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Veröffentlicht am 06.03.2019

Tolles Finale der großartigen Trilogie

Gut Greifenau - Morgenröte
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Der dritte und letzte Band, rund um die Grafenfamilie von Auwitz-Aaarhayn und ihren Dienstboten, ist der krönende Abschluss einer Trilogie, die mich absolut überzeugen konnte!
Nachdem der zweite Band am ...

Der dritte und letzte Band, rund um die Grafenfamilie von Auwitz-Aaarhayn und ihren Dienstboten, ist der krönende Abschluss einer Trilogie, die mich absolut überzeugen konnte!
Nachdem der zweite Band am Ende einen schlimmen Cliffhanger hatte, war ich mehr als gespannt, wie es weitergehen wird. Gott sei Dank hat uns die Autorin nicht so lange mit den Folgebänden warten lassen, wie es sonst meistens üblich ist.

Der Krieg neigt sich langsam dem Ende zu. Die Menschen hungern und die Revolution in Russland scheint auch auf Deutschland überzuschwappen. Die Grafenfamilie verliert, langsam aber sicher, immer mehr an Einfluss. Die noch vorhandenen Pächter und die Zwangsarbeiter am Gut beginnen zu revoltieren. Die deutschen Soldaten können nicht glauben, dass Deutschland den Krieg verlieren wird. Als auch noch die Spanische Grippe ausbricht, befindet sich Gut Greifenau im Ausnahmezustand. Nur Gräfin Feodora denkt, alles bleibt beim Alten und jeder muss weiterhin nach ihrer Pfeife tanzen. Sie bangt mehr um die Zarenfamilie, als um ihre eigenen Kinder und das Gut, das die Schuldenlast kaum mehr tragen kann. Das neue Gesetz, den 8 Stunden Tag für alle Bediensteten und Arbeitnehmer einzuführen, lässt Grafin Feodora Gift und Galle spucken. Ebenso die Handlungsweisen ihrer beiden "Sorgenkinder" Konstantin und Katharina. Die Ereignisse überschlagen sich und es scheint als würde nach diesem Krieg kein Stein auf den anderen bleiben....

Ich war wieder so intensiv in der Geschichte, dass man alles andere um einem herum vergisst und ausblendet. Verschiedene Perspektiven und Schauplätze lassen die wieder fast 600 Seiten nur so an einem vorbeifliegen. Ich litt und bangte mit den Figuren, egal ob im Parterre bei den Dienstboten oder mit den Grafenkindern. Vorallem Katharina macht in diesem letzten Band eine unglaubliche Wandlung durch. Sie wird erwachsen und weiß, was sie will. Ihre Durchhaltekraft beeindruckte mich vollkommen. Werden Konstatin und Rebecca das Glück finden? Wer wird von den Dienstboten aus dem Krieg zurückkehren? Wird Albert sich zu erkennen geben? Und wird sich das Gut halten können? All das fragt man sich während der spannenden Lektüre und erhält am Ende Antworten auf alle offenen Fragen.

Fazit:
Ich war traurig die liebgewonnenen Figuren nun nach dem Finalband verlassen zu müssen. Selten findet man eine Trilogie, bei der alle drei Bände gleich spannend und hervorragend recherchiert sind. Diese Reihe gehört definitiv zu meinen absoluten Lese-Highlights ever! Absolute Leseempfehlung für alle drei Romane der Trilogie!

Veröffentlicht am 05.03.2019

Eine geheimnisvolle Schneekugel

Die Fliedertochter
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Teresa Simon zählt zu meinen Lieblingsautorinnen, wenn es um Romane auf zwei Zeitebenen geht. Ich habe "Die Frauen der Rosenvilla", "Die Holunderschwestern" und "Die Oleanderfrauen" gelesen und alle drei ...

Teresa Simon zählt zu meinen Lieblingsautorinnen, wenn es um Romane auf zwei Zeitebenen geht. Ich habe "Die Frauen der Rosenvilla", "Die Holunderschwestern" und "Die Oleanderfrauen" gelesen und alle drei geliebt. Deshalb habe ich schon ungeduldig auf ihren neuen Roman gewartet, der sogar in meiner Heimat Österreich, nämlich in Wien spielt.

