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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.03.2021

Sehr enttäuscht

Big Sky Country
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Diesen Roman, von dem ich viel erwartet hatte und dessen klarer Schreibstil mir so gut gefiel, habe ich enttäuscht und angewidert kurz vor der Hälfte abgebrochen. Achtung Spoiler.
Hier wird eine Mehrfachvergewaltigung ...

Diesen Roman, von dem ich viel erwartet hatte und dessen klarer Schreibstil mir so gut gefiel, habe ich enttäuscht und angewidert kurz vor der Hälfte abgebrochen. Achtung Spoiler.
Hier wird eine Mehrfachvergewaltigung einer jungen Frau durch verschiedene junge Männer beschrieben, die ich in dieser Form nicht lesen wollte. Es sollte darum gehen, wie August, der jugendliche Hauptprotagonist seine erste richtige Freundin kennen lernt. Da der Autor sehr bildhaft, fesselnd und atmosphärisch schreibt, war ich sehr nah dran am Geschehen und wurde von der folgenden Vergewaltigung wirklich überrascht und überrumpelt (wer lernt seine zukünftige Freundin schon bei einer Mehrfachvergewaltigung kennen) Ich war so angeekelt, dass ich das Buch an dieser Stelle wirklich beendete. Ich las noch kurz in den Schluss hinein, aber für mich hatte sich die Lektüre damit erledigt. Ich empfand es reißerisch, effekterheischend und unsensibel vom Autor.

Generell geht es manchmal recht rau und brutal zu. Schon die Eingangszene mit den massenhaft getöteten Katzen, die ich etwas überlesen hatte, da ich es nicht ertrug, hätte mich vielleicht warnen können. Andererseits gefiel mir dieser ungeschönte und direkte Blick auch...erstmal.

Ich hatte wirklich große Lust auf diese Sozialstudie des Mittleren Westens sowie Montanas zu Zeiten von George Bush. Ich wollte gern wissen, welches Menschenbild der Autor zeichnet, welche Erfahrungen und Überlegungen er einfließen lässt. Ich war sehr neugierig auf August, der so verschlossen mit dem Strom schwimmt und seinen eigenen Weg nach der Trennung seiner Eltern finden muss. Ich wollte gern wissen, wie August sich entwickelt und wofür er sich entscheidet. Ich war bereit mich auf die Figuren, ihre Gedanken und Gefühle einzulassen, doch nach dieser Vergewaltigungsszene hatte ich jegliches Interesse am Werk und auch am Autoren verloren. Schade.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.10.2020

Bereichernder Einblick in das Leben und Denken der Amateurboxerin Zeina Nassar

Dream Big
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Die 21 jährige Berlinerin Zeina Nassar boxt seit ihrem 13.Lebensjahr sehr erfolgreich im Amateurbereich. Sie gewann 2018 die Deutschen Meisterschaften sowie mehrfach die Berliner Meisterschaften.
In ...

Die 21 jährige Berlinerin Zeina Nassar boxt seit ihrem 13.Lebensjahr sehr erfolgreich im Amateurbereich. Sie gewann 2018 die Deutschen Meisterschaften sowie mehrfach die Berliner Meisterschaften.
In der vorliegenden Autobiographie lässt sie die Leser*innen sehr nahe an ihrem Leben teilhaben, in dem der Boxsport zwar im Mittelpunkt steht, aber auch viele andere Themen angesprochen werden, da sie eine vielseitig interessierte und talentierte junge Frau ist!

Ihre Eltern stammen aus dem Libanon, worüber man auch einige spannende Einblicke durch sie erhält, insbesondere die Fluchtgeschichte der Mutter wirkte sehr nach.
In Zeinas Leben spielt insbesondere der Sport eine große Rolle: Fußball, Basketball – Boxen, sie liebt den Sport generell. Insbesondere das Boxen – die einstige Männerdomäne. Sie berichtet von der entfachten Leidenschaft, von der anfänglichen Skepsis ihrer Eltern, vom Training, von den Wettkämpfen, von Erfolgen und Misserfolgen. Sie und ihre Trainerinnen setzten mit viel Beharrlichkeit durch, dass Frauen mit Hidjab/ Kopftuch, die bislang von Wettkämpfen ausgeschlossen wurden, nun sowohl in Deutschland als auch international starten können.

