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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.10.2025

Liebevoll gestaltetes Vorlesebuch für die Winterzeit

Das Haus mit der kleinen roten Tür
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Dieses liebevoll gestaltete Vorlesebuch erzählt die Geschichte von dem Mädchen Olivia und der kleinen Maus namens Maus. Es ist Winter, und Olivia lebt allein in ihrem Haus. Die Maus wohnt in einem Baum ...

Dieses liebevoll gestaltete Vorlesebuch erzählt die Geschichte von dem Mädchen Olivia und der kleinen Maus namens Maus. Es ist Winter, und Olivia lebt allein in ihrem Haus. Die Maus wohnt in einem Baum nebenan, bis ein Sturm ihr Zuhause zerstört. Gemeinsam machen sich die beiden auf die Suche nach einer neuen Unterkunft und wählen schließlich einen umgestürzten Blumentopf. Doch in der Nacht können sie beide nicht recht schlafen. So nimmt Olivia die Maus zu sich, und beide wohnen nun zusammen unter einem Dach. Von nun an sind sie nicht mehr allein und schaffen sich ein gemütliches Zuhause voller Wärme und Geborgenheit.

Das großformatige Buch gefiel mir aufgrund der wunderschönen Illustrationen. Die kurzen, klaren Texte sind ideal zum Vorlesen und werden von detailreichen Bildern begleitet, die zum Entdecken einladen. Auf fast jeder Seite verbergen sich zusätzlich Klappen mit weiteren Illustrationen. Das Papier ist stabil genug, so dass die Klappen nicht gleich beschädigt werden, jedoch nicht so robust, dass es sich für ganz kleine Kinder eignet. Daher halte ich die Altersempfehlung des Verlags (ab 4 Jahren) für passend.

Das Buch vermittelt auf einfühlsame Weise die winterliche Stimmung, die Geborgenheit eines warmen Zuhauses und den Wert von Freundschaft und Gemeinschaft.

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Veröffentlicht am 23.09.2025

Portrait eines innerlich zerrissenen jungen Mannes

Hundesohn
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In diesem Text ringt ein junger Mann um seine Selbstfindung und um Liebe. Er ist in Berlin aufgewachsen und stammt aus dem türkischen Kulturkreis. Als Kind war er wiederholt Rassismus, Diskriminierung, ...

In diesem Text ringt ein junger Mann um seine Selbstfindung und um Liebe. Er ist in Berlin aufgewachsen und stammt aus dem türkischen Kulturkreis. Als Kind war er wiederholt Rassismus, Diskriminierung, Missbrauch und Verhöhnung ausgesetzt. Er liebt Männer... und hasst sie.
Er ist unglücklich in Hassan, diesen "Hundesohn" verliebt, und wir lesen von seinen Sehnsüchten, Gedanken und Gefühlen. Wir erfahren von seinen vielfältigen Männerbekanntschaften, von seinen inneren Konflikten und Widersprüchen sowie von seiner freundschaftlichen Beziehung zu seiner besten Freundin, die ihn unterstützt. Er erzählt von seiner Familie, von seinem Aufwachsen und seine innere Zerrissenheit wird immer wieder deutlich.

Der Text ist essayistisch, anekdotenhaft und experimentell. Kurze Kapitel wechseln sich ab, der Stil liest sich assoziativ, manchmal etwas surrealistisch und kafkaesk. Man muss sich wirklich darauf einlassen. Gesellschafts- und kulturkritische Überlegungen werden angesprochen. Immer wieder treten zudem sprachphilosophische Gedanken auf, die sich speziell mit der türkischen Sprache befassen. Türkisch, Arabisch, Englisch und Französisch finden sich in Sätzen wieder, die oftmals eingefügt sind. Die Sprache ist gefühlvoll, poetisch und berührend; an einigen Stellen auch hart, rauh und direkt.

Mich konnte dieser moderne Text nur bedingt überzeugen. Mit der experimentellen Form hatte ich Schwierigkeiten und sie strengte mich sehr an. Zu oft schweifte er von der eigentlichen Handlung ab, die mich tatsächlich stärker interessierte als die essayistischen Einschübe. Zudem habe ich zu wenig Berührungspunkte mit der türkischen Sprache, um voll eintauchen zu können. Die Thematik hatte mich eigentlich sehr interessiert, nur die Form katapultierte mich immer wieder aus dem Lesefluss.

