Profilbild von schnaeppchenjaegerin

schnaeppchenjaegerin

Lesejury Star
offline

schnaeppchenjaegerin ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit schnaeppchenjaegerin über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.11.2019

Persönliches Buch über das Ende der DDR, den Übergang in die BRD und das Erstarken der rechten Szene

Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß
0

Mimi Schulz wächst in einer kleinen brandenburgischen Stadt an der Havel in der DDR auf. Die Mutter ist Lehrerin und überzeugte Sozialistin, der Vater ist Verkaufsstellenleiter, allerdings arbeitsunfähig ...

Mimi Schulz wächst in einer kleinen brandenburgischen Stadt an der Havel in der DDR auf. Die Mutter ist Lehrerin und überzeugte Sozialistin, der Vater ist Verkaufsstellenleiter, allerdings arbeitsunfähig an Diabetes erkrankt. Er verbringt seine Freizeit überwiegend desillusioniert in der örtlichen Kneipe. Mimis Oma, der sie sehr nahe steht, ist ein Fan von "Gorbi".

Als Kind hat Mimi viele Freunde, darunter auch der Nachbarsjunge Oliver. Sie ist Pionierin und nimmt an den zahlreichen staatlich organisierten Freizeitveranstaltungen, Jugendlagern und -fahrten teil. Ende der 1980er erfolgt die Wende und Mimi entwickelt sich zunehmend zu einer Einzelgängerin und stillen Beobachterin. Schnell ist sie mit ihren pink gefärbten Haaren als "Zecke" verschrien und muss miterleben, wie aus Freunden Neonazis, mit ihren Worten "Gorillas" werden, und ehemalige Freunde grundlos überfallen, verprügeln, töten. Mimi fällt in ein tiefes Loch, zieht nach Berlin, kann sich aber nicht zum Studium aufraffen. Erst als sie befürchtet, dass ihr jüngerer Bruder von Oliver, der sich selbst "Hitler" nennt, beeinflusst und in die rechte Szene abdriften könnte, kehrt sie in ihre Heimatstadt zurück und engagiert sich in der linksliberalen Szene. Ein zum Scheitern verurteiltes Vorhaben, in einem Ort, der vom braunen Mon durchsetzt ist?

Manja Präkels beschreibt sehr eindrücklich den Zeitraum 1988 bis Anfang der 2000er, das Ende der DDR, die Wende und den steinigen Neuanfang in der BRD. Die Autorin legt in dem autobiografisch angehauchten Roman ihre Eindrücke der Kindheit und Jugend dar, was die Erzählung noch beklemmender und erschreckender erscheinen lässt. Da ist zunächst das Ende der DDR, eine Ära, die von Zusammenhalt und Gemeinschaft geprägt war und die durch einen engen Rahmen Schule, Freizeit und Beruf festgelegt und für Halt gesorgt hat. Nach der Wende fallen sämtliche Strukturen, Ausbildungen werden nicht anerkannt, die Arbeitslosigkeit, die man bisher nicht kannte erhält Einzug, die Chancen- und Perspektivlosigkeit steigt, die Gesellschaft spaltet sich. Eine zunehmende Radikalisierung am rechten Rand und die Angst vor dem Fremden entwickelt sich erschreckend schnell zu einem rechten Terror, gegen den selbst die Polizei hilflos erscheint.

Die Geschichte wirkt sehr authentisch, liest sich fast tagebuchartig, so dass man am eigenen Leib mit Mimi, die verängstigt einen Umbruch erlebt und sich in einer scheinbar neuen Welt zurechtfinden muss, mitfühlt - auch wenn mir als "Wessi" Begriffe wie Pionierorganisationen, Fahnenappell und Pionierrepublik nur vom Hörensagen bekannt sind. Für Leser, die selbst in der DDR aufgewachsen sind und die Wiedervereinigung von dern anderen Seite aus erlebte, dürfte der Roman bei der Feststellung von Parallelen zur eigenen Biographie deshalb noch interessanter sein.

Während der Alltag in der DDR zu Beginn sehr ausführlich erzählt wird, ist der Zeitpunkt des Mauerfalls und der Übergang zur BRD vergleichsweise kurz gefasst. Aus diesem Grund konnte ich auch die derart extrem gewalttätige Radikalisierung von Mimis ehemaligen Freunden nicht so ganz nachvollziehen. Selbst wenn man sich in einen verblendeten gewaltbereiten Neonazi nicht hineinversetzen kann, fehlten mir die Auslöser für den Aufbau und Erstarken der rechten Szene.

