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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.07.2021

Grandioser und absolut lesenswerter Roman

Viktor
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Der Roman "Viktor" überstrahlt für mich in diesem Jahr (fast) alle anderen Bücher, die ich gelesen habe, und unter meinen Highlights nimmt er einen absoluten Spitzenplatz ein. Dieses Buch schafft es, ...


Der Roman "Viktor" überstrahlt für mich in diesem Jahr (fast) alle anderen Bücher, die ich gelesen habe, und unter meinen Highlights nimmt er einen absoluten Spitzenplatz ein. Dieses Buch schafft es, der düsteren Geschichte einer jüdischen Familie durch das 20. Jahrhundert mit leichter Hand und feinsinnigem, eleganten Humor zu folgen und dennoch die dunkel Seite der Tragik nicht auszusparen.

Durch die persönlich stark involvierte Perspektive der Ich-Erzählerin Geertje, die sich in den 1990er Jahren auf die Suche nach ihrem jüdischen Familienerbe macht, wird dem Roman eine authentische, unverbrauchte Stimme verliehen. Geertjes, später Judiths, völlig unbedarftes Erleben der Regeln des Judentum, die sie trotz ihrer jüdischen Familie zeitweise überfordern, sind komisch, unterhaltsam und fremd, aber auch sehr faszinierend. Geertje/Judiths Geschichte wechselt mit der Erzählebene, in der das Leben Viktors im Wien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschrieben wird, ab. In den Viktor-Teilen gelingt es der Autorin auch düstersten Erlebnissen mit bedachter Komik zu begegnen. Viktor als Figur ist ausgesprochen apart, unerschrocken, interessant und liebenswert (obwohl er selbst eine solche Kategorisierung zurückweisen würde). Überhaupt ist jede Figur bis ins Detail speziell und besonders, aber nicht verschroben, sondern eben einfach erzählenswert.

Sprachlich und stilistisch ist das Buch einfach unglaublich gelungen. Es strahlt einfach, ist sehr besonders und irgendwie drängt sich mir immer wieder das Wort "vornehm" auf. Vor der Autorin kann man auf jeder Ebene nur den Hut ziehen, denn dem finstersten und meisterzähsten Kapitel der Geschichte des 20. Jahrhunderts mit soviel Leichtigkeit, Unverbrauchtheit und Stil zu begegnen und dabei noch einen Roman zu erschaffen, der diesen Glanz hat - das ist kein leichtes Unterfangen.

Dies ist ein sensationell guter Roman, der für jeden geeignet ist, der ausgezeichnete Literatur mag, sich über neue Wege freut und ungewöhnliche Familiengeschichten mag.

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Veröffentlicht am 21.06.2021

Ein buntes Amuse-Bouche

Das Leben ist ein Fest
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Eigentlich passt Claire Berests Roman perfekt zum Leben und Temperament der Frida Kahlo, denn in diesem Roman ist es gefühlt immer laut, immer wild, ständig bunt und leidenschaftlich. Die Handlung rast ...

Eigentlich passt Claire Berests Roman perfekt zum Leben und Temperament der Frida Kahlo, denn in diesem Roman ist es gefühlt immer laut, immer wild, ständig bunt und leidenschaftlich. Die Handlung rast schlaglichtartig durch das Leben der berühmtesten Malerin Mexikos, stets auf der Suche nach dem nächsten erzählenswerten Kick, der nächsten Episode, die nach lauten Gefühlen, tiefster Betrübung oder höchster Ekstase verlangt. Das erscheint abwechslungsreich, ist aber auf die Dauer auch etwas atemlos und vor allem - sehr gefährlich - oberflächlich. So fehlen dem Roman meines Erachtens nach sehr häufig die verbindenden Glieder, die leisen Zwischentöne, die Introspektion. Stattdessen wird die Relevanz der fiktionalen Auseinandersetzung mit der Künstlerin durch deskriptive Passagen herzustellen versucht, in denen die Kunstwerke in den Mittelpunkt gerückt werden. Meist erfolgt eine knappe Verknüpfung zur jeweiligen Lebenssituation mit angedeuteter Analyse, aber gerade in diesen Absätzen ist die Erzählinstanz zu zahm und zu brav, wo sie doch an vielen anderen Stellen mit viel Kraft aufs Ganze geht.

Zugegebenermaßen ist es immer schwer, sich einer realen historischen Persönlichkeit fiktional anzunähern, aber dieser Roman, der seine Sache sprachlich und auch von der Grundkonzeption her überzeugend macht, verliert zeitweise den Mut, auch einmal andere Facetten der Frida Kahlo sichtbar zu machen, die nicht schon Teil der Popkultur und des Allgemeinguts sind.

