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Veröffentlicht am 24.09.2025

Heimat zwischen Innen und Außen 💕

Die Suche nach Zuhause
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✨ REZENSION zu "Die Suche nach Zuhause" von Marie-Luise Ritter (@luiseliebt), erschienen im Piper Verlag

📖 Inhalt (spoilerfrei): In "Die Suche nach Zuhause" begleitet man Marie-Luise Ritter auf einer ...

✨ REZENSION zu "Die Suche nach Zuhause" von Marie-Luise Ritter (@luiseliebt), erschienen im Piper Verlag

📖 Inhalt (spoilerfrei): In "Die Suche nach Zuhause" begleitet man Marie-Luise Ritter auf einer sehr persönlichen Reise: Es geht um die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, um die Frage, was „Zuhause“ eigentlich bedeutet, und wie es sich in verschiedenen Lebensphasen verändert. Luise erzählt von Umzügen, vom Ankommen in Paris, von Orten, die Heimat werden und Heimat bleiben, und von dem Gefühl, sich manchmal fremd zu fühlen, selbst da, wo man schon lange lebt. Eingestreut sind dabei viele kleine Anekdoten, gut recherchierte Fakten, historische Hintergründe zu Städten wie Paris, Architekturdetails und spannende Studien. Das macht das Buch nicht nur intim und introspektiv, sondern auch informativ und gesellschaftlich relevant.

🖋️ Erzählstil & Struktur: Luises Sprache ist wie eine warme Decke: introspektiv, poetisch, bildhaft und gleichzeitig präzise. Jeder Satz wirkt wohlüberlegt, voller Metaphern, oft so treffend, dass man ihn sofort unterstreichen möchte. Das Buch liest sich fließend, gleichzeitig verlangt es ein bewusst langsames Lesen, um die Gedanken nachklingen zu lassen. Häufig habe ich das Gefühl, direkt in ihren Kopf zu schauen. Ihre Texte sind so authentisch und nahbar, dass sie wirken, als spräche eine enge Freundin ihre innersten Gedanken aus. Besonders eindrucksvoll ist die intertextuelle Struktur: Sie verwebt Zitate aus anderen Büchern, wissenschaftliche Studien und persönliche Beobachtungen miteinander, wodurch ein Netz entsteht, das dem Thema „Zuhause“ Tiefe und intensiv recherchierte Vielschichtigkeit verleiht.

👥 Figuren/Charaktere: Auch wenn es ein autobiografisches Werk ist, wirken die Menschen, von denen Luise erzählt, fast wie literarische Figuren. Vor allem aber steht sie selbst im Mittelpunkt und dabei introspektiv, offen, schonungslos ehrlich. Sie erzählt von eigenen Entscheidungen, auch von Fehlentscheidungen, ohne Scham, sondern mit einer natürlich menschlichen Fehlbarkeit. Auch ihr Umfeld (Freund:innen, Begegnungen in Paris, Gespräche) fließen ein und verdichten das Buch zu einem komplexen Mosaik aus persönlichen und kollektiven Erfahrungen.

🔎 Themen und Symbole: Am stärksten behandelt wird natürlich die Suche nach Heimat. Dabei behandelt Luise aber auch ganz eindringlich damit einhergehende Themen, wie Ausgrenzungserfahrungen, Freundschaft und Selbstfindung, aber auch Kapitalismuskritik (etwa in Bezug auf Wohnungspreise). Besonders intensiv befasst sie sich mit ihrem Gefühl der Zugehörigkeit und um Diskriminierung, wenn man sich immer wieder beweisen muss, „wirklich von hier“ zu sein. Dieser Einblick hat ganz deutlich gezeigt, wie sehr Ausgrenzung Menschen prägen kann. Besonders stark fand ich persönlich aber auch das Thema Alkohol. Anfangs wirkt es so, als sei er ein überpräsentes Motiv, das zu sehr normalisiert wird. Doch im Verlauf zeigt sich, dass dies von Luise bewusst eingesetzt wird. Sie beschreibt Alkohol als feine Trennlinie zwischen dem Ich und dem Außen. Mit jedem Glas entfernt sich Luise ein Stück mehr von ihrem inneren Zuhause, während das Außen lauter, das Innere leiser wird. Am Ende reflektiert sie eindringlich die gesellschaftliche Normalisierung von Alkohol; dass man gedrängt wird, mitzutrinken, um nicht spießig zu wirken; dass Abstinenz kritischer beäugt wird als Konsum. Für mich ist das ein starkes Symbol für die Entfremdung vom eigenen Körper, der zugleich das eigentliche Zuhause ist. Was mir außerdem aufgefallen ist, ist dass Luise manchmal das generische Maskulinum und manchmal das generische Femininum verwendet. Das hat mich zunächst etwas irritiert, da man das nicht kennt (allgemein geläufig ist ja das generische Maskulinum), aber es hat mich stark zum Nachdenken angeregt: warum einem das eine auffällt, das andere nicht. Sprache kann so auch zum Spiegel unserer Vorstellungen von Zugehörigkeit werden.