Das Buch ist aber auf keinen Fall ein reines Sportbuch. Zeina ist beeindruckend vielseitig interessiert und hinterfragt viele Erscheinungen des politischen und sozialen Lebens um sich herum. Sie äußert sich zu Diversität, Feminismus, Religionsfreiheit und mehr. Für diese Werte tritt sie zudem politisch aktiv ein und ist sich vor allem auch außerhalb des Sports ihrer Vorbildfunktion bewusst.

Sie wirkt sehr energetisch, zielstrebig, mutig und zäh. Sportlich und mental absolut fit, musste sie sich das aber auch erarbeiten und viel Zeit und Herzblut investieren. Das ist spannend und gut nachvollziehbar beschrieben. Sie spricht zudem sehr ehrlich von ihren Schwächen und Rückschlägen, über ihre „Sportsucht“. Das gefiel mir sehr gut, da so ein ausgewogenes Bild entstand. Ein wenig fehlte mir dennoch der Einblick, welche Dinge in ihrem Leben wirklich zu kurz kamen und für den Sport „geopfert“ wurden.

Insgesamt macht Zeina aber immer wieder Mut, inspiriert, gibt Kraft und Stärke: „Ich bin nach Rückschlägen immer wieder aufgestanden, so wie man sich nach einem Unfall wieder ans Steuer setzt, weil man sonst nie wieder fährt. Ich habe es nochmal getan, und es war schlimm, da mache ich niemandem etwas vor. Doch beim zweiten Mal, na gut, da war es auch schlimm. Aber beim dritten Mal war es weniger schlimm und beim zwanzigsten Mal schön."

Beim Lesen fragte ich mich hin und wieder, wie sie wohl 30 Jahre später über ihre Lebenseinstellung denken wird und überhaupt, welchen Lebensweg sie einschlagen wird.

Obwohl ich kein Boxfan bin, las ich das Buch sehr gern und mit Gewinn. Es ist sehr fesselnd und interessant geschrieben, so dass ich es in einem Rutsch las. In einen Interview sagte sie, dass ihr Ghostwriter das Buch geschrieben habe, und an dieser Stelle gern ein Kompliment an ihn oder sie, es liest sich gut! Einfach, klar, sehr emotional, nie trivial, sondern voller kluger Gedanken und vor allem sehr ehrlich.
Auch die Fotos gefielen mir sehr gut, wenngleich mich die stete Werbung für ihren Sponsor etwas nervte. Sie machten aber auf jeden Fall Lust, noch über das Buch hinaus, mehr über Zeina Nassar zu erfahren.

Veröffentlicht am 30.09.2020

Chancenungleichheit im Bildungsbereich

Streulicht
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Shortlist Deutscher Buchpreis 2020

Ein junges Mädchen wächst in einem Frankfurter Industrieviertel auf. Ihre Mutter stammt aus der Türkei, ihr Vater aus einer deutschen Arbeiterfamilie.
Aus der Ich-Perspektive ...

Shortlist Deutscher Buchpreis 2020

Ein junges Mädchen wächst in einem Frankfurter Industrieviertel auf. Ihre Mutter stammt aus der Türkei, ihr Vater aus einer deutschen Arbeiterfamilie.
Aus der Ich-Perspektive erleben die Leserinnen nun die Dysfunktionalität ihrer Familie, nehmen am steinigen Bildungslebenslauf der namenlosen Protagonistin teil und erfahren Alltagsrassismus und Milieudeterminismus in Deutschland.

Die Familiensituation ist für das Mädchen sehr schwierig. Der Vater ist Fabrikarbeiter. In seiner (Nach-)Kriegsgeneration galt die Selbstbeschränkung als Pflicht. Eigene Wünsche lernte er nie zu formulieren. „Das ganze Leben meines Vaters war eine einzige Ersatzhandlung“. So hortet er massenhaft Dinge zu Hause und ist alkoholabhängig. Wenn er betrunken ist, wird er aggressiv und der Mutter gegenüber gewalttätig.

