Profilbild von jenvo82

jenvo82

Lesejury Star
offline

jenvo82 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit jenvo82 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.07.2022

Gekommen, um zu bleiben

Der Mann, der vom Himmel fiel
0

„Bin ich zu etwas Neuem geworden oder zu etwas Altem zurückgekehrt?“

Inhalt

Thomas Jerome Newton, scheint nicht nur ein genialer Erfinder zu sein, sondern taucht förmlich über Nacht in Kentucky auf und ...

„Bin ich zu etwas Neuem geworden oder zu etwas Altem zurückgekehrt?“

Inhalt

Thomas Jerome Newton, scheint nicht nur ein genialer Erfinder zu sein, sondern taucht förmlich über Nacht in Kentucky auf und verkauft dort seine wissenschaftlichen Ideen. Dieser Umstand macht ihn innerhalb kürzester Zeit nicht nur reich, sondern auch immer interessanter. Doch Thomas ist ein seltsamer Mann, er scheut das Sonnenlicht, wirkt seltsam filigran und zerbrechlich und benötigt anscheinend keinerlei Schlaf. Nur wenige Menschen kommen ihm überhaupt näher, die meisten hält er strikt auf Distanz. Nur Nathan Bryce, ein Wissenschaftler, der schon bald in der Firma Newtons beschäftigt ist, vermutet hinter dem genialen Geist von Newton etwas anderes. Und Schicht um Schicht versucht er seinen Verdacht zu untermauern, bemerkt aber schnell, dass sein Arbeitgeber zwar nicht den gleichen körperlichen Aufbau wie er selbst zu haben scheint, aber dennoch ein äußerst menschlicher Zeitgenosse ist.

Meinung

Ich bin nun definitiv kein Liebhaber von Science-Fiction, weder im Film noch im Buch. Das Universum und seine möglichen Bewohner sowie die Gefahren, die der Menschheit durch außerirdisches Leben drohen könnten, üben tatsächlich wenig Reiz auf mich aus. Umso erstaunter war ich über die hier erzählte Story, die nicht nur flüssig zu lesen ist, sondern sehr gute Unterhaltung bietet und den ein oder anderen Gedanken aufkommen lässt, was denn nun genau menschliches Verhalten ist.

Der Außerirdische in dieser Erzählung hat diverse Anpassungsschwierigkeiten und er betreibt auch ein Versteckspiel, welches man durchaus erwartet. Dennoch wirkt und handelt er nicht wie jemand, der noch niemals auf unserem Planeten war. Gerade die Entdeckung des Alkohols, dem er bald schon in rauen Mengen zuspricht und die kleinen Gesten machen ihn zu einem netten Individuum, welches man als Leser gern ein Stück des Weges begleitet. Die Mission, die einst sein Anspruch war, muss warten. Denn trotz seiner Tarnung schöpfen die Menschen Verdacht und er wird viele Jahre zu allerlei Experimenten in strengste Verwahrung genommen, denn zu verlockend ist die Aussicht der oberen Regierungsbehörden, dieses Objekt, getarnt als Wissenschaftler gründlichst zu durchleuchten.

Fazit

Ein sehr interessanter, teilweise schockierend ehrlicher Roman, der die Science-Fiktion-Welt nur peripher berührt und viele klare, nachvollziehbare Argumente ins Feld führt. Sehr gern vergebe ich hier 5 Lesesterne, denn ich bin gerade deswegen davon begeistert, weil die Realitätsnähe durchgehend erhalten bleibt und man als Leser nicht mit „fremden Wesen“ vertraut gemacht werden soll, sondern vielmehr den gesellschaftskritischen Spiegel vorgehalten bekommt.

Zwischen den Zeilen hat mich auch immer wieder etwas Melancholie erfasst, denn Mr. Newton besitzt ein Wissen, welches dem der Menschen weit voraus ist und dennoch ist auch sein Volk jenseits des blauen Planeten bedroht und weder er noch die Menschheit an sich wird diesen Prozess aufhalten können, weder dort noch hier.

Auch die Thematik veränderlicher Pläne und Träume wird hier anschaulich umgesetzt, denn die große Frage nach der Motivation dahinter wird sichtbar. Eine gewisse Desillusionierung tritt ein, wenn wir haben, was wir wollen und feststellen müssen, dass uns dieses Wissen dennoch keinerlei Vorteile bringt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.06.2022

Das Licht am Ufer zwinkert schüchtern

Die Leuchtturmwärter
0

„Der Turm wird leer stehen, er wird um die Kameradschaft und Brüderlichkeit vergangener Jahre trauern, die einmal in ihm gediehen, und die Menschen werden nie wieder an diesem Ort Leben können.“
Inhalt/ ...

