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Veröffentlicht am 28.12.2022

Frauenpower

Die Unternehmerin von Amsterdam
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Mit dem Tod ihrer Eltern kurz nacheinander hat sich Lydia noch nicht abfinden können. Im Jahr 1892 pendelt sie zwischen Familienwohnsitz und Amsterdam hin und her und versucht wenigstens das Zusammensein ...

Mit dem Tod ihrer Eltern kurz nacheinander hat sich Lydia noch nicht abfinden können. Im Jahr 1892 pendelt sie zwischen Familienwohnsitz und Amsterdam hin und her und versucht wenigstens das Zusammensein mit ihren besten Freundinnen genießen. Als die dann die Papiere ihres Vaters durchsieht, entdeckt sie, dass er plante im einem Bauern vor Ort eine Käsefabrik zu eröffnen. Endlich sieht Lydia eine Aufgabe, sie will in die Fußstapfen ihres Vaters treten. Zu dieser Zeit ist das für eine Frau alles andere als einfach. Gewisse Verträge darf nur ein Mann abschließen. Zum Glück ist Huib, der Inhaber des Bauernhofs, auf ihrer Seite.

Das Leben von Lydia entwickelt sich anders als das ihrer Mutter, die die gegen die ihr zugedachte Rolle aufbegehrt hat. Durch den frühen Tod ihrer Eltern nimmt Lydia schon wegen der Umstände einen anderen Weg. Doch auch die Zeiten ändern sich und Frauen denken so langsam daran, dass sie auch eine Ausbildung oder einen Beruf gebrauchen könnten. Für die wohlhabenden jungen Frauen gilt das allerdings weniger als für die Arbeiterinnen. Lydia weiß, wenn sie heiratet, hat letztlich ihr Mann den Zugriff auf ihr Vermögen. Und das möchte sie nicht. Ihr gemeinsames Unternehmen mit dem Landwirt Huib wird vom Landvolk kritisch beäugt.

Beim Lesen des Titels und auch des Klappentextes bilden sich Vorstellungen über den Schwerpunkt dieses Romans. Der tatsächliche Inhalt entwickelt sich dann etwas anders. Zwar steht Lydia im Mittelpunkt, doch ihre Rolle als Unternehmerin und Frau in einer Zeit des Umbruchs gerät ein wenig in den Hintergrund. Mehr geht es um ihre Liebe, ihre Entscheidungen und die Liebe zu ihrer Tochter, welche als junge Erwachsne mehr Raum beansprucht. Da die Handlung sich über etliche Jahre erstreckt, muss man mit Zeitsprüngen klarkommen und auch einer gewissen Episodenhaftigkeit. Lange Zeiträume liegen einem mehr oder weniger. Ein Vorteil davon ist gewiss, die Darstellung der Veränderung. So war es den Frauen zunächst nicht erlaubt, viele eigene Entscheidungen zu treffen und kaum zwanzig Jahre später, machen sie Ausbildungen und stehen ihre Frau. Sehr interessant sind auch die Anmerkungen der Autorin im Nachwort, die einige Passagen in einem neuen Licht erscheinen lassen.

Ein sehr schöner historischer Roman, der besonders mit seiner historischen Akkuratesse beeindruckt.

Veröffentlicht am 19.12.2022

Märchenzeit

Die Royals, ihr Bodyguard und ich
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Die Grundschullehrerin Piper Evans will eigentlich nur nach Hause, nachdem sich ein Schüler über ihre Handtasche übergeben hat. Das ist allerdings schwieriger als gedacht. Ihre Straße ist abgesperrt und ...

Die Grundschullehrerin Piper Evans will eigentlich nur nach Hause, nachdem sich ein Schüler über ihre Handtasche übergeben hat. Das ist allerdings schwieriger als gedacht. Ihre Straße ist abgesperrt und ein etwas furchteinflößender Sicherheitsbeamter glaubt ihr nicht, dass sie einfach nur ihr Heim aufsuchen will. Warum? Auf ihrer beschaulichen kanadischen Insel befinden sich die britischen Royals Prince Edward und seine Frau Monica und sie schauen sich ein Haus in Pipers direkter Nachbarschaft an. Nachdem sie sich mit dem Bodyguard angelegt hat, vergisst sie die Sache beinahe. Doch einige Wochen später zieht das berühmte Paar tatsächlich nebenan ein und mit ihren ihr Bodyguard.

Mit dem auffälligen Cover zieht das Buch sofort den Blick auf sich und in unsicheren Zeiten möchte man der Wirklichkeit vielleicht gerne für ein Weilchen entfliehen. Dafür bietet diese Geschichte, von der man sich nicht vorstellen kann, dass sie passieren könnte, genau den richtigen Ansatz. Die zurückgezogen lebende Grundschullehrerin, der abweisende wirkende Sicherheitsmann und die neuen Nachbarn. Piper kümmert sich liebevoll um ihre Mutter, die nach der Scheidung Mühe hat, ihr Leben zu meistern. Doch wie soll sie sich dem Prinzen und seiner Frau gegenüber benehmen? Etwa ganz normal? Und dieser Bodyguard geht ihr auch aus dem Sinn.