💡 Fazit: "Die Suche nach Zuhause" ist introspektiv, mutig und unglaublich inspirierend. Marie-Luise Ritter schafft es, persönliche Erfahrungen, gesellschaftliche Reflexionen und literarische Sprache genial zu verweben, ohne den Lesefluss zu behindern, belehrend oder jemals gekünstelt zu klingen. Für mich bleibt die Erkenntnis: Zuhause ist nicht nur ein Ort, sondern auch der eigene Körper, das eigene Ich und es lohnt sich, immer wieder neu zu fragen, wo und wie man leben möchte, um wirklich anzukommen. Inspirierend fand ich auch die Passagen, in denen Luise davon erzählt, nicht aufzugeben, wenn andere einem raten, sich mit weniger zufrieden zu geben; sei es bei einer Wohnung oder in Beziehungen. Stattdessen plädiert sie dafür, Geduld zu haben, den eigenen Wünschen treu zu bleiben und weiterzusuchen, bis man das findet, was einen wirklich glücklich macht.

5|5 ⭐️

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Veröffentlicht am 24.09.2025

Ich habe das Team gewechselt!

Ohne dich kein Sommer
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ACHTUNG LEICHTE SPOILER, DA SERIE UND BUCH MITEINANDER VERGLICHEN WERDEN!!!

Der zweite Teil der Summer-Trilogie hat mich sofort wieder reingezogen. Jenny Hans Schreibstil ist so leicht und authentisch, ...

ACHTUNG LEICHTE SPOILER, DA SERIE UND BUCH MITEINANDER VERGLICHEN WERDEN!!!

Der zweite Teil der Summer-Trilogie hat mich sofort wieder reingezogen. Jenny Hans Schreibstil ist so leicht und authentisch, dass man regelrecht durch die Seiten fliegt. Besonders die introspektiven Passagen von Belly berühren mich sehr, vor allem ihr Umgang mit Susannahs Tod. Die zusätzliche Perspektiven von Jeremiah fand ich erst ungewohnt, aber dann sehr bereichernd, weil er so für mich viel mehr Tiefe bekam und ich dadurch sehr viel mehr mit ihm sympathisieren konnte als ich in der Serie. Für mich hat seine Perspektive nochmal eine ganz neue Seite der Handlung, die ich bereits durch die Serie kannte, eröffnet und nach dem Lesen war ich nicht mehr Team Conrad, sondern Team Jeremiah, auch, weil seine Rolle in Bellys Kindheit viel tragender war, als es die Serie zeigt. Diese unterschiedlichen Gewichtungen zwischen Buch und Serie machen die Geschichte noch spannender. Ein Highlight war für mich Kapitel 30, in dem Belly ihrer Freundin Taylor endlich mal die Meinung sagt. Taylor ist für mich einer der toxischsten Figuren aller Zeiten: kontrollsüchtig, egoistisch, null empathisch. Es war eine Erlösung, dass Belly sich endlich wehrt. Ein Punkt, den ich im Buch viel besser gelöst fand, ist die Sache mit dem geplanten Hausverkauf: Hier ist es der Vater von Conrad und Jeremiah, der das Haus loswerden will. Es passt besser, da er egoistisch und ohne Rücksicht auf seine Söhne ist.In der Serie fand ich die Lösung ehrlich gesagt etwas anstrengend: Dort ist es ja die Tante von Jeremiah und Conrad (Becks Schwester), die das Haus erbt und verkaufen möchte, und ihr Kind (die nonbinäre Cousin_x der beiden) soll zwischen den Fronten vermitteln. Auch wenn die Figur Sichtbarkeit schafft, wirkte sie auf mich sehr unnahbar. Mühsam fand ich vor allem, wie sehr sich alle anderen bemühen müssen, sie in die Gruppe zu integrieren, während von ihr selbst kaum etwas zurückkommt, nur damit sie sich am Ende gegen ihre Mutter stellt und so den Hausverkauf verhindert. Ganz schön umständlich gelöst, da bevorzuge ich die einfache Variante aus dem Buch. Die Szene, in der Laurel sich gegen Mr. Fisher (Jeremiahs und Conrads Vater) stellt, gibt ihr noch einmal viel mehr Tiefe. Auch wie sehr die Jungs zu ihr aufschauen, und wie sanft sie mit den beiden umgeht, hat mich zu Tränen gerührt, viel mehr als in der Serie! Dafür mochte ich dort aber die große Abschlussfeier im Haus mit Belly auf Rollschuhen sehr. Das kam im Buch nicht so atmosphärisch rüber. Insgesamt ein sehr flüssig zu lesendes, emotionales Buch, das für mich durch die Unterschiede zur Serie noch mehr Reiz gewinnt.

