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Veröffentlicht am 31.01.2019

Sarah Vaughan – Anatomie eines Skandals

Anatomie eines Skandals
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Holly kommt dank eines Vollstipendiums aus der nordenglischen Provinz nach Oxford, wo sie Literatur studieren will. Große Erwartungen hat sie an das Studentenleben, doch bald schon muss sie erkennen, dass ...

Holly kommt dank eines Vollstipendiums aus der nordenglischen Provinz nach Oxford, wo sie Literatur studieren will. Große Erwartungen hat sie an das Studentenleben, doch bald schon muss sie erkennen, dass sie nicht in diese Welt passt. Sie bemüht sich, passt sich an, findet in Sophie und Alison auch zwei Freundinnen. Ein Ereignis am Ende des ersten Studienjahres lässt ihre Welt jedoch zusammenbrechen. Von einem Kommilitonen, der zu den berühmt-berüchtigten Libertines gehört, die sich dank des Geldes ihrer Familien alles erlauben können, wird sie vergewaltigt und ergreift schließlich die Flucht. Zwanzig Jahre später ist sie nicht mehr das naive Mädchen, sondern eine knallharte Prozessanwältin und es scheint als sei endlich der Tag der Abrechnung gekommen.

Sarah Vaughns Roman lebt von den unterschiedlichen Perspektiven auf die Ereignisse. Im Wechsel werden die Protagonisten beleuchtet: die Anklägerin, der Angeklagte und dessen Frau. Obwohl es zunächst um den Vergewaltigungsvorwurf gegen den Politiker James Whitehouse geht, wird bald schon klar, dass eigentlich die beiden Frauen mit ihren widersprüchlichen Emotionen und Überzeugungen die interessantesten Figuren sind.

Zwei Aspekte hat Vaughan für mein Empfinden sehr überzeugend in ihrer Geschichte dargestellt: zum einen die ausufernden Partys, die die Sprösslinge der Oberschicht in den Elitelehranstalten feiern und die Arroganz, mit der sie schon in jungen Jahren den Menschen gegenübertreten, wo sie selbst noch nichts im Leben geleistet oder erreicht haben. Ihnen gehört die Welt, sie kaufen sie sich und drehen die Wahrheit wie es ihnen passt. Als Studenten und später im Berufsleben. Die dort geknüpften Bande sind hart wie Stahl und durch nichts zu erschüttern. So sichern sie sich gegenseitig ab und garantieren auch, dass niemand den Schutzwall, der sie scheinbar umgibt, durchdringt.

Der zweite Punkt liegt in der Figur von Ehefrau Sophie, die zwar nicht die cleverste Studentin zu sein scheint, aber durchaus über ausreichend Weitblick verfügt, zu durchschauen, was James mit ihr macht. Sie spielt mit, weil das die Rolle ist, zu der sie erzogen wurde und kann lange Zeit nicht über ihren Schatten springen, obwohl die Zweifel an ihr nagen. Ein wenig mehr Mut hätte es gebraucht, etwas mehr Rückgrat und die Dinge hätten anders verlaufen können. Ihre passive Schicksalsergebenheit macht sie schuldig.

Kein Gerichtsthriller, kein Drama, sondern eine Menschenstudie, die sehr gut gelungen ist und trotz des Hoffnungsschimmers am Ende ein wenig Frust zurücklässt, weil nämlich die Wahrheit nicht immer den Weg ans Licht findet und nicht jede Tat angemessen bestraft wird.

Veröffentlicht am 28.01.2019

Alex Pohl – Eisige Tage

Eisige Tage
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Kurz vor Weihnachten ist in Leipzig der Winter ausgebrochen, was dem Fundort einer Leiche nicht gerade zuträglich ist. Hanna Seiler und ihr Kollege Milo Novic müssen sich aber vor Ort ein Bild von dem ...

Kurz vor Weihnachten ist in Leipzig der Winter ausgebrochen, was dem Fundort einer Leiche nicht gerade zuträglich ist. Hanna Seiler und ihr Kollege Milo Novic müssen sich aber vor Ort ein Bild von dem Mann machen. Die Tatwaffe ist ungewöhnlich, eine alte Makarow, handelt es sich etwa um eine Tat aus dem Milieu? Doch ein Besuch des lokalen Unterweltboss Iwanow bleibt ergebnislos. Als sie das Handy des Toten endlich knacken, finden sie ein Video, das sie auf eine ganz andere Spur bringt: offenbar hatte er ein Faible für sehr junge Mädchen. Derweil ist Elise zum ersten Mal im Leben so richtig verliebt, so sehr, dass sie es auf einen finalen Streit mit den Eltern ankommen lässt. Aber wissen die denn schon, Aljoscha liebt sie, hat sich sogar extra wegen ihr tätowieren lassen und will mit ihr gemeinsam nach Moskau gehen. Nur manchmal, da ist er etwas seltsam, aber darüber kann man frisch verliebt locker hinwegsehen...

Alex Pohl erster Roman unter seinem Klarnamen, nachdem er bereits Erfolge mit dem Pseudonym L.C. Frey hatte, ist zugleich der Auftakt für eine Serie um die beiden ostdeutschen Ermittler Seiler und Novic. Der Plot ist vielversprechend, aber für mich war einiges noch etwas zu holprig in dem Roman. Auch die beiden Protagonisten hat er mit interessanten Facetten ausgestattet, aber so ganz rund erschienen sie mir nicht.

Vom Ende her gesehen ist der Kriminalfall in sich stimmig und auch glaubwürdig. Allerdings kam mir der Geistesblitz des Polizisten, der letztlich alle Fäden zusammenführt und die Lösung offenlegt, etwas zu unmotiviert aus dem Nichts. Vorher eiert die Polizei in allen Richtungen herum ohne wirklich eine Strategie oder Spur zu verfolgen und unerwartet durchschaut Novic plötzlich alles. Da ist sicher noch Potenzial nach oben.

Novic ist es auch, der insgesamt schwer greifbar bleibt. Traumatisiert durch seine Kindheitserfahrungen im Balkankrieg hat er ganz offenkundig so einige Schäden davongetragen; er wirkt jedoch eher autistisch, was nicht ganz zu einem posttraumatischen Belastungssyndrom passt. Auch finde ich diese halsbrecherischen Alleingänge von Ermittlern etwas ausgelutscht – hat man zu oft gelesen und ist bei der heutigen Polizeiarbeit nicht mehr angesagt. Sein Pendant dagegen ist leider auch ziemlich klischeehaft überzeichnet. Erst erscheint Hanna Seiler ziemlich dümmlich und ist von den banalsten Ermittlungsschritten ihres Kollegen völlig fasziniert, dann präsentiert sie sich sie als alleinerziehende Mutter, die ihrem Sohn nicht gerecht wird, gleichzeitig aber locker bereit ist, alle Register zu ziehen, wenn erforderlich auch mal Schmiergeld zu zahlen, und mit der Unterwelt entspannt auf Du und Du ist.

Die verschiedenen Zeitebenen sollen vermutlich die Spannung steigern, haben bei mir aber eher zu Verwirrung geführt, da sie nur wenige Tage auseinanderliegen, aber immer hin und zurückspringen ohne das genau klar wird, welches Kapitel jetzt zu welchem Tag gehört. Noch dazu hatte ich zunächst nicht beachtet, dass die Handlung gar nicht chronologisch fortschreitet.

Alles in allem durchaus eine Serie mit Potenzial, die noch einige Luft nach oben hat.

Veröffentlicht am 26.01.2019

Hiromi Kawakami – Die zehn Lieben des Nishino

Die zehn Lieben des Nishino
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Yukihiko Nishino ist ein auf den ersten Blick unauffälliger Mann, doch irgendetwas fasziniert an ihm und die Frauen verfallen reihenweise seinem Charme. Zahlreiche Freundinnen hat er, zeitgleich, kurz ...

Yukihiko Nishino ist ein auf den ersten Blick unauffälliger Mann, doch irgendetwas fasziniert an ihm und die Frauen verfallen reihenweise seinem Charme. Zahlreiche Freundinnen hat er, zeitgleich, kurz nacheinander; oftmals wissen sie voneinander, vielfach ignorieren sie die anderen. Er trifft sie, er liebt sie, er telefoniert mit ihnen, trennt sich und begegnet ihnen Jahre später wieder. In der Schule, auf der Arbeit, in einem Kochkurs, die Nachbarin – überall lernt er Frauen kennen, die sich ihm ergeben. Nun erzählen sie von ihrem Liebhaber, von dem sie oftmals gar nicht wissen, ob sie ihn überhaupt geliebt haben, aber ganz sicher haben sie ihn vermisst, als er fort war.

