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Veröffentlicht am 17.02.2021

Verliebt in Manderley

Rebecca
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Anders als der Titel vermuten ließe, ist die Protagonistin dieses Romanes nicht etwa Rebecca, sondern eine namenlose junge Frau, deren Geschichte in Monte Carlo beginnt. Dort begleitet sie als "Gesellschaftsdame" ...

Anders als der Titel vermuten ließe, ist die Protagonistin dieses Romanes nicht etwa Rebecca, sondern eine namenlose junge Frau, deren Geschichte in Monte Carlo beginnt. Dort begleitet sie als "Gesellschaftsdame" eine ziemlich unausstehliche ältere Frau während ihres Aufenthaltes in einem einigermaßen schicken Hotel. Da Mrs. Hopner, ebenjene ältere Dame, stets auf der Suche nach neuem Klatsch und Tratsch ist, entgeht ihr nicht, dass eines Tages Mr. de Winter in das Hotel eincheckt. Er ist der Besitzer des berüchtigten Anwesens Manderley. Dort residierte er bis zu deren Tod mit seiner Frau Rebecca und bildete mit ausschweifenden Bällen und Festen das gesellschaftliche Herzsstück der kleinen Region an der britischen Küste. Nach dem Tod seiner Frau sucht er nun in Monte Carlo nach Ablenkung. Er lernt die Protagonistin kennen, verliebt sich in sie, und nach nur wenigen gemeinsamen Wochen im Hotel bittet er sie um ihre Hand und nimmt sie mit auf sein Anwesen - Manderley.
Die Protagonistin ist zunächst noch voller Vorfreude und Aufregung, doch diese schwingt bald in nervöse Schüchternheit um als sie bemerkt, dass sie auf diesem Anwesen anscheinend nicht willkommen ist. Rebeccas Schatten, ihre Kleider und ihre Einrichtung sind noch allgegenwärtig und auch das Personal, insbesondere die Hausdame, scheinen noch nicht für die Ankunft einer neuen Mrs. de Winter bereit zu sein. Feindseligkeit, Kälte und die ständige Angst, etwas falsch zu machen bestimmen von nun an ihren Alltag auf Manderley. Rebecca ist allgegenwärtig und zugleich ein Tabuthema.

Dieser Roman zählt sicherlich zu den Klassikern der englischen Literatur und ich habe ihn schon vor Jahren geschenkt bekommen. Zum Lesen inspiriert hat mich tatsächlich das neueste Album von Taylor Swift, denn ich hatte gehört, dass es dort viele Anspielungen auf dieses Buch gibt. Erwartet habe ich also Drama, Enttäuschung und Verrat, und ich wurde nicht enttäuscht.

Der Beginn des Buches liest sich etwas langsam, aber sobald die Handlung sich nach Menderley verlagert, entfaltet dieses Buch einen kaum widerstehlichen Sog. Wie viele andere Rezensenten auch hätte ich gerne den Namen der Protagonistin gekannt, verstehe aber warum sie keinen hat. Schließlich geht es in diesem Buch irgendwie immer um Rebecca.
Dafür finde ich die Innenwelt der Protagonistin sehr faszinierend. Ich kann mich in ihre ständige Angst, ihre Naivität und die merkwürdigen Situationen in die sie sich immer wieder befördert, sehr gut hineinversetzen. Ich wäre in ihrem Alter in Manderley wohl genauso verloren gewesen. Daphne du Maurier hat hier ein Paradebeispiel für "Anxiety" erdacht, lange bevor dieser Begriff in aller Munde war. Es waren dann auch diese Momente, die ich mir in meinem Buch markiert habe, z.B. auf Seite 386: "Ich hatte in Gedanken falsche Bilder gepinselt und mich davor gesetzt." Insgesamt war die Sprache des Buches auch in der Übersetzung sehr schön, sehr malerisch, sehr lyrisch. Mir gefällt das gut.
Auf die zahlreichen Wendungen, die kaum zu ertragende Spannung am Ende des Romans und all die zahlreichen Momente, in denen ich vor Empörung fast aufgeschrien hätte, kann ich an dieser Stelle nicht sagen, ohne zu spoilern. Nur so viel: Das Buch hat mich bis auf den holprigen Start wirklich bestens unterhalten. Ich kann es daher also auf jeden Fall empfehlen. Und übrigens: Das mit den Taylor-Swift-Anspielungen stimmt definitiv!

