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Veröffentlicht am 31.03.2018

Perfekter Krimi-Grusel-Hörgenuss für lange Gassirunden

Frauen, die Bärbel heißen
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„Öffne nie eine Tür vor dir, bevor du die hinter dir nicht geschlossen hast.“ Diesen Rat ihrer Mutter hätte Bärbel mal lieber befolgt, bevor sie Bambi ins Haus gelassen hat. Bambi? Das Reh? Nein, natürlich ...

„Öffne nie eine Tür vor dir, bevor du die hinter dir nicht geschlossen hast.“ Diesen Rat ihrer Mutter hätte Bärbel mal lieber befolgt, bevor sie Bambi ins Haus gelassen hat. Bambi? Das Reh? Nein, natürlich nicht die Disney-Figur, sondern eine Frau, die genau so aussieht. Aber ich beginne lieber von vorn.

Bärbel Böttcher, 54, früh verwaist, Dermoplastikerin (also Tierpräparatorin) und Hundehalterin findet beim morgendlichen Gassigehen das perfekte Stöckchen für ihre Hündin Frieda. Das Problem ist nur, dass das Stöckchen im Auge eines toten MaMil (Middle Aged Men in Lycra) steckt. Das Stöckchen einfach rausziehen oder doch die Polizei rufen? Letztendlich entscheidet sich Bärbel für die Polizei und bereut es bald. Denn ihr ruhiges und zurückgezogenes Leben gehört damit der Vergangenheit an.

Ich kann mich nicht erinnern, schon mal so einen makabren Krimi gehört zu haben. Ich mag den trockenen Humor und Katja Riemanns fast emotionslose Interpretation, die so perfekt zu Bärbels kruder Persönlichkeit passt.
Bärbel ist eine Klasse für sich. Sie lebt extrem zurückgezogen im Wald am Rand einer Kleinstadt, in einem Haus voller von ihr ausgestopfter Tiere. Kontakt zur Außenwelt hat sie nur beim Einkaufen. Oft vergehen Tage, ohne dass sie einen anderen Menschen sieht oder gar spricht. Ihr einziges Vergnügen ist der Teleshoppingkanal. Kurz, Bärbel liebt, nein sie BRAUCHT ihre Ruhe, in die nun Bambi platzt. Die macht ihrem Namen alle Ehre. Zart gebaut und mit großen braunen Rehaugen ist sie es gewöhnt, dass man(n) ihr jeden Wunsch aus den selbigen abliest – aber da beißt sie bei Bärbel auf Granit. Doch bald müssen sich die Beiden leider arrangieren. Sie bilden eine sehr ungewöhnliche Zweckgemeinschaft und wachsen in Notsituationen über sich hinaus.

Der Fall an sich ist sehr spannend. Ich will nicht zu viel verraten, aber bei dem einen Toten bleibt es nicht und Verdächtige gibt es viele. Bärbel wird aus ihrer Komfortzone und ihrem Haus gerissen und in eine neues, besseres (?) Leben katapultiert.
Die Geschichte wird aus Bärbels Sicht erzählt. In Rückblicken erfährt man von ihrer erschreckend freud- und lieblosen Kindheit. Kein Wunder, dass sie nie gelernt hat, eine Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen und von ihnen oft nicht mal wahrgenommen wird. Bambi ist das ganze Gegenteil. Auffällig, verwöhnt, egozentrisch. Da prallen Welten aufeinander und genau davon lebt das (Hör-)Buch, den Wortgefechten und Interaktionen dieser so unterschiedlichen Persönlichkeiten.

„Frauen, die Bärbel heißen“ hat mich wunderbar unterhalten, auch wenn es beim alleinigen Gassigehen im Wald manchmal etwas gruselig war, und ich hoffe, dass Marie Reiners noch viele skurrile Krimis schreibt.

Veröffentlicht am 27.03.2018

Was wäre wenn?

Mitte 40, fertig, los
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- Du mit Mitte 40 feststellst, dass Dich Dein Mann betrügt?
- Er seine Firma gegen die Wand gefahren und auch privat Pleite gemacht und Dich da mit reingezogen hat?
- Du irgendwie neu anfangen musst?
- Du ...

- Du mit Mitte 40 feststellst, dass Dich Dein Mann betrügt?
- Er seine Firma gegen die Wand gefahren und auch privat Pleite gemacht und Dich da mit reingezogen hat?
- Du irgendwie neu anfangen musst?
- Du keine andere Wahl hast, als zurück zu Deiner frischverwitweten Mutter in die Kleinstadt zu ziehen?

