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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.10.2018

Klischee, Klischee und nochmal Klischee

Mein Mann, der Rentner, und dieses Internet
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Vorweg: Das Cover hatte mich verlockt, der Titel auch. Beides weckte meine Erwartungen auf ein Buch, das mich zum Lachen bringt. Gelächelt habe ich auch dann und wann…
Das Ehepaar Schmidt soll so ein ...


Vorweg: Das Cover hatte mich verlockt, der Titel auch. Beides weckte meine Erwartungen auf ein Buch, das mich zum Lachen bringt. Gelächelt habe ich auch dann und wann…
Das Ehepaar Schmidt soll so ein typisches Rentner-Ehepaar sein. Rosa hat mit Altenheim-Besuchen, Freundinnen -Treffen und Shoppen genug zu tun (Klischee), während Günther auf dem Sofa sitzt oder auch mal Belege sortiert (Klischee). Tochter Julia schenkt schließlich den beiden einen „flachen Computer“, den Rosa ganz deutsch „das Tablett“ nennt (Klischee). Günther fängt Feuer und mehr und mehr bestimmt Google das Leben der beiden Rentner (Klischee).
Tja, und so reiht sich Klischee an Klischee. Rentner sind halt gelangweilte Wesen, die kein Englisch können und völlig naiv in die Fallen von Facebook tappen. Es ist alles ganz nett erzählt. Teilweise kann man schmunzeln, zum Beispiel wenn der Fitness-Tracker ausfällt und das Ehepaar Schmidt deshalb „umsonst gelaufen ist“… Aber lachen? Nein, dazu ist der Schreibstil viel zu wenig pointiert. Es werden vorhersehbare Probleme breit ausgewalzt, zu breit, zu vorhersehbar, irgendwann im Verlauf des Buches ermüdend.

Veröffentlicht am 12.10.2018

Brotteig als Lebenslehrer

Ca. 750 g Glück – Das kleine Buch über die große Lust sein eigenes Sauerteigbrot zu backen
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Ein Buch, das mich mehrfach in die Irre geführt hat! Zuerst dachte ich bei oberflächlicher Betrachtung des Titels, es handele sich um die Geschichte ein Frühgeborenen. Total falsch! Als ich dann im Untertitel ...


Ein Buch, das mich mehrfach in die Irre geführt hat! Zuerst dachte ich bei oberflächlicher Betrachtung des Titels, es handele sich um die Geschichte ein Frühgeborenen. Total falsch! Als ich dann im Untertitel das Stichwort Brotbacken las, ging ich von einem Backbuch aus. Wieder falsch!
Die Gestaltung des Covers in seiner reduzierten Weise wird dem Buchinhalt leider nicht gerecht, weder was den Informationsgehalt noch den Werbeauftrag betrifft. Und er weckt falsche Erwartungen. Das ist sehr schade, denn dieses Buch ist ein kleines Kunstwerk. Ein literarisches Kleinod. Ein Immer-wieder-Lesebuch. Eine philosophische Abhandlung über die anzustrebenden menschlichen Tugenden wie Mut, Liebe usw. bis hin zu Dankbarkeit und Teamgeist. Ein Lehrstück, wie uns der Sauerteig in seiner eigenwilligen Art und Weise so vieles über das Leben beibringen kann. Das mag für den einen oder anderen vielleicht fragwürdig oder überhöht sein, insbesondere wenn sogar Rainer Maria Rilke bemüht wird. Mir persönlich haben die intelligenten und außerordentlich vergnüglichen Gedankengänge und die fast lyrisch in Worte gesetzte Begeisterung für das Brotbacken als solches sehr gut gefallen. Die unscharfen Fotos, mit einer analogen Kamera gefertigt und sich wohl als Kunst verstanden wissen wollend, fand ich als Beiwerk zum brillanten Text leider gar nicht künstlerisch, sondern geradezu schäbig. Und ja, ein (!) Rezept ist im Buch dann doch enthalten, allerdings für den backwilligen Neuling mit viel zu wenig hilfreich-unterstützenden Informationen.
Das Buch wäre meiner Meinung nach dank seines großartigen Textes ein wunderbarer Geschenkband für Menschen, die ein Faible haben für selbstgebackenes Brot. Leider ist die gesamte Aufmachung alles andere als geschenktauglich. Sehr, sehr schade!