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Veröffentlicht am 24.09.2025

Ein leichtes Buch, atmosphärisch und berührend.

Der Sommer, als ich schön wurde
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Ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen, denn es ist leicht geschrieben, sehr zugänglich, sodass man in einen angenehmen Lesefluss gerät. Besonders spannend fand ich, wie viel tiefer man hier in die ...

Ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen, denn es ist leicht geschrieben, sehr zugänglich, sodass man in einen angenehmen Lesefluss gerät. Besonders spannend fand ich, wie viel tiefer man hier in die Figuren eintaucht als in der Serie: Vor allem Susanna habe ich durch das Buch in einem ganz neuen Licht gesehen.

Die kurzen Kapitel und der Wechsel zwischen Gegenwart und Rückblenden gefallen mir total gut. Die Erinnerungen wirken authentisch, man fühlt sie richtig mit und kann sie sich lebendig vorstellen. Am Anfang hatte ich noch Schwierigkeiten, mich mit Belly zu identifizieren, weil sie so jung und kindlich wirkt. Aber je weiter die Geschichte voranschreitet, desto näher fühlt man sich ihr und spätestens ab dem zweiten Drittel war ich ganz bei ihr, so wie in der Serie.

Es ist ein leichtes Buch, atmosphärisch und berührend.

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Veröffentlicht am 24.09.2025

Erebos.exe hat sich endlich wieder installiert!

Erebos 3
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✨ REZENSION zu "Erebos 3" von Ursula Poznanski, erschienen im Loewe Verlag

📖 Inhalt (spoilerfrei): es ist wieder da: Erebos, das geheimnisvolle Computerspiel mit seiner erschreckend realen Intelligenz, ...

✨ REZENSION zu "Erebos 3" von Ursula Poznanski, erschienen im Loewe Verlag

📖 Inhalt (spoilerfrei): es ist wieder da: Erebos, das geheimnisvolle Computerspiel mit seiner erschreckend realen Intelligenz, installiert sich erneut auf Nicks Rechner. Sofort steckt er wieder in seiner alten Rolle als Dunkelelf Sarius und diesmal geht es um Aufgaben, bei denen es wortwörtlich um Leben und Tod geht.

🖋️ Erzählstil & Struktur: Poznanski gelingt es erneut, einen sofort in die Geschichte hineinzuziehen. Ich war von der ersten Seite an drin, sie flogen nur so dahin. Besonders stark finde ich, wie sie Hintergrundinfos einbettet: Wer die Vorgänger nicht mehr ganz präsent hat, bekommt hier subtil und elegant alles Wichtige erklärt, ohne dass es aufdringlich wirkt oder diejenigen nervt, die die Details noch im Kopf haben. Diese präzise Einfachheit macht den Band auch für Neueinsteiger absolut lesbar. Wieder gibt es Levelaufstiege, Arena-Kämpfe, neue Fähigkeiten und Waffen: das Setting ist mal wieder so immersiv beschrieben, dass man glaubt, selbst mitzuspielen. Wer Gaming liebt, kommt hier voll auf seine Kosten. Aber auch, wer nichts mit Computerspielen am Hut hat, wird durch die dichte Atmosphäre mitgerissen (so wie ich schon damals beim ersten Band). Ich fand es großartig, dass die meisten Hinweise so schwer zu deuten waren, genau so mag ich das. Das einzige Mal, wo ich einen Schritt voraus war, war bei der Figur Riley. Da hatte ich in der Mitte schon eine Ahnung, während vor allem Nick sehr lange brauchte, um die Tragweite zu erkennen. Alle anderen Zeichen dagegen waren perfekt dosiert: schwer, aber schlüssig.