Die Weichen sind gestellt und wie weiß man eigentlich schon, wenn man den Klappentext liest. Das macht aber nichts. Schließlich geht es darum für ein paar Stunden gut unterhalten zu werden. Piper ist eine sympathische junge Frau, die vielleicht genauso abhängig von ihrer Mutter ist, wie diese von ihr. Harrison, der Bodyguard, macht mit seiner schlagfertigen Art Freude, die zu etlichen Schlagabtauschen zwischen ihm und Piper führt. Die Darstellung der Royals, die mit ihrer royalen Rolle hadern, kann nicht beurteilt werden. Schließlich kennt man sich damit nicht aus. Doch auch sie kommen nett und zugewandt rüber. Vielleicht muss man ein wenig jünger sein, um sich richtig in den Roman reinfallen lassen zu können, doch die vorher erwähnte gute Unterhaltung bekommt man bestimmt. Gerade auch bei der Hörversion, die sehr schön vorgetragen wird von Mirjam Macht.

Veröffentlicht am 13.12.2022

Traumberuf

Fräulein Gold: Schatten und Licht
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Im Jahr 1922 haben sich die Menschen noch nicht gänzlich vom Krieg erholt. Und dennoch hat das Leben wieder Einzug gehalten in Berlin. Und dort arbeitet Hulda Gold als Hebamme. Eine Patientin liegt ihr ...

Im Jahr 1922 haben sich die Menschen noch nicht gänzlich vom Krieg erholt. Und dennoch hat das Leben wieder Einzug gehalten in Berlin. Und dort arbeitet Hulda Gold als Hebamme. Eine Patientin liegt ihr im Moment besonders am Herzen. In etwas ärmlichen Verhältnissen lebt sie, doch mit einem Mann, der sich liebevoll um sie kümmert. Ihr erstes Kind kommt bald und sie fürchtet sich. Nicht zuträglich für ihre Stimmung ist, dass eine andere Bewohnerin des Hauses, tot aufgefunden wurde. Rita hat selbst alles verloren und sich doch um andere gekümmert und nun ist sie tot. Hulda erklärt sich bereit, etwas über die Todesumstände herauszufinden.

Hulda Gold betritt die Bühne eines historischen Kriminalromans. Das Berlin der 1920er ist kein einfaches Pflaster, doch Hulda liebt ihren Kiez. Auch ihre Familie hat unter dem Krieg gelitten. Von Felix, ihrem besten Freund und Partner, hat sie sich getrennt. Aber so richtig losgelassen hat sie ihn noch nicht. Die Nachforschungen um den Tod von Rita sind deshalb zunächst schon eine gute Ablenkung. Eine Ablenkung ist auch Kommissar Karl North, der sie zu ihrer Verbindung mit Rita befragt. Gemeinsam versuchen die beiden mehr herauszufinden. Das hält Hulda allerdings nicht davon ab, auch auf eigene Faust weiterzusuchen.

Vor dem Hintergrund der 1920er erzählt die Autorin von Hulda Gold und ihre Suche nach der Wahrheit. Die Menschen in Berlin haben es nicht leicht. Die Demokratie ist jung und fühlt sich ungewohnt an. Die Narben des Krieges sind nicht vergessen und die, die am Rande der Gesellschaft sind, werden alles andere als gut behandelt. Es stellt sich heraus, dass Ritas Geschichte eine ganz andere ist, als die einer Alkoholikerin, die möglicherweise betrunken in den Kanal gestürzt ist. Auch wenn Huldas Herangehensweise manchmal etwas leichtfertig wirkt und man sich fragt, ob sie als Laiin sich unbedingt in Gefahr begeben muss, so ist die Schilderung des Milieus und des entbehrungsreichen Lebens der Menschen nach dem Großen Krieg sehr fesselnd. Die Wirkung wird noch verstärkt durch die ausdrucksstarke Stimme von Katharina Thalbach, die dieses Hörbuch gekonnt vorträgt.

Veröffentlicht am 12.12.2022

Die Entdeckerin

Die Telefonistin – Mrs. Dalton hört mit
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In einem kleinen Ort im Amerika Anfang der 1950er Jahre arbeitet Vivian Dalton als Telefonistin. Sie kann nicht leugnen, dass sie schon als Kind neugierig war. Den Telefonaten zu lauschen, ist nicht erlaubt ...

In einem kleinen Ort im Amerika Anfang der 1950er Jahre arbeitet Vivian Dalton als Telefonistin. Sie kann nicht leugnen, dass sie schon als Kind neugierig war. Den Telefonaten zu lauschen, ist nicht erlaubt und deshalb macht sie das auch nicht, meistens. Eines Abends jedoch bekommt Vivian etwas zu hören, das ihre ganz Welt durcheinander wirft. Ihr Mann soll noch eine andere Frau haben. Das kann einfach nicht sein, deshalb muss Vivian unbedingt herausfinden, ob an der Behauptung etwas dran sein könnte. Auf ihrer Suche nach der Wahrheit findet die Telefonisten noch ganz andere Geheimnisse über die Einwohner des Städtchens heraus.