Wie gewohnt verfolgt man als Leser wieder zwei Frauen auf zwei Zeitebenen. In der Gegenwart reist die 30jährige Paulina von Berlin nach Wien, um für ihre mütterliche Freundin Toni, die erkrankt ist, ein Tagebuch abzuholen. Es soll sich um ein Vermächtnis eines Bekannten handeln. Paulina, gerade auf "Beziehungspause" von ihrem (Ex?)freund, will noch ein paar Tage anhängen, um auszuspannen und sich betreffend ihrer Gefühle klar zu werden. Im Gepäck hat sie ihren Talisman: eine Schneekugel mit dem Wiener Riesenrad aus dem Jahre 1936. In Wien wird sie liebevoll von der Familie Brunner aufgenommen, die ihr die Aufzeichnungen einer Luzie Kühn überreichen. Paulina vertieft sich in das Tagebuch aus dem Nachlass von Lena Brunners Vater und begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit....
Es sind die Jahre 1936-1944 und wir lernen diese ominöse Luzie Kühn kennen, die ebenfalls von Berlin nach Wien reist. Die junge Soubrette ist Waise und wurde von ihren jüdischen Großeltern aufgezogen. Als Halbjüdin raten sie ihr Berlin zu verlassen und bei ihrer arischen Tante Marie unterzukommen. Diese gibt sie als ihre Tochter aus und nimmt sie liebevoll in die Familie auf. Doch auch in Österreich wendet sich die Bevölkerung immer mehr gegen die Juden und als Hitler einmarschiert wird Wien für Luzie ebenfalls zur Gefahr...
In einem weiteren Handlungsverlauf aus der Gegenwart treffen wir auf Simone, Paulinas Mutter, die sich mit ihrer Freundin in Italien auf dem Pilgerweg und den Spuren von Franz von Assisi befindet.

Während Paulina im Tagebuch liest, packt sie die Luzies Lebensgeschichte immer mehr. Sie ist erschüttert über den Judenhass und die grausame Verfolgung der Menschen, die sich gegen das Regime stellen. Die Einträge aus dem Tagebuch werden in der Ich-Form von Luzie erzählt und durch weitere Erzählungen aus der Vergangenheit ergänzt, die in der 3. Person aus Luzies Sicht dargestellt werden. Die Autorin hat hier wieder hervorragend recherchiert.

Der Schauplatz des Romans ist Wien. Teresa Simon hat den Charme und den Flair unserer Bundeshauptstadt wunderbar eingefangen. Ich wanderte mit Paulina durch den ersten Bezirk, besuchte die Konditorei Demel und sah mir das Mahnmal der österreichischen jüdischen Opfer der Schoah am Judenplatz an. Genauso schlemmte ich Wiener Schnitzel mit Erdäpfelsalat, besuchte das Mozartgrab am Sankt Marxer Friedhof und fuhr im Prater Riesenrad. Teresa Simon hat neben den grauenhaften Erzählungen aus der Zeit während des zweiten Weltkrieges den Leser auch an einer Reise durch das Wien von heute teilhaben lassen. Sie hat so bildhaft und lebendig erzählt, dass sie in jedem Leser die Sehnsucht weckt den nächsten Flug oder die nächste Bahnfahrt in die österreichische Hauptstadt zu buchen.