👥 Figuren: Nick ist wieder das Herzstück der Handlung, aber tatsächlich ist mein persönliches Highlight Victor: mit seiner ruhigen, alternativen Art, seiner Liebe zu Tee, kuriosen Flohmarktfunden und skurrilen Accessoires ist er eine der lebendigsten und charmantesten Figuren der Reihe. Auch andere Figuren sorgen für Kontinuität, ohne den Einstieg zu erschweren.

🔎 Themen & Symbolik: Besonders faszinierend fand ich, dass die KI diesmal eine Art Gleichgültigkeit ausstrahlt. Genau das wirkt so realistisch, denn auch unsere echten KI-Systeme ist es völlig egal, was wir mit unserem Leben tun. Diese Kälte macht den Boten noch unheimlicher. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Ursula Poznanski in einem Interview mit dem Literatur- und Pressebüro "Politiki und Partner" selbst gesagt hat, dass sie zwar gerne über KI schreibt, im Alltag aber den Umgang damit meidet. Die Anspielungen auf die griechische Mythologie verleihen der Geschichte zusätzliche Tiefe und passen hervorragend in das Setting.

💡 Fazit: Für mich ist "Erebos 3" deutlich stärker als Band 2, erreicht aber nicht ganz die Einzigartigkeit des ersten Teils; einfach, weil man die Mechanismen inzwischen kennt. Trotzdem wirkt es durch das hochaktuelle KI-Thema heute fast wieder so frisch und packend wie damals. Gerade Neuleser:innen könnten diesen dritten Band genauso intensiv erleben, wie wir damals den Auftaktband. Ich bin ehrlich traurig, dass es schon wieder vorbei ist und ich Erebos damit erneut „verloren“ habe. Für mich fühlt es sich fast so an, als hätte ich Freunde verabschieden müssen, die mich jahrelang begleitet haben. Ich wäre unfassbar glücklich, wenn es noch einen vierten Teil gäbe (von diesem Spiel und diesen Figuren kann ich einfach nicht genug bekommen!)

4|5 ⭐️

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Veröffentlicht am 23.09.2025

Rache als Geschäftsmodell (Glitzer inklusive) ✨

Hustle
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✨ REZENSION zu „Hustle“ von Julia Bähr (@comeonbaehr), erschienen im Pola Verlag (@pola_stories)

📖 Inhalt (spoilerfrei): In „Hustle“ zieht Leonie nach einer Kündigung nach München und sieht sich dort ...

✨ REZENSION zu „Hustle“ von Julia Bähr (@comeonbaehr), erschienen im Pola Verlag (@pola_stories)

📖 Inhalt (spoilerfrei): In „Hustle“ zieht Leonie nach einer Kündigung nach München und sieht sich dort mit überteuerten, wenig attraktiven Wohnungen und einem monotonen Job konfrontiert. Durch Zufall findet sie Anschluss an einen Freundeskreis, der mit ungewöhnlichen „Side-Hustles“ sein Geld verdient. Inspiriert davon startet Leonie schließlich ihr eigenes Geschäft: Gegen Bezahlung übernimmt sie Racheaktionen für Menschen mit gebrochenem Herzen. Dabei stellt sich für sie immer wieder die Frage, was ein gutes Leben eigentlich kostet und welche Risiken sie dafür tragen möchte.

🖋️ Erzählstil und -struktur: Der Einstieg hat sich für mich nicht ganz stimmig angefühlt. Am Anfang erzählt Leonie in einer Art Zeitraffer von den Geschehnissen in ihrem Job. Dadurch wird viel übersprungen und nur teilweise über ein Gespräch mit ihrem besten Freund vermittelt, der die meisten Dinge ohnehin schon weiß („ich weiß, du hast mich doch mehrfach weinend vom Klo angerufen“). Das wirkte auf mich ein wenig konstruiert. Hier hätte ich mir eine direktere, retrospektive Erzählweise gewünscht. Der Ton ist teilweise satirisch, insgesamt leicht und flüssig zu lesen. Manche Szenen, vor allem die Racheaktionen, erschienen mir allerdings sehr unglaubwürdig und haben mich ein wenig aus der Geschichte herausgerissen (z. B. das Pinkfärben von Haaren, als wäre dies nicht rückgängig zu machen).

