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Veröffentlicht am 15.09.2016

Die späte Dramatik einer Lebenslüge

Als die Liebe endlich war
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„In einer Welt, in der die eine Hälfte uns verfolgt und die andere uns nicht haben will, ist ein Ort, der uns nur als Fremde sieht, wohl wirklich das Paradies.“
Der junge Carl Schwarz besteigt zusammen ...

„In einer Welt, in der die eine Hälfte uns verfolgt und die andere uns nicht haben will, ist ein Ort, der uns nur als Fremde sieht, wohl wirklich das Paradies.“
Der junge Carl Schwarz besteigt zusammen mit Mutter, Vater und Schwester die Conte Biancamano, ein Schiff, welches die jüdische Familie nach Shanghai bringen soll. Doch im letzten Moment überlegt es sich sein Vater Erwin anders und verlässt das Schiff, denn er kann sich nicht vorstellen, dass die Judenverfolgung in Deutschland einen weiteren Höhepunkt erlangen wird. In der Fremde angekommen müssen sich die Emigranten nicht nur eine Bleibe suchen, sondern auch den täglichen Kampf ums Überleben führen, denn auch in Shanghai steht die Zeit nicht still und der ferne Krieg rückt in bedrohliche Nähe. Jahre später lebt Carl zusammen mit seiner Frau Emmi in Amerika und bemüht sich die Schrecken seiner Vergangenheit zu vergessen, doch durch längst vergessene Dokumente, stößt er auf eine unheilvolle Verbindung zwischen der Liebe seines Lebens und den Gräueltaten der Nationalsozialisten. Doch welche Schuld gilt es zu vergeben und welche Lüge tatsächlich zu verzeihen?
Dieser Roman ist mein zweiter aus der Feder der Autorin, den ich nach dem Kriminalroman „Kalteis“ gelesen habe. Auf sehr unterhaltsame, erzählerische Weise gewinnt hier die Thematik Judenverfolgung während des 2. Weltkrieges und die damit verbundene Möglichkeit der Emigration eine große Bedeutung. Anders als in vielen Romanen, die sich mit dieser dunklen Epoche deutscher Geschichte auseinandersetzen, geht es hier weit weniger um die Ereignisse in Deutschland, als vielmehr um das Leben einer Emigrantenfamilie, der es durch Glück gelungen ist, ihrer unwilligen Heimat den Rücken zu kehren und dafür in der Fremde ein neues Leben aufzubauen. Doch damit verbunden bleibt auch ein Gefühl der inneren Zerrissenheit, der Wunsch eines Tages wieder zurückzukehren und ein loses Heimatgefühl, welches es den Betroffenen nicht erlaubt sich wirklich heimisch und sicher zu fühlen. Wie ein dunkler Schatten verfolgt sie die Bedrohung und lässt viele erst nach dem Kriegsende zur Ruhe kommen.
Die Erzählung besticht durch ein ausgewogenes Verhältnis historischer Rahmenbedingungen und einer persönlichen Lebensgeschichte, die unweigerlich miteinander verwoben sind. Eine leichte Sprache und wechselnde Schauplätze machen den besonderen Reiz aus und die verschiedenen Zeitebenen bringen Spannung und Leben in das geschriebene Wort. Und letztlich wirkt das Geheimnis um Emmi wie ein Magnet, der den Leser an die Geschichte fesselt, denn nur zu gern möchte man über die gut 300 Seiten des Buches wissen, was denn nun wirklich geschah – damals im Leben einer jungen Frau, die nicht die zu sein scheint, die sie zeitlebens vorgab …
Fazit: Ich vergebe 4,5 Sterne (aufgerundet 5) für einen unterhaltsamen, historisch angelehnten Roman, der sich intensiv mit der Frage nach einer Heimat und deren Bedeutung für die eigene Identität beschäftigt. Und gleichermaßen mit der Frage nach der Endlichkeit der Liebe, wenn man feststellt, dass eine Lebenslüge den geliebten Menschen in ein ganz anderes Licht rückt. Das Buch bekommt von mir eine Leseempfehlung und macht mich neugierig auf weitere Romane der Autorin.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Verpasste Abzweigungen auf dem Lebensweg

This is not a love song
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Vincent fährt auf Drängen seiner Ehefrau nach jahrelanger Abkehr endlich wieder einmal in sein Elternhaus, um dort nicht nur ein paar Stunden vorbei zu schauen, sondern auch um alte Freunde, seinen Bruder, ...