Veröffentlicht am 10.10.2018

Unerschöpfliche Schatzwelt der Bücher

Das Mädchen, das im Buchladen gefunden wurde
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Eine Frage an alle Buchliebhaber: Kann man ein Buch allein schon wegen des Titelbildes lieben? Ja, man kann, und wie. Und wenn dann der Inhalt so perfekt zum Cover passt, dann steht der persönlichen Auszeichnung ...


Eine Frage an alle Buchliebhaber: Kann man ein Buch allein schon wegen des Titelbildes lieben? Ja, man kann, und wie. Und wenn dann der Inhalt so perfekt zum Cover passt, dann steht der persönlichen Auszeichnung „besonders geliebtes Kinderbuch“ nichts mehr im Wege.
Property, ein sehr ungewöhnliches kleines Mädchen, wird eines Tages von ihren Eltern in der kleinen Buchhandlung von Netty und ihrem Sohn Michael vergessen. Michael stellt das Mädchen erst einmal ins Regal der Fundsachen, und als sie einfach nicht mehr abgeholt wird, nimmt Netty sie ganz selbstverständlich auf. Und so wächst Property mitten unter Büchern auf, lebt zwischen ihnen, mit ihnen – und das, obwohl sie nicht lesen kann! Eines Tages gewinnt die Familie bei einer Verlosung den größten und tollsten Buchladen der Welt, was für eine Aufregung! Doch dieser Buchladen birgt ein Geheimnis, und nur jemand mit viel, viel Bücherkenntnis kann das Geheimnis entschlüsseln.
Dieses anrührende Buch ist eine einerseits märchenhafte, zauberhafte Geschichte mit liebenswerten und eindrücklich ausgearbeiteten Personen, individuell, eigen-artig, und andererseits eine fantasievolle Erzählung, fesselnd, turbulent, abenteuerlich, mit lustigen Stellen aufgelockert, immer aber spannend zu lesen. Alles wird auf eine so schöne, direkte Art erzählt, als würde die Autorin mitten unter uns sitzen und uns gestenreich und lebendig von Property und all den Geschehnissen berichten. Feinfühlig, stilistisch schön geschrieben ist dieses Buch, es ist aber auch aufgrund der zauberhaften Illustrationen von Mila Marquis ein besonderer Buchschatz, den zu hüten es gilt. Denn ich wüsste mir keine bessere Möglichkeit, Kindern den Weg direkt in die unerschöpfliche Schatzwelt der Wörter, der Bücher, der Fantasie zu öffnen. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 08.10.2018

Diabolischer Lesespaß

Was sich liebt, das killt sich
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Was für ein geistreicher Spaß! Schon lange nicht mehr hat mich ein Buch so erfreut wie dieses hier. Bitterböse, händereibende, schamlos perfide Ideen mit bissigem Witz überbacken – ein Geschichtenauflauf ...


Was für ein geistreicher Spaß! Schon lange nicht mehr hat mich ein Buch so erfreut wie dieses hier. Bitterböse, händereibende, schamlos perfide Ideen mit bissigem Witz überbacken – ein Geschichtenauflauf ganz und gar nach meinem Geschmack.
Die musikalisch und medizinisch bewanderte Sandra Lüpkes mit ihrem hinterhältigen Humor hat es mir besonders angetan, wobei der Wilsberg-Schöpfer und Hamam-Kenner Jürgen Kehrer mit seiner perfiden Bösartigkeit in nichts zurücksteht. Wenn ein Buch schon mit solch einem beziehungslastigen Vorwort beginnt, kann es nur noch schlimmer kommen… Was tummelt sich da alles auf diesen Seiten. Ein Panoptikum diabolischer Ideen geistert durch die kriminelle Schöpferwelt der Autoren: Außerirdische (stinkend), Lieferanten (mit tiefgefrorener Vergangenheit), Medizinstudent (mit Titan-Präparierbesteck), Wilsberg himself (Walking linke an angel), Auftragskiller (Gewehr mit Häkelmützchen), ganz viel Schwitzen und Schwatzen. Und isländische Trolle schaffen den Rest.
Eine wunderbare, nein, eine geniale Sammlung geistreicher Geschichten, die auf kreativ-hinterhältige Weise endgültige Lösungen für Beziehungsprobleme aller Art anbieten. Und so habe ich viel gelernt: Ob Tiefkühlkost oder Kröten oder Beeren - nichts ist immer so wie es scheint. Und mit dem Wort Hypokoristika kann man toll angeben. Auch nicht schlecht. Unbedingt lesen!!!

