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Veröffentlicht am 13.04.2023

Debütroman zwischen Familiengeschichte und Thriller

Bruder
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In Zain Khalids Debutroman „Bruder“ geht es ziemlich drunter und drüber, es ist ein sehr vielschichtiges Buch. Zunächst zeigt sich der Roman als Familienroman, fast schon als Familiensaga. Drei adoptierte ...

In Zain Khalids Debutroman „Bruder“ geht es ziemlich drunter und drüber, es ist ein sehr vielschichtiges Buch. Zunächst zeigt sich der Roman als Familienroman, fast schon als Familiensaga. Drei adoptierte Kinder, von Imam Salim in New York erzogen, stehen im Zentrum.

Es sind drei ganz unterschiedliche Geschwister: Dayo, der von nigerianischen Vorfahren abstammt, Iseul mit koreanischen Wurzeln und Youssef, dessen Herkunft nicht geklärt ist. Alle drei sind im gleichen Jahr geboren, 1990. Wer ihre Eltern sind, warum sie adoptiert werden mussten und warum ausgerechnet ein Imam sie bei sich aufnimmt, bleibt lange ungeklärt.

Im ersten Teil des Romans lesen wir von ihrem Aufwachsen in einer Sozialbausiedlung, die Familie wohnt über einer heruntergekommenen Moschee, in der Imam Salim predigt. An manchen Stellen erweist sich das Buch dabei auch als Sozialroman, der nach den Chancen von „Benachteiligten“ fragt. Vor allem an Iseuls Sportkarriere wird das deutlich.

Imam Salim bleibt anfangs eine sehr rätselhafte Figur. Bei ihm knüpft ein weiteres Thema an: die Religion. Dabei geht es weniger um die Religionsausübung, sondern vielmehr darüber, wie viel Macht Religion hat. Das ist vor allem im mittleren Teil des Buches Thema, der in Saudi-Arabien spielt. Dabei begegnen die drei Brüder einer modernen Form des Islam, den man gelinde gesagt als „radikale Toleranz“ umschreiben kann.

Und hier geht es schließlich auch um die Versuchung der Macht. Ist Toleranz noch gut, wenn sie auf radikalem Wege erreicht wird? Die drei Brüder werden in einer neu erschaffenen Megastadt zu Managern gemacht und die Frage stellt sich (bis zum letzten Teil des Buches), ob sie der Versuchung der Macht anheimfallen.

Zu guter Letzt ist „Bruder“ auch ein Thriller. Denn weshalb Imam Salim die drei Kinder adoptierte, hat tiefe Gründe. So schließt sich im letzten Teil des Buches ein Rachefeldzug an, der zu einem überraschenden Ende übergeht – das für mich aber etwas unverständlich blieb. Überhaupt ist in diesem Teil sehr vieles doch auch abwegig, sodass zwar Spannung aufgebaut wird, aber aus dem realitätsbezogenen Anfang ein sehr fiktionaler zweiter Teil wird.

Was den Lesefluss ebenfalls etwas stört, ist der Erzähler. Das Buch ist verfasst als eine Art Rechtfertigungsschreiben an Ya Ruhi, die Tochter von Iseul. Verfasser ist niemand anderes als Youssef. Ein subjektiver, unzuverlässiger Erzähler. Ausgerechnet Youssef, den von Kindesbeinen an ein nervliches Leiden begleitet, denn ihn begleitet ein wandelbares Wesen, das er „Bruder“ nennt, das ihn Dinge sehen lässt, die es nicht gibt, das ihm aber auch beim Aufarbeiten von Erlebtem hilft, denn Youssef kann „Bruder“ auch „füttern“. Aber es besteht eben auch gleichermaßen die Gefahr, dass „Bruder“ übermächtig wird und Youssef übernimmt.