Die japanische Autorin Hiromi Kawakami hat mit ihrem Roman ein außergewöhnliches Portrait eines Mannes geschaffen. Sie hat in ihrer Heimat zahlreiche Literaturpreise erhalten und ist seit einigen Jahren auch in Deutschland zu lesen. Ihr literarisches Feingefühl offenbart sich schon nach wenigen Seiten, wenn man nämlich durchschaut hat, dass sie in ihrem Roman die zentrale Figur immer nur vorbeihuschen lässt, sich ihm nie direkt, sondern immer nur durch andere Figuren nähert. Das diffuse Bild, das so entsteht, ist jedoch das Bild, das den Charakter Nishinos ausmacht.

Er bleibt schwer zu greifen, selbst für die Frauen, die ihn liebten:

„(...) war Nishino ein gutaussehender Mann. Adrett gekleidet, wohlerzogen und charmant. Und zur Krönung in einer renommierten Firma beschäftigt. (138)“

Die Äußerlichkeiten sind greifbar, aber eine herzliche Wärme strahlt er nicht aus. Er schläft mit den Frauen, zeigt Interesse und Zuneigung, aber es bleibt eine undefinierte Distanz, geradezu eine Kälte wie eine der Frauen beschreibt. Es ist diese Gegensätzlichkeit, die er scheinbar ausstrahlt, die die Frauen magisch zu ihm hinzieht:

„Mir gegenüber war er jedenfalls nicht besonders höflich, und besonders moralisch verheilt er sich auch nicht.“ (152)

Trotzdem fühlen sie sich geliebt – auch wenn Nishino am Ende seines Lebens Zweifel daran hegt, tatsächlich jemals geliebt zu haben. Mit jedem neuen Kapitel lernt man auch eine andere Facette Nishinos kennen. Was bleibt sind vor allem Erinnerungen an ihn, schöne Momente, die die Frauen teilten und die Erkenntnis, dass sie ihn hätten ziehen lassen dürfen.

Japanische Literatur ist immer etwas anders, man spürt die gesellschaftlichen Zwänge in ihr deutlicher als dies in manch anderer Kultur ist und die dadurch hervorgebrachte und tolerierte Untergrundkultur des Ausbruchs wird oftmals zum Schauplatz der Handlung. Was in „Die zehn Lieben des Nishino“ deutlich wird, ist die Schwierigkeit der dauerhaften Zuneigung und der tatsächlichen Liebe. Vielfach scheinen die Figuren Sex und Liebe gleichzusetzen und sich dann zu wundern, dass über die Lust hinaus nur wenig Verbindendes bleibt. Die Isolation des Individuums, von der man in vielen Gegenwartsromanen des fernöstlichen Landes lesen kann, tritt auch hier deutlich hervor. Selbst eine Heirat scheint kein inneres Bekenntnis zu sein.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Dominic Selwood – Das Feuer der Apokalypse

Das Feuer der Apokalypse
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Eigentlich will Ava Curazon, nachdem sie der Geheimdienstarbeit den Rücken gekehrt hat, in Ruhe ihrer archäologischen Arbeit nachgehen. Als man sie jedoch um Mitarbeit in einem komplexen Fall bittet, wird ...

Eigentlich will Ava Curazon, nachdem sie der Geheimdienstarbeit den Rücken gekehrt hat, in Ruhe ihrer archäologischen Arbeit nachgehen. Als man sie jedoch um Mitarbeit in einem komplexen Fall bittet, wird ihr Jagdinstinkt geweckt. Ein russischer Oligarch scheint auf der Suche nach einer mysteriösen Ikone zu sein und eine Prophezeiung von Rasputin wirft mehr Fragen auf als sie Antworten gibt. Haben sie es mit religiösen Fanatikern zu tun oder sind die Männer auf der Spur einer Jahrtausende alten Offenbarung? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, der Ava mehr als einmal ins Fadenkreuz ihrer mächtigen Gegner bringt.

Dominic Selwoods Roman bietet all das, was man von einem Verschwörungs- und Geheimdienstthriller erster Güte erwarten kann: unerschrockene Ermittler, sich gegenseitig misstrauende und bekämpfende Dienste, Verschwörungen biblischen Ausmaßes, Geheimbünde und Orden, sowie alte Weissagungen und Mysterien, die nur darauf warten endlich entschlüsselt zu werden. Das alles wird in hohem Tempo erzählt und kulmuniert in einem furiosen Finale.

Natürlich ist die riesige Verschwörung nicht ganz glaubwürdig und auch die Anzahl der Schutzengel, die die Protagonistin Ava benötigt, und das Tempo, mit dem sie sich von einem ins nächste Land bewegt und sofort auf die nächste Spur stößt, kratzen bisweilen an der Grenze der Glaubwürdigkeit. Aber dies sollte nicht der Maßstab sein, denn es ist nun einmal ein Buch, das unterhalten will und das gelingt dem Autor ohne Frage. Ava trägt die Handlung und begleitet den Leser durch ihre Schatzsuche. Besonders gut gefallen hat mir die ausgewogene Mischung zwischen biblisch-historischen Exkursen, die die aktuellen Geschehnisse einordnen und ihnen Plausibilität verleihen, und dem rasanten Tempo der Verfolgungsjagd bzw. dem Wettlauf zwischen Ava und dem Oligarchen. Nie kommt ein Moment des Durchatmens und Sacken-Lassens, immer weiter peitsch Selwood die Handlung voran und liefert ein Puzzleteilchen nach dem nächsten.

Mir war der Autor bis dato nicht bekannt, der Roman hat mich aber neugierig gemacht, dass ich den zweiten Teil einer Reihe gelesen habe, war mir gar nicht aufgefallen, denn er hat auch so wunderbar funktioniert. Thematisch und vom Genre kann sich Selwood direkt neben Dan Brown und Steve Berry einordnen und mit „Das Feuer der Apokalypse“ steht er den ganz großen Erfolgen der beiden Megaseller in gar nichts nach.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Catherine Ryan Howard – Ich bringe dir die Nacht

Ich bringe dir die Nacht
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Nichts hat Alison weniger erwartet als Besuch von der Polizei. Von der irischen Polizei und das, wo sie seit zehn Jahren in den Niederlanden lebt. Nach den schrecklichen Vorfällen war sie geflohen und ...

Nichts hat Alison weniger erwartet als Besuch von der Polizei. Von der irischen Polizei und das, wo sie seit zehn Jahren in den Niederlanden lebt. Nach den schrecklichen Vorfällen war sie geflohen und hat sich mühsam ein neues Leben aufgebaut und versucht zu vergessen. Doch jetzt beginnt alles scheinbar von Neuem. Der so genannte Kanalkiller von Dublin hat wieder zugeschlagen, aber eigentlich sitzt dieser doch im Gefängnis? Sie selbst hatte auch keine Zweifel mehr an der Schuld ihres Freundes Will, nachdem dieser die Morde an den Studentinnen gestanden hatte. Doch nun werfen die neuerlichen Tötungen Fragen auf und Will möchte reden, aber nur mit einer einzigen Person: mit Alison. Ist er womöglich doch unschuldig?

Catherine Ryan Howards zweiter Krimi war einer der erfolgreichsten Titel im angloamerikanischen Raum 2018. Es braucht nur wenige Seiten, um dies nachvollziehen zu können: die Autorin packt einem vom ersten Moment und man ist derart gefesselt von der Geschichte, dass man den Roman kaum beiseite legen möchte. Ein Thriller, der zwar durchaus bekannte Muster zeigt, aber dennoch überraschen kann und unerwartete Wendungen aufbietet.

Auf zwei Zeitebenen werden die Ereignisse der Gegenwart und der Vergangenheit erzählt. Interessant dabei bleibt, dass manche der Figuren doch so zweideutig und vage bleiben, dass man bis zur letzten Seite nicht sicher ist, ob man ihnen trauen kann oder ob sie ein falsches Spiel spielen. Die Protagonistin Alison bleibt dabei als 19-jährige Studentin etwas unbedarft und naiv und ist auch zehn Jahre später nicht viel weiter. Nichtsdestotrotz trägt die Figur die Handlung überzeugend und man kann ihr emotionales Hin-und-Hergerissen-sein sehr gut nachvollziehen.

Der Fall ist plausibel konstruiert und clever spielt die Autorin mit den Wissenslücken und voreiligen Deutungen der Figuren, um so nicht nur ihre Charaktere in zweifelhaftem Licht erscheinen zu lassen, sondern auch dem Leser einige Fährten zu legen, denen man bereitwillig folgt.

Kein Thriller, der an die Grenzen der Nervenanspannung geht, aber der Schreibstil hält die Ungeduld und Vorahnung konstant oben und lässt sowohl das Setting wie auch die Figuren authentisch und glaubhaft wirken. Es braucht keine brutalen Szenen mit detailreichen Schilderungen von Verletzungen und dem Aussehen der Leichen, um spannungsreich gut zu unterhalten.