So bleibt "Das Leben ist ein Fest" für mich ein Roman, der mir gefallen und mich interessiert hat, mich aber nicht berauscht oder begeistert hat. Er ist am ehesten mit einem Amuse-Bouche zu vergleichen: er macht durchaus Lust auf mehr, aber satt und zufrieden macht er nicht.

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Veröffentlicht am 18.06.2021

Unterhaltsam-unseriöses Spiel mit dem Geschlechterklischee

Nachrichten von Männern
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"Nachrichten von Männern" fällt für mich in die Kategorie "Geschenkbüchlein für Frauen, die ein Männerproblem haben", denn irgendwie werden hier alle negativen Vorurteile Männern gegenüber bedient. Das ...


"Nachrichten von Männern" fällt für mich in die Kategorie "Geschenkbüchlein für Frauen, die ein Männerproblem haben", denn irgendwie werden hier alle negativen Vorurteile Männern gegenüber bedient. Das ist sehr unterhaltsam, unglaublich stereotyp und klischeehaft und entbehrt jedweder wissenschaftlichen Grundlage, trägt aber trotz allem stets ein Fünkchen Wahrheit in sich und ist daher zumindest zeitweise recht amüsant.

Dabei bleibt es aber auch, denn eins sollte man auf keinen Fall tun: dieses Büchlein in irgendeiner Form ernst nehmen. Zum einen pauschalisiert es auf jeder Seite, zum anderen sind mir zahlreiche Kommunikationsverläufe, die hier als Exklusivdomäne von Männern betrachtet werden, genau so auch von Frauen bekannt. Dazu ist die vorgenommene Kategorisierung äußerst kleinteilig und macht eher deutlich, dass es DIE "Nachrichten von Männern" eher nicht gibt, sondern dass es sich um eine äußerst heterogene Kommunikationsmasse handelt. Die den Nachrichten-Beispielen folgenden Analysen sind locker-witzig geschrieben, aber wiederholen sich in ihrem Anliegen stark und dienen letztlich doch immer wieder dazu, die Überlegenheit der Weiblichkeit gegenüber "dumpfer" Männlichkeit ironisch hervorzuheben. Das nutzt sich ziemlich schnell ab und daher ist das Buch auch sicher keines, dass man in einem Rutsch durchliest, sonder eher eines zum gelegentlichen, amüsierten Durchblättern.

Insgesamt sind die "Nachrichten von Männern" ein oberflächlicher, klischeebehafteter Band mit ein paar wahren Einsichten zum vergnüglichen Zwischendurchlesen. Den Muckefuck unter den Männern wird man aufgrund der Lektüre auch nicht vom Blue Mountain-Kaffee unterscheiden können, aber zumindest wird die geneigte Leserin all ihre Vorurteile bestätigt finden.

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Veröffentlicht am 25.05.2021

Auf dem Weg in den Wahnsinn

Die Beichte einer Nacht
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Marianne Philips Roman ist durch seinen monologischen Stil sehr besonders. Über die gesamte Strecke des Textes kommt nur Heleen zu Wort, die einer Nachtschwester gegenüber ihre Lebensbeichte ablegt, und ...

Marianne Philips Roman ist durch seinen monologischen Stil sehr besonders. Über die gesamte Strecke des Textes kommt nur Heleen zu Wort, die einer Nachtschwester gegenüber ihre Lebensbeichte ablegt, und dabei völlig unbewusst der eigenen psychischen Störung und der eigenen Schuld auf die Spur kommt.

Die Ausgangssituation ist denkbar einfach, denn es gibt eigentlich nur zwei Personen in diesem Kammerspiel der Rahmenhandlung: Heleen und die Nachtschwester. Letztere besitzt jedoch keinen Redeanteil und ihre Reaktion ist ausschließlich aus den spärlichen Kommentaren seitens Heleens ablesbar, wenn diese z.B. versucht, ihr Gegenüber zum weiteren Zuhören zu animieren. Diese kurzen Momente der Gegenwart unterbrechen wohltuend und ordnend immer wieder Heleens Reminiszenzen, sind für meinen Geschmack jedoch etwas zu selten, da gerade diese Passagen den besonderen monologischen Charakter des Textes unterstreichen.

