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Veröffentlicht am 27.03.2021

Katharina Schaller – Unterwasserflimmern

Unterwasserflimmern
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Kann man sich einfach weigern, erwachsen zu werden? Die Ich-Erzählerin ist Anfang 30 und schon seit neun Jahren in einer festen Beziehung mit Emil. Der Architekt hat viel Geduld mit der jüngeren Partnerin ...

Kann man sich einfach weigern, erwachsen zu werden? Die Ich-Erzählerin ist Anfang 30 und schon seit neun Jahren in einer festen Beziehung mit Emil. Der Architekt hat viel Geduld mit der jüngeren Partnerin gehabt, doch nun will er sesshaft werden, ein Haus bauen, Kinder bekommen, genauso wie die Freunde auch. Der Erzählerin macht das Angst, sie berichtet ihrer Affäre Leo davon, der seinerseits Familie und außerfamiliäre Beziehungen locker unter einen Hut bringt. Sie weiß nicht, was sie will und läuft daher davon. Steigt in den Zug und reist in die unbekannte Ferne. Dort warten lockere Flirts und unbedeutende Bekanntschaften. Einer Antwort auf die Frage, was sie in ihrem Leben möchte, findet sie jedoch auch nicht und so zieht sie immer weiter.

Katharina Schallers Debütroman reizt immer noch vorhandene gesellschaftliche Grenzen aus. Muss man dem gängigen Bild von Beziehung und Familie entsprechen, zu einem bestimmten Punkt im Leben sesshaft werden und das Leben in einer vorbestimmten Weise absolvieren? Was spannende Fragen sind und vor allem Frauen um die 30 auch real beschäftigt, konnte mich leider nicht wirklich erreichen. Die Protagonistin nähert sich den Fragen für meinen Geschmack infantil ohne jegliche Versuche, zu einer ernsthaften Antwort zu kommen. Wegzulaufen und sich dem Nächstbesten in die Arme zu werfen erscheint mir als wenig nützliches Konzept bei der Lösungsfindung.

„Ich lächle ihn an. Er lächelt zurück. Man kann sich attackieren mit einem Lächeln, denke ich. Man kann damit die eigene Überlegenheit ausdrücken, und das hier ist so eines. Nicht nur seines, auch meines.“

Gesunde Beziehungen führt die Erzählerin nicht. Auf der emotionalen Ebene scheint sie völlig abgeklärt und die Männer austauschbar. Einzig der Sex interessiert sie, wobei auch da kaum eine Rolle zu spielen scheint, mit wem sie gerade das Bett teilt. In immer wieder ausufernden Beschreibungen lässt die Autorin den Leser daran teilhaben. Mag manchen gefallen, im Genre Literatur muss es für mich nicht auf Porno-Niveau zugehen – schon gar nicht verbal - weshalb ich auch immer wieder Seitenweise überblättert habe.

Um emotional mit einem Text in Kontakt zu treten, muss es einen Anker geben oder eine Verbindung, die mir leider gänzlich fehlte. Das naive Verhalten hat mich genervt, an irgendwie sinnvollen Gedanken kam für ich auch nichts wirklich rum. Mit 17 hätte ich den Mut der Frau einfach auszubrechen vielleicht noch bewundert. Naja, mit 17 halt. Gesellschaftliche Grenzen so auszuloten funktioniert nicht wirklich, da man die Protagonistin kaum ernstnehmen kann, narzisstisch bewegt sie sich durch ihr Leben und eigentlich ist ja schon längst egal, was die Menschen um sie herum denken und tun.

So schnell es sich liest, so wenig nachhaltig wirkt es und relevant ist es. Leider die Erwartungen enttäuscht.

Veröffentlicht am 26.03.2021

Ewald Arenz - Der große Sommer

Der große Sommer
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Nicht versetzt. In Mathe und Latein mangelhaft, damit ist für Friedrich der Sommer gelaufen. Nicht nur dass er für die Nachprüfungen lernen muss, er darf auch nicht mit der Familie in Urlaub fahren, sondern ...