Sprachlich weiß der Roman zu überzeugen. Mimis Gedanken sind sehr direkt, ihre Wortwahl ungewollt komisch, ihre Gedichte apokalyptisch düster.

"Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß" ist keine leichte Kost, beschreibt sehr anschaulich das Ende der DDR und den Übergang in die BRD aus Sicht eines jungen Mädchens, die mitansehen muss, wie in ihrem Heimatort nach dem Fall der Mauer Neonazis das Kommando übernehmen und die Einwohner in Angst und Schrecken versetzen.
In einer Zeit mit dem Erstarken des Rechtspopulismus und -extremismus ist es ein so wichtiges Buch, das eine Warnung und ein Aufruf zu mehr Zivilcourage sein sollte.

Veröffentlicht am 15.11.2019

Gelungene Mischung aus historischem Kriminalroman und einem Drama zur Hochzeit des Naziregimes - macht neugierig auf weitere Bände um Isaak Rubinstein

Unter Wölfen
0

1942 wurde beschlossen, alle Juden aus Deutschland zu "evakuieren". Insbesondere in Nürnberg geht man mit aller Härte gegen das jüdische Volk vor. Auch Familie Rubinstein hat einen Bescheid erhalten, sich ...

1942 wurde beschlossen, alle Juden aus Deutschland zu "evakuieren". Insbesondere in Nürnberg geht man mit aller Härte gegen das jüdische Volk vor. Auch Familie Rubinstein hat einen Bescheid erhalten, sich für die Ausreise bereitzuhalten. Isaak Rubinstein fürchtet mit der Zwangsevakuierung das Schlimmste, möchte seine Eltern und die Schwester mit ihren Kindern schützen und wendet sich in seiner Verzweiflung an seine Exfreundin Clara. Sie gehört der Widerstandsbewegung "Fränkische Freiheit" an und kann die Familie vorläufig verstecken, um die drohende Ausreise zu verhindern. Isaak erhält eine neue Identität und wird ohne sein Wissen dazu benutzt, in die Rolle des Ermittlers Adolf Weissmann zu schlüpfen, der vom Führerhauptquartier nach Nürnberg gesandt wurde, um einen Mord aufzuklären.

Isaak Rubinstein ist Antiquar und es ist kaum vorstellbar, wie es möglich sein soll, ohne Vorbereitung unter den Wölfen der Nazis einen leitenden Ermittler zu mimen. Diese Konstruktion ist jedoch glaubhaft in dem Roman umgesetzt und erzeugt von Anbeginn Nervenkitzel und Spannung. Als Leser fiebert man mit, ob es Isaak erfolgreich gelingen kann, undercover zu bleiben und das Leben seiner Familie zu retten, nachdem sich herausstellt, dass mit der "Evakuierung" schlicht die massenhafte Tötung von Juden gemeint ist.

Der Roman beschreibt eine fiktive Geschichte, in der zahlreiche historische Fakten verwoben werden. Die Atmosphäre in Nürnberg ist eine Stimmung voller Angst unter den dort verbliebenen Juden, die in Zügen massenhaft in Richtung Osten abgefertigt werden. Das Grauen, das in der Reichshauptstadt vor sich geht, sorgt für Beklemmung und zieht den Leser zusammen mit dem ungewissen Schicksal des sympathischen Isaak Rubinstein in seinen Bann.

"Unter Wölfen" ist eine sehr gelungene Mischung aus historischem Kriminalroman und einem Drama zur Hochzeit des Naziregimes - ein Roman, der mitreißend geschrieben ist und eine Sogwirkung entfaltet. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, so dass es viel zu schnell zu Ende gelesen war. Das Ende ist jedoch derart gestaltet, dass man auf weitere Romane um den Helden Isaak Rubinstein hoffen darf, auf die ich schon sehr gespannt bin.

Veröffentlicht am 13.11.2019

Spannender Kriminalfall um eine sympathische Protagonistin an einem interessanten Schauplatz

Seelentot
0

Gefängnisärztin Eva Hanssen arbeitet seit gut einem Monat in der JVA München-Wiesheim, als sie den Selbstmord eines Inhaftierten bescheinigen soll, der erhängt im Duschraum aufgefunden wurde. Eva bezweifelt, ...