Das Innenleben der Hauptprotagonistin wird sehr nahbar dargestellt, so dass ich ihre Lebenswelt gut nachvollziehen sowie mitfühlen konnte. Sie tat mir oft sehr leid. Keiner hört ihr wirklich zu bzw. interessiert sich für sie. Sie hat keinerlei Unterstützung und wird immer wieder von anderen niedergedrückt. Zum Aufbegehren fehlt ihr die innere Stabilität.
Sie steht sowohl zu Hause ständig unter Anspannung als auch in der Schule. Sie möchte am liebsten unsichtbar sein. Sie wünscht sich weit weg und spürt stets eine „unsichtbare Wand zwischen [ihr] und dem Ort“ in dem sie lebt.
Ihrem Milieu zu entfliehen oder gar sich selbst zu entwickeln wird ihr kaum ermöglicht, wobei sie es dennoch beharrlich versucht. Insbesondere werden ihr von den verschiedensten Lehrer
innen immer wieder Steine in den Weg gelegt. Auch wird sie von der Mittelschicht, dem Bildungsbürgertum weder wirklich angenommen noch akzeptiert.
Zudem sieht sie sich, aufgrund ihres Namens und ihres Aussehens von klein auf, obwohl sie eine Deutsche ist, ständig mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert. Zur türkischen Community besteht überhaupt kein Kontakt und auch der Sprache ihrer Mutter ist sie kaum mächtig.

Diese Darstellung des Mädchens, welches zur jungen Frau heranwächst, überzeugte mich sehr, die Darstellung ihrer Familienstruktur jedoch nicht immer. Ich fand es nicht so ganz überzeugend, dass der Vater als langjähriger Alkoholiker dennoch seiner regelmäßiger Arbeit nachgehen konnte. Auch die Mutter wurde einerseits als sehr fleißig, emsig, tätig schaffend dargestellt, andererseits wurde immer wieder vom teils verwahrlosten, staubbeschichteten, überall nach Rauch riechenden Haushalt berichtet. Auch konnte ich die Freundschaften, die hier zwar nicht wirklich tief und gleichrangig, aber dennoch langjährig bestanden, nicht so ganz nachvollziehen, da schienen mir die Herkünfte doch zu unterschiedlich.

Die Chancenungleichheit im Bildungswesen wurde sehr gut herausgearbeitet. An den Lehrer*innen wurde dabei kaum ein gutes Haar gelassen, was mir nach der zigsten Wiederholung dann doch etwas übertrieben vorkam. Überhaupt gab es insgesamt so gut wie keine positiven Aspekte, da die Autorin in negativen Zustandsbeschreibungen verbleibt. Auch dies blieb für mich letztlich unbefriedigend, da mir die beschriebenen Prozesse sehr bekannt sind und mich eher Lösungsorientierungen interessieren.

Sprachlich ist der Roman reich an Metaphern und Umschreibungen. So gelangen einerseits sehr schöne Bilder und kluge Beobachtungen, andererseits geriet es etwas schwafelnd und zu detailreich an Umgebungsbeschreibungen, die mich schlichtweg langweilten. Insgesamt ist der Spannungsbogen nicht sehr hoch. Der Ton ist sehr ruhig, die Atmosphäre düster, schwermütig, trüb und trist.

Fazit: Ein ruhiger Roman, der durch eine metaphernreiche Sprache auffällt und altbekannte jedoch aktuelle Themen wie die Chancenungleichheit im Bildungssektor sowie Alltagsrassismus nachvollziehbar abbildet. Für Menschen, die sich noch nicht damit auseinandergesetzt haben empfehlenswert sowie für Menschen, denen ähnliches widerfahren ist und sich wiedererkennen möchten.
3,5/5

Veröffentlicht am 27.09.2020

Anschaulich erzählter Unterhaltungsroman, der mir etwas zu flach geriet

Zugvögel
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Im Mittelpunkt steht die psychisch sehr angeschlagene Franny, die wegen Mordes vier Jahre in Haft verbüßt hat. Sie möchte den letzten verbliebenen Küstenseeschwalben in die Antarktis folgen. Ein Fischerboot ...