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Veröffentlicht am 09.09.2025

Originell und sehr vielschichtig

Und Federn überall
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Die Handlung spielt an einem Tag im Emsland, in einer provinziellen Kleinstadt, deren wichtigster Arbeitgeber ein Geflügelkonzern ist. Was zunächst nach einer eher trockenen Ausgangslage klingen mag, entpuppt ...

Die Handlung spielt an einem Tag im Emsland, in einer provinziellen Kleinstadt, deren wichtigster Arbeitgeber ein Geflügelkonzern ist. Was zunächst nach einer eher trockenen Ausgangslage klingen mag, entpuppt sich als alles andere als langweilig.
Im Zentrum stehen sechs sehr unterschiedliche Figuren: Nassim, ein halbblinder Dichter aus Afghanistan; Rosha, eine iranische Schriftstellerin; Justyna aus Polen, die in der Altenpflege arbeitet; Anna aus Siebenbürgen, die eine selbstentwickelte Kameratechnologie an den Geflügelkonzern verkauft; Merkhausen, Prozessoptimierer im selben Unternehmen; und schließlich Sonia, eine alleinerziehende Mutter, die am Fließband des Konzerns arbeitet.

Kapitelweise wechseln die Perspektiven, sodass man die Ereignisse abwechselnd durch die Augen dieser Figuren erlebt. Ihre Lebenswege kreuzen sich, beeinflussen einander und eröffnen immer neue Blickwinkel. Jede Figur ist facettenreich, einfühlsam und nahbar gezeichnet. Viele haben Migrationserfahrungen, entweder persönlich oder durch ihre Familien. Alle Figuren sind von einer Grundspannung durchzogen: Sie stehen an Wendepunkten, sind unzufrieden, ringen mit den Grenzen ihres Handlungsspielraums, sei es durch ökonomische Abhängigkeit, gesellschaftliche Strukturen, durch familiäre oder kulturelle Prägungen oder durch eigene Lebenserfahrungen. Sie müssen Entscheidungen treffen, Momente des Ausbruchs und kleine Verschiebungen werden sichtbar, auch Überreaktionen.

Besonders faszinierend fand ich die Dichte und Vielfalt der Themen. Neben eindringlichen Einblicken in die Lebensrealitäten der Figuren verwebt die Autorin kunstvoll ein spannendes Kapitel deutsch-polnischer Geschichte, das mir bislang unbekannt war. Ebenso überzeugend sind die gesellschaftskritischen Dimensionen: Fragen von Migration und Integration, Kapitalismuskritik, Tierschutzfragen, die Thematisierung des (mir bislang ebenfalls unbekannten) „Wooden Breast“-Syndroms, eine Krankheit, die aus der Massentierhaltung hervorgegangen ist. All dies wird nicht belehrend, sondern im Kontext der Figuren und ihrer Schicksale erzählt.

Der Roman ist humanistisch, feministisch, tiefgründig und zugleich unterhaltsam. Das offene Ende wird sicher nicht allen gefallen; für mich passte es jedoch gut, da der Fokus weniger auf einer Auflösung als vielmehr auf einer Momentaufnahme der Figuren liegt. Liebend gern hätte ich allerdings auch weiterlesen wollen.

Insgesamt liest sich das Buch fesselnd, berührend, ernst und zugleich komisch, satirisch, philosophisch und hochaktuell. Ein origineller und klug komponierter Roman,der mich nachhaltig beeindruckt und begeistert hat!

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Veröffentlicht am 22.08.2025

Komplex, multiperspektivisch und sehr bewegend

Traue keinem fremden Wolf
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Der Roman begleitet die tschetschenische Familie Ibragimov und spannt einen Bogen von den 1980er-Jahren bis in die jüngste Vergangenheit. Im Zentrum stehen Adam und Marina mit ihren Kindern und Enkelkindern ...

Der Roman begleitet die tschetschenische Familie Ibragimov und spannt einen Bogen von den 1980er-Jahren bis in die jüngste Vergangenheit. Im Zentrum stehen Adam und Marina mit ihren Kindern und Enkelkindern sowie Adams Bruder und dessen Sohn.

Der Fokus des Romans liegt auf den historischen und politischen Geschehnissen, die sehr detailliert erzählt werden. Die Zeitspanne reicht von der gewaltsamen Deportation der Tschetschenen nach Kasachstan unter Stalin in den 1940er-Jahren bis hin zu den Jahren um 2014, in denen Ramsan Kadyrow Tschetschenien mit eiserner Hand beherrschte.