Vincent fährt auf Drängen seiner Ehefrau nach jahrelanger Abkehr endlich wieder einmal in sein Elternhaus, um dort nicht nur ein paar Stunden vorbei zu schauen, sondern auch um alte Freunde, seinen Bruder, die Ex-Freundin und andere Bekannte zu treffen.
Doch wie erwartet wird der Besuch zur inneren Zerreißprobe, denn alle Beteiligten haben ein vollkommen anderes Leben gelebt, als Vincent. Sie sind auch nicht mehr die guten Freunde von früher mit denen man sich locker unterhalten konnte, sondern schleppen ihre eigenen Probleme und Sehnsüchte mit sich herum und möchten diese nicht unbedingt mit dem "Freund aus Jugendtagen" teilen. Vincent selbst fiebert dem Ende der Woche entgegen, bis ihm seine Schwägerin ein Geheimnis offenbart, welches sonst niemand angesprochen hätte. Und er muss sich entscheiden, ob er die traurigen Details hören möchte oder doch lieber flieht in eine Zukunft mit dunklen Flecken...
Nach dem Bestseller 6 Uhr 41 von Jean-Philippe Blondel, der mir ausgesprochen gut gefallen hat, war ich sehr gespannt auf seinen neuen Roman, der sich ebenso wie der genannte Vorgänger mit den wichtigen Fragen des Lebens auseinandersetzt und zwischen den Zeilen nicht nur Melancholie vermittelt, sondern auch viele philosophische Denkansätze aufgreift. In "This is not a lovesong" kämpft ein junger Mann gegen seine unschöne Vergangenheit an, indem er sich bewusst an die Orte und zu den Menschen seiner Kindheit und Jugend begibt. Nicht um dort etwas zu finden, was er vermisst hat, sondern lediglich aus Interesse heraus. Denn gerade sein eigener Lebensweg verlief ganz anders als erwartet und hat ihn grundlegend verändert.

Für mich ist dieser Roman ein weiteres Lesehighlight im Jahr 2016, weil er auf wunderschöne Art und Weise erzählt, weil er Verbindungen knüpft und Menschen authentisch wirken lässt, weil er ein sehr bewegendes Thema aufgreift, welches von Identitätsfindung, Erinnerungen, verpassten Chancen, unterlassenen Handlungen und Fehlentscheidungen berichtet. Aber andererseits auch von der Kraft der Liebe, der Möglichkeiten eines Neuanfangs und der ungeahnten Entwicklungen im Laufe der Zeit. Dem Autor ist mit diesem Buch ein sehr einprägsamer Roman gelungen, der lange nachwirkt und ihm einen Platz in der Liste meiner Lieblingsautoren einbringt.

Fazit: Ich vergebe 5 Sterne für dieses ehrliche, manchmal traurige Buch, welches ausgesprochen facettenreich vom Leben selbst erzählt und von der Rolle des Einzelnen in einem sozialen Gefüge. Ich kann es absolut weiterempfehlen, vor allem für diejenigen Leser, die gerne reflektieren, über das Geschriebene Wort nachdenken und ihre eigenen Schlüsse ziehen möchten. Vieles, was hier benannt wird, kann man nicht nur nachempfinden, sondern hat es tatsächlich so oder ganz ähnlich erlebt. Einfach nur toll!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine Bedrohung aus der Dunkelheit

Die Therapeutin
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In diesem spannenden, psychologischen Unterhaltungsroman kämpft die junge Psychotherapeutin Siri Bergmann gegen einen fast unsichtbaren Feind, der sich mehr und mehr in ihr Leben schleicht und eine Spur ...

