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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.07.2024

„Fiktiver historischer Roman rund um Kaiser Karl V.“

Reise nach Laredo
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Dieser Roman ist so ganz anders als die Bücher, die ich bisher von Arno Geiger gelesen habe („Das glückliche Geheimnis“, „Selbstportrait mit Flusspferd“). Als ich zu ihm gegriffen habe, war mir nicht bekannt, ...

Dieser Roman ist so ganz anders als die Bücher, die ich bisher von Arno Geiger gelesen habe („Das glückliche Geheimnis“, „Selbstportrait mit Flusspferd“). Als ich zu ihm gegriffen habe, war mir nicht bekannt, dass Geiger in ihm die letzten Lebensmonate des tatsächlich existent gewesenen Kaisers Karl V. von Spanien fiktiv, aber durchaus unter Verarbeitung von Fakten thematisiert. 58jährig dankte er ab und zog sich in ein spartanisches Kloster in Yuste zurück. In der Realität begab er sich von seinem Herrschersitz in Laredo auf seine letzte Reise in dieses Kloster; der Roman schildert rückwärts eine Reise vom Kloster nach Laredo, in Begleitung seines illegitimen elfjährigen Sohnes. Nachdem ich mich über diesen Herrscher ein wenig kundig gemacht habe, ist mir aufgefallen, wie viele tatsächliche Besonderheiten den Weg in die Geschichte gefunden haben – seine Vorliebe für schwarze Kleidung, seine Fettleibigkeit, seine Krankheiten, sein Wunsch nach Ruhe und seine Suche nach dem Sinn des Lebens im Alter. Interessant ist auch die Beschreibung typischer zeitgenössischer Besonderheiten wie etwa die Sonderstellung der diskriminierten Cagots in Spanien. Historisches Interesse sollte also schon bei der Lektüre vorhanden sein. Die Geschichte fesselt durch die Abenteuer, die der ehemalige Monarch auf seiner Reise erlebt, die einem modernen Road-Movie ähnelt. Die Sprache der Erzählung ist sehr bildhaft und schwermütig, regt dadurch den Leser an, sich mit eben den Fragen zu beschäftigen, auf die auch Karl eine Antwort sucht.

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Veröffentlicht am 20.07.2024

Eine vom Ehemann verlassene Ehefrau

Ex-Wife
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Dieser Roman ist der Debütroman der Autorin, der bereits 1929 erstmalig veröffentlicht wurde. Nunmehr wurde er neu aufgelegt. Seinerzeit galt er als Skandalroman, weshalb die Autorin ihn wohl auch nur ...

Dieser Roman ist der Debütroman der Autorin, der bereits 1929 erstmalig veröffentlicht wurde. Nunmehr wurde er neu aufgelegt. Seinerzeit galt er als Skandalroman, weshalb die Autorin ihn wohl auch nur anonym publizieren ließ. Und skandalös ist er für mein Empfinden auch heute noch nach fast 100 Jahren. Das liegt nicht daran, dass Protagonistin eine junge Frau ist, die nach gerade einmal vier Ehejahren vom Mann verlassen und einige Jahre später von ihm geschieden wurde. Meiner Beurteilung liegt vielmehr zugrunde, wie diese Frau ihr Leben nach der Trennung gestaltet. Allein beruflich bringt sie es als Werbetexterin zu einem gewissen Erfolg, was meine Hochachtung erhält, während privat für sie das tägliche Ausgehen in Clubs, Kneipen und Bars, die Vergnügungssucht, die modische und luxuriöse Bekleidung, das sehr ausufernde Trinken und die kurzen amourösen Bekanntschaften mit einer langen Reihe von Männern im Vordergrund stehen. Allein hierum und um das Nicht-Loslassen-Können vom Ehemann dreht sich die ganze Geschichte, so dass sie mir ziemlich oberflächlich erscheint. Als ganz schlimm sehe ich es, dass die Protagonistin um ihr verstorbenes Baby nicht trauert und nicht einmal den Todestag von ihm benennen kann. Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Roman das Leben in der Metropole New York in den goldenen 20ern realistisch abbildet.

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Veröffentlicht am 16.07.2024

Eine liebevoll erzählte Geschichte über einen Demenzkranken

Der Bademeister ohne Himmel
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Die Autorin hat ihrem Roman ihre eigene langjährige Erfahrung aus der Pflege demenzkranker Menschen zugrunde legen können, so dass eine realistische Geschichte entstanden ist, die zugleich tragisch als ...

Die Autorin hat ihrem Roman ihre eigene langjährige Erfahrung aus der Pflege demenzkranker Menschen zugrunde legen können, so dass eine realistische Geschichte entstanden ist, die zugleich tragisch als auch humorvoll ist. Sie lässt sie die fiktive polnische Pflegerin Ewa und die 15jährige Linda aus der Nachbarschaft des demenzkranken 87jährigen Hubert vorbildhaft mit diesem umgehen. Sehr liebevoll erzählt sie von dem zunehmenden geistigen und dann auch körperlichen Verfall Huberts. Für ihn ist es ein Glück, dass seine Tochter, die mit der Situation überfordert erscheint, Ewa engagiert und dann auch Linda gegen ein Taschengeld stundenweise einspringen lässt. Wir können über einige Monate hinweg den Alltag des alten Mannes verfolgen, der einen mit seinen Reaktionen oftmals zum laut Auflachen animieren könnte, wenn nicht seine Lage so tragisch wäre. Ewa und Linda wachsen einem sofort ans Herz – Ewa mit ihrem radebrechenden Deutsch und Linda, die denkt und redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, und so schöne Ideen im Umgang mit Hubert realisiert, dabei intuitiv alles richtig macht. Leider fragt ihre Umgebung kaum danach, wie es ihr eigentlich geht. Denn zu Anfang trägt sie sich mit realen Suizidgedanken, die erst durch die zur Freundschaft werdende Beziehung mit Hubert und einen unerwarteten Zwischenfall schwinden.
Das Buch ist erfrischend zu lesen und keiner muss befürchten, durch das Thema Demenz hinabgezogen zu werden. Meine Bestbewertung hat es.