Im Mittelpunkt steht die psychisch sehr angeschlagene Franny, die wegen Mordes vier Jahre in Haft verbüßt hat. Sie möchte den letzten verbliebenen Küstenseeschwalben in die Antarktis folgen. Ein Fischerboot mit einer Besatzung voll interessanter Persönlichkeiten nimmt sie mit. Innerlich lehnt sie die Fischerbootbesatzung jedoch ab. Aktuell gibt es nämlich kaum noch Tierarten geschweige denn Fischarten auf der Welt. Franny sowie ihr Ehemann Niall, ein Ornithologe und Universitätsprofessor setzten sich vehement für Natur- und Umweltschutz ein. Doch nun sind sie getrennt und Franny muss allein den Küstenschwalben folgen...

Der Roman handelt zum einen auf dem Fischerboot. Stürme und andere Hindernisse müssen bewältigt werden. Die Dynamik zwischen der Besatzung wird gut, wenngleich etwas oberflächlich skizziert und das Leben dieser Seeleute interessant beleuchtet.
Zum anderen gibt es häufige Rückblenden in verschiedene Zeiten. Frannys Kindheit wird erzählt: sie lebte mit ihrer Mutter in Irland, wurde von dieser aber recht früh verlassen und musste zu ihrer Großmutter väterlicherseits nach Australien. Diese Jahre waren ziemlich hart. Sie kehrt zurück nach Irland, dabei stets auf der Suche nach ihrer Mutter und anderen Verwandten. Ihren zukünftigen Ehemann, Niall, lernt sie dabei an der Universität in Galloway kennen und lieben.

Dieser Unterhaltungsroman ist eine Mischung aus Krimi, Abenteuerroman, psychologischem Familienroman, Liebesgeschichte und Dystopie mit Schwerpunkt Tierschutz.

Zu Beginn gibt es viel Spannung, da nur Schritt für Schritt die Ereignisse der Vergangenheit gelüftet werden. Es gibt viele Andeutungen, vieles klingt geheimnisvoll und sehr dramatisch. Die erste Hälfte gefiel mir dementsprechend sehr gut. Doch dann geriet es mir leider zu vorhersehbar. Recht schnell wurde mir klar, worauf alles hinauslief, wobei mich dennoch einige Details überraschen konnten.
Auch geriet mir das Ganze leider insgesamt zu naiv, zu flach und eindimensional. Die Figuren konnten mich nicht mehr gut überzeugen und wirkten zu schablonenhaft. Zudem hatte ich mir erhofft, mehr über die Küstenseeschwalben zu erfahren oder mehr Hintergründe zum Artenschutz, doch blieb es hier bei recht knappen und oberflächlichen Informationen. Beim Anbringen der Peilsender hätte sich z.B.angeboten, die negativen Folgen von Vogelberingungen zu erwähnen....

Der Hauptfokus lag jedoch auf Franny und ihrer zerbrochenen Biographie. Sie ist traumatisiert und hat schwere Verluste erlitten. Sie ist düster, schwermütig, tieftraurig und verzweifelt über sich selbst. Sie hat „sich selbst satt“, kann nirgends lange bleiben, hat „Wanderfüße“ und fällt ihrem „entsetzlichen“ Willen immer wieder zum Opfer. Ihr Leben war „ein Vogelzug ohne Ziel“ und sie ist nun auf dem Weg, sich selbst zu zerstören.
Richtig warm wurde ich allerdings nie mit ihr und auch ihr Ehemann Niall blieb mir sehr fremd, ihn konnte ich am wenigsten verstehen.

Wie kann man frei und sich selbst treu sein, aber dennoch zuverlässig in familiären Bindungen leben? Die Frage stellt sich Franny immer wieder. Und auch die Seeleute leben in diesem Zwiespalt. So meint und betitelt der Roman nicht nur die Küstenseeschwalben als Zugvögel, sondern auch jene Menschen, die diesen „Wanderdrang“ in sich spüren.

Der anschaulich erzählte Roman überzeugte mich nicht so ganz, wird mir aber im Gedächtnis bleiben und gab mir einige Gedankenanstöße sowie einige eindrucksvolle Bilder vom Meer, von Krähenschwärmen, die einem Mädchen folgen sowie von Rettungsaktionen im eisigen Wasser.
3,5/5

Veröffentlicht am 21.09.2020

Nach wahren Begebenheiten

Ich an meiner Seite
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Der junge, bis zu seiner Straftat unbescholtene und eher schüchterne Arthur wird aus der österreichischen JVA Gerlitz nach der Verbüßung seiner mehrjährigen Haftstrafe freigelassen.
Jetzt wohnt er für ...

