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Veröffentlicht am 20.01.2020

Der rätselhafte Landsitz in Gloucestershire

Das Geheimnis von Shadowbrook
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Als Kind ist es recht still um Clara Waterfield. Sie wächst behütet, aber auch isoliert in London auf, denn aufgrund der Glasknochenkrankheit darf sie nicht nach draußen. Doch als ihre Mutter stirbt, öffnet ...

Als Kind ist es recht still um Clara Waterfield. Sie wächst behütet, aber auch isoliert in London auf, denn aufgrund der Glasknochenkrankheit darf sie nicht nach draußen. Doch als ihre Mutter stirbt, öffnet sich für die junge Frau eine völlig neue Welt. Im Sommer 1914 wird sie als Botanikerin nach Gloucestershire gerufen: Sie soll auf einem Landsitz namens Shadowbrook den Aufbau eines Gewächshauses mit exotischen Pflanzen betreuen. Der dortige Garten ist üppig bewachsen und überwältigend. Doch das alte Wohnhaus wirkt seltsam abweisend, die meisten Räume stehen leer oder sind verschlossen. Mr. Fox, der Eigentümer, ist viel auf Reisen. Und nachts scheint es im Haus zu spuken. Doch Clara glaubt nicht an Geister und macht sich daran, die Geheimnisse zu ergründen. Dabei muss sie feststellen, dass dort nichts so ist, wie es scheint.

„Das Geheimnis von Shadowbrook“ ist ein Roman von Susan Fletcher.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 17 jeweils recht langen Kapiteln. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive aus der Sicht von Clara. Die Handlung umfasst einige Jahre und endet im Februar 1918. Der Aufbau funktioniert gut.

Der Schreibstil ist anschaulich, bildhaft und sehr atmosphärisch, aber zum Teil auch ausschweifend. Der Einstieg fiel mir nicht schwer. Die Geschichte nimmt jedoch nur sehr langsam Fahrt auf.

Mit Clara gibt es eine reizvolle Protagonistin, die durchaus authentisch dargestellt wird, aber mir nicht auf Anhieb sympathisch war. Auch die übrigen Charaktere sind größtenteils interessant gestaltet.

Thematisch hat der Roman einiges zu bieten: eine seltene Krankheit, die Botanik, mutmaßlicher Geisterspuk und andere rätselhafte Dinge, eingebettet in die Kulisse der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.

Alles in allem ist die Geschichte abwechslungsreich und unterhaltsam. An einigen Stellen ist der mehr als 400 Seiten umfassende Roman jedoch etwas langatmig, weil die Handlung zwischendurch an Tempo verliert. Auch die Auflösung der Geheimnisse konnte mich nicht ganz überzeugen.

Die optische Gestaltung der gebundenen Ausgaben wirkt hochwertig und spricht mich sehr an. Der deutsche Titel weicht zwar stark vom englischsprachigen Original ab („House of Glass"), gefällt mir aber sehr gut.

Mein Fazit:
„Das Geheimnis von Shadowbrook“ von Susan Fletcher ist ein Roman mit vielen Stärken, aber auch einigen Schwächen. Eine ungewöhnliche Lektüre, die meine Erwartungen nicht voll erfüllen konnte, aber mich trotzdem gut unterhalten hat.

Veröffentlicht am 16.01.2020

Sieben Tage im Juni

Der Attentäter
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Europa im Juni 1914: Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Der Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie, werden zu einem Besuch in Sarajevo erwartet. Nach einem ...

Europa im Juni 1914: Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Der Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie, werden zu einem Besuch in Sarajevo erwartet. Nach einem Militärmanöver wollen sie auch die Innenstadt besuchen. Doch auf dem Balkan brodelt es. Drei junge Serben, der 19-jährige Gavrilo Princip und seine beiden gleichaltrigen Kameraden, bereiten ein Attentat auf den Thronfolger vor, denn sie trachten ihm nach dem Leben. Dabei werden sie unterstützt von einer heimlich agierenden serbischen Organisation. Der Geheimdienst hat allerdings Wind von der Sache bekommen. Major Rudolf Markovic ist den Verschwörern auf der Spur und will das Attentat verhindern. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit.