Nicht versetzt. In Mathe und Latein mangelhaft, damit ist für Friedrich der Sommer gelaufen. Nicht nur dass er für die Nachprüfungen lernen muss, er darf auch nicht mit der Familie in Urlaub fahren, sondern muss zu Nana und dem unnahbaren Großvater ziehen. Der Professor wird sich persönlich um seinen Lernerfolg kümmern. Der schlimmste Sommer überhaupt steht ihm bevor. Doch dann wird alles ganz anders. Erst lernt er Beate kennen, dann stellt sich der Großvater als ganz anders raus als gedacht und auch von Nana erfährt Friedrich vieles, was er nicht wusste und was die Oma zu einer bewundernswerten und weisen Frau macht. Und dann sind da noch sein Freund Johann und seine Schwester Alma, die ebenfalls in der Stadt geblieben ist, die dafür sorgen, dass es doch noch der vielleicht nicht beste, aber bestimmt erinnerungswürdigste Sommer seines Lebens wird.

„Manchmal weiß ich nicht, was mir wirklich verloren gegangen ist, worum ich wirklich trauere, wenn ich das Grab suche. (...) Es war dieser eine Sommer, wie es ihn wahrscheinlich nur einmal im Leben gibt. Dieser Sommer, den hoffentlich jeder hatte; dieser eine Sommer, in dem sich alles ändert.“

Ewald Arenz‘ Roman ist eine Hommage an die Jugend, die unbeschwerte Zeit des sich-unbesiegbar-Fühlens und der kleinen und großen Fehler, die sich mit intensiven Emotionen abwechseln. Nur kurze sechs Wochen, die den Protagonisten reifen lassen, in denen er erwachsener wird und vieles von der Welt versteht, von dem er nicht einmal ahnte, dass er es noch nicht versteht. Der Autor ist sehr nah bei seinen Figuren, leicht empfindet man Sympathie für Friedrich und durchlebt mit ihm diese Zeit der großen Umbrüche.

Nichts wirklich Außergewöhnliches durchleben die Figuren, erste Liebe, Freunde treffen, kleine und große Dummheiten. Anfang der 1980er noch ohne die heute so einflussreichen Medien verabreden sie sich draußen, im Schwimmbad, am Kastell und das, was Jugendliche schon immer getan haben. Die vier jugendlichen Figuren sind lebendig und wirken authentisch, weshalb man locker mit ihnen durch die Geschichte gleitet.

„Aber“, sagte er im Hineingehen wie zu sich selbst, „Freundschaft beweist sich nicht in den guten Zeiten. Gute Nacht.“

Dies steht in starkem Kontrast zu den Erwachsenen, die man zunehmend ebenfalls liebgewinnt, je besser man sie und ihre Geschichte kennenlernt. Der Großvater ist dabei sicherlich die interessanteste Figur, unnahbar und doch voller Liebe für seine angeheiratete Familie. Nicht der harte Knochen, der er nach außen scheint. Vor allem sein ungewöhnlicher Weg, um aus Friedrich einen gebildeten und aufrechten jungen Menschen zu machen, ließ mich ein ums andere Mal schmunzeln. Er doziert nicht, er lässt den Jungen erfahren, die Welt mit offenen Augen betrachten und so die essentiellen Fragen stellen. Und wenn Friedrich ihn braucht, ist er für ihn da.

Es genügten wenige Seiten, um gänzlich in der Geschichte zu versinken. Sprachlich auf den Punkt hat Arenz dieses Lebensgefühl eingefangen und aufs Papier gebracht. Gerade wenn die Jugendjahre schon etwas zurückliegen, eine wundervolle Reise zurück in diese Zeit.

Veröffentlicht am 24.03.2021

Sasha Filipenko - Der ehemalige Sohn

Der ehemalige Sohn
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Eines dieser Unglücke, von denen sich jeder später fragt, wie sie geschehen konnte. Wegen eines Unwetters strömen Menschenmassen in die U-Bahn, die dem Ansturm nicht gewachsen ist, Panik und Enge führen ...

