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Veröffentlicht am 03.12.2025

Unmoralische Allianzen

Hustle
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Leonie Hendricks, 30, ist eigentlich Pflanzengenetikerin, braucht aber einen beruflichen Neuanfang. Deshalb nimmt sie in München einen Job an, der nicht zu ihrer Expertise passt. Trotzdem ist das Geld ...

Leonie Hendricks, 30, ist eigentlich Pflanzengenetikerin, braucht aber einen beruflichen Neuanfang. Deshalb nimmt sie in München einen Job an, der nicht zu ihrer Expertise passt. Trotzdem ist das Geld knapp. Da lernt sie eine Frau kennen, die mit zweifelhaften Methoden ihren Lebensunterhalt verdient. Leonie ist fasziniert. Sie entschließt sich, künftig auch auf unkonventionelle und unmoralische Weise an Geld zu kommen…

„Hustle“ ist ein Roman von Julia Bähr.

Erzählt wird die Geschichte in 46 kurzen Kapiteln aus der Sicht von Leonie. Die chronologische Handlung umfasst etliche Monate.

Die Sprache ist unauffällig und wenig kunstvoll, aber anschaulich und der Geschichte angemessen. Die Dialoge wirken sehr lebensnah.

Leonie ist eine zugleich reizvolle, interessante und unbequeme Protagonistin. Nicht alle ihre Entscheidungen und Reaktionen konnte ich komplett nachvollziehen. Dennoch habe ich ihre Gedanken und ihr Handeln gerne verfolgt.

Auf der inhaltlichen Ebene geht es vor allem um weibliche Wut und Selbstbefreiung. Freundinnenschaft und persönliche Weiterentwicklung spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Der Text ist zudem durchzogen von kritischen Passagen: an den absurd hohen Mieten und prekären Verhältnissen in Großstädten, am Kapitalismus, an der Konsumgesellschaft, an der Benachteiligung von Frauen, an der vorherrschenden Misogynie und ähnlichen Aspekten. Das alles macht den Roman facettenreich und äußerst aktuell. Die Geschichte liefert immer wieder Denkimpulse.

Auf den wenig mehr als 300 Seiten ist der Roman unterhaltsam und kurzweilig. Zwar ist die Handlung nicht durchweg realistisch, allerdings sehr witzig. Auch das etwas überraschende Ende fühlt sich für mich stimmig an.

Der Titel hat sich mir nicht auf Anhieb erschlossen, passt jedoch gut zum Inhalt. Das Cover, eine ebenfalls treffliche Wahl, finde ich sehr ansprechend gestaltet.

Mein Fazit:
Mit „Hustle“ ist Julia Bähr ein vielschichtiger, humorvoller und intelligenter Roman gelungen, der mich bestens unterhalten hat. Meine Neugier auf weitere Bücher der Autorin ist nun geweckt.

Veröffentlicht am 26.11.2025

Zwischen Fiktion und menschlicher Wahrheit

Was wir wissen können
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Europa im Jahr 2119: Literaturwissenschaftler Thomas Metcalfe hat eine Obsession. Er sucht das berühmte, aber als verschollen geltende Gedicht „Ein Sonettenkranz für Vivien“ von Dichter Francis Blundy, ...

Europa im Jahr 2119: Literaturwissenschaftler Thomas Metcalfe hat eine Obsession. Er sucht das berühmte, aber als verschollen geltende Gedicht „Ein Sonettenkranz für Vivien“ von Dichter Francis Blundy, das 2014 in illustrer Runde nur ein einziges Mal vorgetragen worden sein soll. Etliche Spekulationen ranken sich um das lyrische Werk. Doch wie lauten die Zeilen genau? Und was steckt dahinter? Die Spurensuche gestaltet sich äußerst kompliziert…

„Was wir wissen können“ ist ein Roman von Ian McEwan.

Der Roman besteht aus zwei ganz unterschiedlichen Teilen. Der erste setzt sich aus 21 Kapiteln zusammen, die in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Thomas erzählt werden. Dabei befinden wir uns im Jahr 2119. Dann folgt ein Bruch. Im zweiten Teil ändern sich sowohl die Erzählperspektive als auch die Zeitebene. Dieses geschickte Konstrukt macht die Geschichte überraschend.