Sehr widersprüchlich, aber dadurch auch sehr spannend, ist die Figur des Imam Salim. Er ist ein konservativer Imam, lebt aber heimlich eine homosexuelle Beziehung. Obwohl er die westliche Welt ablehnt, hat er sehr ehrgeizige Pläne für seine Kinder, was die Schul- und Universitätsbildung betrifft. Die Nähe zu seinen Adoptivkindern vermeidet er. Salim ist als Figur schwer greifbar, weil viele Widersprüche in ihr zu finden sind. Das macht sie sehr reizvoll.

„Bruder“ bietet eine komplexe Themenvielfalt, die einen beim Lesen an manchen Stellen etwas überfordert.

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Veröffentlicht am 04.04.2023

Informativ und gut verständlich

Wo ist die Mitte des Weltalls?
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FAQs rund um das Universum: das bietet das Buch „Wo ist die Mitte des Weltalls?“ von Jorge Cham und Daniel Whiteson. Die beiden Autoren betreiben einen Podcast, auf dem sie Fragen rund ums Universum beantworten ...

FAQs rund um das Universum: das bietet das Buch „Wo ist die Mitte des Weltalls?“ von Jorge Cham und Daniel Whiteson. Die beiden Autoren betreiben einen Podcast, auf dem sie Fragen rund ums Universum beantworten – einige haben es nun zusammen mit ihren Antworten in die Buchform geschafft.

Neben der Frage, wo das Zentrum des Weltalls ist, werden ganz praktische Fragen beantwortet, etwa was mit E = mc² gemeint ist, wie das Universum entstanden ist oder wann die Sonne erlöschen wird.

Eine große Rolle spielen aber vor allem die Fragen, die auf den ersten Blick keine ernstgemeinten Fragen sind, sondern eher Science-Fiction-Filmen entstammen. Etwa, ob Zeitreisen eines Tages möglich sein könnten, Teleportation möglich sein wird, ob es Außerirdische gibt, unsere Welt nur eine Computersimulation sein könnte und viele mehr.

Die beiden Autoren hantieren bei ihren Antworten dabei mit Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten – lassen unterschiedliche physikalische Antworten gelten und auch mal einen Ingenieur gegen einen Physiker antreten.

Dass es überwiegend ungewöhnliche Fragen sind, die dem Autorenduo gestellt werden, macht das Buch umso lesenswerter.

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Veröffentlicht am 31.03.2023

Reihenauftakt

Die Geschichtenwandler − Magische Tinte
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Kristen Perrin hat in ihrem ersten Band der „Geschichtenwandler“, „Magische Tinte“, eine alte Geschichte aufgegriffen: Was wäre, wenn wir die Gegenwart verändern könnten? Das Mädchen Enna bekommt diese ...

Kristen Perrin hat in ihrem ersten Band der „Geschichtenwandler“, „Magische Tinte“, eine alte Geschichte aufgegriffen: Was wäre, wenn wir die Gegenwart verändern könnten? Das Mädchen Enna bekommt diese Gelegenheit. Ihre Mutter betreibt eine Buchhandlung, in der plötzlich merkwürdige Dinge geschehen. Denn sie erhält wie von Geisterhand eine Einladung für die Aufnahmeprüfung der "Emerald Ink“. Mit deren grüner Geheimtinte hat es eine besondere Bewandtnis. Die Bücher können umgeschrieben werden – allerdings mit sehr negativen Folgen für die Gegenwart. Die 12-jährige Enna muss also handeln… Unterstützt wird sie dabei auch von ihrer Großmutter, die sie „Grams“ nennt – mir hat sehr gefallen, wie die Beziehung zwischen Enkel und Großmutter beschrieben ist.

Was die „Emerald Ink“ genau ist, bleibt noch etwas offen – „Magische Tinte“ ist schließlich erst der Reihenauftakt. Sehr gefallen haben mir die vielen literarischen Zitate im Buch. Ein Buch über die Bedeutung von Büchern.

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Veröffentlicht am 31.03.2023

Gelungener Reihenauftakt

Magic Kingdom. Im Reich der Märchen, Band 1: Der Fluch der dreizehnten Fee (Abenteuerliche, humorvolle Märchen-Fantasy)
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Wenn das, was man in seinem Lieblingsbuch liest, plötzlich real wird, ist man ordentlich vor den Kopf gestoßen. So geht es auch der 12-jährigen Filomena Jefferson-Cho, als Mitten in Kalifornien ihr Figuren ...