Veröffentlicht am 06.10.2018

Ein Roman mit emotionaler Wucht

Lempi, das heißt Liebe
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Um den geschichtlichen Hintergrund des Buches besser einordnen zu können, ist es meiner Meinung nach sehr empfehlenswert, vor Lektüre des Romans zuerst das sehr informative Nachwort der Übersetzerin zu ...


Um den geschichtlichen Hintergrund des Buches besser einordnen zu können, ist es meiner Meinung nach sehr empfehlenswert, vor Lektüre des Romans zuerst das sehr informative Nachwort der Übersetzerin zu lesen. Es half mir, das besondere Verhältnis zwischen Finnen und Deutschen während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und damit die erzählten Geschehnisse besser einordnen zu können
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Viljami, ein junger Bauernsohn, verliebt sich in Lempi, die beschützte und gebildete Tochter eines Ladenbesitzers aus einer kleinen Stadt im finnischen Lappland. Nach einer überstürzten Heirat zieht Lempi, die keinerlei Ahnung hat vom Landleben und der harten Arbeit dort, auf den Hof zu Viljami. Ihr zur Seite gestellt wird als Hilfe Elli, die Magd, die tief in ihrem Innersten am liebsten an Lempis Stelle wäre. Nach wenigen Monaten gemeinsamen Glücks wird Viljami zum Kriegsdienst eingezogen. Als er zurückkehrt, seelisch gebrochen, ist Lempi verschwunden.

Der Roman kommt ganz schlicht daher. Und hat doch eine Wucht, die schwer zu beschreiben ist. Die Autorin hat einen ungewöhnlichen Weg gefunden, uns Lempi näher zu bringen, wobei sie uns am Ende des Romans sogar noch ferner ist als zu Beginn des Buches. Aus drei verschiedenen Perspektiven werden uns Lempi und ihr Leben geschildert. Zunächst erzählt Viljami mit den Augen einer tiefen Liebe. Er ist vom ersten Augenblick an Lempi verfallen, und mit ihr zu leben ist sein größtes Glück, ja sein Lebensinhalt. Intensiv und ergreifend wird die kurze Zeit des Glücks und die ewig während scheinende Zeit des Verlusts geschildert. Lempi wird auf eine durch Liebe verklärende Weise schier engelsgleich nahegebracht. Dann erfolgt die Erzählung aus der Sicht von Elli, der Magd. Hier begegnet dem Leser mit schmerzender Gewalt die Kraft des Hasses, der Eifersucht, des Neids. Lempi erscheint uns in diesem Erzählstrang als untaugliche, unnütze, eitle und ihres Glücks nicht würdige Frau. Zuletzt kommt noch Sisko, die Schwester, zu Wort. Wir erfahren viel über das enge Verhältnis der Schwestern vor der Hochzeit Lempis, von ihren gemeinsamen Zukunftsträumen. Lempi wirkt hier in ihrem unabhängigen Denken, in ihren Gesten wie eine mutige Leitfigur, der es gilt nachzustreben.

Das alles ist Lempi und vielleicht doch nichts wirklich von alldem. Sie selbst kommt nicht zu Wort. Selten wurde mir deutlicher vor Augen geführt, wie Meinungsbildung funktioniert und zu welchen Irrtümern oder eingeschränkten Sichtweisen subjektive Wahrnehmung führt. Der eindrücklich Roman ist verpackt in schlichten Sätzen, und doch lyrisch-poetisch, schmerzend schön, hart und weich zugleich, mit emotionaler Wucht packend und lange nachwirkend. Absolut lesenswert!