Der Autor entwirft ein interessantes und düsteres, aber nicht unrealistisches Zukunftsszenario. Dabei ist der Roman voll von Themen: die Folgen des Klimawandels, die atomare Bedrohung, Künstliche Intelligenz, Migration, politische Instabilität und einiges mehr. Immer wieder scheint Gesellschaftskritik durch.

Vor allem aber geht es um Literatur und ihre Erforschung. Wie wird das heutige literarische Schaffen in rund 100 Jahren oder später wahrgenommen? Wie wird es eingeordnet? Was bleibt vorrangig in Erinnerung? Inspiriert wurde der Roman von einem realen Gedicht: „Marston Meadows: A corona of Prue“ von John Fuller aus dem Jahr 2021, das McEwan in der Danksagung als großartig bezeichnet.

Darüber hinaus thematisiert die Geschichte insbesondere die Unsicherheit von Quellen. Der Grat zwischen Fiktion und menschlicher, subjektiv empfundener Wahrheit ist schmal. Was können wir wissen? Was dürfen wir glauben? Diese Fragen werden aufgeworfen und machen den Roman in Zeiten von Fake News und manipuliertem Bildmaterial ungemein aktuell.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der anspruchsvolle, aber gut lesbare Text, übersetzt von Bernhard Robben, weitestgehend überzeugt. Die teils detailreichen Beschreibungen sind mir jedoch stellenweise zu viel gewesen.

Auf den mehr 460 Seiten wird die Geschichte auch wegen einiger Redundanzen langatmig, vor allem im ersten, handlungsärmeren Teil. Später, wenn zwischenmenschliche Konflikte und Abgründe in den Vordergrund treten, nimmt sie allerdings Fahrt auf und lässt das bisher Gelesene in einem neuen Licht erscheinen.

Der sehr passende Titel ist glücklicherweise wortgetreu aus dem Englischen („What We Can Know“) übernommen worden. Auch das Covermotiv, das ein Gemälde („First Love“) von Jing Zhiyong zeigt, erweist sich als eine gute Wahl.

Mein Fazit:
„Was wir wissen können“ von Ian McEwan ist ein tiefgründiger, gehaltvoller und facettenreicher Roman mit aktueller Relevanz, der sich mit interessanten Fragen beschäftigt. An manchen Stellen wäre weniger mehr gewesen. Dennoch eine alles in allem empfehlenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 23.11.2025

Sonst noch was?

Vielleicht ist die Liebe so
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Die Trennung von Drehbuchautor Carlos hat Anja, Anfang 40, noch nicht überwunden. Da trifft die ehemalige Schauspielerin und jetzige Barkeeperin der nächste Schock: Ihre Mutter plant einen assistierten ...

Die Trennung von Drehbuchautor Carlos hat Anja, Anfang 40, noch nicht überwunden. Da trifft die ehemalige Schauspielerin und jetzige Barkeeperin der nächste Schock: Ihre Mutter plant einen assistierten Suizid, und zwar am 18. Februar. Die Witwe will ihre depressive Tochter dabei haben. Und das bleibt nicht die einzige Zumutung für Anja…

„Vielleicht ist die Liebe so“ ist der Debütroman von Katja Früh.

Erzählt wird die Geschichte in 57 kurzen Kapiteln in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Anja - in chronologischer Reihenfolge, aber mit Rückblicken. Die Handlung umfasst ungefähr einen Monat und spielt in der Schweiz.

Zwar nehmen der assistierte Suizid und seine Vorbereitung viel Raum in der Geschichte ein. Dennoch ist die Sterbehilfe nicht das dominierende und bei Weitem nicht das einzige Thema des Romans.

Im Vordergrund steht die Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Die zwei Charaktere werden glaubwürdig und mit Tiefe dargestellt. Beide Protagonistinnen sind in psychischer Hinsicht auffällig. Anja kämpft mit depressiven Verstimmungen, mit einer traumatischen Erfahrung und ihrer Familiengeschichte. Ihre Mutter ist narzisstisch, übergriffig und egozentrisch. Sie hätte ebenfalls traumatische Erlebnisse zu verarbeiten, nimmt anders als Anja jedoch keine therapeutische Hilfe in Anspruch. Zwar konnte ich nicht immer Anjas Verhalten komplett nachvollziehen. Dennoch kommt man ihr nahe und kann ihre Gedanken und Gefühle verfolgen.

