiff beschäftigt, teilte diese Meinung. Und doch schloss sich Blubacher einer Reise an - womöglich vor allem wegen der Verwandtschaftspflege. Es war offenbar sein Damaskus-Erlebnis, denn nun ist Blubacher Autor des Buches "Gebrauchsanweisung für Kreuzfahrten", ein Bericht über Schiffe, Routen und andere Passagiere sowie Crewmitglieder auf allen Weltmeeren und einigen der großen Flüsse - ob Nil und Amazona oder Rhein und Donau.

Das Buch hat mich vor allem interessiert, weil meine Schwester seit ihrer ersten Kreuzfahrt ebenfalls zum Fan mutiert ist, während ich nicht nur aus ökologischen Gründen eher skeptisch bin. Ja, die Routen mögen spannend sein, Tage auf See beim Blick aufs Meer die Seele baumeln lassen. Aber dann sind da ja noch die anderen. Passagiere, vor denen man auf einem Schiff nicht aus dem Weg gehen kann, jedenfalls möglicherweise nicht weit genug. Und überhaupt: Wie kann man auf zehn Stunden Landgang überhaupt ein Gefühl für Land und Leute entwickeln?

Der Autor, der anfänglich offenbar sehr ähnliche Bedenken hatte, scheint schnell geläutert. Was vielleicht auch daran liegt, dass einige seiner Reisen, eigentlich die meisten, im gehobenen Segment der Kabinenkategorie stattfanden, einige der Schiffe geradezu Luxusbedingungen boten, etwa einen eigenen Butler. Das ist dann sicherlich etwas anderes als Massenabfertigung am Büffet, womöglich mit kreischenden Kleinkindern im Süßigkeiten-High, die einem zwischen die Beine wuseln.

Die teils spitzzüngigen Beobachtungen anderer Passagiere und ihres Verhaltens abseits grundlegender Benimmcodes sind amüsant zu lesen - als Reisenachbarn dürften sie mir die Urlaubsstimmung vermiesen. Und auch die Rituale der Liegenreservierung, die auf einem Kreuzfahrtschiff der Beschreibung sogar noch Malle-Touristen im Pauschalhotel toppen dürften - oh the horror!

Als Fernwehbesessene, die schon als Kind mit dem ersten Atlas Reiserouten erträumte, ist "Gebrauchsanweisung für Kreuzfahrten" nicht ohne Reiz. Vor allem das teils wochenlange Unterwegssein, Ozeanüberquerungen als entschleunigte Art des Reisens klingt gut. Ob ich persönlich mich auf einem Kreuzfahrtschiff wohl fühlen würde, weiß ich immer noch nicht. Aber ich wäre vielleicht eher geneigt, es tatsächlich mal auszuprobieren. Und für alle, die gerade zwischen zwei Kreuzfahrten sind und bereits von der nächsten Reise träumen, dürfte dieses Buch ein Muss sein.

Veröffentlicht am 13.03.2024

Hitzewallungen und Leichen

Morden in der Menopause
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Dass die Wechseljahre für viele Frauen keine einfache Angelegenheit ist, ist nicht völlig neu. Doch selten dürfte zwischen Hitzewallungen, Schlafproblemen und Gefühlsschwankungen die Lage so kompliziert ...

Dass die Wechseljahre für viele Frauen keine einfache Angelegenheit ist, ist nicht völlig neu. Doch selten dürfte zwischen Hitzewallungen, Schlafproblemen und Gefühlsschwankungen die Lage so kompliziert sein wie im Fall von Liv, der Protagonistin von Tine Dreyers Cozy-Krimi "Morden in der Menopause". Denn kaum bleibt die Periode aus, pflastern auf einmal Leichen den Weg der 48-Jährigen Kölnerin und dreifachen Mutter. Dabei hat sie es ja nur gut gemeint, als sie einen Drogenkauf ihres 16-jährigen verhindern wollte - eine gute Mutter kümmert sich nun mal um ihre Brut. Nur dass im Fall von Liv da plötzlich ein toter Dealer ist, dessen Leiche entsorgt werden muss. Und es bleibt, so viel darf verraten werden, nicht die letzte Leiche. Nachlassende Libido und Hormonschwankungen sind da plötzlich noch die geringeren Sorgen, so sehr die Wechseljahresbeschwerden Liv auch quälen....

"Morden in der Menopause" ist trotz der Verwendung von Eispickels und Zimmermannshämmern ein turbulenter Cozy-Krimi mit schrägem Humor, denn wenn eine eher biedere Mama plötzlich mit Zuhältern, Drogenhändlern und Rotlichtmilieu zu tun hat, dann bleiben haarsträubende Situationen nicht aus. Und all das bildet einen Kontrast zu den schwer pubertierenden Teenagern, den Schwiegereltern, die trotz mancher Altersbeschwerden keinesfalls als pflegebedürftig gelten wollen und einem Ehemann, der selbst ein paar Geheimnisse hat.