„Der Attentäter“ ist ein historischer Thriller von Ulf Schiewe.

Meine Meinung:
Das Buch besteht aus sieben Kapiteln – unterteilt in die Wochentage zwischen Montag, 22. Juni, und Sonntag, 28. Juni 1914. Zudem gibt es einen Pro- und einen Epilog. Erzählt wird im Präsens abwechselnd aus verschiedenen Perspektiven –aus der Sicht des Erzherzogs und seiner Frau, der der Attentäter, der eines Geheimdienstoffiziers und vieler weiterer Personen. Jeder dieser Abschnitte ist überschrieben mit einer genauen Uhrzeit und einem Ort. Diese einheitlichen Angaben machen die Orientierung leicht. Der Aufbau ist sinnvoll durchdacht und funktioniert gut.

Der Schreibstil ist schnörkellos, aber anschaulich und dank viel wörtlicher Rede lebhaft. Etwas störend sind nur zahlreiche Tipp- und Zeichenfehler.

Im Fokus stehen zweifelsohne Thronfolger Franz Ferdinand sowie die Gruppe der Attentäter, also Personen, die real existierten. Sie werden unter anderem ergänzt um den fiktiven Major Markovic, eine interessante und authentisch anmutende Figur. Die Gedanken- und Gefühlswelt der Akteure wird dabei sehr gut deutlich. Trotz der schnellen Perspektivwechsel kommt man den Personen nahe. Auffallend ist die Vielzahl an Charakteren. In Verbindung mit etlichen unbekannten Namen ist das zunächst etwas verwirrend. Ein Personenverzeichnis, das darüber Aufschluss gibt, welche Figuren rein fiktiv sind, hilft jedoch weiter.

Die historische Thematik hat meine Neugier auf den Roman geweckt. Gut gefällt mir, dass sich der Autor so nah an die tatsächlichen Begebenheiten hält und Fakten und Fiktion auf gelungene Weise verbindet. Die fundierte Recherche wird nicht nur im Nachwort („Anmerkungen des Autors“) deutlich, das die Handlung des Romans einordnet und mit weiteren Informationen ergänzt. Selbst wer mit dem Attentat und seinen Umständen bereits vertraut ist, hat die Möglichkeit, beim Lesen noch einiges zu lernen. Wer dagegen wenig Ahnung von dem historischen Geschehen hat, kann der Handlung ebenfalls gut folgen. Dazu trägt auch das sinnvolle Glossar bei.

Obwohl der Ausgang des Attentats hinreichend bekannt ist, wird die Lektüre nicht langweilig. Die Handlung ist dennoch fesselnd und gleichzeitig abwechslungs- und facettenreich. Auf annähernd 500 Seiten entstehen keine Längen.

Das Cover passt gut zum Inhalt. Auch der prägnante Titel ist treffend gewählt, wobei „Die Attentäter" vielleicht sogar noch besser formuliert wäre.

Mein Fazit:
„Der Attentäter“ von Ulf Schiewe ist ein auf historischen Begebenheiten basierender Thriller, der mich rundum überzeugen konnte. Nicht nur für Geschichtsfans eine unterhaltsame und interessante Lektüre.

Veröffentlicht am 14.01.2020

Aus Liebe zur Kunst

Die Frauen von Skagen
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Dänemark am Ende des 19. Jahrhunderts: Die junge Marie Triepke, Tochter aus wohlhabendem Haus, hat einen Traum. Sie will Malerin werden. Zwar fördern ihre Eltern ihr künstlerisches Talent, doch erwarten ...

