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Veröffentlicht am 15.07.2025

Der Zahn der Zeit

Ja, nein, vielleicht
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Die Autorin ist seit Längerem geschieden, ihre Kinder sind aus dem Haus. Zwar geht sie nun auf die 60 zu, aber sie könnte sich zufrieden und frei fühlen. Doch der Zahn der Zeit nagt an ihr, und das wortwörtlich: ...

Die Autorin ist seit Längerem geschieden, ihre Kinder sind aus dem Haus. Zwar geht sie nun auf die 60 zu, aber sie könnte sich zufrieden und frei fühlen. Doch der Zahn der Zeit nagt an ihr, und das wortwörtlich: Ein wackeliger Zahn führt ihr das Altern und die eigene Vergänglichkeit vor Augen. Da quartiert sich ihre Schwester Paula bei ihr ein. Und sie begegnet im Supermarkt zufällig Friedrich, ihrem Jugendfreund. Die Begegnung bringt sie ins Grübeln: Sollte sie noch einmal eine Liebesbeziehung eingehen?

„Ja, nein, vielleicht“ ist ein Roman von Doris Knecht.

Erzählt wird die Geschichte - mit Rückblenden, aber in chronologischer Reihenfolge - im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht der namenlosen Protagonistin. Sie besteht aus 39 kurzen Kapiteln.

Der Schreibstil ist wunderbar unaufgeregt, aber keineswegs trocken oder hölzern. Die Dialoge wirken lebensnah, die Beschreibungen sind auf den Punkt und anschaulich.

Auch die Protagonistin macht einen authentischen Eindruck. Die Figur ist mit viel psychologischer Tiefe ausgestattet. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr nachvollziehbar geschildert. Gut gefallen hat mir außerdem, dass die Protagonistin mit ihren Fehlern, Ängsten und Zweifeln durch und durch menschlich ist.

Auf nur wenig mehr als 200 Seiten ist der Roman erstaunlich facettenreich und inhaltlich umfassend. Es geht um weitaus mehr als eine bloße Liebesgeschichte. Der Roman beschäftigt sich mit den Themen Familie und Freundschaft. Auch Verletzungen, andere negative Erfahrungen und Erinnerungen spielen eine Rolle. Zu guter Letzt bietet der Roman Einblicke ins Schreiben und die Verlagswelt. Diese Mischung klingt wild, fügt sich aber erstaunlich gut zusammen. Sie bietet viele Anknüpfungspunkte und Stoff zum Nachdenken.

Trotz des ruhigen Erzähltempos und ein paar Gedankenschleifen habe ich mich alles in allem prima unterhalten gefühlt. Die Geschichte hat nur wenige Längen.

Der grellbunte Stil des Covermotivs sagt mir persönlich zwar nicht zu. Der Titel passt jedoch sehr.

Mein Fazit:
Wieder einmal ist Doris Knecht ein lesenswerter Roman gelungen. „Ja, nein, vielleicht“ ist eine kluge Geschichte mit Anspruch, die sich nicht auf bloße Zerstreuung stützt. Erneut hat mich die Autorin nicht enttäuscht.

Veröffentlicht am 05.07.2025

Wenn es plötzlich früher dunkel ist

Der Sonnendieb
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Eichhörnchen ist irritiert und verunsichert: War es nicht gestern zur Zahnputzzeit noch hell? Warum ist heute schon dunkel zu dieser Stunde? Aufgeregt läuft Eichhörnchen zu Vogel, seinem besten Freund. ...

Eichhörnchen ist irritiert und verunsichert: War es nicht gestern zur Zahnputzzeit noch hell? Warum ist heute schon dunkel zu dieser Stunde? Aufgeregt läuft Eichhörnchen zu Vogel, seinem besten Freund. Er weiß bestimmt, was los ist.

„Der Sonnendieb“ ist ein Bilderbuch, das für Kinder ab vier Jahren empfohlen wird.