Eines dieser Unglücke, von denen sich jeder später fragt, wie sie geschehen konnte. Wegen eines Unwetters strömen Menschenmassen in die U-Bahn, die dem Ansturm nicht gewachsen ist, Panik und Enge führen zu unzähligen Opfern. Unter ihnen auch der Schüler des Konservatoriums Franzisk, der zwar überlebt, aber in ein Koma fällt. Nach Wochen des Bangens verlieren nach und nach alle die Hoffnung, außer seiner Babuschka, die weiterhin täglich an seinem Bett sitzt und ihm davon erzählt, was sich außerhalb der Krankenhausmauern zuträgt. Das Wunder, an das keiner mehr glauben mag, ereignet sich nach zehn langen Jahren doch noch: Franzisk erwacht und sieht eine Welt, die einerseits genauso ist wie ein Jahrzehnt zuvor und doch ganz anders.

Sasha Filipenko ist eine der jungen Stimmen aus Belarus, die über die Landesgrenzen hinaus gehört werden und einen Blick hinter die Fassade des Regimes erlauben. „Der ehemalige Sohn“ ist sein erster Roman, der in seiner Heimat auch mit renommierten Preisen ausgezeichnet wurde, auf Deutsch ist im vergangenen Jahr bereits „Rote Kreuze“ erschienen. Als Journalist macht er Missstände öffentlich und engagiert sich für die Protestbewegung, dieses politische Engagement spielt auch in seinem Debütroman eine entscheidende Rolle.

Der erste Teil des Romans lässt den Leser in die gesellschaftlichen Strukturen des recht abgeschotteten Landes am östlichen Rand Europas blicken. Auf den Staat hofft niemand, die Familie und Beziehungen sind es, die darüber bestimmen, welche Chancen und Möglichkeiten man hat. Die öffentliche Hand ist von Korruption unterwandert und ein falsches Wort kann zu drakonischen Strafen führen, was im kollektiven Rückzug ins Private resultiert. Während Franzisk im Koma liegt, sorgt dich die Großmutter aufopfernd um ihn und lässt nichts unversucht, während seine Mutter mit dem Arzt anbändelt, um sich selbst ein besseres Leben zu ermöglichen.

„Ich will einfach sehen, dass außer mir auch andere Leute hinausgehen, die genauso nicht an diese Farce glauben, und spüren, dass ich nicht die einzige Geisel in diesem Narrenhaus bin.“

Franzisks Welt ist eingefroren im Jahr 1999, dies erlaubt ihm den Blick eines Fremden, als er seine Heimat 2009 neu kennenlernt. Trotz formeller Unabhängigkeit hängt das Land noch immer am Tropf des großen Bruders, der über ausreichend Druckmittel verfügt, Belarus gefügig zu machen. Der vorgeblich demokratisch gewählte Präsident ist ein Autokrat wie er im Buche steht und der keine Scheu zeigt, gegen sein Volk alle verfügbare Gewalt anzuwenden, um dieses in Schach zu halten. Die staatliche Propaganda glaubt schon lange niemand mehr und wer kann, der flieht ins Ausland. Der Protagonist muss sich schon fragen, weshalb er in dieses Leben zurückgekehrt ist.

Auch in diesem Roman gelingt Filipenko das Private mit dem Politischen zu verbinden und über die Erzählung hinaus nachzuwirken. Die Musik spielt ebenfalls wieder eine wichtige Rolle und dient letztlich als Flucht vor einer kaum ertragbaren Realität. Nicht ganz so ausdrucksstark wie sein späterer Roman „Rote Kreuze“ lässt aber auch dieser schon erkennen, dass man es mit einem beachtenswerten Autor zu tun hat, der unbedingt gehört werden sollte, da er Literatur nicht nur als Unterhaltungsmedium, sondern auch als Sprachrohr nutzt und damit auch an seine Leser eine Aufforderung über den Genuss der Geschichte hinaus sendet.

Veröffentlicht am 23.03.2021

Harriet Walker - Die Neue

Die Neue
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Eigentlich könnte Margot den kommenden Monaten freudig entgegensehen. Statt des stressigen Redakteurinnenjobs bei einer Modezeitschrift kann sie sich ganz auf ihre Schwangerschaft und die erste Zeit mit ...

Eigentlich könnte Margot den kommenden Monaten freudig entgegensehen. Statt des stressigen Redakteurinnenjobs bei einer Modezeitschrift kann sie sich ganz auf ihre Schwangerschaft und die erste Zeit mit ihrem Baby konzentrieren. Mit Maggie hat sie ihrer Chefin auch eine kompetente Vertreterin präsentieren können, so dass sie sich keine Sorgen zu machen braucht. Doch bald schon tauchen die alten Zweifel wieder auf und beginnen an ihr zu nagen. Ist die Neue besser als sie? Beliebter? Schlanker? Trotz der wundervollen Lila kann sie nicht aufhören, sich zu vergleichen und die Social Media Kanäle, auf denen Maggie sich erfolgreich präsentiert, befeuern Margots gedankliche Abwärtsspirale. Da ist es nicht hilfreich, dass sich auch ihre beste Freundin Winnie von ihr abwendet, die selbst gerade nach dem Verlust eines Kindes in einem tiefen Loch steckt. Ihre eigenen Gedanken nagen schon genug an Margot, als jedoch ein Internettroll systematisch seinen Feldzug gegen sie startet, droht die Lage zu eskalieren.

Harriet Walker weiß genau, wovon sie schreibt, als Fashion Editor der New York Times ist ihr das Modebusiness mit all seinen Facetten bestens bekannt. Auch als Normalo kann man sich vorstellen, dass dort mit harten Bandagen gekämpft wird und jedes Outfit, jedes Kilo zu viel auf der Waage genüsslich beäugt und verächtlich kommentiert wird. Es erfordert schon sehr viel Selbstbewusstsein und ein gefestigtes Selbstkonzept, um dies tagtäglich zu ertragen und drüberzustehen. Genau darüber verfügen ihre Figuren nicht, ebenso wenige über die Fähigkeit, offen ihre Schwächen zuzugeben und sich dadurch statt Feinden Verbündete zu schaffen.

Margot hat eigentlich einen festen Platz in der Modewelt, ist anerkannt und aufgrund ihrer Kompetenz geschätzt, dies hindert sie jedoch nicht daran, in jugendliche Selbstzweifel zurück zu verfallen. Mit dem Rollenwechsel von der erfolgreichen Karrierefrau zur Mutter reißt all dies wieder auf und sie stellt alles infrage, was sie erreicht hat. Die Figur zeigt, wie fragil die Menschen bisweilen hinter den erfolgreichen und selbstsicheren Fassaden sind und dass niemand vor negativen Gedanken gefeit ist. Nicht viel anders ergeht es da Maggie, die sich einerseits über die Chance, die sich durch die Vertretung für sie eröffnet, freut, andererseits aber auch im permanenten Vergleich mit der Vorgängerin steht, sich genötigt sieht immer noch mehr leisten zu müssen und einen Konkurrenzkampf wahrnimmt, der gar nicht vorhanden ist.

Wie schnell gerade online Postings falsch gedeutet werden können, wie gefährlich der Gedankenstrudel werden kann, wenn man erst einmal in ihm gefangen ist, zeigt der Roman ganz drastisch. Jedes Wort wird in einem paranoide zusammenstrickten Weltbild so zurechtgerückt, dass es zum Narrativ passt. Sich daraus wieder zu befreien, ist in einer Zeit, in der das Leben gleichermaßen online wie offline stattfindet, schlicht unmöglich geworden. Die fatalen Folgen negativer Gedanken, die ich sehr gut nachvollziehen konnte, wurden von Harriet Walker überzeugend und glaubwürdig in der Geschichte umgesetzt. Einziger Abzug die Nebengeschichte um Margots und Winnies Jugend, die es meines Erachtens nicht gebraucht hätte und die auch für mich nur begrenzt stimmig war.

Veröffentlicht am 23.03.2021

Naoise Dolan - Aufregende Zeiten

Aufregende Zeiten
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Nach dem Studium flüchtet Ava aus Dublin nach Hongkong, wo sie einen Job als Englischlehrerin annimmt. Was sie in ihrem Leben tun will, davon hat sie keinen Plan, ganz anders als Julian, der als Banker ...

Nach dem Studium flüchtet Ava aus Dublin nach Hongkong, wo sie einen Job als Englischlehrerin annimmt. Was sie in ihrem Leben tun will, davon hat sie keinen Plan, ganz anders als Julian, der als Banker fest im Leben zu stehen scheint. Bald zieht sie bei ihm ein, von einer klassischen Beziehung kann jedoch keine Rede sein. Sie wohnt im Gästezimmer, was die beiden jedoch nicht von gemeinsamen Nächten abhält. Sie sind ein ungewöhnliches Paar, zwischen Nähe und Distanz, immer darauf bedacht, keine rote Linie des anderen zu übertreten, jedes Wort auf die Goldwaage legend und doch vermissen sie sich, wenn Julian auf Geschäftsreisen ist. Während einer solchen lernt Ava Edith kennen, die so anders ist, sich wirklich für Ava interessiert und alles von ihr wissen möchte. Zunehmend lässt Ava sie in ihr Leben, auch wenn ihr das Interesse und bald auch die Zuneigung der Juristin komisch vorkommen. Aber womöglich hat sie nur noch nie die Erfahrung von Liebe gemacht.

Unweigerlich ist man bei Naoise Dolans Debütroman auch an eine andere irische Autorin erinnert, die in den letzten Jahren für Furore gesorgt hat. Ebenso wie Sally Rooney schreibt Dolan über eine Generation von stark verunsicherten jungen Menschen, die sich nichts mehr als funktionierende Beziehungen wünschen, aber selbst mit dem passenden Partner eher einen gemeinsamen Tanz voller Verunsicherung aufführen, als sich gelassen dem hinzugeben, was geschieht.

Ava ist die Personifizierung des Twentysomething: sie wirkt unabhängig und willensstark nach außen, ihr Leben findet gleichermaßen online wie offline statt, Image muss immer in beiden Versionen des Lebens mitgedacht werden. Freundschaften drücken sich mehr durch die Likes und Klicks aus denn durch das gemeinsame Erleben. Gedanklich steckt sie derweil in endlosen Spiralen des Überdenkens fest, Spontaneität gibt es nicht mehr, da Worte Folgen haben und jede mögliche Deutung antizipiert werden muss, bevor es dann doch zu spät ist, noch auf etwas zu reagieren. Ironie und Zynismus gehören zum Kommunikationsrepertoire, sind jedoch gleichzeitig mit für die Distanzierung von den anderen verantwortlich, die die Figuren einsam macht.

Einerseits ist die 22-Jährige nicht immer leicht auszuhalten, man wünscht ihr eine gute Portion naive Sorglosigkeit, um frei von den Gedanken zu sein und das Leben genießen zu können. Andererseits hat ihr analytischer Verstand jedoch auf einer ganz anderen Ebene wiederum einen großen Reiz. Sprache dient ihr nicht nur als Mitteilungsmedium für Inhalte, sondern markiert auch Klasse. Sie als Irin mit bescheidenem Hintergrund unterscheidet sich dramatisch von Julian, der Eton und Oxford besuchte und mit seinem Job im Finanzsektor auch finanziell zum oberen gesellschaftlichen Ende zählt. Beide wiederum gehören als Expats des ehemaligen Kolonialherren in Hongkong zur Oberschicht, die in einer Parallelwelt lebt und nur im Dienstleistungsbereich Berührungspunkte mit den Einheimischen hat. So kommt es auch, dass die dramatischen politischen Ereignisse der Umbrella Bewegung vor Avas Tür stattfinden, ohne dass sie ernsthaft davon Notiz nehmen würde. Sie kann jedoch auch jederzeit das Land verlassen, irgendwo hingehen, wo sie ganz selbstverständlich alle Rechte in Anspruch nehmen kann. Sensibilität scheint nur in Bezug auf die eigene Person angezeigt, dann jedoch gleich in übersteigerten Maßen.

Avas Angst vor Zurückweisung, dem immerwährenden Gefühl nicht zu genügen, folgt eine Distanziertheit, die man auch als Leser spürt. Es fällt nicht leicht, Sympathie mit ihr zu empfinden und sich ihr zu nähern. Als Figur kann sie so überzeugen, ich hätte mir jedoch eine größere emotionale Eingebundenheit gewünscht.

Eine pointierte und scharfe Analyse einer Generation, deren globale Vernetzung nicht zu mehr Nähe, sondern zum genauen Gegenteil führt und deren Leben nur dann stattgefunden hat, wenn es auch mit schönen Bildchen dokumentiert und von möglichst vielen geliked wurde.