Der junge, bis zu seiner Straftat unbescholtene und eher schüchterne Arthur wird aus der österreichischen JVA Gerlitz nach der Verbüßung seiner mehrjährigen Haftstrafe freigelassen.
Jetzt wohnt er für ein Jahr in einem Betreuten Wohnen in Wien. Hier erhält er unter anderem Einzelcoachings von einen Sozialpädagogen, um wieder in das „normale“ freie und selbstverantwortete Leben zu finden. Doch alle Stellen-Bewerbungen verlaufen fruchtlos. Er scheint weder auf dem „Arbeitsmarkt, dem Partnermarkt, dem Wohnungsmarkt“ gute Chancen zu haben. Auch seine früh geschiedenen Eltern wollen keinen Kontakt zu ihm. Allein die alte Dame Grazetta hält zu ihm, die er vor Jahren schon im Hospiz, das seine Mutter in Spanien aufbaute, kennen lernte.

Der etwas schräge Sozialpädagoge Börd, der immer wieder aus der Reihe fällt und vor allem unangenehm auffällt, hält ein Spezialprogramm für ihn bereit. Er soll sich eine „ureigene Originalversion“ seiner selbst vorstellen, so dass er in brenzligen Situationen diese „Rolle“ „spielen“ kann, denn auf diese Weise könne er ein besserer Mensch werden: „Niemand interessiert wer Sie sind. Entscheidend ist, wer Sie vorgeben können zu sein.“ Doch ist das der richtige Weg?

Zugleich erfahren die Leser*innen in eingeschobenen Rückblenden Arthurs bisherige Lebensgeschichte. Neben den Ausführungen, wie es zu der Straftat kam, wird auch seine etwas komplizierte Familiensituation ausgeführt. Seine Eltern trennten sich früh, zu seinem Vater gibt es kaum Kontakt. Seine Mutter wanderte mit ihrem neuem Freund nach Spanien aus und baute dort ein Hospiz auf. Dort wuchs Arthur zum Jugendlichen heran, fand Freunde und eine erste Liebe. Sein älterer Bruder kehrte indes bald nach Deutschland zurück.
Die Einblicke in seine Jugend gerieten spannend, etwas rätselhaft, etwas gruselig und sehr tragisch. Da hier vieles nur angedeutet, nicht ins Kleinste ausgeleuchtet wird, ergibt sich Raum zur Interpretation. Auch Arthur selbst blieb mir etwas fern, distanziert, nicht so ganz greifbar, was durchaus auch etwas in seinem Charakter begründet ist.

Nebenbei erhält man Einblicke in seine Hafterlebnisse, von denen er immer noch traumatisiert ist. Er lebte in einer Vierbettzelle, in der sogenannten „Mehrfachbelegung“. Das wird sehr krass und eindrücklich geschildert. So lernt man auch: „Samstags und Sonntags […] sterben die meisten Häftlinge weltweit“, es „passieren die meisten Gewalttaten und Vergewaltigungen“, da unter anderem weniger Personal an den Wochenendenden Dienst hat.
Alles in allem zweifelt man an der Sinnhaftigkeit von Haft, insbesondere wenn es um minderschwere Straftaten geht.

Der Roman ist zu einem großen Teil sehr frisch und lustig geschrieben, ich habe mich immer wieder amüsiert. Manches wirkte slapstickartig, satirisch und etwas merkwürdig bzw. albern, hier insbesondere alles um die Sozialarbeiter. Aber auch darüber hinaus gab es einige schräge Vögel. So wurde ich etwas eingelullt, um dann brachial mit der Realität und insbesondere dem brutalen Gefängnisalltag konfrontiert zu werden. Diese Gegensätze erwischten mich kalt und rüttelten mich dementsprechend auf. Der Roman konnte insgesamt viele Emotionen in mir hervorrufen und die Lektüre geriet zum Wechselbad der Gefühle.
3,5 Punkte

Longlist Deutscher Buchpreis 2020