„Der Turm wird leer stehen, er wird um die Kameradschaft und Brüderlichkeit vergangener Jahre trauern, die einmal in ihm gediehen, und die Menschen werden nie wieder an diesem Ort Leben können.“
Inhalt/ Meinung

Diese Geschichte war wie für mich gemacht, denn eine mystische Ausgangssituation und ein stimmiger Background haben sogleich mein Interesse geweckt. Die Autorin Emma Stonex wurde zu diesem Roman, welcher zugleich ihr Debüt ist, auf Grund des rätselhaften Verschwindens dreier Leuchtturmwärter auf den Flannan Isles inspiriert. Und so versetzt sie den Leser weit hinaus auf einen Leuchtturm vor der Küste Cornwalls, in dem der Oberwärter Arthur Black, seine zweite Hand Bill Walker und der Hilfswärter Vincent Bourne ihren täglichen Dienst verrichten. Doch keiner der drei Männer kehrt jemals vom Turm zurück und ihre Leichen werden niemals gefunden. Fast zwanzig Jahre nach der Tragödie, trifft sich ein Autor nun mit den hinterbliebenen Frauen und versucht durch seine später Recherchen Licht in das Dunkel zu bringen.

Dieses Buch konnte mich auf Grund seiner Handlung und Erzählweise begeistern, denn es ist ausgesprochen vielseitig und perspektivenreich. Trotz der Tatsache, dass hier ein längst vergangenes Schicksal aufgerollt wird und die Handlung mehr ein Echo als eine wirkliche Aktivität zu sein scheint, wirkt der Plot spannend, authentisch und explosiv. Zum Glück halten sich auch die mystischen Ansätze in Grenzen, vielmehr entfaltet sich ein Gespinst aus Lügen, Vorwürfen und persönlichen Verfehlungen, die alle Akteure und auch ihre Frauen miteinander verbindet. Schon bald kristallisieren sich mehrere Möglichkeiten heraus, wie es dazu kommen konnte, dass alle drei Männer nicht wieder zurückkamen. Das Dramatische dieser Erzählung leuchtet aber mehr aus der Vergangenheit heraus und hat seine mörderische Brisanz im Laufe der Jahre verloren.

Zwischen den Zeilen kann man sich in die einsame, trügerische Lebensweise der Leuchtturmwärter hineinversetzen, spürt ihren Beweggründen nach, warum sie überhaupt in dieser kargen Einöde leben, anstatt bei ihren Frauen. Und durch die Gegenwartshandlung entwickelt sich die zweite Ebene der Geschichte, der ebenjenen Ehefrauen die Möglichkeit gibt, über das Verbleiben ihrer Männer zu spekulieren. Jede von ihnen hat eine andere, eine ganz eigene Wahrheit und der Leser bekommt die Möglichkeit das tatsächliche Geschehen von damals zu rekapitulieren und stellt dabei fest, dass drei Wahrheiten nicht genug sind und doch alles Relevante in ihnen verborgen liegt.

Fazit

Ich vergebe sehr gute 5 Lesesterne für diesen stimmigen, perspektivenreichen Roman über mehrere Dramen in zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Wunsch Einzelner, der Verantwortung zu entfliehen und sei es nur, indem sie sich abkapseln und den Gesprächen aus dem Weg gehen. Besonders die ausdrucksstarke Schreibweise und die unterschwelligen Gefühle haben es mir angetan, so dass ich diesen Roman als abwechslungsreich und besonders kennzeichnen möchte – ein Buch, welches mit wenigen Akteuren auskommt und diese für den Leser erlebbar macht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.05.2022

Teuflische Geigenklänge

Die Schatten von Edinburgh
0

"Eine panische Angst, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte, bemächtigte sich meiner. Sie erfüllte meine Brust, während mir das Geflüster der Zigeunerin wieder in den Sinn kam."

Inhalt

Für den nach ...

"Eine panische Angst, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte, bemächtigte sich meiner. Sie erfüllte meine Brust, während mir das Geflüster der Zigeunerin wieder in den Sinn kam."