In diesem spannenden, psychologischen Unterhaltungsroman kämpft die junge Psychotherapeutin Siri Bergmann gegen einen fast unsichtbaren Feind, der sich mehr und mehr in ihr Leben schleicht und eine Spur der Vernichtung hinter sich herzieht. Angefangen bei Siris eigener Angst vor der Dunkelheit, die es ihr unmöglich macht, das Licht in ihrem Haus zu löschen entwickelt das Autorenduo einen intensiven, sehr subtilen Kriminalroman, der sich mit der Frage beschäftigt, welche Schuld der Einzelne am Tod eines geliebten Menschen trägt. Im Zentrum der Geschichte steht die Therapeutin selbst, die ihren von Zwangsstörungen heimgesuchten Patienten einen Weg zeigen möchte, wie diese sich helfen können und nicht länger dazu gezwungen sind, taten-und willenlos zuzuschauen, wie sich ihre Aggressionen am eigenen Körper anfühlen. Doch Siri trägt ebenfalls ein Päckchen mit sich herum, weil sie sich nicht eingestehen kann, dass sie den Selbstmord ihres Mannes nicht verhindern konnte. Geplagt von Schuld und unterlassener Hilfeleistung, sucht sich das Grauen einen Weg hinein in ihr Leben und fordert mit ihrer Patientin Sara Matteus ein erstes Opfer. Doch wird es Siri rechtzeitig gelingen, den wahren Täter zu entlarven, oder verstrickt sie sich zu tief in eine Depression?
Fazit: Ich vergebe eine Leseempfehlung für alle Krimifans, denen es um Spannung und psychologische Hintergründe geht und weniger um eine actionreiche, mörderische Verfolgungsjagd. Dieser Roman befasst sich mit dem ganz persönlichen Psychodrama einer jungen Frau und seziert ihr Leben und ihre Arbeit, bis die endgültige Frage der Schuld geklärt ist. Eine gelungene Abwechslung im Genre Kriminalroman, die mich als Fan gewinnen konnte, so dass ich auch die Folgebände dieser hiermit begonnenen Reihe lesen möchte.


Veröffentlicht am 15.09.2016

Was habe ich getan?

Remember Mia
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Estelle Paradise ist eine junge Mutter, die nicht mehr weiß, was mit ihrem 7 Monate altem Baby geschehen ist. Sie selbst ist nur knapp einem Unfalltod entgangen und leidet seitdem unter Amnesie. In den ...

Estelle Paradise ist eine junge Mutter, die nicht mehr weiß, was mit ihrem 7 Monate altem Baby geschehen ist. Sie selbst ist nur knapp einem Unfalltod entgangen und leidet seitdem unter Amnesie. In den Tiefen ihres Unterbewusstseins ist irgendwo der Schlüssel zu ihrer Vergangenheit begraben, doch für die Öffentlichkeit ist schnell klar: Estelle ist eine Mörderin, die ihren Gedächtnisverlust nur vorschiebt, um sich der Verantwortung für ihre grausame Tat zu entziehen. Mit Hilfe des Psychiaters Dr. Ari begibt sie sich auf Spurensuche und rekonstruiert Stück für Stück die Ereignisse, kurz vorm Verschwinden ihrer kleinen Mia. Doch die Zweifel lassen sich nicht zerstreuen und Estelle fragt sich unaufhörlich, zu welcher Tat sie fähig sein könnte und ob ihre Sinne sie nicht trügen.
Dieser Thriller hat es in sich, denn er fokussiert nicht nur ein Tabu-Thema unserer Gesellschaft, sondern erzeugt eine ganz eigene, intensive Atmosphäre die dem Roman seine ständig vorhandene Präsenz gibt. Im Mittelpunkt des Geschehens steht eine junge Frau, die sich mit einer schweren postnatalen Depression und einer daraus resultierenden Psychose durchs Leben schlagen muss und der kaum Hilfe angeboten wird. Die Autorin schildert bildlich und damit auch beängstigend die seelische Belastung, die schweren Selbstvorwürfe und die möglichen schrecklichen Konsequenzen, die sich aus dem labilen Gesundheitszustand der Mutter ergeben. Für persönlich Betroffene sind die entsprechenden Textstellen wohl nur schwer zu ertragen, weil sie gezielt die innere Verzweiflung und Leere heraufbeschwören, die ein ständig schreiendes Baby bei der überforderten Bezugsperson hervorrufen.
Gut die Hälfte des Thrillers beschäftigt sich mit dieser Thematik, ohne wirklich einen Handlungsfortgang zu präsentieren. Genau dieser Umstand führt dazu, dass es von mir Punktabzug gibt, denn ich empfinde die Szenerie als ein Psychogramm einer verirrten Seele und weniger als nervenaufreibenden Thriller. Dafür bekommt der Leser ein wirklich lückenloses Bild des Krankheitsverlaufs geschildert, welches durchaus seine Reize hat. Erst im zweiten Teil des Buches nimmt der Thriller dann Tempo auf, weil die Hauptprotagonistin ihre verschüttete Erinnerung an die Oberfläche holen kann.
Der Schreibstil liest sich flüssig und auch die Einteilung des Buches in mehrere Teile ergibt Sinn und animiert zum Lesen. Positiv zu beurteilen sind auch die Schriftgröße und die Handlichkeit des Buches, denn man kann es sich damit richtig bequem machen.
Fazit: Meine Erwartungen wurden hier nicht ganz erfüllt, weil ich mir mehr Nervenkitzel und ungeahnte Wendungen erhofft habe. Die Entwicklung des Romans ist sehr vorhersehbar, die Verdächtigen stehen bald fest und es gibt kaum Überraschungen. All das sind für mich jedoch wesentliche Bestandteile für einen Thriller. Dennoch konnte mich das Buch fesseln, weil es eine andere Richtung eingeschlagen hat, bei der es kontinuierlich blieb. Ich vergebe insgesamt 3,5 Sterne (aufgerundet 4) für einen Thriller mit psychischer Komponente und gut ausgearbeiteten Charakteren, der ein Gefühl der Beklemmung hervorrufen kann und die Grenze zwischen den Möglichkeiten und den Unwahrscheinlichkeiten gekonnt verwischt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Krishna Mustafas Reise zu sich selbst