Besonders beeindruckend ist die Vielstimmigkeit des Romans. Er fängt die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der tschetschenischen Gesellschaft ein und vermittelt ein tiefes Verständnis von Kultur, Werten, Traditionen und Rollenbildern sowie davon, wie diese sich im Laufe der Jahrzehnte verändert haben. Es werden Generationenkonflikte sichtbar gemacht, die Ausbreitung des radikalen Islamismus nachgezeichnet und immer wieder verdeutlicht, wie sehr unterschiedliche Interessen und Einflüsse, sowohl innerhalb Tschetscheniens als auch von außen, im Hintergrund maßgebliche Veränderungen bewirkt haben. Es werden die Tschetschenienkriege beleuchtet, die Anschläge im Moskauer Theater sowie in der Schule von Beslan und vieles mehr.

Der Schreibstil ist klar und gut lesbar, die Handlung spannend und fesselnd, vor allem, je näher sie der Gegenwart rückt. Die Charaktere bleiben zwar eher angedeutet, aber dennoch immer zugänglich und berührend. Manchmal hätte ich mir dennoch gewünscht, tiefer in die Figuren eintauchen zu können, um manche Entscheidungen noch besser verstehen zu können.

Der Autor arbeitet äußerst differenziert: Er zeigt Widersprüche auf, lässt verschiedene Perspektiven nebeneinanderstehen und gibt Einblicke in die Denk- und Gefühlswelt ganz unterschiedlicher Akteur*innen: von tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfern, jungen russischen Wehrdienstleistenden bis hin zu überzeugten Dschihadisten. Dabei verknüpft er fiktive Figuren mit historischen Persönlichkeiten und stützt sich auf eine bemerkenswerte Recherchearbeit. So entsteht ein facettenreiches Bild, das die historischen Entwicklungen nachvollziehbar macht, ohne Urteile zu fällen. Die Deutung bleibt den Lesenden überlassen.

Insgesamt hat mich die Lektüre tief erschüttert und sehr nachdenklich gemacht. Der Roman bietet einen multiperspektivischen, komplexen und tiefen Einblick in die Geschichte und Gegenwart Tschetscheniens.

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Veröffentlicht am 22.08.2025

Bewegende kongolesische Liebes- und Familiengeschichte

Wohin du auch gehst
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Die jugendliche Bijoux wird während des Bürgerkriegs aus dem Kongo nach London geschickt, um bei ihrer Tante Mira in Sicherheit zu leben. Doch auch dort fühlt sie sich nicht frei: Bijoux liebt Frauen, ...

Die jugendliche Bijoux wird während des Bürgerkriegs aus dem Kongo nach London geschickt, um bei ihrer Tante Mira in Sicherheit zu leben. Doch auch dort fühlt sie sich nicht frei: Bijoux liebt Frauen, ihre tief religiöse Tante aber gehört einer kirchlichen Gemeinde der kongolesischen Community an, in der Homosexualität nicht akzeptiert wird. Gespräche sind kaum möglich, Mira wirkt verhärtet und schweigsam.
Auf unterschiedlichen Zeitebenen begleiten wir Bijoux in ihrer Entwicklung und erhalten zugleich Einblicke in Miras Vergangenheit.

Sehr eindrücklich schildert der Roman, wie es ist, ein Leben führen zu müssen, das von Familie und Gesellschaft erzwungen wird, und die eigene Sexualität zu verbergen. Zugleich vermittelt er ein detailreiches und sehr interessantes Bild des kongolesischen Alltags, der Kultur und der politischen Geschichte. Besonders spannend sind die Einblicke in familiäre Strukturen, in Erziehung und Rollenbilder. Für Frauen bedeutet dies meist enormen Druck: heiraten, Kinder bekommen, funktionieren. Es ist eine patriarchale Gesellschaft, oft von Gewalt geprägt. Ein Mann sagt einmal: „Wir sind nicht alle Monster“. Dieser Satz hallte lange nach. Auch die Weitergabe von Traumata über Generationen wird thematisiert.

Die Handlung ist durchweg fesselnd und überaus spannend, nicht zuletzt durch die wechselnden Zeitebenen. Das Buch ist berührend und emotional schwer, zugleich jedoch gut lesbar. Momente des Glücks sind selten und scheinen nie von Dauer, was insbesondere das tragische Schicksal von Mira kennzeichnet. Das Ende ist versöhnlich und voller Hoffnung gestaltet, was mir gut gefiel.

Fazit: Eine bewegende und tiefgründige Liebes- und Familiengeschichte vor dem politischen und kulturellen Hintergrund des Kongos. Sehr empfehlenswert!

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