Den Vergangenheitsstrang fand ich wie meistens bei Büchern auf zwei Zeitebenen gelungen. Trotzdem fand ich Luzie anfangs etwas flatterhaft, überschwänglich und naiv. Luzies Verhalten änderte sich mit dem Einmarsch von Hitler in Österreich. Die Liebesgeschichte, die fast in einer Dreiecksgeschichte endet, konnte mich nicht zu 100% überzeugen. Auch Paulina wuchs mir nicht richtig ans Herz. Es gab viele Parallelen zu Luzie und auch hier überzeugte mich die Liebesgeschichte nicht wirklich. Einige Entwicklungen fand ich etwas vorhersehbar und verblüffen konnte mich die Autorin diesmal nur mit einer überraschenden Wendung.
Für mich als Teresa Simon Fan war das neu...vorallem, wo der Roman auch noch in meiner Heimat spielt. Das hört sich jetzt alles viel negativer an, als es wirklich ist, denn ich habe an die Romane der Autorin immer sehr, sehr große Erwartungen....
Die restlichen Leser der Leserunde waren begeistert und ich kann ehrlich nicht sagen, warum mich "Die Fliedertochter" diesmal nicht 100ig überzeugen konnte...

Fazit:
Wieder ein gelungener Familienroman auf zwei Zeitebenen, allerdings konnte er mich diesmal nicht hundertprozentig überzeugen. Ich wurde mit beiden Protagonisten nicht ganz glücklich und fand auch einiges an der Geschichte vorhersehbar. Die bildhaften Beschreibungen von Wien und seinen schönsten Plätzen, sowie all den Köstlichkeiten, die man bei uns schlemmen kann, waren allerdings ausgezeichnet geschildert. Für mich leider das schwächste Buch der Autorin, aber trotzdem ein toller Roman.

Veröffentlicht am 03.03.2019

Packendes Zeitzeugnis deutsch-deutscher Geschichte

Was uns erinnern lässt
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Die für mich noch unbekannte Autorin Kati Naumann hat einen Roman geschrieben, der mich tagelang sehr beschäftigt hat. Er erzählt die Geschichte einer Familie im deutsch-deutschen Grenzgebiet. Ein Leben ...

Die für mich noch unbekannte Autorin Kati Naumann hat einen Roman geschrieben, der mich tagelang sehr beschäftigt hat. Er erzählt die Geschichte einer Familie im deutsch-deutschen Grenzgebiet. Ein Leben zwischen Stacheldrahtzäunen. Für mich als Österreicherin ein unvorstellbares Gefühl und ein Thema, das für mich Neuland ist. Umso beeindruckter war ich von der Erzählkunst der Autorin, bei der die Liebe zu diesem Ort und der Natur, besonders dem Wald, durch jede Zeile zu spüren ist.

In einem der zwei Erzählstränge wird die Geschichte der (fiktiven) Familie Dressel erzählt, die von 1945 bis 1977 in dieser Sperrzone lebte. Seit der Teilung Deutschlands liegt das Hotel Waldeshöh am Rennsteig im Thüringer Wald im Grenzgebiet. Gut betuchte Hotelgäste, anschließend ein sicherer Unterschlupf für Kinder aus der Stadt, die während des Zweiten Weltkrieges aufs Land geschickt wurden - Wanderstation und schließlich ab 1945 nur mehr die Familienunterkunft der Dressel - das alles stand für das Hotel Waldeshöh. Danach durfte niemand mehr ohne Passierschein hinaus oder hinein. Kein Wanderer verirrt sich mehr in die Gegend, der Schulweg ist mühsam und doch gibt die Familie nicht auf. Sie stellen sich allen Anfeindungen des Regimes und wollen ihre Heimat nicht verlassen.

Im Jahr 2017 stößt die alleinerziehende Mutter Milla bei ihrer Suche nach "Lost Places" auf den Keller des ehemaligen Hotels Waldeshöh. Zuerst ist sie begeistert endlich als Erste auf einen "Lost Place" (vergessene Orte) zu stoßen und ihren Instagram Account noch populärer zu machen. Im unzerstörten Keller findet sie Schulhefte und noch selbst hergestellte Marmelade und behält ihren Fund noch für sich. Milla versucht diese Christine Dressel, deren Namen auf dem Heft steht, zu finden, um noch mehr über diesen unterirdischen Schatz zu erfahren. Bald ist sie mitten drinnen in einer unglaublichen Familiengeschichte, denn Christine erzählt ihr von ihren Vorfahren der Hoteldynastie in der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg und vom Leben im "Nirgendwo"....dem Sperrgebiet zwischen den Grenzen und schließlich ihrer Zwangsaussiedlung.