Gefängnisärztin Eva Hanssen arbeitet seit gut einem Monat in der JVA München-Wiesheim, als sie den Selbstmord eines Inhaftierten bescheinigen soll, der erhängt im Duschraum aufgefunden wurde. Eva bezweifelt, dass sich der Mann selbst getötet hat, da dieser kurz vor der Entlassung stand und die äußeren Umstände nicht zu einem Suizid passen. Sie schaltet die Kriminalpolizei ein, die die Ermittlungen aufnimmt, womit sie den Unmut der Gefängnisleitung auf sich zieht. Aber auch die Kommissare stoßen auf eine Mauer des Schweigens. Weder die Direktorin noch die angestellten Wachleute scheinen ein Interesse an der Aufklärung des möglichen Mordes zu haben und zeigen sich wenig kooperativ.
Eva bleibt hartnäckig und unterstützt die Ermittlungen um den Hauptkommissar Lars Brüggemann, den sie noch von einem letzten Fall kennt.
Privat sorgt sie sich um die Ehe ihrer besten Freundin Ann-Kathrin, wird von Staatsanwalt Santana umgarnt, der sich in die laufenden Ermittlungen einmischt und fühlt sich von einem Fremden bedroht, der ihr subtile Botschaften schickt.

"Seelentot" ist der zweite Band der Reihe um die Gefängnisärztin Eva Hanssen (vormals Korell), der mir noch besser gefallen hat als der erste Band "Verborgen", da man noch mehr tiefere Einblicke in den Alltag und die Abläufe in einer Gefängnisanstalt erhält. Eva ist eine Allgemeinmedizinerin, die noch nicht lange in der JVA arbeitet und deshalb noch nicht mit allen Vorgängen und Kollegen vertraut ist, lässt sich aber nicht einschüchtern, sondern hört auf ihren Instinkt, nimmt die Dinge nicht als gegeben an, sondern hinterfragt sie.

Der Fall ist spannend aufgebaut, da zunächst kein Motiv in dem Mordfall zu erkennen ist. Klar ist nur, der Täter muss sich in der Haftanstalt aufhalten, kann jedoch Inhaftierter oder Wachmann sein. Aufgrund der äußeren Umstände ist sogar zu vermute, dass ein Angestellter des Gefängnisses zumindest, ob freiwillig oder unfreiwillig, mitgeholfen haben muss, was dem Fall noch mehr Brisanz verleiht.
Darüber hinaus fragt man sich gespannt, wer Eva auch außerhalb der JVA verfolgt und aus welchem Grund er oder sie eine Rechnung mit ihr offen haben könnte. Ob dies mit dem aktuellen Fall zusammenhängt ist fraglich, scheint eher in ihrer Vergangenheit begründet zu sein. Diese bleibt, wie schon im ersten Teil, etwas mysteriös, so dass man auf weitere Fälle um die Gefängnisärztin gespannt sein darf.
Wie schon im ersten Teil der Reihe finde ich es sehr interessant, einen Kriminalfall zur Abwechslung einmal aus der Sicht einer Gefängnisärztin mitzuerleben, auch wenn einzelne Kapitel auch aus der Perspektive der beiden ermittelnden Kommissare geschrieben sind.
Fazit: ein nicht zu leicht zu durchschauender Mordfall und authentische Ermittlungen rund um eine sympathische Protagonistin an einem interessanten Schauplatz.

Veröffentlicht am 11.11.2019

Familientreffen an der Nordsee mit offenen Konflikten - Familiengeschichte mit tragischen, aber auch komischen Elementen

Wintergäste
0

Inge Boysen ist tot. Davon geht zumindest Schwiegertochter Kerrin aus, die zusammen mit Ehemann Enno mit ihr unter einem Dach in einem Reethaus an der Nordsee wohnt und alarmiert alle Kinder und Enkel ...

Inge Boysen ist tot. Davon geht zumindest Schwiegertochter Kerrin aus, die zusammen mit Ehemann Enno mit ihr unter einem Dach in einem Reethaus an der Nordsee wohnt und alarmiert alle Kinder und Enkel von Inge. Noch bevor der Irrtum aufgeklärt werden kann, haben sich ihre nächsten Verwandten bereits auf den Weg gemacht oder sind schon vor Ort. Nachdem die Familie an Weihnachten nicht zusammen gekommen war, freut sich Inge darüber, dass kurz vor dem Jahreswechsel alle ihre Lieben bis auf Sohn Boy bei ihr versammelt sind.