Inhalt

Für den nach Schottland versetzten Inspector Frey, einen kultivierten Engländer, manifestiert sich schon nach wenigen ersten Eindrücken sein vorgefertigter Eindruck, dass es hier weder Manieren, noch gutes Essen, geschweige denn eine berufliche Perspektive gibt. Nur unwillig beginnt er mit seinem wahrhaft imposanten, wenn auch exzentrischen neuen Vorgesetzen McGray zusammenzuarbeiten. So unterschiedlich die beiden Ermittler auch sein mögen, so ergänzen sie sich doch vorbildlich und bilden ein gutes Team. Schon nach kurzer Zeit sind sie einem Serienmörder auf der Spur, der ganz zielgerichtet seine Opfer auswählt, sie scheinbar nach keinem genauen modus operandi tötet. Der Fall ist besonders verzwickt, weil allerlei abergläubische Akteure mitwirken, allen voran der Schotte McGray. Und während sich Inspector Ian Frey sehr sicher ist, dass der Teufel bei dieser Mordserie ganz sicher nicht seine Finger im Spiel hat, treten doch immer häufiger Zufälle auf, dies es nahelegen, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Der Schlüssel zur Lösung des Falls scheint greifbar nah, doch so eng der Kreis der Verdächtigen auch ist, weitere Morde dünnen ihn immer mehr aus …

Meinung

Dies ist nicht nur der Auftakt der im viktorianischen Zeitalter spielenden Krimireihe um die Ermittler Frey und McGray, sondern auch mein erstes Buch aus der Feder des Autors. Historische Schauplätze und das Mordgeschehen längst vergangener Tage üben auf mich einen gewissen Reiz aus und nachdem ich zahlreiche begeisterte Leserstimmen zu dieser Reihe wahrgenommen habe, wollte ich sie natürlich auch gerne testen.

Dieser Krimi verbreitet ein gewisses Flair und schafft eine perspektivenreiche Atmosphäre, die den Zeitgeist wunderbar einfängt und für den Leser erlebbar macht. Tatsächlich macht das einen großen Teil dieses Buches aus und zieht sich, wie der rote Faden durch alle Seiten. Ebenso viel Augenmerk wird den beiden Ermittlern geschenkt, die ich mir lebhaft vorstellen kann und deren Eigenheiten vortrefflich das Geschehen ergänzen.

Diese beiden Pluspunkte führen jedoch dazu, dass der eigentliche Fall in den Hintergrund gedrängt wird und die Ermittlungen nur mühsam vorankommen. Also aus kriminalistischer Sicht hätte ich mir da deutlich mehr erwartet, was eindeutig den fehlenden Bewertungspunkt ausmacht. Das Lesen ist mehr wie das Zuschauen bei einem Film und das langweilte mich dann doch stellenweise. Gerade im ersten Teil des Buches hätte ich mir einen stringenteren Erzählstil und weniger Fabulieren gewünscht. Auch die humoristische Komponente bietet mir hier nicht unbedingt den Mehrwert – derart intensive Interaktionen zwischen zwei Personen gefallen mir als Schlagabtausch zwar ganz gut, solange sie nicht zu sehr dominieren, und hier war es manchmal grenzwertig.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen unterhaltsamen, abwechslungsreichen Kriminalroman, der mir insgesamt gut gefallen hat, wenn auch mit kleinen Abstrichen. Ob ich die Reihe nun weiterverfolgen werde, ist fraglich, denn so ganz in Begeisterungsstürme kann ich nicht verfallen, möglicherweise war meine Erwartungshaltung auch etwas hoch. Empfehlenswert ist definitiv historisches Interesse, vor allem für die damalige Zeit.

Trotzdem bietet die Story ein entsprechendes Potential und lässt sich vielfältig ausbauen, so dass ich mir bei passender Laune auch wieder ein Buch aus dieser Reihe vorstellen könnte. Das Gleichgewicht zwischen dem Privatleben der Ermittler und ihrer beruflichen Schaffenskraft wird gewahrt, es entsteht ein Szenario, welchem der Leser beiwohnt, die Hintergründe erscheinen dabei etwas zweitrangig, der Stil hingegen ist wohlwollend einprägsam.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.05.2022

Ein selbstbestimmtes Lebensende in Würde

Die sieben Schalen des Zorns
0

„Umkehr der Hierarchien -das war gut. Die eigene Unterordnung drehte sich zur Überordnung. Maria erweckte das nicht wieder zum Leben. Aber in diesem Licht betrachtet, war ihr Leiden auch nicht mehr in ...