Ein Albtraum, oder? Und genau den erlebt Rike in „Mitte 40, fertig, los“. Ihr bleibt wirklich nichts erspart. Mann weg, Sohn weg (er lebt mit 16 natürlich lieber beim Papa), Haus weg. Einen Job hat sie auch nicht – sie war ja Hausfrau. Also zurück nach Meppelstedt ins Haus der Eltern. Dort hat sich nichts verändert. Es gibt immer noch die gleichen Läden, beim Fleischer eine Scheibe Fleischwurst auf die Hand, nur eine ordentliche Kneipe und nirgend wo WLAN. Selbst die alten Freunde sind noch fast alle da. Die Krönung aber ist Schmiddi, der Sohn der Nachbarn. Er wohnt mit Mitte 40 immer noch bei seinen Eltern, obwohl er inzwischen Anwalt ist! Wenigsten ist auch ihre ehemals beste Freundin Mona gerade im Land.

Ich habe in letzter Zeit selten so gelacht wie bei diesem Buch. Sehr gekonnt und amüsant nimmt Franka Bloom das Kleinstadtleben aufs Korn.
Die Nachbarn und Freundinnen ihrer Mutter beobachten Rike und kommentieren jeden ihrer Schritte, Mutti behandelt sie wie eine Vierjährige (z.B. indem sie ihr die Schnittchen in mundgerechte Stücke schneidet oder einen Kakao gegen Kummer kocht) und auch sonst mischt sich im Ort jeder in sämtliche Angelegenheiten ein. Dabei will Rike doch nur in Ruhe ihre Wunden lecken und einen Plan fassen, wie es nun weitergeht. Denn bisher hat sie ihre Trennung und den Verlust des Hauses geheim halten können ..
Doch schnell merkt sie, dass sie nicht die Einzige ist, die ihre Probleme verheimlicht. Und obwohl sie eigentlich ganz schnell zurück in die Stadt wollte, steckt sie bald wieder mitten drin im Kleinstadtleben.

„Mitte 40, fertig, los“ ist ein typischer Unterhaltungsroman, den ich mir sehr gut verfilmt vorstellen könnte. Dass die Autorin auch Drehbücher schreibt, merkt man ihm an. Ernste Themen und Amüsantes wechseln sich gekonnt ab und es wird nie langweilig. Sehr einfühlsam werden auch Themen wie der Verlust der Eltern oder Partner, Trauerbewältigung, Burnout oder Nervenzusammenbruch behandelt.

Rike ist mitten aus dem Leben gegriffen. Ein bisschen hat sie mich an Bridget Jones erinnert – kein Fettnäpfchen ist ihr zu tief und es quälen sie die gleichen Figurprobleme. Genial fand ich, wie sich ihre Mutter nach dem Tod des Vaters verhält – Ihr Leben ist nämlich noch nicht vorbei! – und Rike damit klarkommen muss. Auch ihr bester Freund Schmiddi hat mir gut gefallen. Seine Entwicklung hat nicht nur sie überrascht.

Leider waren mir die Handlung und vor allem das Ende etwas zu vorhersehbar und klischeehaft waren, darum gibt es „nur“ 4,5 von 5 Sternen.

Veröffentlicht am 26.03.2018

Wie gut kennst Du Deinen besten Freund?

Kalter Sand
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Kunsthistoriker Richard Gruben hat seit Jahren nur noch losen Kontakt zu seinem Freund Philip Stöbesand. Philipp ist eigentlich ein erfolgreicher Portraitfotograf, aber auch Alkoholiker. Jetzt hat er einen ...

Kunsthistoriker Richard Gruben hat seit Jahren nur noch losen Kontakt zu seinem Freund Philip Stöbesand. Philipp ist eigentlich ein erfolgreicher Portraitfotograf, aber auch Alkoholiker. Jetzt hat er einen Bildband über das Fischland-Darß herausgebracht denn: „Das Geschäft mit der See läuft immer.“ (S. 13) Außerdem lädt er zur Vernissage nach Gellerhagen an die Ostsee ein.
Richard hat ein ungutes Gefühl: „Hoffentlich war diese Reise an die Ostsee nicht wieder eine seiner Entscheidungen, die er hinterher bereuen würde.“ (S. 14) und er behält Recht. Auf der Vernissage kommt es zum Eklat. Andreas Schoknecht beschuldigt Philipp, vor Jahren seine Tochter Annika umgebracht zu haben. Und Schoknecht steht nicht allein da. Auch Jette Herbusch, die sich an die Ostsee zurückgezogen hat, um ihren Roman zu schreiben, scheint etwas gegen Philipp zu haben. Warum interessiert sie sich für Annikas Tod?!

Richard würde gern Philipps Unschuld beweisen, doch der schweigt und trinkt. Also hört sich Richard im Ort um. „Ich möchte nur verstehen, was passiert ist. Ich möchte Philipp verstehen.“ (S. 61)
Lichtkegel schwirren über die Straße, wie die Lichtblicke im Buch. Man konnte Philipp die Tat damals nicht nachweisen, darauf berufen sich Richard und Philipps Freundin Isa immer wieder, außerdem hatte er ein Alibi für die Tatzeit – von Isa. Aber einige Fakten sprechen eben auch gegen ihn. Richard stößt auf menschliche Abgründe. Wie gut kann man einen anderen Menschen eigentlich wirklich kennen?! Warum wird ein Mensch zum Täter und warum deckt ihn ein anderer evtl. über Jahre?

Schon mit „Stumme Wasser“ und „Küstenbrut“ hat Anja Behn bewiesen, das sie extrem spannende Krimis schreiben kann und“ Kalter Sand“ steht dem in nichts nach. Die Handlung ist sehr komplex und zum Teil verstörend. Viele Hinweise werden nahezu beiläufig eingestreut, um den Leser zu verwirren und ans Buch zu fesseln. Die Stimmung ist düster und atmosphärisch – wie der November an der See.

Veröffentlicht am 21.03.2018

Und das soll nun der Tod sein?

Für immer ist die längste Zeit
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Maddy ist tot, aber irgendwie hatte sie sich das anders vorgestellt. Himmel oder Hölle. Und wo ist sie gelandet? In einer Art Zwischenreich – nicht oben und nicht unten, kein Gott oder Teufel. Allerdings ...

Maddy ist tot, aber irgendwie hatte sie sich das anders vorgestellt. Himmel oder Hölle. Und wo ist sie gelandet? In einer Art Zwischenreich – nicht oben und nicht unten, kein Gott oder Teufel. Allerdings kann sie ihre Familie und Freunde (noch) sehen und hören, zum Teil ihre Gedanken lesen und auch beeinflussen. „Mein Leben ist nun ein leckeres, aber unerreichbares Dessert.“ (S. 9) Und genau da setzt sie an. Es kann doch nicht sein, dass sich ihre 16jährige Tochter Eve jetzt vor der Welt verkriecht und ihr Mann Brady den Rest seines Lebens allein bleibt – schließlich ist er erst Mitte 40. Also gibt sie ihnen Hinweise, wie sie sich verhalten sollen.
Eve ist von der Situation überfordert. Alle fassen sie mit Samthandschuhen an. Niemand weiß, wie er nach Maddys Tod mit ihr umgehen soll. „Mom hat auch mir das Leben genommen.“ (S. 24) Einzig ihr Freund John scheint sie etwas zu verstehen. Doch wenn sie ehrlich ist, will sie ihn nicht mehr. Er ist nur noch ihre Flucht aus dem deprimierenden Alltagstrott.
Auch Brady versteht den Selbstmord seiner Frau nicht. Es gab keinerlei Anzeichen dafür. Sie hat doch nie gesagt, dass sie unzufrieden ist! Er kommt mit nichts klar. Nicht mit dem Alleinsein, nicht mit dem Haushalt, schon gar nicht mit Eve ...

Abwechselnd wird aus aus Maddys, Eves und Bradys Sicht erzählt, wie sich deren Leben (oder Tod) nun weiter entwickelt.
Maddy will unbedingt eine neue Frau für Brady und Bezugsperson (Mutter wäre zu viel verlangt) für Eve finden. Die Lehrerin Rory gefiele ihr, aber wie soll sie die Verkupplung bewerkstelligen? Und wie viel Zeit bleibt ihr dafür?
Eve war bisher ein verwöhnter pubertierender Teenager. Durch den Tod ihrer Mutter landet sie hart auf dem Boden der Realität. Sie geht zwar weiter zur Schule, kapselt sich aber von ihren Mitschülern ab. Ihr erscheint alles sinnlos, die Mitschüler oberflächlich. Irgendwann fängt sie an, sich selbst Schmerzen zuzufügen, nur um überhaupt noch etwas zu spüren.
Brady versucht zu rekapitulieren, was es (alles) falsch gemacht und damit vielleicht Maddys Sprung vom Dach der College-Bibliothek ausgelöst hat. Er liest ihr Tagebuch und kommt dahinter, dass er nicht wirklich der Vorzeige-Ehemann war, für den er sich hielt. Die Arbeit kam immer zuerst, Maddy und Eve mussten sich dem unterordnen. Er ist wütend und traurig, muss erst lernen, sich selbst zu vergeben.
Jetzt sind Eve und Brady auf sich allein gestellt. Leider gehen sie in ihrer Trauer lange nicht aufeinander ein, sondern aufeinander los. Maddy, die bislang der Puffer war, fehlt.
Aber auch Maddy muss erkennen, was sie hätte besser machen können. „Einen Menschen zu lieben macht ihn nicht zu dem, den man sich wünscht; es macht einen verwundbar durch das, was er wirklich ist.“ (S. 317)