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Veröffentlicht am 17.02.2021

Die mittelmäßige Bibliothek

Die Mitternachtsbibliothek
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Die Protagonistin des Romans, Nora, steckt inmitten einer depressiven Phase, als wir sie in dieser Geschichte kennenlernen. Sie hat gerade ihren Job verloren, Stress mit ihrem Exfreund, ihr Bruder meldet ...

Die Protagonistin des Romans, Nora, steckt inmitten einer depressiven Phase, als wir sie in dieser Geschichte kennenlernen. Sie hat gerade ihren Job verloren, Stress mit ihrem Exfreund, ihr Bruder meldet sich nicht, und dann stirbt auch noch ihre Katze. In ihr manifestiert sich der traurige Entschluss, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Doch statt im Himmel, der Hölle, oder dem ewigen Nirvana, landet sie zu ihrem Erstaunen in einer Bibliothek. Ihre ehemalige Schulbibliothekarin Mrs. Elm leitet diese und erklärt ihr, dass es sich hierbei um die Mitternachtsbibliothek handle, einen Ort zwischen Leben und Tod. Jedes der unzähligen Bücher dieser Bibliothek enthält eine Version ihres Lebens, in der sie sich an irgendeinem Punkt anders entschieden hat, als in ihrem bisherigen Leben. Nora lässt sich darauf ein, diese anderen Varianten ihrer Selbst zu erforschen und wir dürfen als Leser natürlich dabei sein.

Als ich den Klappentext dieses Buches gelesen habe, war ich sofort begeistert. Die Mitternachtsbibliothek ist als Konzept wahnsinnig interessant und eröffnet zahlreiche Möglichkeiten für Geschichten und Gedankenexperimente. Leider wird das Potential dieser Idee von Matt Haig nur oberflächlich genutzt. Aber von Anfang an:

Zunächst muss unbedingt eine Triggerwarnung ausgesprochen werden, die dem Buch leider nicht vorangestellt ist. Die ersten Kapitel behandeln Suizid und suizidales Denken. Die Wahl der Kapitelüberschriften und die Beschreibung von Noras letzten Tagen hat extremes Triggerpotential. Ich könnte das Buch wirklich niemandem guten Gewissens in die Hand geben, der unter ernsten Depressionen leidet. Ich selbst habe es stellenweise aus der Hand gelegt. Ich finde das Buch hätte ohne Verlust direkt in der Mitternachtsbibliothek einsteigen können.

Von dort aus reisen wir nun also in die verchiedenen Leben, die Nora nicht gelebt hat. Dabei begegnen wir immer wieder bekannten Charakteren, die sich aber in jeder Version von Noras leben unterschiedlich verhalten. Das hat Spaß gemacht. Leider kratzt das Buch bei der Auswahl der Leben, die Nora besucht aber nur an der Oberfläche und ist auch einfach unrealistisch. [Achtung der nächste Satz enthält einen ganz kleinen Spoiler] Fast immer ist Nora in irgendeiner Art und Weise berühmt, als Polarforscherin, Olympiaschwimmerin oder Leadsängerin einer weltweit bekannten Band. [Spoiler Ende] Ich hatte mich eigentlich darauf gefreut, mit diesem Buch die kleinen Momente im Leben zu bereisen, die kleinen Entscheidungen und ihre Konsequenzen. Ich hatte fast auf einen "täglich grüßt das Murmeltier"-Moment erwartet, dieselbe Geschichte, aber immer wieder mit neuen Nuancen, sodass man am Ende am Kern des eigenen Selbst ankommt.