„Umkehr der Hierarchien -das war gut. Die eigene Unterordnung drehte sich zur Überordnung. Maria erweckte das nicht wieder zum Leben. Aber in diesem Licht betrachtet, war ihr Leiden auch nicht mehr in Gottes Hand gewesen. Max hatte Gott um einen Trumpf gebracht. Endlich.“

Inhalt

Die beiden Freunde Max und Jonas haben sich zwar in den letzten Jahren aus den Augen verloren, doch ihre langjährige Freundschaft und ein einschneidendes Schlüsselerlebnis aus ihrer Jugend binden sie nach wie vor aneinander. Während Jonas als Staatsanwalt die Karriereleiter weit hinaufgeklettert ist, hält sich Max nur notdürftig mit seiner Arztpraxis über Wasser. Doch ob er in Zukunft überhaupt noch seine Berufserlaubnis behalten darf, liegt in den Händen anderer. Max wird beschuldigt, seine Tante getötet zu haben. Zwar ausdrücklich auf deren Wunsch, aber dennoch eigenmächtig. Er wendet sich in seiner Notlage an den alten Freund und erinnert diesen an eine längst fällige Schuldbegleichung. Da Jonas aber genau auf der falschen Seite der Gesetzbarkeit steht und nicht die Verteidigung, sondern die Anklage leiten müsste, gerät er in einen Gewissenskonflikt. Und der Ausgang des Prozesses könnte auch das Ende seiner Karriere bedeuten.

Meinung

Da ich bereits die Romane „Echo des Schweigens“ und „Die Wahrheit der Dinge“ des deutschen Autors Markus Thiele gelesen habe und beide Bücher absolut lesenswert fand, konnte ich natürlich das aktuelle Werk nicht verpassen. Immer sind es die wichtigen Dinge des Lebens, die hier anhand eines ganz konkreten Falls betrachtet werden und sich auf tatsächliche Ereignisse (wenn auch in abgewandelter Form) berufen. Dadurch bekommt der Leser einen sehr umfassenden Einblick in die Tatbestände und den Ablauf hiesiger Gerichtsprozesse.

Was aber der eigentliche Knackpunkt ist und damit den Mehrwert des Romans darstellt, ist die Erörterung der menschlichen Ansichten, Überzeugungen und Handlungen in Anbetracht moralischer Entscheidungen, die sich nicht mit den geltenden Gesetzen vertragen. Dazu bedient sich der Autor eines geschickten Elements, indem er als auktorialer Erzähler auftritt und jeden Beteiligten mit dessen entsprechender Sicht auf die Dinge ernst nimmt, ohne irgendeine Wertung vorzunehmen. Die reine Handlungsebene ist spannend geschrieben, fast wie ein Kriminalfall, im Grunde genommen sind es aber die Hintergründe, die den Reiz des Buches für mich ausmachen.

Außerdem wirkt alles sehr authentisch und realistisch, denn der Autor ist Rechtsanwalt und kennt die Abläufe vor Gericht sehr genau. Er scheint außerdem ein guter Beobachter zu sein und bewahrt sich eine große Portion Neutralität, trotz einer so polarisierenden Thematik, wie die der Sterbehilfe. Und was könnte in einem fiktiven Roman besser funktionieren als die Schilderung aus nächster Nähe, mit viel Empathie und Verständnis aber auch mit klaren Grenzen und ohne Schönfärberei?

Fazit

Ein sehr empfehlenswertes Buch, dem ich gerne 5 Lesesterne gebe. Die verschiedenen Wahrheiten regen schon während des Lesens zum Nachdenken an und immer wieder begeben sich die eigenen Gedanken auf die Reise zu den Geschehnissen vor Ort. Dadurch das hier die Perspektivenvielfalt einen so großen Raum einnimmt, beginnt man selbst, die Dinge zu hinterfragen. Unabhängig von der persönlichen Überzeugung kann man sich förmlich nebenbei mit diversen Gesetzmäßigkeiten vertraut machen, ohne tatsächlich irgendein relevantes Wissen bezüglich der Rechtssprechung zu besitzen.

Sehr gut gefallen hat mir auch die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Glaubens oder der Umgang mit der Abwesenheit desselben. Alle Ansätze greifen wie kleine Rädchen ineinander und hinterlassen nachhaltig Eindruck.

Ich freue mich jetzt schon auf weitere Bücher des Autors - die Ideenvielfalt erwächst vielleicht aus aktuellen Fällen und deren Rechtslage und solange es Menschen gibt, die Fehler machen und lebensverändernde Entscheidungen treffen, dürfte diese Quelle auch nicht versiegen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.05.2022

Wie lebt man mit der Lüge

Das Leben eines Anderen
0

„Wenn du die Vergangenheit nicht ausradieren kannst, musst du sie so lange überschreiben, bis sie nicht mehr zu entziffern ist.“

Inhalt

Akira Kido ist fasziniert von der Geschichte, die ihm seine Klientin ...