Kati Naumann - diesen Namen muss ich mir merken, denn ihr nächstes Buch werde ich definitv lesen! Was sie hier an privaten Erinnerungen und Recherchen mit Zeitzeugen erzählt, die sie in die fiktive Handlung miteingewoben hat, ist ein grandioses Zeitzeugnis. Beide Handlungsstränge bauen logisch aufeinander auf und auch wenn ich anfangs mit Milla nicht so recht warm geworden bin, änderte sich das im Laufe der Geschichte. Die Charaktere sind bis in die kleinsten Nebenfiguren liebevoll gezeichnet und wunderbar authentisch. Vorallem die Frauen aus dem Vergangenheitsstrang sind starke Persönlichkeiten. Besonders ans Herz gewachsen ist mir die optimistische Johanna, die noch aus jeder noch so aussichtlosen Situation etwas Positives gewinnen konnte. Die mondäne Marie oder die aufmüpfige Elvira stehen den männlichen Protagonisten in nichts nach - im Gegenteil...sie sind unerschütterlich und stark.

Dieser Roman um Zwangsumsiedlung und ein Leben in einem Sperrgebiet, wo die Menschen besonders überwacht und schikaniert wurden, hat mich gefesselt. Die Schikanen des Regimes und die Repressalien, denen die Familie ausgesetzt wurde, machten mich sprachlos. Es ist ein Blick hinter den Zaun in die ehemalige DDR und ihre Machenschaften. Die Erzählung hat mich mitgenommen und die Bedeutung meiner eigenen Heimat vor Augen geführt.

Schreibstil:
Der Schreibstil der Autorin ist packend, gefühlvoll und bildhaft. Ich war mit ihr im Wald und in der Sperrzone, im versteckten Keller und in der grauen Industriestadt. Kati Naumann erzählt wunderbar atmosphärisch und hat hervorragend recherchiert. Was ich in meinem Vorabexemplar vermisst habe, ist ein Stammbaum der Familie und ich hoffe, dass sich dieser im Hardcover befinden wird, das am 1. März erscheint.

Fazit:
Ein Roman über die Bedeutung von Heimat und ein packendes Zeitzeugnis deutsch-deutscher Geschichte. Wunderbar erzählt, einfühlsam beschrieben und vorallem ohne zu verurteilen. Wieder ein Roman, der mich einiges gelehrt hat und sicherlich noch lange in Erinnerung bleibt. Von mir gibt es 5 Sterne, den Lieblingsbuch-Status und eine absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 28.02.2019

Schreibseminar in den schottischen Highlands

Der Himmel über den Highlands
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Mein erstes Buch von Julia K. Rodeit und ich war sehr gespannt, denn die Autorin schreibt nicht nur Liebesromane, sondern vorwiegend Thriller.
Nachdem ich in die Leseprobe reingeschnuppert habe, war ich ...

Mein erstes Buch von Julia K. Rodeit und ich war sehr gespannt, denn die Autorin schreibt nicht nur Liebesromane, sondern vorwiegend Thriller.
Nachdem ich in die Leseprobe reingeschnuppert habe, war ich sehr schnell überzeugt vom flotten Schreibstil und der Geschichte selbst.
Ella ist Schriftstellerin und hat soeben ihren neuersten Roman beendet. Sie ist erleichtert ihr Buch endlich fertig gestellt zu haben, denn sie fühlt sich ausgelaugt und unzufrieden. Sie freut sich auf eine Schreibpause, doch der Verlag hat bereits andere Pläne. Sobald wie möglich soll sie gemeinsam mit einem Bestsellerautor, der unter Pseudoym schreibt, einen Roman schreiben. Hals über Kopf flüchtet Ella nach Schottland, wo sie kurzfristig als Dozentin für ein Schreibseminar für einen erkrankten Kollegen einspringt. Doch der Verlag gibt nicht auf und Ella gerät in eine Schreibblockade. Dagegen hilft auch nicht der äußerst attraktive Kursteilnehmer Patrick, der verdammt gut schreiben kann....