Dänemark am Ende des 19. Jahrhunderts: Die junge Marie Triepke, Tochter aus wohlhabendem Haus, hat einen Traum. Sie will Malerin werden. Zwar fördern ihre Eltern ihr künstlerisches Talent, doch erwarten sie von ihrem Kind auch, dass es heiratet. Als Marie auf Peder Severin Krøyer, genannt Sören, trifft, scheinen sich beide Wünsche zu erfüllen. Sie nimmt den berühmten Maler zum Mann und hofft auf eine erfolgreiche gemeinsame Schaffensphase, die das Paar im dänischen Skagen am Meer, begleitet von Maries langjähriger Gesellschafterin Asta Hansen, verbringen will. Doch dort werden Maries Erwartungen nicht erfüllt. Viele Jahre später, 2018, wandelt Vibeke Weber, Mitte 20, aus Frankfurt auf den Spuren der Krøyers – auf der Suche nach ihrem eigenen Weg im Leben und ebenfalls angetrieben von der Liebe zur Malerei…

„Die Frauen von Skagen“ ist ein Roman von Stina Lund.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 38 eher kurzen Kapiteln. Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht von Vibeke und aus der von Asta. Dementsprechend gibt es zwei Stränge, die immer wieder Parallelen aufweisen: Einer spielt zwischen 1883 und 1940, vorwiegend in Dänemark, aber auch an anderen Orten in Europa, der andere zwischen 2010 und 2019 zum Teil in Skagen und zum Teil in Frankfurt. Einheitliche Orts- und Zeitangaben zu Beginn der Kapitel erleichtern die Orientierung. Der Aufbau ist gut durchdacht.

Der Schreibstil ist anschaulich, einfühlsam und lebhaft – dank viel wörtlicher Rede und gelungenen Beschreibungen. Vor allem die Darstellung von Skagen weckt Fernweh. Auch für Kunstlaien ist der Roman gut verständlich. Schon nach wenigen Seiten hat mich die Geschichte in ihren Bann gezogen. Leider bin ich immer wieder über (Tipp-)Fehler gestolpert.

Gut gefallen hat mir, dass die Charaktere authentisch und klischeefrei wirken. Im Vordergrund stehen drei Frauen. Sowohl Marie als auch Asta und Vibeke werden als Personen mit Ecken und Kanten beschrieben, die zwar nicht frei von Fehlern sind, dessen Entwicklung ich jedoch gerne verfolgt habe. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr gut deutlich. Auch die übrigen Figuren wirken realitätsnah.

Mit den Malern von Skagen greift die Autorin ein Thema auf, das literarisch noch nicht oft verarbeitet wurde. Da ich die impressionistische Kunst sehr mag und Skagen von schönen Fotos kenne, war meine Neugier schnell geweckt. Ich fand es sehr interessant, mehr über Marie Krøyer und die dänische Künstlerkolonie zu erfahren, von der ich bis dato noch nichts gehört hatte. Die fundierte Recherche der Autorin wird nicht erst im Nachwort deutlich, sondern zeigt sich an vielen Stellen im Roman. Die Verbindung von Fakten und Fiktion ist ihr gut gelungen.

Auf mehr als 300 Seiten ist der Roman kurzweilig, unterhaltsam, bisweilen auch überraschend und tiefgründig. Die Handlung ist schlüssig und bietet dennoch Raum für eigene Interpretationen und Schlussfolgerungen, was ich sehr begrüße. Das Ende des Vibeke-Erzählstranges konnte mich leider jedoch nicht ganz überzeugen.

Das hübsche Cover, das das Ölgemälde „Am Strand von Skagen“ von Michael Ancher zeigt, passt in mehrfacher Hinsicht hervorragend zum Roman. Der Titel dagegen ist austauschbar und hebt sich leider nicht positiv vom derzeit inflationären Gebrauch von Wörtern wie „Tochter“ und „Frauen“ in der aktuellen Literatur ab.