„Wenn du die Vergangenheit nicht ausradieren kannst, musst du sie so lange überschreiben, bis sie nicht mehr zu entziffern ist.“

Inhalt

Akira Kido ist fasziniert von der Geschichte, die ihm seine Klientin Rie zuträgt. Ihr Mann ist auf tragische Weise verunglückt, doch während ihres Trauerprozesses entdeckt die Frau, dass es Unstimmigkeiten gibt, denn der Verstorbene kann nicht der sein, für den er sich ausgab und nun stellt sich ihr die elementare Frage, mit wem sie hier eigentlich verheiratet war? Kido verspricht, sich der Sache anzunehmen und legt Stück für Stück die wahren Hintergründe frei. Immer tiefer taucht er in das Lügengebäude des Taniguchi Daisuke ein und entdeckt neben all den moralischen Verfehlungen plötzlich auch die wahre Motivation des Betrügers. Schon bald kann er sich der Faszination eines Identitätentauschs kaum noch entziehen und stellt sich die philosophische Frage, wie man mit so einer Lüge leben kann?

Meinung

Es ist ein hochinteressantes Konstrukt, welches der japanische Autor Keiichiro Hirano hier entwirft: ein Mann legt sich eine neue Identität zu, lässt sein komplettes bisheriges Leben hinter sich und verleibt sich die Stationspunkte eines anderen ein. Nicht nur auf den Dokumenten ist er nun ein anderer, nein auch seine Vergangenheit und Vorgeschichte sind eine komplett unterschiedliche. Plötzlich bietet sich in der Mitte des Lebens die Möglichkeit einen kompletten Neuanfang zu starten, die Fesseln abzustreifen und noch einmal von vorn anzufangen. Das einzig moralisch bedenkliche dabei, ist der Betrug, den man damit an seinen Mitmenschen verübt und das Dilemma derer, wenn sie die Farce aufdecken.

Die Leseprobe des Buches hat mich sehr angesprochen, der distanziert, kühle Ton, wie so oft in japanischen Büchern aber auch die fatale Situation der Protagonisten haben mich zu diesem Roman greifen lassen. Gerade die psychologische, mentale Komposition der Ausgangssituation hat mich fasziniert. Leider entwickelt das Buch aber nicht den gewünschten Lesesog. Stellenweise habe ich mich eher gelangweilt und es geht ständig auf und ab mit der Begeisterung. In weiten Teilen des Textes handelt es sich um die Spurensuche des Anwalts, nach der wahren Identität des Gesuchten. Damit verbunden sind zahlreiche Umwege und Stolperfallen. Es kommt zu verschiedenen Begegnungen mit Menschen, die den Betrüger oder auch dessen Leben kannten und sozusagen aus dem Nähkästchen plaudern, nur leider gerät in diesen Passagen die eigentliche Aussage des Ganzen immer weiter in den Hintergrund.

Mein Hauptkritikpunkt an diesem zeitgenössischen Roman mit interessanter Story, ist die Tatsache, dass er sich verzettelt, immer wieder abschweift und damit nur schwache Spuren hinterlässt. Eine klare Fokussierung und weniger Randthemen hätten diesem Text wesentlich mehr Tiefe verleihen können. Vielleicht ist der suchende Anwalt auch die falsche Person, die hier zu Wort kommt. Oft habe ich gedacht, es wäre besser gewesen, der Betrüger selbst hätte seine Gedanken offenbart, dann wäre man als Leser auch schneller involviert gewesen.

Fazit

Ich vergebe mittelmäßige 3 Lesesterne für diese Geschichte, die ich mir in ihrem Verlauf doch ganz anders vorgestellt hatte. Auf mich wirkte das Ganze, wie ein gebrochenes Spiegelglas, bei dem der Betrachter langsam zuschauen kann, wie die Risse immer tiefer werden und die Glasscherben schließlich bröckelnd zu Boden fallen. Übrig bleibt zwar ein Eindruck, wie es einmal gewesen sein könnte, aber dadurch, dass man den Spiegel nicht in seiner ursprünglichen Form kannte, bleiben einfach zu viele Lücken, um die Schönheit insgesamt zu erfassen oder sich ihrer zu erinnern.

Dieses Buch kann man besser lesen, wenn man sich auf mäandernde Storys einlassen kann und nicht so großen Wert auf Emotionalität und Identifikationspotential legt. Der Roman zählt definitiv nicht zu denjenigen, die besonderen Anklang bei mir finden, schon allein wegen seiner fehlenden Aussagekraft.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere