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Veröffentlicht am 14.08.2022

Wunder gescheh´n

Die Freundinnen vom Strandbad (Die Müggelsee-Saga 2)
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„Wir sind nun einmal keine Kinder mehr …“ (S. 238) Clara fehlt ihren Freundinnen Betty und Martha, aber sie können verstehen, dass sie die Chance auf ein Leben in Freiheit und vielleicht sogar ihrem Wunschberuf ...

„Wir sind nun einmal keine Kinder mehr …“ (S. 238) Clara fehlt ihren Freundinnen Betty und Martha, aber sie können verstehen, dass sie die Chance auf ein Leben in Freiheit und vielleicht sogar ihrem Wunschberuf Astronautin einem Leben in der immer enger werdenden DDR vorgezogen hat und in allerletzter Minute geflüchtet ist. Doch ist sie auch lebend „drüben“ angekommen und glücklich? Ihre Ungewissheit hält lange, bis sie endlich eine verschlüsselte Nachricht bekommen.
Inzwischen feiert Betty eine Traumhochzeit mit Kurt und ist schwanger, versucht eine perfekte Ehefrau zu sein und führt ein angebliches Vorzeigeleben. Martha schafft es gegen alle Widerstände, einen Job bei der progressiven Frauenzeitschrift Evelyn zu ergattern. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Kurt betrügt Betty und ihre Eltern verlangen, dass sie wegsieht. „Geh nach Hause und reiß dich zusammen. Unsere Familie hatte immer einen tadellosen Ruf, und das soll auch so bleiben.“ (S. 177) Und Martha rebelliert immer häufiger und offener gegen das System. Als Betty eine Tragödie widerfährt, soll sie Martha für die Stasi bespitzeln …
Zur gleichen Zeit kämpft Clara in Westberlin gegen ihr Heimweh und sucht verzweifelt Halt und eine neue Perspektive. Findet sie das alles bei ihrer Retterin Lilli, die sie nach ihrer Flucht aufgenommen hat, oder dem Unbekannten, mit dem sie immer wieder zusammenstößt?

„Wogen der Freiheit“ ist die gelungene Fortsetzung und leider auch der Abschlussband der „Freundinnen vom Strandbad“, und verfolgt die Lebenswege der drei Frauen vom Bau der Mauer bis zu deren Fall 1989 bzw. bis kurz vor die Wiedervereinigung 1990.

Martha, Betty und Clara sind mir sehr ans Herz gewachsen. Ich habe wieder mit ihnen mitgefiebert, ihre unterschiedlichen Karrieren und vor allem ihre Emanzipation verfolgt. Sie werden in den zwei Bänden der Müggelsee-Saga in mehr als nur einer Hinsicht erwachsen. Ihre Kleinmädchen-Träume und Schwärmereien zerschellen ja schon im ersten Band auf dem Boden der Realität. Bettys große Liebe stammt aus dem Westen und ist damit nach dem Mauerbau für sie unerreichbar, also gibt sie dem Werben des berühmten Regisseurs Kurt Weiler nach. Marthas Familie entpuppte sich als Fälschung, und Clara wird kurz vor dem Abi wegen politischer Diskussionen von der Schule geworfen und bekommt nur Aushilfsjobs.

„Ist Erwachsensein ein Alter oder ein Gefühl?“ „Langsam denke ich, dass es nur darum geht, sich verzweifelt auf das Gute zu konzentrieren und das viele Schlimme auszublenden, weil man sonst kaputtgeht. Ein verzweifeltes Kopf-über-Wasser-Halten.“ (S. 351) Auch nach dem Mauerbau wird es nicht besser, die Probleme nicht kleiner. Die Freundinnen suchen ihren jeweiligen Platz im Leben, müssen entscheiden, mit wem und welchen Kompromissen sie leben können oder wollen, was sie wirklich glücklich macht. Ihre Schicksale sind sehr unterschiedlich und bewegend. Sie müssen mit Dramen und Problemen fertigwerden, sich zwischen verschiedenen Lebensentwürfen und Männern entscheiden. Zudem testen Betty und Martha aus, wie weit sie nicht nur für ihre eigene, sondern auch die Freiheit aller gehen, inwieweit sie sich gegen das System auflehnen wollen bzw. können.
Ich fand es toll, dass sie die ganze Zeit der Trennung über an dem Glauben und der Hoffnung festgehalten haben, dass sie sich nicht nur wiedersehen werden, sondern auch die Trennung der Stadt bzw. Staaten aufgehoben wird.

Julie Heiland hat die Unterschiede zwischen dem Leben in der DDR und Westberlin toll herausgearbeitet. Im Osten wird es immer farb- und trostloser, man muss für alles anstehen, wenn es denn überhaupt mal was zu kaufen gibt, während die Reklame und Läden im Westen nicht bunt genug sein können und Clara reisen kann, wohin sie will.

Auch „Wogen der Freiheit“ hat mich wieder sehr gut unterhalten – Julie Heiland kann extrem anschaulich schreiben – und an meine Vergangenheit in der DDR erinnert. Schade, dass die Reihe jetzt zu Ende ist.

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Veröffentlicht am 09.08.2022

Das Glück der kleinen Dinge

Die Rückkehr der Kraniche
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„Bevor ich sterbe, möchte ich, dass ihr beide euch wieder vertragt.“ (S. 73)
Zwei Schwestern, die verschiedener kaum sein könnten, eine Mutter, die ihre Liebe nicht zeigen kann und eine Enkelin, die ihre ...

„Bevor ich sterbe, möchte ich, dass ihr beide euch wieder vertragt.“ (S. 73)
Zwei Schwestern, die verschiedener kaum sein könnten, eine Mutter, die ihre Liebe nicht zeigen kann und eine Enkelin, die ihre Tante mehr zu lieben scheint als ihre Mutter. Vier Frauen aus drei Generationen unter einem Dach – wie lange kann das gutgehen?

„Es war ihr Kreuz, sich nach fernen Ländern zu sehnen und doch wieder in das in die Jahre gekommene Elternhaus zurückzukehren. So wie jeden Tag in den letzten 50 Jahren.“ (S. 10) Grete hat das Hamburger Marschland und ihr Elternhaus nie verlassen. Bisher hat sie das nicht gestört. Sie liebt ihre Heimat und ihren Job als Vogelwartin beim Naturschutzverein auf „ihrer“ kleinen Insel in der Elbmarsch. „Hier war ihr Seelenort, … wo die Zeit einem ewig fließenden Gewässer glich, in dem ein Menschenleben nur ein Wimpernschlag war. Wenn sie doch nur hier draußen leben könnte, dann wäre die Last, ihr Leben lang an einem Ort festzuhängen, besser zu schultern.“ (S. 14) Aber kurz vor ihrem runden Geburtstag wird sie dann doch nachdenklich – soll es das jetzt schon gewesen sein?

Ihre Mutter Wilhelmine ist früh verwitwet, Grete hat ihr schon als Kind geholfen, die jüngere Schwester Freya aufzuziehen. Als Freya mit 18 die Familie verließ, wurde Grete unverheiratet schwanger und zog ihre Tochter Anne mit Wilhelmines Hilfe auf. Und als Anne flügge wurde, brauchte Wilhelmine Gretes Hilfe auf dem Resthof. Jetzt bekommt Grete ein berufliches Angebot, von dem sie viele Jahre geträumt hat, da wird Wilhelmine krank. Muss sie wieder verzichten? Sie bittet Freya, die inzwischen eine erfolgreiche Firma in Berlin leitet, und Anne, die mit knapp 30 noch studiert, nach Hause zu kommen. Doch es wird kein friedliches Wiedersehen. Stattdessen brechen alte Wunden, Vorwürfe und schon oft gestellte Fragen nach streng gehüteten Geheimnissen wieder auf. „Keiner will hören was ich denke!“ „Weil in dieser Familie niemand die Wahrheit hören möchte.“ (S. 68)

Freya kommt Gretes Hilferuf gerade recht. Ihr Freund hat sie verlassen, weil sie ihm zu distanziert war und keine Kinder bekommen konnte – dabei hat sie sich immer nach einer eigenen Familie gesehnt. Sie wollte die Probleme zu Hause wie immer mit Geld regeln und schnell zurück, aber dann stellt sie fest, wie ruhig es dort ist, wie sehr sie das alles vermisst hat, wie sehr es sie erdet. Sie stellt sich endlich den Fehlern ihrer Vergangenheit „… ich habe die Menschen verletzt, die mich bedingungslos geliebt haben. Nur um endlich respektiert zu werden.“ (S. 154) und denkt über ihre Zukunft nach.

Anne ist gegenüber Grete immer gereizt, versteht alles negativ. Sie glaubt ihr nicht, dass sie wirklich das Ergebnis eines One-Night-Stands ist, fühlt sich nur von Freya verstanden und hat ein Geheimnis, von dem sie noch nicht weiß, wie sie es den Anderen beibringen soll.

Wilhelmine hat ein schweres, arbeitsreiches Leben hinter sich und nach dem Tod ihres Mannes, ihrer großen Liebe, nie wieder einen Mann an sich herangelassen. „Sie war einen Hansen, aus hartem Holz geformt, von Sturm und Wasser geschliffen wie ein Stück Strandgut, das die Elbe mit sich trug.“ (S. 222) Sie will leben oder sterben, aber nicht im Bett dahinsiechen, wie es der Arzt und ihre Gesundheit verlangen. Aber vorher muss sie den Mädchen noch etwas Wichtiges sagen – sie sollen es nicht erst nach ihrem Tod erfahren.

Romy Fölck schreibt sehr intensiv und detailreich, aber auch poetisch über ein hartes Leben, das sich nach den Jahreszeiten und der Natur richtet. So war es schon bei Wilhelmine und auch Grete hält es so. Neben dem Beobachten der Vögel bäckt sie Brot nach alten Rezepten, hält Bienen und bestellt einen großen Nutzgarten. Sie steht mit beiden Beinen fest im Leben, ist im Marschland verwurzelt und gestattet sich nur selten, von einem ganz bestimmten Mann und einem anderen Leben zu träumen.
Wilhelmine hat es immer für selbstverständlich genommen, dass Grete, die Ältere, ihr hilft, während das Nesthäkchen verwöhnt wurde. Darum hat es sie auch so getroffen, dass Freya sie damals ohne Abschied verlassen hat.

Die Handlung ist sehr dicht, fast schon ein Kammerspiel. Der alte Hof wird zum Mittelpunkt der Handlung und Familie. Zusammen unter einem Dach werden endlich alle Probleme angesprochen und Lösungen gesucht, Geheimnisse gelüftet.

Mir hat besonders gefallen, wie Gretes Liebe zur Natur, ihre Beobachtungen und Eindrücke dargestellt werden. Man kann die Marschlandschaft, die verschiedenen Vögel und den Nebel über dem Wasser kurz vor Sonnenaufgang förmlich vor sich sehen, die Stimmungen spüren.

„Die Rückkehr der Kraniche“ ist eine bewegende Geschichte über Familie und Träume, über Neuanfänge und den Mut zur Veränderung.

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Veröffentlicht am 06.08.2022

Guter Bulle, Böser Bulle

Bruch: Ein dunkler Ort
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Hauptkommissaren Nicole Schauer hat sich gerade erst von Hamburg nach Dresden versetzen lassen und muss sich nicht nur mit ihrem neuen Kollegen Felix Bruch zusammenraufen, sondern auch den Fall der verschwundenen ...

Hauptkommissaren Nicole Schauer hat sich gerade erst von Hamburg nach Dresden versetzen lassen und muss sich nicht nur mit ihrem neuen Kollegen Felix Bruch zusammenraufen, sondern auch den Fall der verschwundenen zwölfjährigen Celina im ländlichen Stadtteil Goppeln aufklären. Das Prekäre daran ist, dass deren beste Freundin vor 2 Jahren verschwunden und erst nach 2 Wochen plötzlich unterernährt, dehydriert und traumatisiert wieder aufgetaucht war. Ihre Eltern haben damals eine psychologische und gynäkologische Untersuchung verweigert, da das Mädchen eh nicht sprach, und schotten sie auch jetzt vor der Polizei ab. Hat der gleiche Täter wieder zugeschlagen? Und was tut er den Mädchen an?
Die Situation spitzt sich immer weiter zu. Presse, Anwohner und „besorgte Bürger“ stürzen sich auf jeden eventuellen Verdächtigen und schrecken auch vor Selbstjustiz nicht zurück. Nur bringt sie keiner dieser Schritte Celina näher.
Schauer und Bruch fällt auf bei ihren Nachforschungen auf, dass die Geschwister der Mädchen und ihre Freunde etwas zu wissen scheinen, aber aus Angst nicht darüber reden. Sie flüstern schüchtern vom Spukhaus und der Hexe – einem verfallenen Dreiseithof und deren Bewohnerin, die vor einem halben Jahr verstorben ist. Angeblich irren immer wieder Lichter durch das alte Gemäuer und man kann Schritte hören, wenn man sich reintraut ... „Nein, sie wollte nicht in dieses Haus. Ganz und gar nicht. Nicht in der Nacht, nicht am Tag, nicht mit Bruch.“ (S. 239)