Der vermeintliche Tod hat die Kinder und Enkel schockiert, die Frage nach dem Erbe wird laut, aber vor allem treten all die Probleme in Erscheinung, die die Kinder und Kindeskinder persönlich bewegen. Die Trennung Gesas von ihrem Mann Jochen ist belastend, insbesondere da die 46-Jährige von ihrem neuen Freund Matteo schwanger ist. Enno befürchtet selbst todkrank und der nächste auf dem Sterbebett zu sein, schweigt sich jedoch aus. Berit hat Sorgen sich beruflich über Wasser zu halten und wird zusätzlich noch von ihrer Lebenspartnerin unter Druck gesetzt. Kerrin und Ennos Tochter Inka hat daran zu knabbern, adoptiert zu sein und rebelliert gegen ihre beiden Adoptiveltern, die diese jedoch über alles lieben und die Tochter in ihrem Goth-Look nicht mehr verstehen.

Es prallen unterschiedliche Welten auf engstem Raum aufeinander, so dass alte und neue Konflikte unweigerlich zutage treten, während Inge das Bettchen hütet und beobachtet. Die Enge und das Gefühl, ausgeliefert zu sein, verstärkt sich noch, als sich das Wetter verschlechtert und Eisregen und Sturm eine Abreise unmöglich machen.

Ich hatte die "Die Glücksreisenden" von Sybil Volks gelesen, bevor ich wusste, dass es sich dabei um die Fortsetzung von "Wintergäste" handelt. Beide Romane können unabhängig von einander gelesen werden, wobei ich bei der Lektüre selbstverständlich empfehle, die Reihenfolge einzuhalten.

Die Szenarien sind in beiden Büchern ähnlich. Die gesamte Familie Boysen kommt mehr oder weniger freiwillig im Haus Tide an der Nordsee zusammen und versucht die gemeinsamen Tage zu überstehen, ohne sich dabei zu entzweien.

Wintergäste sind Vögel, die im Winter eine Zeit lang ihr Quartier aufschlagen, bevor sie wieder dort hinziehen, wo ihr Lebensraum ist, an dem sie brüten. Diese Symbolik wird in dem Roman umgesetzt, als Inge Boysens Nachkommen zwischen den Feiertagen bei ihr eintreffen.

Es ist eine Familiengeschichte mit sehr lebendig und individuell gezeichneten Charakteren. Wechselnd wird aus der Sicht eines Protagonisten die Situation vor Ort beschrieben, wobei auch die Hintergründe jedes einzelnen mit seinen Sorgen, Problemen und Geheimnissen immer klarer werden. Jeder einzelne reflektiert sein bisheriges Leben und seine Beziehungen, hängt unausgelebten Träumen nach.
Die Geschichte ist dadurch abwechslungsreich erzählt und durch das Personenverzeichnis zu Beginn nicht verwirrend, auch wenn die Perspektivwechsel nicht durch einzelne Kapitel gekennzeichnet sind und durch die fließenden Übergänge Konzentration gefragt ist.

Die winterliche Stimmung, das Eingeschlossensein und die Ausweglosigkeit schaffen eine passende Atmosphäre für die Situation und die Verhältnisse in dem Haus, das für alle Gäste zu klein ist. Der Roman enthält humorvolle, aber auch tragische Elemente und erzählt viele Einzelgeschichten, die durch das Setting im Haus hinterm Deich ein Ganzes ergeben. Auch wenn mich nicht jedes einzelne Schicksal und die Gedankengänge der Person dazu durchgängig fesseln konnte, überzeugte mich der stimmige Erzählton und die durchaus realistische Darstellung einer Familie, die sich nur selten in dieser Konstellation sieht und zu einem Familientreffen zusammenfindet, wo sich übliche, aber auch besondere Konflikte unter Geschwistern und Paaren ergeben.

"Die Glücksreisenden" hat mir als Nachfolger noch besser gefallen, aber als Einstieg in das Leben der Familie Boysen empfehle ich "Wintergäste" gerne weiter.

Veröffentlicht am 09.11.2019

Etwas plakative Darstellung der Kämpfe der Frauen für mehr Gleichberechtigung - unterhaltsam und im Zeitgeist der 1950er, aber etwas oberflächlich und mit eindimensionalen Charakteren

Die Frauen vom Nordstrand - Eine neue Zeit
0

Anni ist 24 Jahre alt, als sie immer mehr Verantwortung für den Hotelbetrieb in der "Seeperle" ihrer Eltern übernehmen möchte. Ihr Vater Ole ist aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und müde. Er ...

