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Veröffentlicht am 26.04.2024

Atmosphärisches Debüt

Die Tage des Wals
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"Die Tage des Wals" ist ein historischer Roman, der auf einer abgelegenen Insel vor der walisischen Küste kurz vor dem Zweiten Weltkrieg spielt. Die Geschichte ist mehr oder weniger das Coming-of-Age einer ...

"Die Tage des Wals" ist ein historischer Roman, der auf einer abgelegenen Insel vor der walisischen Küste kurz vor dem Zweiten Weltkrieg spielt. Die Geschichte ist mehr oder weniger das Coming-of-Age einer jungen Frau namens Manod. Sie lebt mit ihrem Vater, einem Hummerfischer, und ihrer jüngeren Schwester Llinos zusammen ein Leben, das vor allem geprägt ist von Arbeit und den Begrenzungen der kleinen Insel - dem rauen Wetter, der geringen Anzahl an Bewohnern und der Entfernung zum Festland. Doch als ein Wal auf der Insel strandet, bringt er nicht nur sein eigenes kleines Ökosystem mit sich, das die Inselpopulation - Mensch wie Tier - beschäftigt, sondern auch zwei Ethnografen aus Oxford. Joan und Edward, die auf die Insel gekommen sind, um ihre Menschen und Bräuche zu studieren, sind es wiederum, die in Manod tiefsitzende Sehnsüchte befeuern.

Schon nach wenigen Seiten habe ich mich in Elizabeth O'Connors Worte verliebt, die mir Salz auf die Lippen zauberten und den Geruch von Fisch in meine Nase aufstiegen ließen. Zwar begegnet mir das Thema der abgelegenen Insel und dem monotonen Dasein in der Literatur in letzter Zeit häufiger, doch gerade vor diesem etwas anderen geschichtlichen Hintergrund schwingt bei diesem Roman permanent eine eindringliche, manchmal gar unheimliche Atmosphäre beim Lesen mit, obwohl alles sehr ruhig ist. "Die Tage des Wals" mag nicht unbedingt ein Unterhaltungsroman sein, ist aber ein faszinierend geschriebener Ausschnitt eines Lebens, der uns Ungleichheit und Ungerechtigkeit vor Augen führt, aber gleichzeitig auch sehr viel Raum für Interpretation und Gedanken lässt, zur eigenen Introspektion anregt und der daher nicht nur durch seine Kunstfertigkeit besticht, sondern auch noch eine Weile nachklingt. Ich bin mehr als gespannt auf weitere Werke der Autorin, die hier für mich auf jeden Fall bereits ein großes Talent unter Beweis gestellt hat.

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Veröffentlicht am 07.04.2024

Verwandlung

Was das Meer verspricht
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In der ersten Hälfte des Buches passiert nicht viel und doch geschieht so einiges. Vida wird innerlich aufgerührt durch die Freundschaft zum Neuzugang auf der Insel, auf der sie ihr gesamtes Leben verbracht ...

In der ersten Hälfte des Buches passiert nicht viel und doch geschieht so einiges. Vida wird innerlich aufgerührt durch die Freundschaft zum Neuzugang auf der Insel, auf der sie ihr gesamtes Leben verbracht hat. Einer Insel, auf der die Jahre einander gleichen, alle Aufgaben und Rollen verteilt sind und auf der jeder seinen Platz kennt. Auch man selbst hat schnell den Eindruck, die Insel und seine Bewohner und Bewohnerinnen zu kennen.

Die Geschichte selbst ist in fünf Akte gegliedert. Vidas Gefühlsleben gerät mit jedem Teil mehr ins Wanken, bis es letztlich zur Katastrophe kommt. Alexandra Blöchls Worte ziehen einen dabei in den Bann; die Geschichte, die sie erzählt, ist ein qualvolles Erlebnis von Liebe und dramatischen Konsequenzen aus Missverstehen, Eifersucht und Egozentrik, aber auch der Wut darüber, das ganze Leben lang das Leben eines anderen aus falscher Verantwortung heraus übernommen zu haben.

Die leiseren Töne des Romans haben mir (hauptsächlich aber aus falscher Erwartungshaltung heraus) besser gefallen als die steigende Dramatik, auch wenn der Zauber von Marie nicht ganz auf mich übergesprungen ist, da sie zu lange zu mysteriös war. Alles in allem aber ist „Was das Meer verspricht“ eine eindrucksvolle Geschichte und Alexandra Blöchl eine Autorin, die man ruhig auf dem Schirm haben sollte.

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Veröffentlicht am 24.03.2024

Wo Worte verbinden und Fantasie die Realität heilt

Die Vermesserin der Worte
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Die junge Autorin Ida Hermann hat ihre Worte verloren; sie kann nicht mehr schreiben, ihr Kopf ist wie leergefegt. Schließlich muss sie einen Job als Haushaltshilfe annehmen, um sich über Wasser ...

Die junge Autorin Ida Hermann hat ihre Worte verloren; sie kann nicht mehr schreiben, ihr Kopf ist wie leergefegt. Schließlich muss sie einen Job als Haushaltshilfe annehmen, um sich über Wasser halten zu können. Eine Annonce, die ihr Postbote ihr aus Gutmütigkeit vorbeibringt, führt sie zu einem Anwesen, dessen Herrin eine verschroben anmutende, ältere Dame ist. Während diese ihre früheren Haushaltshilfen allesamt vergrault hat spürt Ida eine Verbindung, über die sie Frau Selig zu erreichen scheint. Die gemeinsame Leidenschaft für Worte. Und gleichzeitig sind es die Worte, die beiden irgendwie abhanden gekommen zu sein scheinen.

Die Art und Weise, wie Ida die einzelnen Seiten von Frau Seligs Lebensgeschichte zu einer Geschichte zusammenfügt, neu schreibt, und damit Stücke von sich selbst findet, hat mich ein kleines bisschen an „Die sieben Männer der Evelyn Hugo“ von Taylor Jenkins Reid, die Idee selbst ein wenig an „Das Lavendelzimmer“ von Nina George erinnert.

Man muss aber Katharina Secks Schreibstil mögen. Er ist besonders, fantasievoll und sehr bildhaft - einige würden ihn aber möglicherweise als schwurbelig beschreiben, was er vielleicht auch stellenweise ist. Für mich sind die Bilder, die Katharina Seck mit ihren Worten malt, nichtsdestotrotz eine willkommene Abwechslung zum aktuellen TikTok-Mainstream, der unterhaltsam ist, aber zum Teil einfach etwas charakterlos wirkt. Secks Hauptcharaktere sind keine überzeichnete Version ihrer selbst. Häufig müssen sie sich neu kennenlernen, mit prägenden Ereignissen umgehen, mühevoll verlorene Stücke ihrer Identität zurückerobern, Ängste überwinden, mutig sein.

Wer Katharina Seck mag, wird daher auch "Die Vermesserin der Worte" schätzen. Eine berührende Geschichte voller Menschlichkeit.

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