Frank Goldammer hat es wieder geschafft, dass ich mich beim nächtlichen Lesen vor einer wehenden Gardine zu Tode gefürchtet habe. Er webt in „Bruch – ein dunkler Ort“ eine extrem dichte und düstere Atmosphäre, die einen sofort in seinen Bann zieht und in der man bald niemandem mehr traut, auch seinen eigenen Wahrnehmungen nicht. Die Handlung ist so gruselig, dass man mit dem Lesen nicht aufhören kann bis man endlich weiß, was mit den Mädchen passiert (ist). Bruch und Schauer finden immer neue Theorien, Motive und Verdächtige, die alle sehr plausibel klingen, doch sie können nichts davon beweisen, und die Zeit läuft ihnen davon.

Auch die beiden Ermittler sind nicht ohne. Sie haben mit eigenen Traumata zu kämpfen, wobei Felix seins ins Unterbewusste verdrängt hat und Nicole oft mit blinder Wut und Gewalt reagiert, wenn ihres getriggert wird, dafür war sie schon in ihrer alten Dienststelle bekannt. Außerdem hatte sie sich wegen ihres Freundes nach Dresden versetzen lassen, der sie aber inzwischen verlassen hat. Zu diesem ganzen Ärger kommt jetzt noch der Stress mit Bruch, über den ihr Vorgesetzte sagt: „Felix ist ein wenig … eigen. …er hatte es in letzter Zeit nicht leicht. Vor Kurzem erst hat er bei einem Unfall seinen langjährigen Kollegen und Freund verloren.“ (S. 8) Doch es gibt Gerüchte, dass Felix ihn hätte retten können.
Nicole weiß nicht, wie sie mit ihm zusammenarbeiten, wie sie überhaupt an ihn herankommen soll. Felix scheint emotionslos, fast apathisch. Er spricht nur im Notfall, lässt sie alle Entscheidungen treffen – ist er vielleicht Autist? Zudem verzettelt er sich bei den Ermittlungen immer wieder in Nebensächlichkeiten, die nicht wirklich was mit Celinas Verschwinden zu tun haben können – oder doch? Und dann sind da diese Pillen, die zu nehmen ihn eine Anruferin jeden Tag erinnert und seine eigentümlich leere Wohnung … „Was sie sehen, ist ein Mensch, der einmal Felix war. Der etwas sucht und es nicht finden kann.“ (S. 271 / 272)

Für mich ist der Krimi schon fast ein Thriller. Vom Opfer fehlt jede Spur und das Setting (die Enge der fast schon dörflichen Gemeinschaft und der verfallene Dreiseithof), die krassen Wendungen und undurchsichtigen Ermittler voller Selbstzweifel sorgen für Gänsehaut. Ich hoffe, Schauer und Bruch gehen in Serie – denn wenn sie zusammen agieren, ist nicht immer klar, wer der gute und wer der böse Bulle ist. Das finde ich extrem spannend!

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Veröffentlicht am 02.08.2022

Wie ein Licht in dunkler Nacht

Drei Tage im August
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… erstrahlt das Schaufenster der ältesten Berliner Pralinenmanufaktur Sawade auch im August 1938 auf der Prachtstraße Unter den Linden. Darum kümmert sich Elfie, die Prokuristin und erste Verkäuferin. ...

… erstrahlt das Schaufenster der ältesten Berliner Pralinenmanufaktur Sawade auch im August 1938 auf der Prachtstraße Unter den Linden. Darum kümmert sich Elfie, die Prokuristin und erste Verkäuferin. „Über allem hier drinnen liegt der Duft nach Schokolade, wie ein feiner Puder hängt er in der Luft. Er tränkt den Raum, schaukelt über dem Parkett, legt sich weich in Elfies Nase. Süß und herb, ein Versprechen, ein Aufruf zur Zuversicht, und ja, zum kleinen Ungehorsam, weil die Versuchung in jeder Lade lauert.“ (S. 13)