Das Ambiente der trutzigen Burg in den Highlands und die wunderbar bildhaften Beschreibungen der schottischen Landschaft haben bereits mein Herz höher schlagen lassen. Besonders gefallen hat mir allerdings der Blick hinter die Kulissen eines Autors. Der lange Schreibprozess, die Schwierigkeiten mit den Vorgaben des Verlages und die Einblicke in einem Schreibkurs waren Themen, die für mich sehr spannend zu lesen waren. Die süße Liebesgeschichte mit Irrungen und Wirrungen ist dann noch das Tüpfelchen auf dem i.
Die Figuren sind allesamt liebevoll gezeichnet. Alle haben Stärken und Schwächen und vorallem Ella wird sehr authentisch dargestellt. Sie steht mit beiden Beinen im Leben, ist aber trotzdem manchmal unsicher und flüchtet vor Problemen. Patrick war mir sofort sympathisch, auch wenn er die Frauen nicht immer verstehen kann. Auch die Darstellung der Nebenfiguren, wie Ellas Freundin Selina, die gleichzeitig ihre Agentin ist, der liebenswürdige Schlossherr Macarthur, oder einzelne Schreibschüler, ist gelungen.

Schreibstil:
Julia K. Rodeit oder Katrin Rodeit schreibt flüssig und bildhaft. Gewürzt mit einer Prise Humor und vielen Emotionen fliegt man nur so durch die Seiten. Es wird überwiegend aus der Sicht von Ella erzählt. Man erhält aber auch Einblicke in Patricks Gedanken und Gefühlswelt.
Einzelne Kapitel sind liebevoll mit der Grafik einer Distel oder einem Dudelsack gestaltet. Am Ende gibt es noch schottische Rezepte zum Ausprobieren.

Fazit:
Ein Liebesroman, der nicht nur mit einem wildromantischen Ambiente, nämlich den schottischen Highlands punkten kann, sondern ebenso mit liebenswerten Figuren und einer interessanten Story. Besonders gefallen haben mir die Einblicke in das Leben und die Arbeit eines Autors.

Veröffentlicht am 26.02.2019

Dunkles Thema der Schweiz - Verdingkinder

Die verlorene Schwester
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Das Thema Verdingkinder war mir bis zur Lektüre des neuen Romans von Linda Winterberg nicht bekannt. Was sind Verdingkinder? Um 1800 wurden in der Schweiz Waisen oder Scheidungskinder an Pflegefamilien ...

Das Thema Verdingkinder war mir bis zur Lektüre des neuen Romans von Linda Winterberg nicht bekannt. Was sind Verdingkinder? Um 1800 wurden in der Schweiz Waisen oder Scheidungskinder an Pflegefamilien abgegeben. Je weniger Kostgeld die Pflegeeltern wollten, umso eher erhielten sie Kinder zugeteilt. Diese mussten hart arbeiten - oft auf Bauernhöfen als Knecht oder Magd - und wurden geschlagen und sogar missbraucht. Die Verdingkinder wurden geächtet und auch in der Schule gemobbt. Zarte Kinderseelen, die ihre Eltern verloren hatten und darunter litten, wurden gequält und als Abschaum behandelt. Alleine, wenn ich diese Zeilen hier tippe, werde ich so wütend und frage mich immer wieder, wie man hilflosen Kindern so etwas bis in die 1980iger (!) antun konnte. Dass die Zeit dieser unmenschlichen Vorgehensweise noch gar nicht so lange zurückliegt, macht mich sprachlos. Ich bin selbst in den späten 1960iger Jahren geboren und mich erschreckt es zutief, dass mir dieses Schicksal ebenso drohen hätte können, wenn ich in der Schweiz geboren und einen Elternteil verloren hätte.