Ganz nebenbei lüftet die Autorin für diejenigen ihrer Leserinnen, denen die Erfahrung Menopause noch bevorsteht, ein paar Geheimnisse über Hormone und ihre Auswirkungen auf Stimmung, Wohlbefinden und Schlafvermögen.

Gerade da das Thema Wechseljahre sehr häufig eher verschämt behandelt wird - Frauen dürfen schließlich nicht alt wirken! - ist diese eher ungewöhnliche Herangehensweise erfrischend und unterhaltsam. Das Buch ist vielleicht keine große Literatur und will es wohl auch kaum sein. Aber Frauen im gewissen Alter können angesichts von Livs Abenteuern einen erleichterten Seufzer ausstoßen, wenn in einer schlaflosen Nacht die nächste Hitzewelle heranrollt: Schlimmer geht immer!

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Veröffentlicht am 12.03.2024

Das laute Schweigen der Mehrheit

Judenhass
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Der 7. Oktober 2023 hat mit dem Massaker der Hamas-Terroristen etwas verändert - nicht nur in Israel. In seinem Buch "Judenhass" beschreibt Michel Friedman eindrücklich, wie der Terror auch auf das Leben ...

Der 7. Oktober 2023 hat mit dem Massaker der Hamas-Terroristen etwas verändert - nicht nur in Israel. In seinem Buch "Judenhass" beschreibt Michel Friedman eindrücklich, wie der Terror auch auf das Leben deutscher Juden auswirkte - nicht allein für diejenigen, die Freunde oder Verwandte in Israel haben, sondern für das Sicherheitsgefühl und Gefühl von Zugehörigkeit in Deutschland. Er schildert Erfahrungen mit Antisemitismus - sei es rechtsextremistischem, islamistischen oder linkem - aber vor allem die Bestürzung über die Reaktionen in Deutschland. Oder, zutreffender, über den Mangel an Reaktionen.

Beim Lesen des Buchs standen mir sofort wieder viele eigene Erinnerungen und Eindrücke vor Augen - etwa am Abend des 7. Oktobers selbst, auf dem Frankfurter Römerberg. Das politische Hessen hatte mitten im Landtagswahlkampf die Wählerkamapgnen ausgesetzt, Politiker verschiedener Parteien verurteilten geschlossen den Terror. Zur spontanen Solidaritätskundgebung waren vielleicht 300 Menschen gekommen, davon mindestens die Hälfte aus der jüdischen Gemeinde. Und selbst da gab es Zwischenrufe, Angriffe auf Teilnehmer der Demo. Ein paar Wochen später erinnerte ein gedeckter Schabbat-Tisch am gleichen Ort an die nach Gaza verschleppten Israelischen Geiseln. Das Polizeiaufgebot war fast größer als die Zahl der Menschen, die ihre Anteilnahme zeigen wollten. Dafür gab es auf propalästinensischen Demos immer wieder hasserfüllte, nicht nur anti-israelische, sondern auch antisemitische Parolen.

Ich konnte nachfühlen, dass sich jüdische Menschen in Deutschland - und auch in anderen europäischen Ländern - in diesen vergangenen sechs Monaten sehr einsam gefühlt haben. Friedman zeigt sich in seinem Buch ratlos über die Gleichgültigkeit und Passivität. Wo blieb der breite öffentliche Aufschrei angesichts der grausamen Details, die in den Tagen und Wochen seit dem 7. Oktober bekannt wurden? Wo die Empörung über Vergewaltigungen, Verstümmelungen, Folter - und die ekligen Jubelszenen? Wieso sind tausende bereit, gegen Abholzung und Klimawandel auf die Straße zu gehen, reagieren aber nicht auf grausamsten Terror?

Friedman schreibt hier weniger als Publizist oder Rechtsanwalt, sondern als Vater, der dachte, seine Söhne könnten die erste Generation seit langem sein, die halbwegs unbefangen in Deutschland aufwächst, trotz der täglichen Schutzmaßnahmen vor jüdischen Schulen, Kindergärten und anderen Einrichtungen im großen und ganzen ohne Angst. Den Rat, Juden sollten an bestimmten Orten keine Kippa und keinen Magen David tragen, sieht er als Kapitulation vor Hass und Antisemitismus an, als Versagen des Staates und der Politik, ein unbehelligtes Leben der eigenen jüdischen Mitbürger zu garantieren. Und er sucht die Ansprache - in "Briefen", in denen er sich an Gleichgültige, an Christen, an Jüdinnen und Juden wendet, Fragen stellt, Befindlichkeiten erklärt.

Wer die Sendungen von Michel Friedman kennt, weiß, wie pointiert und durchaus scharf er sein kann. In diesem Buch ist er nachdenklich, reflektiert, ja traurig. Das laute Schweigen der Mehrheit, die seit mehr als sechs Monaten sicherlich nicht nur den Autor verstört, hält an. Aber vielleicht trägt dieses Buch dazu bei, das Schweigen aufzubrechen. Wünschenswert wäre es.