Seit Hitlers Machtübernahme sind schon viele Läden und Restaurants in der Umgebung verschwunden, deren Besitzer den neuen Machthaber nicht passten. Auch der jüdische Buchhändler Franz bangt um seine Existenz. „Er hat sich sein eigenes kleines Himmelreich geschaffen – und das soll er aufgeben? Diesem braunen Pack überlassen, das ihn seit einigen Jahren terrorisiert?“ (S. 19) Nicht nur einmal wurde ihm nahegelegt, seinen Laden endlich in deutsche Hände zu übergeben, dabei hatte sich bereits sein Urgroßvater in Berlin niedergelassen. Soll er bleiben und hoffen oder gehen?
Erwin arbeitet seit 40 Jahren Aufseher im Kronprinzenpalais, doch er erkennt die Ausstellung kaum wieder, seit die „entartete“ Kunst daraus entfernt und in den Keller verbannt wurden. Aber zumindest er geht sie noch jeden Tag besuchen und fühlt sich dabei, „So als bewege er sich als Überlebender unter Gespenstern.“ (S. 47).
Zu den letzten „Überlebenden“ gehört auch der Halb-Ägypter Issa El Hamady. Er hat vor 3 Jahren eine Bar eröffnet und obwohl die Nazis ihn nicht gern sehen, gehören sie zu seinen wenigen Stammgästen. Jetzt hofft er durch Olympia auf mehr Umsatz. Er serviert übrigens Sawade-Pralinen zu seinen Drinks und scheint ein Auge auf Elfie geworfen zu haben. Aber hätte ihre Beziehung überhaupt eine Chance?
Direkt über dem Sawade wohnt Madame Marie Conte, die schon über 90 Jahre alt ist und bei der Geburtsstunde der Manufaktur dabei war, mit der sie etwas ganz Besonderes verbindet ...

„Drei Tage im August“ ist eine Ode an Berlin, eine Hommage an jüdische Künstler wie Max Liebermann und Käthe Kollwitz, an die berühmte Prachtstraße Unter den Linden und alles, was Berlin damals ausmachte – die Leierkastenmänner und Blumenmädchen, die Ur-Berliner aus aller Welt und Sawade-Pralinen. Denn Berlin war während der Olympiade, kurz vor dem 2. WK, noch einmal für kurze Zeit bunt, bevor es braun und schwarz wurde.

Der kleine Kosmos Unter den Linden steht für Deutschland, für die Veränderungen, die seinerzeit vor sich gingen. Berlin wurde zwar noch einmal aufgehübscht, aber die alten Linden durch junge Bäume ersetzt und unliebsame Einwohner (wie fahrendes Volk) in Lager gesperrt. Die Leute wusste davon, raunten sich diese Informationen zu, aber man redete nicht öffentlich darüber oder wehrte sich, hatte zu viel Angst.
Die Welt traff sich in Berlin, und für diese kurze Zeit hofften alle, dass es doch keinen Krieg geben würde, dass die Lager nur vorübergehend wären, während Juden wie Franz alles für ein Affidavit gaben und sogar Versprechen gegenüber Freunden brachen.

Elfie ist mir beim Lesen besonders ans Herz gewachsen. Sie ist oft schwermütig, alles außerhalb des Ladens und die Umbrüche machen ihr Angst. Das Sawade ist ihre Insel: „Es ist, als habe die Schönheit der Welt, nach der sich Elfie sehnt, die sie überall sucht, hier im Laden alle Kraft zusammengenommen, nur um ihr zu gefallen.“ (S. 13) Sie ist einsam und lässt niemanden an sich heran, ist vom Alltag abseits des Sawade überfordert. Ihre Großmutter hat ihr immer wieder gesagt, dass sie nichts wert ist und nichts kann. Inzwischen müsste sie es besser wissen, aber sie hat diese Vorwürfe verinnerlicht – kein Wunder, dass sie sich mit den 2. Wahl Pralinen tröstet. Dabei ist sie bei den Kunden sehr beliebt und die Manufaktur auch wegen ihr eine der ersten Adressen in Berlin und darüber hinaus. Ich hätte sie gern in den Arm genommen und getröstet, ihr gesagt, dass sie an sich glauben und Veränderungen zulassen soll, weil die gut sein können. Denn sie hat ein weiches Herz und ist großzügig – aber leider nur anderen gegenüber und nie zu sich selbst.

Anne Stern erzählt von ergreifenden Schicksalen in unsicheren Zeiten, von zarten Annäherungen ungleicher Paare und einer großen, sinnlichen, bittersüßen und leidenschaftlichen Liebesgeschichte – und natürlich von Pralinen in unzähligen Varianten, von denen eine leckerer klingt als die andere ...

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Veröffentlicht am 28.07.2022

Journalistin im Widerstand

Die Aufrechte
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Berlin 1933: Die Journalistin Felicitas von Reznicek (29) schreibt Artikel über Mode, Kultur oder Bridge (Frauenthemen eben) für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Eine eigene Familie hat sie nie ...