Diese Tiefe erreicht die Erzählung aber nicht. Das Ende hinterlässt zwar ein warmes Gefühl im Bauch, ist aber auch recht erwartbar. Auch sprachlich bleibt das Buch, zumindest in der deutschen Übersetzung, oberflächlich, daran ändern auch die zahlreichen pilosophischen Bezüge nichts. Es ist ein schönes Buch, dass man gut an zwei regnerischen Tagen weglesen kann. Ich hoffe aber, dass die Idee der Mitternachtsbibliothek irgendwann noch einmal die Geschichte erhält, die sie verdient hat.

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Veröffentlicht am 17.02.2021

Mein sehr langer Sommer mit Fräulein Nette

Fräulein Nettes kurzer Sommer
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Fräulein Nettes Kurzer Sommer ist ein historischer Roman über die Göttinger Studentenszene zu Zeiten Grimms und ihre Verstrickungen mit dem Leben der Dichterin Anette von Droste-Hülshoff. Der Roman versteht ...

Fräulein Nettes Kurzer Sommer ist ein historischer Roman über die Göttinger Studentenszene zu Zeiten Grimms und ihre Verstrickungen mit dem Leben der Dichterin Anette von Droste-Hülshoff. Der Roman versteht sich entsprechend des Klappentextes als Liebesgeschichte, tatsächlich bestimmt diese aber nur auf einem kleinen Teil der über 500 Seiten die Handlung. Das ist schade. Nicht, weil man gerne mehr historische Schnulzgeschichten lesen würde, sondern weil sich alles, was sich abseits der Liebesgeschichte zwischen Anette und Straube abspielt, leider recht zäh liest. Die Handlung verliert sich gerade zu Beginn des Buches über mehrere Kapitel in reichlich irrelevantem Geplänkel rund um eine Gruppe Göttinger Studenten. Da ich selbst Verbindungen zur Uni Göttingen habe, habe ich mich zumindest über die Ortsangaben freuen können. Ansonsten hätte ich das Buch in diesem Abschnitt vermutlich zur Seite gelegt. Auch so habe ich über ein halbes Jahr lang an den ersten 150 Seiten geknabbert. Als danach die Liebesgeschichte aber in Gang kommt, habe ich das Buch streckenweise mit Vergnügen gelesen. Die Erzählweise, die immer wieder zwischen der Sichtweise der Charaktere hin- und herspringt ist spannend und gibt trotzdem Einblick in die turbulenten Gefühle des Fräulein Nette. Da kam dann doch endlich ein wenig Downton-Abbey-Gefühl auf, auch wenn das nun nicht unbedingt war, was ich von dem Buch erwartet hatte.

Ich hatte ursprünglich mit einem Roman gerechnet, der mich Anette von Droste-Hülshoff näher bringt, vielleicht ein Grund, sich mehr mit ihrem Schaffen auseinanderzusetzen oder der Anreiz, eine Bildungslücke zu schließen. Stattdessen kenne ich nun den Stammbaum dieser riesigen Familie auswendig, der dankenswerter- und notwendigerweise vorne mit abgedruckt ist. Ansonsten geht es häufiger als um Nette um die ganzen Männer in diesem Stammbaum und zusätzlich um die Grimms und einen gewissen Straube. Heinreich Heine taucht auch kurz auf, ohne für die Handlung in irgendeiner Weise relevant zu sein. Dass sich diese Männer in der Erzählung immer wieder penetrant in den Vordergrund drängen obwohl man lieber mehr von Fräulein Nette erfahren würde passt wiederum zur Thematik des Buches.

Insgesamt kann ich das Buch an interessierte (!) Leser empfehlen, obwohl es nicht unbedingt puren Lesegenuss bereithält.

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