Beim „Sonnendieb“ handelt es sich um den vierten Band der Jahreszeiten-Reihe, die sich in allerdings auch in beliebiger Reihenfolge lesen lässt. Nach Herbst, Frühjahr und Winter geht es diesmal um den Sommer.

Warum wird es abends früher dunkel und morgens später hell? Wieso werden die Tage zum Ende des Sommers wieder kürzer? Diese beiden Fragen stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Sie werden kindgerecht, unterhaltsam und mit viel Humor beantwortet.

Auf zwölf Doppelseiten wird zunächst die Geschichte erzählt. Auf einer weiteren Doppelseite wird erklärt, was es mit nachtaktiven Tieren auf sich hat und wieso es zu den jeweiligen Jahreszeiten unterschiedlich lange hell ist.

Im Fokus der Geschichte stehen Eichhörnchen und Vogel, zwei liebenswerte Charaktere. Gut gefallen hat mir, dass keine ungewöhnlichen, sondern aus dem Alltag von Kindern vertraute Tiere ausgewählt wurden. Neben den beiden bekannten Protagonisten gibt es diesmal eine weitere tierische Figur: Fledermaus. Auch sie haben wir schnell ins Herz geschlossen.

Der Text von Alice Hemming ist altersgerecht formuliert, was Syntax und Vokabular angeht. Die Dialogform funktioniert, wie schon in den Vorgängerbänden, wunderbar. Das Verhältnis von Text- und Bildanteilen ist ausgewogen und gut auf die Zielgruppe abgestimmt.

Die farbenfrohen, aber nicht zu grellen Illustrationen von Nicola Slater sind wieder einmal voller liebevoller Details, die für zusätzliches Komik sorgen und zum längeren Betrachten einladen. Auch für erwachsene Vorleser bieten sie immer wieder Anlass zum Schmunzeln. Sie wirken zudem modern.

Das Covermotiv des großformatigen Bilderbuchs passt super zur Reihe und zur Geschichte. Der einprägsame Titel erschließt sich sofort und fügt sich ebenfalls hervorragend ein.

Mein Fazit:
Erneut können Alice Hemming und Nicola Slater überzeugen. Mit „Der Sonnendieb“ ist ihnen wieder einmal ein gleichsam witziges wie lehrreiches Bilderbuch zum Thema Jahreszeiten gelungen. Auch der vierte Band mit Eichhörnchen und Vogel ist sehr empfehlenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Thema
Veröffentlicht am 04.07.2025

Neue Hoffnung am Meer

Strandgut
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Earlon Bronco (70), genannt Bucky, hat seit dem Tod seiner Frau Maybellene vor knapp einem Jahr seine Lebensfreude verloren. In Chicago erlebt der frühere Soulsänger einen traurigen Alltag. Da erreicht ...

Earlon Bronco (70), genannt Bucky, hat seit dem Tod seiner Frau Maybellene vor knapp einem Jahr seine Lebensfreude verloren. In Chicago erlebt der frühere Soulsänger einen traurigen Alltag. Da erreicht ihn eine unerwartete Einladung zu einem Musikfestival im englischen Scarborough. Bucky, der noch nie vorher am Meer war, lässt sich darauf ein. An der britischen Küste trifft er Dinah, eine Mittfünfzigerin.

„Strandgut“ ist ein Roman von Benjamin Myers.

Der Roman gliedert sich in drei Teile, die sich aus zahlreichen Abschnitten zusammensetzen. Eingeleitet wird er von einem kurzen Prolog. Erzählt wird auf zwei zeitlichen Ebenen.

Der Schreibstil ist atmosphärisch und geprägt von schönen Sprachbildern. Anschauliche Beschreibungen und lebensnahe Dialoge wechseln sich ab.

Die Charaktere wirken nahbar, authentisch und sympathisch. Insbesondere Bucky und Dinah, zwei interessante Figuren, stehen im Mittelpunkt des Romans.