„Für immer ist die längste Zeit“ ist das wunderbar berührende Roman-Debüt von Abby Fabiaschi. Das Buch handelt von Familie, Trauer, Verlust, Schmerz und Neubeginn. Es ist gleichzeitig traurig und trotzdem an den richtigen Stellen lustig und hat mich so gefesselt, dass ich ihn an nur einem Tag komplett gelesen habe.

Veröffentlicht am 20.03.2018

„Ändern sie seinen Namen nicht, er ist der Letzte von uns.“

Der Letzte von uns
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... sind die letzten Worte von Luisa, als sie im Februar 1945 mitten im Bombenhagel in Dresden ihren Sohn Werner Zilch zur Welt bringt. Ihren Mann Johann wähnt sie bereits tot, umgebracht von der Gestapo ...

... sind die letzten Worte von Luisa, als sie im Februar 1945 mitten im Bombenhagel in Dresden ihren Sohn Werner Zilch zur Welt bringt. Ihren Mann Johann wähnt sie bereits tot, umgebracht von der Gestapo und auch sie selbst überlebt die Geburt nur um wenige Minuten. Zum Glück kann ein Soldat ihre Schwägerin Martha Engerer finden und ihr den Säugling übergeben – für beide beginnt eine Odyssee durch das Deutschland der letzten Kriegstage.

25 Jahre später ist Wern(er) ein aufstrebender Bauunternehmer in Manhattan. Er wurde mit 3 Jahren adoptiert. Auch seine Adoptiveltern haben den letzten Wunsch der Mutter respektiert und ihm seinen Namen gelassen. Leider wird der ihm zusammen mit seinem Aussehen zum Verhängnis, als er das erste Mal die Mutter seiner großen Liebe Rebecca („Sie ist die Frau meines Lebens.“ (S. 32)) kennenlernt. Und dann verschwinden sie und ihre Familie am nächsten Tag ...

Adélaïde de Clermont-Tonnerre erzählt auf zwei Zeitebenen Werners Geschichte und deckt nach und nach die Vergangenheit seiner Familie auf, von der er nichts weiß. Nur die immer wiederkehrenden Albträume von der Bombennacht und seiner Geburt, die er allerdings nicht versteht, sind ihm als Erinnerung geblieben.
Diese Zeitwechsel haben mich die ersten zwei Drittel des Buches gestört, da die Kapitel recht kurz sind und es dadurch etwas langatmig begann. Erst das letzte Drittel wurde dann richtig spannend.

Rebecca und Wern sind Kinder ihrer Zeit. Er wuchs in einem eher ärmlichen Elternhaus auf und hat hart für seinen Erfolg gearbeitet. Da Rebeccas Vater sehr reich ist und ihn überhaupt nicht akzeptiert oder wenigstens ernst nimmt, beginnt er sich für seine Herkunft und Familie zu schämen. Außerdem war Wern bis zu ihrem Kennenlernen ein echter Weiberheld und gewohnt, über alles die Kontrolle zu haben. Rebecca entzieht sich ihm immer wieder, sucht ihre Bestätigung in der Kunst. Sie malt, kennt die Größen ihrer Zeit (wie z.B. Hendrix, Morisson, McCartney, Warhol), geht in die richtigen Clubs und „erweitert ihr Bewusstsein“ (natürlich im Namen der Kunst) gern durch die Einnahme von Drogen.

Die Geschichte lebt vor allem von den Geheimissen um Werns Vorfahren und Rebeccas Mutter, welche zusammenhängen und nach und nach aufgeklärt werden. Sie haben mich zum Teil sehr mitgenommen. Die Geschehnisse während des Krieges und kurz danach werden sehr anschaulich und ungeschönt beschrieben. Vor allem meine brennende Heimatstadt Dresden, Werners Geburt und die Vergangenheit von Rebeccas Mutter gingen mir sehr nahe.

Leider hat mich „Der Letzte von uns“ nicht komplett überzeugen können. Der Spagat zwischen Liebesgeschichte, Unterhaltungsroman und den traumatischen Geschehnissen während des Nationalsozialismus ist der Autorin nicht ganz geglückt.