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Veröffentlicht am 11.07.2024

Eine rückwärts aufgerollte Liebesgeschichte

Bevor wir uns vergessen
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Dieser Roman ist eine ganz besondere Liebesgeschichte. Niedergeschrieben auf nur 174 Seiten umspannt er dennoch mehr als 60 Jahre gemeinsames Leben der jetzt in ihren 80ern befindlichen Eheleute Jules ...

Dieser Roman ist eine ganz besondere Liebesgeschichte. Niedergeschrieben auf nur 174 Seiten umspannt er dennoch mehr als 60 Jahre gemeinsames Leben der jetzt in ihren 80ern befindlichen Eheleute Jules und Alice. Körperlich zerbrechlich und mit nachlassendem Gedächtnis erinnern sie sich nicht mehr, welches Paar sie einmal waren. Formell geschickt gelöst ist es, ihre Geschichte rückwärts zu entrollen, beginnend im Jahr 2022 und dann jeweils ein anderes Jahr aus der Vergangenheit bis hin zu 1955 in den Vordergrund zu setzen. Da fragt man sich als LeserIn, genauso wie es Jules tut, wie sie es geschafft haben, noch immer zusammen zu sein. Denn Auseinandersetzungen, Sprachlosigkeit, Ehebruch zogen sich durch die gesamte Zeit. Eine weitere auffällige positive Formalie ist, dass jeder herausgegriffene Zeitabschnitt einen Bezug zu einem besonderen gesellschaftlichen oder politischen Ereignis hat – der Algerienkrieg, die Wahl von François Mittérand, die Attentate auf das World Trade Center, der Fall der Berliner Mauer, die 1968er Studentenbewegung. Besondere Spannung erzeugt ein von Jules an Alice geschriebener Brief, auf den immer wieder eingegangen wird, dessen Inhalt aber erst am Ende bekannt gemacht wird. Das Tüpfelchen auf dem i sind schließlich die vielen Ausblicke auf Pariser Gegenden, die das französische Flair schaffen.
Ein angenehm zu lesender Roman.

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Veröffentlicht am 02.07.2024

Eine berührende Familiengeschichte mit Bezug zur Geschichte Rumäniens

Das Pfauengemälde
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Treffend charakterisiert die Schriftstellerin Dana Grigorcea auf dem Buchrücken das Erstlingswerk ihrer Kollegin Maria Bidian als „Ein berührendes, außergewöhnliches Debüt!“. Berührend ist die Geschichte ...

Treffend charakterisiert die Schriftstellerin Dana Grigorcea auf dem Buchrücken das Erstlingswerk ihrer Kollegin Maria Bidian als „Ein berührendes, außergewöhnliches Debüt!“. Berührend ist die Geschichte deshalb, weil die Protagonistin Ana, die Tochter einer Deutschen und eines Rumänen, auf einer Reise in die Heimat ihres zwei Jahre zuvor verstorbenen Vaters ihn und seine Vergangenheit erstmals richtig kennenlernt und dabei ihre andauernde tiefe Trauer um ihn verarbeitet. Das Leben des Vaters ist sehr tragisch. Während des Kommunismus und der Diktatur Ceauşescus war er als Widerstandskämpfer tätig und den Folterungen des Geheimdienstes ausgesetzt. Ihm gelang die Flucht nach Deutschland, wo er, der sehr gebildet war und aus einer guten bürgerlichen Familie kam, nie anerkannt wurde. Nach der Revolution kehrte er regelmäßig mit Frau und Tochter nach Rumänien zu seiner stolzen Familie zurück, die auf Genugtuung gegenüber dem Staat für Enteignungen aus war. Ana begibt sich zu Besuch dorthin, um ein Gemälde zurückzuerlangen, das für ihren Vater wichtig war und in dessen Zusammenhang sie sich erhebliche Schuldgefühle am Tod ihres Vaters macht, und um ihren Angehörigen bei der Übernahme des endlich ihnen zugesprochenen Hauses formell zu unterstützen. Die Geschichte um das Gemälde nimmt schließlich eine andere Wendung, als erwartet …
Wir erfahren sehr viel über die Geschichte Rumäniens ab seiner kommunistischen Regierung mit seinem über Leichen gehenden berüchtigten Geheimdienst Securitate über die Revolution Ende der 1980er Jahre bis in die Gegenwart, in der nach wie vor Bürokratie und Korruption herrschen. Das waren alles Aspekte, die mir in dieser Deutlichkeit noch nie vor Augen geführt wurden und mich, der ich in einer Demokratie aufgewachsen bin, diese umso mehr schätzen lassen. Alles ist eingebettet in eine schöne Familiengeschichte, die allerdings etwas verwirrend ist, weil es geraume Zeit dauert, bis man die vielen Romanfiguren mit ihren rumänischen Vornamen einordnen kann. Doch hier ergeht es einem ohnehin nicht anders als Ana, die selbst kaum den Überblick über den rumänischen Zweig ihrer Familie hat. Der Schreibstil ist melancholisch gehalten und wird so den behandelten Themen gerecht.
Insgesamt sehr zu empfehlen Lesern mit Interesse an Familiengeschichten mit historischem Bezug zu Ländern in Europa.

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