Anni ist 24 Jahre alt, als sie immer mehr Verantwortung für den Hotelbetrieb in der "Seeperle" ihrer Eltern übernehmen möchte. Ihr Vater Ole ist aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und müde. Er sieht keinen Sinn darin, das Haus zu modernisieren und möchte einfach, dass alles so bleibt wie bisher. Er ignoriert, dass die Frauen während seiner Abwesenheit das Zepter übernommen haben und das Hotel, nachdem es während des Krieges als Krankenlager genutzt wurde, erfolgreich weiter geführt haben. Zusammen mit dem ehemaligen verletzten Soldaten Hans, der im Rollstuhl sitzt, schafft es Anni ihren Vater zu einer Renovierung des Hotels zu überreden und ihre Ideen für einen modernen Hotelbetrieb umzusetzen.
Während des Umbruchs lernt Anni Edith und Helena kennen, die beide neu in St. Peter sind. Helena übernimmt die Praxis des Allgemeinmediziners, während Lehrerin Edith für die Betreuung von Kindern in dem Nordseebad zuständig ist. Die drei werden zu besten Freundinnen und halten bei ihren persönlichen Kämpfen für mehr Gleichberechtigung der Frauen fest zusammen.

"Die Frauen vom Nordstrand. Eine neue Zeit" ist der Auftakt der "Zeitenwende-Saga" von Marie Sanders. Der Roman handelt im Jahr 1953 in St. Peter an der Nordsee, eine Zeit, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Rückkehr zu Normalität, von Neuanfängen und Wiederaufbau bestimmt ist, auch wenn die erlebten Traumata und Verluste ihre Spuren hinterlassen und die Menschen geprägt haben.
Anni ist eine junge patente Frau, die ihren eigenen Weg gehen möchte und von einem florierenden Hotel träumt, das sie eigenverantwortlich führen kann. Sie kämpft für ihren Traum, auch wenn ihr von den Männern, insbesondere von ihrem Vater, aber auch von ihrem Verlobten und späteren Ehemann Hinnerck sowie von der männerdominierten Gesellschaft immer wieder Steine in den Weg gelegt werden.
Das Hauptaugenmerk des Romans liegt auf Anni und der "Seeperle", im weiteren Verlauf spielen aber auch die Schicksale von Edith und Helena, die man nicht erahnen konnte, eine immer größere Rolle. Beide müssen schreckliche Ereignisse der Vergangenheit verarbeiten. Davon geprägt, kämpft jede auf ihre Art für mehr Rechte für die Frau, während in der Politik nur schleppend das Gleichberechtigungsgesetz diskutiert wird.

"Die Frauen vom Nordstrand" versetzt den Leser sehr anschaulich an die Nordsee und erzählt die Geschichte rund um Anni, Edith und Helena von März bis Winter 1953. Es ist ein flüssig geschriebener Roman über drei ganz unterschiedliche Frauenschicksale, die perfekt in die damalige Zeit passen.
Mir war die Handlung gerade zu Anfang zu plakativ, die Charaktere eindimensional und die Dialoge zu seicht. Das änderte sich zwar im Verlauf des Romans, als die Charaktere mehr Konturen bekamen und die Erzählung durch die drei Handlungsstränge vielfältiger wurde und mehr Tiefgang erhielt. Dennoch dominierte im Gesamtverlauf eine männerfeindliche Grundstimmung. Bis auf den behinderten Hans, der die Damen schon fast überbetont höflich behandelte, zeichnete sich jeder männliche Charakter durch schlechtes Benehmen, frauenverachtendes und gewalttätiges oder anderweitig kriminelles Verhalten aus.

Die Frage nach mehr Gleichberechtigung für die Frauen bewegte die Frauen der damaligen Zeit und ist noch heute ein wichtiges Thema, da es schlichtweg immer noch zu große Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, die von Nachteil für die Frauen sind. Dennoch waren mir die persönlichen Kämpfe der Frauen zu plump umgesetzt, während man gleichzeitig keine Details zu den Vorgängen in der Politik und der Gesellschaft erhielt. Auch passieren manche Ereignisse so schnell aufeinander, dass es für die wenigen Monate, die der Roman erzählt, unwirklich viel ist.

Im Gegensatz zu anderen ersten Teilen einer Reihe ist Band 1 der "Zeitenwende-Saga" kein in sich geschlossener Roman. Am Ende bleiben alle Erzählstränge offen und gerade für Anni beginnt das Ende mit einem Umbruch, so dass man gezwungen ist, auch Band 2 "Schicksalswende" zu lesen, der im Mai 2020 erscheint.