Auf den rund 300 Seiten gibt es darüber hinaus weitere ernsthafte Themen: Verfolgung, Flucht und Vertreibung, Tod, Suchterkrankung, emotionale Abhängigkeit, sexuelle Übergriffe und einiges mehr. Das macht die Geschichte, die auch ethische Fragen aufwirft und zum Nachdenken angeregt, unerwartet facettenreich.

Obwohl der Inhalt beileibe keine leichte Kost ist, liegt der Roman nicht schwer im Magen. Immer wieder gibt es tragikomische bis skurrile Momente, bei denen das Lachen allerdings im Hals stecken bleibt.

Auch der leichtfüßige Schreibstil macht den Roman zu einer angenehmen Lektüre. Die Dialoge wirken glaubhaft. Die Sprache ist ungekünstelt, aber nicht zu salopp.

Das Covermotiv zeigt das Gemälde „Jewelry“ von Anna Weyant. Obwohl ich eine reduzierte Optik auf dem Buchdeckel mag, spricht mich die Gestaltung diesmal leider gar nicht an. Ein inhaltlicher Bezug erschließt sich zudem allenfalls im metaphorischen Sinn. Der Titel hingegen passt sehr gut zur Geschichte.

Mein Fazit:
Als ein Highlight im Lesejahr 2025 hat sich der Roman von Katja Früh zwar nicht entpuppt. Dennoch kann ich „Vielleicht ist die Liebe so“ als leichtfüßige und kurzweilige Geschichte mit ernsthaften, anspruchsvollen Themen gerne empfehlen.

Veröffentlicht am 22.11.2025

Von Göttern und Dämonen

Monstergott
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Esther und ihr jüngerer Bruder Ben wachsen in einer evangelikalen Freikirche auf und engagieren sich dort. Doch beide Geschwister, die zusammen wohnen, haben ein Problem. Ben trägt ein Geheimnis mit sich ...

Esther und ihr jüngerer Bruder Ben wachsen in einer evangelikalen Freikirche auf und engagieren sich dort. Doch beide Geschwister, die zusammen wohnen, haben ein Problem. Ben trägt ein Geheimnis mit sich herum, das zwischen ihm und Gott steht. Auch Esther tut sich zunehmend schwer damit, sich in ihre vorgesehene Rolle zu fügen…

„Monstergott“ ist ein Roman von Caroline Schmitt.

Die Struktur des Romans erschließt sich schnell: Auf einen Prolog folgen 19 kurze Kapitel. Erzählt wird im Wechsel aus der Sicht von Ben und Esther.

Die Sprache ist klar und schnörkellos, aber zugleich atmosphärisch. An einigen Stellen tauchen kreative Metaphern auf. Die Dialoge wirken lebensnah.

Esther und Ben sind zwei interessante, wenn auch eher ungewöhnliche Hauptfiguren. Ihre Gedanken und Gefühle lassen sich sehr gut miterleben, selbst wenn man selbst weniger gläubig sein sollte.

Der christliche Glauben und die Religion spielen eine zentrale Rolle in der Geschichte. Besonders die zunehmende Beliebtheit von Freikirchen beleuchtet der Roman mit kritischem Blick. Es geht um Scheinheiligkeit, Doppelmoral, Dämonenaustreibung, Sünde und Unterwerfung. Immer wieder legt die Geschichte den Finger in die Wunde. Auch misogyne Regeln und Muster entlarvt und hinterfragt sie. So setzt die Lektüre mehrere Denkimpulse.

Schon auf den ersten der ingesamt rund 260 Seiten hat mich der Roman in seinen Bann gezogen. Die Handlung erscheint in sich stimmig.

Das symbolträchtige, plakative Cover gefällt mir gut. Auch der Titel des Romans ist eine sehr gute Wahl.