Mein Fazit:
„Die Frauen von Skagen“ von Stina Lund ist ein unterhaltsamer und interessanter Roman, der schöne Lesestunden bereitet. Eine empfehlenswerte Lektüre, nicht nur für Kunstbegeisterte.

Veröffentlicht am 09.01.2020

Wie ein Rosenbusch

Das schräge Haus
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Beruflich läuft es für Ella rund: Im Ruhrgebiet hat die psychologische Psychotherapeutin eine eigene Praxis. Doch privat ist die 34-Jährige nicht glücklich. Sie ist Single und kinderlos und hat neben ihrer ...

Beruflich läuft es für Ella rund: Im Ruhrgebiet hat die psychologische Psychotherapeutin eine eigene Praxis. Doch privat ist die 34-Jährige nicht glücklich. Sie ist Single und kinderlos und hat neben ihrer besten Freundin Yvonne und ihrer Großmutter Mina kaum soziale Kontakte. Außerdem leidet Ella noch immer darunter, was an jenem Sonntag im Juni 1986 in Minas Schrebergarten passiert ist. Nicht nur ihre Patienten haben so ihre Probleme. Auch Ella selbst fühlt sich recht schräg, genauer gesagt wie ein Haus mit krummem Giebel oder ein Rosenbusch, der sich nicht von der Stelle bewegen kann. Wird es ihr gelingen, ihre Welt ein wenig geradezurücken?

„Das schräge Haus“ ist ein Roman von Susanne Bohne.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus zwei Teilen. Die ersten sechs Kapitel spielen allesamt am Sonntag, 22. Juni 1986, in der Schrebergarten-Siedlung im Richterbusch. Die übrigen der insgesamt 37 Kapitel mit einer angenehmen Länge sind 26 Jahre später, also im Jahr 2012, angesiedelt. Der Roman endet mit einem kurzen Epilog, der wiederum elf Monate später spielt. Erzählt wird vorwiegend in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Ella, wobei dies nicht konsequent durchgehalten wird, da die Protagonistin auf märchenhafte Weise auch Einsichten in die Gedanken und Gefühle von anderen zu haben scheint. Zudem gibt es mehrere Kapitel, in denen die Perspektive zu weiteren Personen wechselt.

Sehr gut gefallen hat mir der Schreibstil. Er ist warmherzig, lebhaft, anschaulich und bisweilen sogar poetisch. Obwohl das Erzähltempo meist recht langsam ist und die Geschichte erst nach längerem Anlauf Fahrt aufnimmt, kommt beim Lesen keine Langeweile auf. Kreative Wortneuschöpfungen wie „Zeitpudding“ und „Seelenhaus“, treffende Metaphern und Vergleiche, gelungene Beschreibungen und eine dichte Atmosphäre zeugen vom Talent der Autorin, mit Sprache umzugehen. Zwar gibt es einige Wiederholungen, was die Formulierungen angeht, aber daran habe ich mich nicht gestört.

Mit Ella steht eine sympathische Protagonistin mit gutem Herz im Vordergrund, die ihren Hang zum Träumen nicht verlernt hat und die Intention verfolgt, ihren Mitmenschen zu helfen. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr gut deutlich. Sie wird zwar mit liebevollem Blick beschrieben, allerdings auch recht kindlich, realitätsfern und naiv dargestellt. Ihr Verhalten konnte ich nicht immer nachvollziehen. Auch viele der anderen Personen, und dabei nicht nur ihre Patienten, wirken etwas verschroben oder zumindest speziell, was jedoch einen Reiz der Geschichte ausmacht.