In inhaltlicher Hinsicht beschäftigt sich die Geschichte mit großen Emotionen. Thematisch geht es um Freundschaft, Neuanfänge, Erinnerungen und Verluste. Eine wichtige Rolle spielt zudem die Musik. Allerdings behandelt der Roman auch Alkohol- und Medikamentenmissbrauch.

Auf den fast 300 Seiten bietet die Geschichte ein wenig Dramatik und viele berührende Passagen. Die Handlung ist größtenteils schlüssig und unterhaltsam, wenn auch ohne größere Überraschungen.

Der englischsprachige Originaltitel („Rare singles“) gefällt mir aufgrund seiner Zweideutigkeit sehr. Auch die metaphorische Formulierung der deutschen Ausgabe passt für mich gut, vor allem in Verbindung mit dem stimmungsvollen, hübschen Covermotiv.

Mein Fazit:
Mit „Strandgut“ ist Benjamin Myers erneut ein empfehlenswerter Roman gelungen, den ich gerne gelesen habe.

Veröffentlicht am 02.07.2025

Vom Aufwachsen im totalitären China

Himmlischer Frieden
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Lai, ein schüchternes und ängstliches Mädchen, wächst in eher einfachen Verhältnissen auf. Ihr Vater, ein Intellektueller, redet kaum, ihre Mutter ist distanziert. Auch ihr kleiner Bruder und ihre Großmutter ...

Lai, ein schüchternes und ängstliches Mädchen, wächst in eher einfachen Verhältnissen auf. Ihr Vater, ein Intellektueller, redet kaum, ihre Mutter ist distanziert. Auch ihr kleiner Bruder und ihre Großmutter gehören zu ihrem direkten Umfeld. Schon als Kind lernt sie die Härte des chinesischen Regimes kennen…

„Himmlischer Frieden“ ist der Debütroman von Lai Wen.

Vier Teile mit insgesamt 39 Kapiteln, an die sich ein Epilog anschließt: Die Struktur des Romans ist ebenso sinnvoll wie schlüssig. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Lai. Die Handlung umspannt im Wesentlichen die Jahre 1970 bis 1989 und spielt in China.

Der Schreibstil ist eindrücklich, unaufgeregt und dank etlicher authentischer Dialoge anschaulich. Teilweise ist zudem eine poetische Note erkennbar.

Im Fokus steht Lai, eine realitätsnah gezeichnete Figur. Auch die übrigen Charaktere wirken lebensecht.

Nicht zufällig trägt die Protagonistin denselben Namen wie das Pseudonym der Autorin, denn der Roman hat autobiografische Züge und beinhaltet einige Erinnerungen aus der Kindheit und Jugend. Er beschreibt einen nicht geringen Teil ihres Lebens, nämlich das Aufwachsen und Erwachsenwerden im totalitären China der 1970er- und 1980er-Jahre. Vorwiegend geht es dabei um zwischenmenschliche Beziehungen, zunehmend aber auch um das Eindringen der Politik in den Alltag. Freundschaften, familiäre Verbindungen und Liebe nehmen breiten Raum ein.

Anders als es der Titel vermuten lässt, spielt die blutige Niederschlagung des friedlichen Aufstands im Jahr 1989 auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking nur eine sehr kleine Rolle. Dieses historische Ereignis taucht erst zum Schluss des Romans auf.

Auf den rund 550 Seiten ist die Geschichte durchaus bewegend und regt zum Nachdenken an. Allerdings weist sie einige Längen auf.

Das reduzierte, künstlerisch anmutende Covermotiv ist sowohl hübsch als auch inhaltlich passend. Der Titel, der sich am englischsprachigen Original („Tiananmen Square“) orientiert, weckt meiner Ansicht nach jedoch falsche Erwartungen.

Mein Fazit:
„Himmlischer Frieden“ Lai Wen ist ein besonderer, lesenswerter Roman, der nicht nur unterhält, sondern auch interessante Einblicke bietet.

