Was wäre, wenn ..
Die Clique der Ehrlosen„...Der Gefangene zwang seine abschweifenden Gedanken in geordnete Bahnen zurück. Er lauschte, horchte nach Schritten, klirrenden Schlüsseln oder dem klickenden Geräusch eines Riegels...“
Der Gefangene ...
„...Der Gefangene zwang seine abschweifenden Gedanken in geordnete Bahnen zurück. Er lauschte, horchte nach Schritten, klirrenden Schlüsseln oder dem klickenden Geräusch eines Riegels...“
Der Gefangene ist Oberstleutnant Hans Oster. Wir schreiben den August des Jahres 1944. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler geriet er in die Fänge der Gestapo. Hier hat er viel Zeit. Und seine Gedanken gehen zurück, zurück ins Jahr 1938.
Der Autor hat einen gut recherchierten und spannenden Roman über ein weniger bekanntes Ereignis geschrieben, den geplanten Putsch gegen Hitler im Jahre 1938.
Der Schriftstil lässt sich in zwei Teile gliedern. Einmal ist er sachlich und nüchtern, an anderen Stellen voller Emotionen. Das liegt an den beiden Handlungssträngen, die der Autor im Roman nebeneinanderher laufen lässt.
Im Jahre 1938 waren Teile der Wehrmacht und der Abwehr mit den Vorgehen der Nazis alles andere als zufrieden. Auch deren Antisemitismus hatte in diesen Kreisen einige Gegner. Dazu gehörte Admiral Wilhelm Canaris, Oberstleutnant Hans Oster und General Erich von Witzleben, um nur ein paar zu nennen. Über General Beck erfahre ich:
„...Als gläubiger Christ empfand er es als beschämend, wie jüdische Mitbürger herabgesetzt und gegängelt wurden und wie die Regierung seit ihrem Machtantritt fortwährend versuchte, den Einfluss der Kirchen zurückzudrängen...“
Hinzu kam, dass die Wehrmacht fürchten musste, von der SS verdrängt zu werden. Altgediente Generale wurden verleumdet und abgesetzt. Auch Hitlers Vergangenheit verschaffte ihm beim Generalstab keine Pluspunkte. Der Generalstab sah die Zeichen der Zeit kritisch und befürchtete einen neuen Krieg.
Sehr detailliert wird dargelegt, welche Teile des Heeres an den Putsch Interesse hatten. Vorsichtig galt es auszuloten, wen man einweihen konnte und wen nicht. Kontakte ins Ausland wurden genutzt. Man wollte einen möglichen Krieg mit der Tschechei zuvorkommen. Die unterschiedlichen Meinungen zur damals aktuellen Politik werden klar herausgearbeitet. Ein junger Offizier der Luftwaffenoffizier zum Beispiel sieht das so:
„...Ich bin restlos davon überzeugt, dass unsere Piloten nicht nur in der Lage sein werden, ein Vordringen der Franzosen im Westen zu verhindern, sie werden auch die tschechischen Grenzbefestigungen in kürzester Zeit zerschmettern...“
Höhepunkt der Geschichte ist die Rede Hitlers im Sportpalast am 26. September 1938. Frankreich und England hatte ihn für den Einmarsch in die Tschechei fast freie Hand gelassen. Diese Rede ist abgedruckt. Auf den Weg zur Hinrichtung geht Hans Oster durch den Kopf, was passiert wäre, wenn er an diesem Tag das Zeichen zum Putsch gegeben hätte.
Hier nun beginnt der fiktive Teil der Geschichte. Und der verläuft nicht etwa nur so, wie es sich die Generäle vielleicht erträumt hätten.
Doch das Buch hat, wie ich oben schon erwähnt habe, einen zweiten Handlungsstrang. In Augsburg gehen Christoph, Jan, Michel und Peter zusammen zur Schule. Bald wird ihr letztes Schuljahr beginnen. Obwohl die Vier sehr unterschiedlich sind, halten sie zusammen. Michel ist sehr ängstlich, Peter laviert sich so durch die Schule und das Leben. Er scheint nichts ernst zu nehmen. Dass plötzlich ein jüdischer Mitschüler nicht mehr im Unterricht erscheint, wird registriert, greift aber kaum in das persönliche Leben ein.
Christoph hat sich bisher erfolgreich vor den Eintritt in die HJ gedrückt. Da er aber studieren will, muss er nun in den sauren Apfel beißen. Als sich Christoph in Teresa verliebt, Tochter eines tschechischen Arztes, geht ein Riss durch die Freunde. Vor allem Jan zeigt unverhohlen seine Treue zum neuen Regime. Besonders heftig klingt das von Jan, als Christoph erzählt, dass er den jüdischen Mitschüler getroffen und sich mit ihm unterhalten hat.
„...Die haben jahrhundertelang auf unsere Kosten gelebt und unser Land ausgesaugt, jetzt dürfen sie eben endlich dafür bezahlen...“
Jan ist ein typisches Beispiel dafür, wie die Propaganda Einfluss auf die Köpfe und Herzen der Jugend nimmt.
Betroffen machen allerdings die letzten Seiten. Der riss wegen des Putsches geht mitten durch die Familien. Der Autor lässt die Frage offen, ob der Putsch gelingt oder scheitert. Das überlässt er der Phantasie des Lesers.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es gibt nur ins, was ich mir für eine mögliche Neuauflage wünschen würde: ein Nachwort, dass konkret benennt, was Realität und was Fiktion war. Gerade für den Teil bis zu Hitlers Rede hätte ich gern gewusst, ob das alles in etwa so abgelaufen ist.