Wieso Heimat, ich wohne zur Miete
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Krishna Mustafa ist geborener Türke, lebt aber als Scheidungskind seit seinem 6. Lebensjahr in Deutschland. Seine Mutter, eine Deutsche hat die Lebensweise seines türkischen Vaters nicht länger ertragen ...

Krishna Mustafa ist geborener Türke, lebt aber als Scheidungskind seit seinem 6. Lebensjahr in Deutschland. Seine Mutter, eine Deutsche hat die Lebensweise seines türkischen Vaters nicht länger ertragen und ist damals in ihre Heimat zurückgekehrt. Doch nun ist Krishna 24 und seine Freundin Laura hat ihn vor die Tür gesetzt, weil er angeblich seine Identität noch längst nicht gefunden hat. Also begibt sich der junge Mann auf Spurensuche in sein Geburtsland, um die Bedenken ein für allemal auszuräumen. Doch seine wahre Identität kann er nicht finden, denn er lebt nicht nur zwischen zwei Welten, sondern hat in erster Linie ganz eigene Vorstellungen von seinem Leben und die sind weder typisch Deutsch noch typisch Türkisch.
Auf dieses Buch bin ich vor allem wegen seines kreativen Titels sowie seiner Aktualität aufmerksam geworden. Und beide Aspekte werden im vorliegenden Roman bedacht und mittels humorvoller Situationskomik geschildert. So befasst sich nicht nur der leicht orientierungslose Hauptprotagonist mit seinen Wurzeln, sondern auch der neugierige Leser gewinnt tiefe Einblicke in das Denken eines "Ausländers". Schon bald wird klar, dass die manifestierten Unterschiede zwischen den Kulturen anscheinend nur Vorurteile sind, die sich konkret gar nicht belegen lassen. Und außerdem gibt es in beiden Ländern Missstände und fortschrittliches Denken, hier und dort werden zwar klare Abgrenzungen sichtbar, die sich im alltäglichen Leben auch deutlich zeigen, doch sie sind eher menschlicher Natur, denn landesspezifischer Art.

Und so schafft Selim Özdogan einen ehrlichen Abriss über zwei Kulturen, die sich nicht immer verstehen, aber durchaus miteinander verbinden lassen, indem der Einzelne einfach ein Leben führt, welches nur den eigenen Ansprüchen genügt und nicht den gesellschaftlichen Anforderungen. In 30 kurzen Kapiteln reiht sich eine Anekdote an die nächste und doch ergibt sich daraus ein zusammenhängendes Bild und ein abwechslungsreicher, innovativer Gesellschaftsroman.
„Für die Türken ist der Türke etwas anderes, als er für die Deutschen ist. Und für die Deutschen ist der Deutsche etwas anderes, als er für die Türken ist.“
Fazit: Ein poetischer, teils philosophischer Roman, der immer mit einem Augenzwinkern aufwartet und den man getrost weiterempfehlen kann, an Leser die sich nicht sklavisch an Dogmen und völkischer Überheblichkeit orientieren. Ein wirklich andersartiger Unterhaltungsroman, der für mehr Offenheit und Zugeständnisse plädiert. Die Umsetzung hat mir gut gefallen.