Wenn das, was man in seinem Lieblingsbuch liest, plötzlich real wird, ist man ordentlich vor den Kopf gestoßen. So geht es auch der 12-jährigen Filomena Jefferson-Cho, als Mitten in Kalifornien ihr Figuren aus ihrem Lieblingsbuch „Magic Kingdom“ begegnen. Und das, wo ganz unerwartet ein Fortsetzungsband der Reihe nicht erscheint.

Und es hat einen Grund, dass Figuren der Märchenwelt plötzlich ganz diesseitig auf den Straßen von North Pasadena zu finden sind. Einen alles anderen als guten. Und aus Filomenas Leben wird ratzfatz ein Abenteuer, in dem einige Aufgaben zu bewältigen sind. Wie gut, dass sie Mitstreiter hat.

An manchen Stellen hätte ich mir weniger Abenteuer, die zu bestehen sind, gewünscht und mehr reflexierende Momente. Gelungen und witzig fand ich die Bezüge auf andere literarische Werke, allen voran natürlich Märchen.

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Veröffentlicht am 11.03.2023

Vielschichtiger Familienroman

Flugschnee
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Simon ist weg. Verschwunden. Seit mehreren Jahren schon. Grund genug, nicht nur seine Geschichte zu erzählen, sondern auch die seiner Schwester, seiner Eltern und auch Großeltern.

„Flugschnee“ ist der ...

Simon ist weg. Verschwunden. Seit mehreren Jahren schon. Grund genug, nicht nur seine Geschichte zu erzählen, sondern auch die seiner Schwester, seiner Eltern und auch Großeltern.

„Flugschnee“ ist der Titel dieses Familienromans von Birgit Müller-Wieland, einer österreichischen Schriftstellerin, die mittlerweile in München lebt. Symbolisch steht der Flugschnee für den Zustand der Familie: die Gefährdung des „Familienhauses“ wie auch die Kälte und Nässe, die sich in der Familie einnistete – durch Ungesagtes, Verschwiegenes und Verleugnetes.

In der Rahmenhandlung, die in der Gegenwart spielt, ist es Simons Schwester Lucy, die sich auf die Suche nach ihrem Bruder macht – herausfinden will, was mit ihm passiert ist, wer er überhaupt war und wer er ist. Lucy begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit, ihre früheste Kindheit. Bald schon landet sie bei einem Weihnachtsfest, an das sie sich kaum noch erinnern kann. Was ist damals passiert im Haus ihrer Großeltern in Hamburg?

„Flugschnee“ erzählt vielschichtig. Auf unterschiedlichen Zeitebenen und aus unterschiedlichen Perspektiven. Und ja: das Verschwinden Simons gerät mehr und mehr in den Hintergrund. Bruchstückhaft wird erzählt, was in der Zeit des Dritten Reichs geschah, was vor 20 Jahren. Die Geschichte der Großeltern und Eltern wird aus der Versenkung geholt. Stück für Stück. Einfach ist das nicht, denn Lucys Großmutter leidet an Demenz und es fällt ihr merklich schwer, aufkommende Erinnerungsbilder zu verstehen.

Beim Versuch, alles zu verstehen, schreitet Lucy nur langsam voran. Hinzu kommt, dass die Mutter-Tochter-Beziehung nicht ohne Konflikte ist. „Flugschnee“ greift ein breites Spektrum an Themen auf – ein weit ausholender Familienroman, der auch vor Themen wie Demenz, Abtreibung und Traumata nicht halt macht. Auch sprachlich erweist sich Birgit Müller-Wielands „Flugschnee“ als hohe Literatur.

„Flugschnee“ ist ein Buch, das man ein zweites Mal lesen muss, um all die verworrenen und doch miteinander verknüpften Fäden zu erkennen.

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