So ergeht es Lena und Marie, die 1968 zu Halbwaisen werden. Nachdem ihr Vater, ein Schuster verstirbt, fällt die Mutter der Mädchen in eine tiefe Depression. Hilfe gibt es weder für die Witwe, noch für die Kinder - im Gegenteil. Marie und Lena sind auf sich alleine gestellt bis eine Nachbarin ihre Mutter bei der Behörde denunziert. Daraufhin werden ihr die Mädchen weggenommen und zuerst ins Kinderheim und darauffolgend in ein Erziehungsheim, das von Nonnen geführt wird, gesteckt. Ein wahrer Alptraum für die Mädchen, der jedoch noch nicht zu Ende ist. Die Nonnen trennen die Schwestern und geben sie zu unterschiedlichen Pflegefamilien. Lena wird einer Bauersfamilie zugeteilt und muss hart arbeiten. Der Sohn der Familie stellt ihr nach und zu Essen gibt es kaum etwas. Marie scheint es besser getroffen zu haben. Sie kommt zu einer gottesfürchtigen Familie, die einen Blumenladen führt und darf eine Ausbildung als Floristin beginnen. Doch auch ihr Leben ändert sich bald dramatisch. Beide Schwestern erleben schlimme Schicksale....

Im Gegenwartsstrang lernen wir die Investmentbankerin Anna kennen. Sie findet zufällig in den Unterlagen ihrer Eltern, dass sie adoptiert wurde. Die Unzufriedenheit in ihrem Job und die plötzliche Identitätskrise steckt Anna nur schwer weg. Sie begibt sich auf die Suche nach ihrer wahren Mutter, doch die Spurensuche ist alles andere als einfach...

Die beiden Erzählstränge hat die Autorin gekonnt ineinander verflochten. Erst nach und nach lüftet sich ein Geheimnis ums andere. Als Leser kann man manchmal einfach nicht glauben, was diesen armen Kinderseelen alles angetan wird. Die Erzählung rund um Lena und Marie ist aufwühlend und emotional. Sie sind dem Schicksal hilflos ausgeliefert. Die Geschwister leiden unter der Trennung und wissen nicht, was mit der jeweils anderen passiert ist. Beide Mädchen verlieren über all die Jahre aber nie die Hoffnung ihre Schwester wiederzufinden. Die Stärke, die beide an den Tag legen, ist bewundernswert! Schon beim Lesen war ich oft den Tränen nahe und konnte nicht glauben, was Lena und Marie alles durchmachen müssen.
Die Geschichte von Lena und Marie ist stellvertretend für das Schicksal vieler Verdingkinder und sollte nicht in Vergessenheit geraten.
Der Gegenwartsstrang hingegen hat mich eher wenig berüht. Mit Anna konnte ich mich nicht wirklich identifizieren und auch bei der Suche nach ihrer leiblichen Mutter bin ich ihr nicht wirklich näher gekommen. Ich hatte auch das Gefühl, dass hier einige Nebensächlichkeiten zu detailliert erzählt, während wichtige Details pauschaliert wurden. Die schlechte Beziehung der Adoptivmutter zu Anna fand ich etwas klischeehaft.

Schreibstil:
Die unter Pseudonym schreibende Autorin historischer Romane hat einen sehr emotionalen Schreibstil, der mich immer wieder an ihre Bücher fesselt. Ihre besonderen Themen, denen sie sich unter den Namen Linda Winterberg widmet, sind wahnsinnig gut recherchiert und aufwühlend.
Die Charaktere in der Vergangenheit sind sehr authentisch und ich litt und fühlte mit ihnen mit.

Fazit:
Der Roman beinhaltet ein dunkles Thema der Schweiz, das lange tot geschwiegen wurde. Dank Geschichten wie dieser, wird das Schicksal der Verdingskinder wieder aufgegriffen. Der Vergangenheitsstrang ist berührend und hat mich sprachlos zurückgelassen. Der Gegenwartsstrang konnte mich hingegen nicht ganz überzeugen. Deshalb gibt es 4 1/2 Sterne, statt 5. Auf jeden Fall ist es ein Roman, der einem noch lange nachdenklich zurücklässt. Ich empfehle ihn gerne weiter!