👥 Figuren: Leonies Entwicklung bleibt für mich eher unausgeglichen. Einerseits grenzt sie sich von Konsumdenken ab, andererseits lässt sie sich stark vom Münchner Umfeld und den Erwartungen ihrer Freundinnen beeinflussen. Das ist menschlich nachvollziehbar, bleibt im Buch aber eher oberflächlich ausgearbeitet. Die Nebenfiguren wirkten auf mich in vielen Punkten eher flach. Statt als eigenständige Charaktere mit Tiefe treten sie vor allem als funktionale Rollen auf, mal als Impulsgeber, mal als Kontrast oder Sparringspartner.

🌙 Symbole und Themen: Den zu Beginn geschilderten Konflikt mit Mosweti habe ich als Anspielung auf Monsanto gelesen. Monsanto (heute Teil von Bayer) steht vor allem wegen Glyphosat, gentechnisch veränderten Pflanzen, patentrechtlich gesichertem Saatgut und dem damit verbundenen Druck auf Landwirte sowie wegen seines aggressiven Markt- und Lobbyverhaltens in der Kritik. Diese Praktiken gelten als umweltschädlich, gesundheitlich riskant und als Symbol für die problematische Macht großer Agrarkonzerne und prägen bis heute den umstrittenen Ruf des Unternehmens. Aufgefallen ist mir auch die Symbolik in der Szene, in der Leonie an ihrem letzten Arbeitstag bevor sie die Büroräume von Mosweti verlässt, überall Kresse-Samen verstreut. Sie hat dort buchstäblich ein Keim für ihren Neuanfang gelegt. Die Kresse symbolisiert in vielen Kulturen Hoffnung, Neubeginn und neues Leben, was ich an der Stelle des Buches sehr passend eingesetzt fand. Besonders stark fand ich die Authentizität, mit der das Leben in München eingefangen wird (vermutlich deshalb, weil die Autorin selbst bis 2014 dort gelebt hat). Hohe Lebenshaltungskosten, verdrängte Geschäfte, unbezahlbare Wohnungen mit Schimmel und Kakerlaken. All das zeigt schonungslos, wie absurd und ungerecht das System ist. Auch der Anpassungsdruck an Konsumstandards wird nüchtern und realistisch geschildert. Was zunächst widersprüchlich wirken mag, aber die Kapitalismus- bzw. Gesellschaftskritik sogar bereichert, ist die Tatsache, dass die Figuren diesen Mechanismen nachgeben und selbst nach Luxus, Kleidung und Statussymbolen streben. Für mich spiegelt das sehr menschlich den inneren Zwiespalt zwischen Kritik und Mitmachen wider.

💡 Fazit: „Hustle“ liest sich unterhaltsam und greift spannende gesellschaftliche Themen auf. Die Sprache ist metaphorisch und teilweise fast poetisch. Ich mochte Böhrs originelle Vergleiche sehr: Schleimpilze werden als Metaphern für gesellschaftliche Strukturen und zum Sinnbild für das menschliche Leben und dessen Entwicklungen. Gleichzeitig fehlte mir aber ein klarer roter Faden, die Figurenentwicklung blieb für mich unbefriedigend und das Ende wirkte ein wenig richtungslos. Insgesamt hatte das Buch Potential, das für mich nicht ausgeschöpft wurde. Auf ihrer Webseite beschreibt Bähr „Hustle“ als literarisches Experiment: Sie wollte bewusst etwas ganz anderes schreiben als ihre bisherigen, eher romantischen oder humorvollen Werke. Für sie fühlte es sich an, „als wäre sie ganz gut im Klavierspielen gewesen und plötzlich bekam sie eine Geige gereicht“. Auch ein Instagram-Post von 2016, in dem sie die Redaktionsräume der FAZ mit „Hamsterrad“ kommentierte, wirkt im Rückblick wie ein leiser Hinweis auf das kapitalismuskritische Grundthema des Romans.

3|5 ⭐️

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