Besonderes Interesse hat der Roman bei mir deshalb geweckt, weil es nicht nur um eine Liebesgeschichte geht, sondern auch um Ellas psychotherapeutische Arbeit und die Patienten in ihrer Praxis. Leider vermittelt die Geschichte kein authentisches Bild einer Therapeutin und wirft ein eher schlechtes Licht auf diesen Bereich. Zum einen spricht Ellas mangelndes Selbstbewusstsein und ihre fehlende Verarbeitung eigener Traumata nicht dafür, dass sie selbst die im Studium und in der Ausbildung gelernten Techniken bei sich anwenden kann. Zum anderen verhält sie sich im Umgang mit vor allem einem Patienten zum Teil erschreckend verantwortungslos. Zeitweise wird der Roman auch der Ernsthaftigkeit psychischer Krankheiten nicht ganz gerecht, etwa dann, wenn eine Depression mit suizidaler Tendenz als „Frau Traurigkeit“ verniedlicht wird. Mir ist durchaus bewusst, dass der Wohlfühlroman nicht wortwörtlich genommen werden darf und einen hoffnungsvollen Blick auf das Leben mit seinen wundervollen Momenten bieten möchte. Bei diesem heiklen Thema fehlt es mir allerdings ein wenig an Sensibilität. Positiv anzumerken ist dagegen, dass der Roman viel Tiefgang besitzt und die lobenswerte Botschaft vermittelt, dass es durchaus okay ist, wenn man nicht perfekt ist, sondern Ecken und Kanten hat.

Die reduzierte Gestaltung mit der Schildkröte passt gut zum Inhalt. Schön, dass sich auch im Inneren hübsche, kleine Illustrationen finden. Der Titel ist ebenfalls treffend gewählt.

Mein Fazit:
Mit „Das schräge Haus“ stellt Susanne Bohne ihr Talent zum Schreiben eindrucksvoll unter Beweis. Der etwas andere Liebesroman, der märchenhaft anmutet, hat mir unterhaltsame Lesestunden beschert. Allerdings sind die Darstellungen von Psychotherapie und psychischen Krankheiten stellenweise problematisch.

Veröffentlicht am 09.01.2020

Ein ziemlich zähes Luder

Oreo
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Die Vereinigten Staaten in den 1970er-Jahren: Christine wächst mit ihrem kleinen Bruder Jimmie bei den Großeltern in Philadelphia auf. Sie ist das Kind einer schwarzen Mutter und eines weißen, jüdischen ...

Die Vereinigten Staaten in den 1970er-Jahren: Christine wächst mit ihrem kleinen Bruder Jimmie bei den Großeltern in Philadelphia auf. Sie ist das Kind einer schwarzen Mutter und eines weißen, jüdischen Vaters, der sich allerdings schon früh aus dem Staub gemacht hat. Sie erhält den Spitznamen Oreo nach dem Keks, der außen schwarz und innen weiß ist, und wird zur doppelten Außenseiterin. Doch auch von ihrer Mutter ist nicht viel Unterstützung zu erfahren, denn sie tingelt seit Jahren durch die Lande. Als Christine 16 Jahre alt ist, schickt Helen Clark ihre Tochter allerdings auf eine besondere Reise. Sie soll ihren Erzeuger, Samuel Schwartz, ausfindig machen. Und so begibt sich Oreo auf eine abenteuerliche Unternehmung nach New York…

„Oreo“ ist der erste und einzige Roman der inzwischen verstorbenen Fran Ross, der bereits 1974 erstmals erschienen ist und nun in deutscher Übersetzung vorliegt.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus zwei Teilen („Troizen“ und „Mäandern“), die wiederum in insgesamt 15 Kapitel untergliedert sind. Erzählt wird – mit Ausnahme von Rückblenden – in chronologischer Reihenfolge und überwiegend aus der Sicht von Oreo.