Mein Fazit:
Nach „Liebewesen“ ist Caroline Schmitt wieder ein eindringlicher und beeindruckender Roman mit gesellschaftlicher Relevanz gelungen, der sowohl auf der inhaltlichen als auch der sprachlichen Ebene überzeugen kann. Ein Jahreshighlight 2025!

Veröffentlicht am 13.11.2025

Drama in der Wüste

No Way Home
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Terrence Tully, genannt Terry, ist Assistenzarzt im dritten Jahr an einer Klinik in Los Angeles, als er einen unerwarteten Anruf erhält: Seine Mutter ist plötzlich gestorben. Der 31-Jährige macht sich ...

Terrence Tully, genannt Terry, ist Assistenzarzt im dritten Jahr an einer Klinik in Los Angeles, als er einen unerwarteten Anruf erhält: Seine Mutter ist plötzlich gestorben. Der 31-Jährige macht sich auf den Weg nach Boulder City (Nevada), wo die Verstorbene zuletzt gelebt hat, damit er sich um ihre Angelegenheiten kümmern kann. Dort läuft ihm Bethany (24) über den Weg. Sie hat sich von ihrem Ex-Verlobten Jesse, einem Lehrer, getrennt und sucht nun eine neue Bleibe. Die junge, attraktive Frau, die am Empfang eines Krankenhauses arbeitet und nur wenig Gehalt bekommt, ist anhänglich und möchte Terry nicht mehr vom Haken lassen. Sie quartiert sich kurzerhand selbst im früheren Haus seiner Mutter ein. Doch Jesse ist nicht bereit, den Verlust kampflos hinzunehmen…

„No Way Home“ ist ein Roman von T. Coraghessan Boyle, der zuerst 2025 in Deutschland erschienen ist und 2026 auch in englischer Ausgabe veröffentlicht wird.

Erzählt wird die Geschichte in sieben Teilen, die aus mehreren Kapiteln bestehen. Dabei wechselt die Perspektive mehrfach, sodass wir die Sichtweisen aller drei Hauptcharaktere erfahren.

Vor allem auf der sprachlichen Ebene hat mich der Roman überzeugt. Er ist atmosphärisch und leichtfüßig. Der Text glänzt zudem mit sehr authentischen Dialogen und bildstarken, teils ungewöhnlichen Beschreibungen. Dadurch entsteht ein ganz eigener Sound, der auch in der deutschen Übersetzung von Dirk van Gunsteren erhalten bleibt.

Wie der Titel, der 1:1 der amerikanischen Ausgabe entspricht, erahnen lässt, ist das Thema eines fehlendes Zuhauses der rote Faden des Romans. Ob es wortwörtlich die Obdachlosigkeit wie bei Bethany, der Verlust eines Heimatgefühls wie bei Terry oder im metaphorischen Sinne die Verlorenheit wie bei Jesse ist: Sowohl bei den drei Hauptfiguren als auch bei einigen Nebencharakteren zieht sich dieser Aspekt durch die Geschichte. Dazu passt, dass sich der Großteil der Handlung in der Wüste abspielt, einem interessanten und durchaus speziellen Lebensraum.

Darüber hinaus schneidet der Roman zwar etliche andere Themen an. So werden unter anderem der Klimawandel und die Sorgen der einfachen Bevölkerung angerissen. Auch Gewalt, toxische Männlichkeit und bedenklicher Alkoholkonsum sind wiederkehrende Motive. Doch größtenteils bleibt der Roman an der Oberfläche und lässt inhaltliche Tiefe vermissen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Figuren - mit Ausnahme von Terry - insgesamt schablonenhaft und, wie das Covermotiv, blass erscheinen. Ihre Verhaltensweisen und Gefühle sind für mich nur teilweise nachvollziehbar.

Trotz dieser Schwächen ist der Roman, der immerhin rund 380 Seiten umfasst, nicht langatmig. Ich habe mich von der Geschichte gut unterhalten gefühlt.

Mein Fazit:
Mit „No Way Home“ hat mich T. C. Boyle zwar nur in sprachlicher Hinsicht komplett begeistern können. Sein neuer Roman ist aber eine kurzweilige Lektüre.