Geschichte im doppelten Sinne
Das Haus der TürenEine kleine Kritik habe ich an „Das Haus der Türen“. Der Umgang der Kolonialmacht mit der Bevölkerung, mit den Angestellten, wird nicht bewertet, eingeordnet. Aber das wäre vielleicht auch zu viel verlangt, ...
Eine kleine Kritik habe ich an „Das Haus der Türen“. Der Umgang der Kolonialmacht mit der Bevölkerung, mit den Angestellten, wird nicht bewertet, eingeordnet. Aber das wäre vielleicht auch zu viel verlangt, wird der Roman doch aus Sicht der britischen Oberschicht in Penang erzählt. Dennoch: Eine leise kritische Stimme, ein Hinterfragen des eigenen Handelns, wäre vielleicht aus heutiger Sicht die Kirsche auf der Torte gewesen.
Tan Twan Eng erzählt die Geschichte von Lesley Hamlin in den frühen 1920er-Jahren auf einer Insel in Malaysia. Damals noch die Federated Malay States bzw. Straits Settlements. Dort trifft die Anwaltsgattin auf einen Freund ihres Manns Robert, den Autor William Somerset Maugham. Und erzählt ihm ihre Erlebnisse mit der chinesischen Revolution von Sun Yat-sen sowie dem Prozess ihrer Freundin Ethel Proudlock.
Der Autor taucht dabei ganz behutsam und bedächtig in die Geschichte Englands, Malaysias und Chinas ein. Schreibt über Treue und Untreue – zwei Themen, die in Maughams Geschichten häufiger vorkommen. Über mehr oder weniger geheim gehaltene Homosexualität. Über demokratische Umbrüche. Über die Rolle der Frau. Und natürlich über die Liebe.
Das Besondere: „Das Haus der Türen“ ist kein rein fiktionaler Roman. Viele Figuren – von Maugham über Sun Yat-sen bis Ethel Proudlock – gab es wirklich. Ethel wurde wirklich dem Mord an William Steward beschuldigt, Sun Yat-sen war nach der erfolgreichen Revolution der erste Präsident Chinas, Maugham war mit seinem Geliebten auf Penang und hat über die Erlebnisse Bücher geschrieben.
So ist Tan Twan Engs Roman Geschichte im doppelten Sinne, ein semifiktionaler Historienroman, sprachlich wundervoll erzählt und übersetzt von Michaela Grabinger und ein tolles Buch für einerseits Fans der britischen Geschichte als auch die von asiatischer Literatur. Und dank doch halbwegs überraschender Plottwists und verschiedenen Handlungssträngen jederzeit unterhaltsam.
Was jetzt noch fehlt: eine Neuübersetzung von William Somersets Maughams „Der Kasuarinenbaum“. Denn in dieser Kurzgeschichtensammlung schildert der Autor seine Erlebnisse rund um das Leben in Penang zwischen 1910 und 1921. Und das wäre doch die perfekte Anschlusslektüre.