Berlin 1933: Die Journalistin Felicitas von Reznicek (29) schreibt Artikel über Mode, Kultur oder Bridge (Frauenthemen eben) für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Eine eigene Familie hat sie nie gegründet, der passende Mann war bisher nicht dabei. Außerdem führt sie die Geschäfte ihres Vaters, des berühmten Komponisten und Dirigenten Emil Nikolaus von Reznicek, kümmert sich um den Schriftkram, organisiert seine Reisen und Konzerte, zu denen sie ihn auch begleitet.
Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen stellt sich heraus, dass ihr Bruder Emil schon seit 2 Jahren in der NSDAP und SS ist, und die Familie droht daran zu zerbrechen. Zudem braucht er jetzt dringend einen Ariernachweis, aber die Mutter ihrer Mutter war „nur“ eine getaufte Jüdin und soll Fee das irgendwie richten. „Schon immer war es ihre Aufgabe in der Familie gewesen, anstehende Probleme zu lösen.“ (S. 37) Sie denkt sofort ans Auswandern, aber ihre Eltern leben seit Jahrzehnten in Berlin und wollen nicht weg. Außerdem glauben sie, dass der „braune Spuk“ bald vorbei ist.
Fee sieht das anders und will aktiven Widerstand leisten, schließt sich Rudolf Peschel von der Deutschen Rundschau an, der offiziell regimekritische Artikel veröffentlicht und inoffiziell kriegswichtige Informationen sammelt und an Verbündete in Frankreich und Großbritannien weitergibt – u.a. durch Fee auf ihren Auslandsreisen.

Claudius Crönert beschreibt Fees Arbeit und (Über-)Leben in der Zeit von 1933 bis 1945, lässt den Leser an ihrem Privat- und Berufsleben teilhaben. Er zeigt ihre politische Ausrichtung und Entwicklung und dass sie auch im Kleinen Widerstand leistet, indem sie u.a. eine Jüdin in ihrem Haus mit Lebensmitteln versorgt.
Fee sitzt immer zwischen den Stühlen, würde gern vor den Nazis ins sichere Ausland fliehen, fühlt sich aber ihren alten Eltern (beide sind schon Mitte 70) verpflichtet. „Es war eine Tatsache, dass sie ihre Eltern nicht zurücklassen konnte, und eine andere, dass sie ihre Brüder nicht in Schwierigkeiten bringen wollte. Aus beidem folgte, dass sie weitermachen musste, hier, in Berlin.“ (S. 80)
Ihr einziger „Ausbruch“ ist die Affäre mit Fritz Wiedemann, dem Adjutanten von Adolf Hitler, dem ersten Mann, zu dem sie sich wirklich hingezogen fühlt. „Mit ihm war sie einfach eine Frau. Und er war ein Mann.“ (S. 182) Aber die Beziehung ist kompliziert. Fritz ist verheiratet, hat neben ihr noch mindestens eine andere Geliebte und würde sich nie scheiden lassen. Außerdem muss sie ihm mehrfach Informationen für Peschel entlocken oder ihn bei Problemen um Hilfe bitten. Das fällt ihr nicht leicht und belastet sie zusätzlich.

Fee führte prinzipiell ein interessantes Leben, aber an einigen Stellen wird es zu ausführlich erzählt, lässt der Autor zu viele allgemeine Informationen und Personen einfließen, die nur kurz auftauchen und keine Bedeutung für den weiteren Verlauf der Handlung haben. Dafür werden die in meinen Augen spannendsten Erlebnisse, wie ihre Tätigkeit für den Widerstand oder ihre Reise von Amerika über Japan und Russland zurück nach Deutschland, leider nur angerissen. Auch der Krieg passiert nur im Hintergrund oder Nebensätzen. Mich haben erst die letzten 100 – 120 Seiten so richtig gepackt.
Ein weiteres Manko sind die fehlenden Jahreszahlen. Man muss entweder von Beginn an anhand der Monate oder Jahreszeiten selber mitrechnen, welches Jahr gerade ist, oder auf ein politisches Ereignis hoffen. Dadurch scheint ihr Leben oft wie aus der Zeit und dem historischen Kontext gefallen.

„Die Aufrechte“ ist ein wichtiges Buch im Kampf #gegendasvergessen, hätte für mich aber mehr Spannung haben und die Handlung etwas gestraffter sein können.

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