Veröffentlicht am 02.07.2025

Die Abgründe einer vermeintlichen Freundinnenschaft

Before we were innocent
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Elizabeth Winter, genannt Bess, traut ihren Augen kaum, als Medienstar Joni Le Bon plötzlich vor ihrer Tür steht. Seit etwa zehn Jahren haben sich die beiden nicht mehr getroffen. Damals war ihre gemeinsame ...

Elizabeth Winter, genannt Bess, traut ihren Augen kaum, als Medienstar Joni Le Bon plötzlich vor ihrer Tür steht. Seit etwa zehn Jahren haben sich die beiden nicht mehr getroffen. Damals war ihre gemeinsame Freundin Evangeline Aetos mit nur 19 Jahren auf tragische Weise ums Leben gekommen. Evs Tod hat Bess und Joni schließlich entfremdet. Doch nun bittet Joni die zurückgezogen lebende Single-Frau Bess um Hilfe, denn ihre Verlobte Willa, ebenfalls eine bekannte Persönlichkeit, wird vermisst…

„Before we were innocent“ ist ein Roman von Ella Berman.

Die durchdachte Struktur des Romans besteht aus 61 Kapiteln. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Bess. Dabei gibt es zwei sich abwechselnde Erzählstränge: die gegenwärtigen Ereignisse im Jahr 2018 rund um Willas Verschwinden und das Geschehen in den Jahren 2008/2009 vor und nach Evs Tod. Die Schauplätze befinden sich in den USA und Griechenland. Trotz dieser Komplexität ist die Geschichte sehr gut nachvollziehbar.

Die Sprache ist atmosphärisch und anschaulich, allerdings auch unspektakulär. An einigen Stellen wird sie sogar unnötigerweise etwas vulgär. Die Übersetzung von Elina Baumbach ist angenehm unauffällig und damit sehr gelungen.

Drei Frauenfiguren stehen im Zentrum des Romans: Bess, Joni und Ev, drei interessante und vielschichtige Protagonistinnen. Die Figuren werden mit psychologischer Tiefe dargestellt. Auch die übrigen Charaktere sind reizvoll ausgestaltet.

Vordergründig geht es in der Geschichte um zwei mysteriöse Fälle: den Tod Evs und das plötzliche Verschwinden Willas. Den Antworten auf die Frage, was mit den beiden Frauen passiert ist, wird sich sukzessive genähert. Auf den rund 440 Seiten sorgen die bei Fälle, nach einem gemächlichen Beginn, für andauernde Spannung. Falsche Fährten und mehrere Wendungen diesbezüglich machen die Geschichte fesselnd und abwechslungsreich. Die Auflösungen wirken größtenteils schlüssig. Obwohl ich es mag, wenn eine Geschichte Interpretationsspielräume lässt, bleiben mir am Ende jedoch zu viele Widersprüchlichkeiten und offene Fragen.

Auch beim zweiten großen Thema des Romans, der Freundinnenschaft, hat mich die Geschichte zunehmend verloren. Die Botschaft, dass bewusste, absichtliche Verletzungen und Machtspielchen zu einer Freundschaft einfach dazugehören, finde ich falsch und toxisch. Solche Beziehungen sollten vertrauensvoll, unterstützend und wertschätzend sein. Dass hier ein völlig ungesundes Bild von Freundinnenschaft schöngeredet wird, halte ich vor allem mit Blick auf jüngere Leserinnen für bedenklich.

Der mehrdeutige Titel, der 1:1 vom Original übernommen wurde, passt zur Geschichte. Auch das Covermotiv, das ebenfalls von der Originalausgabe übertragen wurde, ist aus inhaltlicher Sicht durchaus passend, wirkt auf mich aber zu sexistisch.

Mein Fazit:
„Before we were innocent“ von Ella Berman ist ein sehr unterhaltsamer und packender Roman. Leider hat mich die Geschichte aber in mehreren Details nicht komplett überzeugen können.