Die Lebensbeichte selbst befasst sich neben der ärmlichen Kindheit Heleens und ihrem sozialen Aufstieg durch eine vorteilhafte Heirat mit ihrer obsessiven Liebe zu Hannes, die Dreh- und Angelpunkt ihres Handelns, ihrer Schuld und ihrer psychischen Erkrankung ist. Dem Roman gelingt es dabei vorzüglich darzustellen, wie ein Lebensweg mit späterem Handeln verknüpft wird und welche Auswirkungen frühere Lebensentscheidungen auf späteres Sein haben können. Der besondere Reiz des Textes liegt allerdings im Ausloten des einsetzenden Wahnsinns, ein Prozess der von der Protagonistin höchst selbstreflektierend im Rahmen ihres Geständnisses analysiert wird. Parallel gelingt aber auch die Sympahtielenkung des Romans einwandfrei, sodass man als Leser Heleen trotz ihrer Schuld, ihres Verhaltens und all ihrer Verfehlungen empathisch gegenübersteht. Dies ist sowohl das Verdienst der schonungslosen Offenheit des Monologs als auch der anscheinenden Unmittelbarkeit der erzählerischen Vermittlung, die wesentlich dazu beiträgt, dass Heleen als Figur vollkommen überzeugen kann.

Insgesamt handelt es sich bei diesem Roman um einen sehr lesenswerten, ungewöhnlichen Text, der durch sein intimes, direktes und schonungsloses Psychogramm eines gestörten Geistes überzeugt. Sein herausragendes Merkmal ist dabei sicherlich, dass es ihm gelingt, die psychische Störung glaubhaft zu vermitteln und nachvollziehbar zu machen.

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Veröffentlicht am 25.05.2021

Andere Menschen machen glücklich

Warten auf Eliza
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Eliza, einsame Promotionsstudentin mit Selbstwert-, Liebes-, Geld- und Familienproblemen, trifft Ada, einsame Witwe, Dichterin mit Leere im Leben. Gemeinsam überwinden sie ihre persönlichen Schwierigkeiten ...

Eliza, einsame Promotionsstudentin mit Selbstwert-, Liebes-, Geld- und Familienproblemen, trifft Ada, einsame Witwe, Dichterin mit Leere im Leben. Gemeinsam überwinden sie ihre persönlichen Schwierigkeiten und schmieden an einem Freundschaftsband.

Thematisch ist dieser Roman mal etwas anderes, denn hier wird zwar die zur Zeit allgegenwärtige Problemstellung der Einsamkeit ins Zentrum gerückt, überwunden wird sie jedoch nicht durch naheliegende Zusammenkünfte mit Gleichaltrigen und einen vorhersehbaren romantischen Plot, sondern dadurch, dass hier zwei Frauen aus verschiedenen Generationen Gemeinsamkeiten entdecken und zu Freundinnen werden. So innovativ und gefällig diese Handlung auch ist, sie bedient sich sehr häufig bei Feelgood- und Happiness-Klischees und setzt allem Gutem auch immer fruchtbar trübe, traurige Momente gegenüber, die von Missverständnissen geprägt sind. Dies führt dazu, dass neben der immer wieder sehr schematisch wirkenden Erzählweise (die Perspektiven wechseln häufig konsequent von Kapitel zu Kapitel zwischen Ada und Eliza hin und her) auch die Handlung recht berechenbar erscheint.

Der Roman liest sich ausgesprochen angenehm, aber mein Interesse hielt sich stets in Grenzen - außer bei den Passagen, die sich mit Adas Start-up beschäftigen - hier kam viel Komik und Spaß zum Einsatz, auch wenn das Projekt insgesamt wohl eher das Prädikat "unrealistisch" verdient. Daneben gibt es auch einige andere nette Szenen, in denen Altersunterschiede verwischt werden (wenn z.B. die Nacht einmal durchgemacht wird). Insgesamt ist es bei diesem Roman jedoch so, dass man weiter lesen kann, aber nicht muss. Dabei ist der Text nicht langweilig, aber einfach für sein Thema viel zu lang. Dies wird besonders deutlich, wenn die beiden Protagonistinnen sich für einige Zeit aus den Augen verlieren und dann unbedingt noch ein großer Schockmoment gesetzt werden muss, um irgendwie ein überzeugendes Finale zu erzeugen, und zu verhindern, dass der Roman lediglich seinem Ende entgegen plätschert.

Für mich ist Warten auf Eliza ein Roman, der für mehr Verständnis zwischen den Generationen wirbt und aufzeigt, wie beide Seiten von einer Freundschaft profitieren können. Um richtig ernst genommen zu werden, wandelt er aber zu häufig durch die Friede-Freude-Eierkuchen-Abteilung. Die Balance zwischen Fluffigkeit und Düsternis ist nicht harmonisch genug und auf der Inhaltsebene geschieht zu wenig Interessantes. Daher würde ich diesen Roman nur denjenigen empfehlen, die ein ausgesprochenes Interesse an dem Thema haben.

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