Sprachlich ist der Roman sehr besonders. Er ist geprägt von teils recht kreativen Wortneuschöpfungen, Metaphern, ungewöhnlichen Vergleichen und Onomatopoesie. Zudem ist er gespickt mit jiddischen Wörtern. Das macht es nötig, immer wieder zum beigefügten Glossar und den im Anhang ebenfalls befindlichen Erklärungen zu blättern, was den Lesefluss erheblich stört. Darüber hinaus ist negativ anzumerken, dass dort nicht alle Begriffe erläutert werden, was das Verständnis des Textes erschwert. Auch nichtig erscheinende Details und etliche Ausschweifungen machen es anstrengend, den Roman zu lesen. Dennoch ist es eindrucksvoll, wie es der Autorin gelingt, mit der Sprache zu spielen.

Mit Oreo steht eine für ihre Zeit sehr moderne, mutige und unerschrockene Protagonistin im Vordergrund, die sowohl dem Leser Respekt abnötigt als auch immer wieder Sympathiepunkte einfährt. Ihr Einsatz für die sozial schwächeren Mitglieder der Gesellschaft und ihre direkte, freche und unverschämte Art machen sie zu einer reizvollen Figur. Gleichwohl ist zu bedenken, dass keiner der Charaktere im Roman lebensnah dargestellt wird. Der Leser begegnet samt und sonders skurrilen, stark überzeichneten Personen, was wahrscheinlich aber so beabsichtigt ist.

Bei dem Roman handelt es sich um eine Neuerzählung der Thesus-Sage – eine schöne Idee. Anstatt eines antiken Helden haben wir es mit einer jüdischen, schwarzen und weiblichen Protagonistin zu tun. Im Abschnitt „Schlüssel für Schnellleser, Antikenferne etc.“ werden die ursprüngliche Sage kurz zusammengefasst und die Entsprechungen aufgelistet. Weiteren Aufschluss gibt das interessante Nachwort von Max Czollek („Von der Kunst, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen“), das ich mir als Vorwort gewünscht hätte, da ohne diesen Hintergrund der Einstieg in den Roman und das Verständnis der Geschichte schwerfallen.

Der Autorin geht es aber nicht nur darum, eine alte Heldensage wieder ins Gedächtnis zu rufen. Sie will der Gesellschaft mit ihren Vorurteilen, ihrem Antisemitismus, ihrem Rassismus, ihrem Sexismus und ihren Diskriminierungen von Juden, Afroamerikanern und Frauen einen Spiegel vorhalten. Diesen Ansatz finde ich äußerst bemerkenswert, zumal die Thematiken nur wenig an Aktualität eingebüßt haben. Im Roman stecken daher auf nur 260 Seiten viele Referenzen und Denkansätze, von denen mir sicherlich aufgrund des fehlenden historischen Kontextes nicht alle aufgefallen sind. Allerdings wirkt das Buch dadurch auch ziemlich überfrachtet.

Der erste Teil des Romans zieht sich in die Länge. Die Geschichte macht einen unzusammenhängenden Eindruck, die Handlung kommt nicht in Gang. Erst im zweiten Teil, der mir wesentlich besser gefallen hat, nimmt die Geschichte Fahrt auf. Leider trifft die zumeist absurde Handlung nicht meinen Geschmack und ist nur an wenigen Stellen amüsant. Der beworbene Humor und Witz des Werkes sind bisweilen etwas geschmacklos und vulgär. Die Satire ist meiner Ansicht nach oft einfach nur albern und übertrieben.

Sowohl die reduzierte, aber passende Gestaltung als auch der knackige Titel orientieren sich erfreulicherweise stark an der amerikanischen Ausgabe.

Mein Fazit:
„Oreo“ von Fran Ross ist ein außergewöhnlicher Roman, der mit seiner experimentellen Art heraussticht. Das sprachliche Talent der Autorin und die Komplexität des Werkes sind beeindruckend. Ich musste mich jedoch durch einen Großteil der Lektüre kämpfen, ohne am Ende einen echten Erkenntnisgewinn zu erhalten oder ein Lesevergnügen zu erleben. Deshalb halte ich das Buch nur für eingeschränkt empfehlenswert.