Was waren die Fünfziger doch für eine beschauliche Zeit. Es gab kein Internet, keine Handys, kein Social Media. Dafür saßen Familien gemeinsam vor Radio oder Fernseher, die Männer hatten zwar das Sagen, wurden aber doch von den Frauen gelenkt und es gab eben neugierige Telefonistinnen wie Vivian Dalton. Natürlich bedeutet beschaulich nicht unbedingt besser. So sind schon einige der Frauen damals abhängig von den Männern, da ihr Gehalt nicht zum Leben reicht. Und Vivians Eltern haben nie viel gehabt und die Depression hat ihre Möglichkeiten eingeschränkt, weshalb Vivian keinen höheren Schulabschluss hat. Und nun auch noch der Verdacht, ihr Mann könne eine andere haben.

Wenn man sich das Cover anschaut und auch den Klappentext liest, werden Erwartungen an die Abenteuer geweckt, die eine quirlige neugierige Telefonistin erlebt. Und dann wird man doch ein wenig enttäuscht, denn Vivian Dalton wirkt mehr wie die neugierige Klatschbase, die gerne die Fäden in der Hand hält und die sehr darauf bedacht ist, was die Nachbarn denken. Dabei muss sie alles tun, um nach der Neuigkeit den Schein zu wahren. Vivian lernt auf die harte Tour, dass der Lauscher an der Wand manchmal seine eigene Schand hört. Erst im weiteren Verlauf, wenn Vivian energisch und mutig versucht, den Hintergrund der unerhörten Behauptung zu erforschen und dabei über sich hinauswächst, wird sie nach und nach sympathisch und der Roman gewinnt durch einige weitere Wendungen an Tiefe. Nachdem man die anfängliche kleine Enttäuschung überwunden hat, wird dieser beschauliche Roman, für den sich die Autorin durch das Leben ihrer Großmutter inspirieren ließ, noch sehr ansprechend und fesselnd.

Veröffentlicht am 28.11.2022

Miniking

Der tanzende Berg
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Die Marie ist noch nicht lange wieder in ihrem heimatlichen Dorf. Sie hat etliche Jahre in Wien gelebt und erst als ihr Ziehvater starb und sie ihre Jugendliebe Youni wieder traf, führte der Weg zurück. ...

Die Marie ist noch nicht lange wieder in ihrem heimatlichen Dorf. Sie hat etliche Jahre in Wien gelebt und erst als ihr Ziehvater starb und sie ihre Jugendliebe Youni wieder traf, führte der Weg zurück. Die Werkstatt, in der ihr Onkel Tiere präparierte, hat sie übernommen. Obwohl sie eine andere Ausbildung hat, durfte sie dem Onkel als Kind immer zuschauen und hat sich die Tätigkeit angeeignet. Doch dann starb Youni vor einigen Wochen bei einem Unfall. Marie ist untröstlich. Als ihre Tante Hella in ihrem Namen den Auftrag, einen kleinen Chihuahua namens King zu präparieren, ist sie nicht begeistert.

Eine ungewöhnliche Heldin ist Marie schon. Nicht mehr ganz die Jüngste mit einer Berufung, die man bei einer Frau nicht vermuten würde. Und wie sie mit dem toten kleinen Hund umgeht, mit Respekt vor dem Leben und dem Tod, mit Sanftheit. Da ist die Butz, eine Geschäftspartnerin von Youni, die plötzlich in der Tür steht, ein anderes Kaliber. Und die Butz ist es, die Maria zum Zweifeln bringt. Hätte Younis Tod verhindert werden können? Wie kam es dazu, dass er sein Leben so führte, wie es eben war? Was, wenn die Dorfgemeinschaft einfach über den Migrationshintergrund Younis hinwegsehen und ihn aufgenommen hätte.

Was einen sofort für den Roman einnimmt, ist ein Aufbau, mit dem man einfach nicht rechnet. Und auch Marie, deren Leben nicht zerbröseln darf, wirkt durch die Trauer um ihren Freund zwar niedergedrückt, aber keineswegs antriebslos. Allerdings empfindet man eine Änderung als Butz ins Spiel kommt. Diese resolute Dame nur wenig älter als Marie, eröffnet einige rohe Wahrheiten, die aber doch etwas vage gehalten sind, so dass sich letztlich nicht erschließt, was tatsächlich passiert ist oder ob etwas passiert ist. Und wenn man sich zu Beginn fragt, ob man richtig vermutet, so fragt man sich im weiteren, wie kann es dazu kommen. Wenn man so offen gestaltete Storys mag, ist man hier genau richtig. Gelungen ist die Beschreibung des liebevollen Umgangs mit dem toten kleinen Hund. In Maries Händen wird er wirklich zum kleinen König.