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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.11.2025

Poetisch und leise

Im Schnee
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Der Schnee hat eine weiße Decke über das Dorf gelegt. Vor Kurzem läutete das Totenglöckchen. Schorsch ist gestorben. Max hat sein gesamtes Leben im Dorf verbracht. Jetzt hängt er den Erinnerungen an seinen ...

Der Schnee hat eine weiße Decke über das Dorf gelegt. Vor Kurzem läutete das Totenglöckchen. Schorsch ist gestorben. Max hat sein gesamtes Leben im Dorf verbracht. Jetzt hängt er den Erinnerungen an seinen guten Freund Schorsch nach. Am Abend treffen sich die Alten aus dem Dorf, um die Nacht über Totenwache zu halten. Sie erzählen sich Geschichten von früher, als die Bewohner noch unter sich waren und es kein Neubaugebiet gab. Als es noch eine Schule und einen Kaufmannsladen gab. Es gibt auch einiges, über das niemand spricht. Das Dorf bewahrt seine Geheimnisse. Max sieht am Ende seines Lebens manche Geschehnisse kritisch, dennoch bricht auch er nicht das Schweigen. Die Erinnerungen an das Gute wie an das Schlimme werden bald mit dem letzten, alten Bewohner sterben.

Im Schnee ist ein poetischer Roman, voll Melancholie. Max als Erzähler, der seit seiner Kindheit in dem Dorf lebt und es nie verlassen hat, erinnert sich an ein Dorfleben, das geprägt war von Landwirtschaft und harter Arbeit. Jeder hatte seinen festen Platz in der Gemeinschaft.
Der Tod seines Freundes lässt diese Vergangenheit zurückkehren. Heute sieht Max vieles in einem anderen Licht. Die Beschreibungen des Lebens im Dorf sind authentisch und lassen eine Welt aufleben, die es heute kaum mehr gibt. Ich bin in dieses kleine, aber feine Buch eingetaucht, habe das Dorf mit seinen Bewohnern vor mir gesehen. Es ist eine wundervolle Erzählung, ebenso ruhig und besonnen, so wie man über frisch gefallenen Schnee läuft.

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Veröffentlicht am 19.10.2025

Gut erzählt

Die Diplomatin
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Diplomatie ist in erster Linie geprägt von Geduld und Ruhe. Eigenschaften, die Friederike, genannt Fred, immer ausgezeichnet haben. Ihre Karriere im diplomatischen Dienst ist bisher ohne Zwischenfälle ...

Diplomatie ist in erster Linie geprägt von Geduld und Ruhe. Eigenschaften, die Friederike, genannt Fred, immer ausgezeichnet haben. Ihre Karriere im diplomatischen Dienst ist bisher ohne Zwischenfälle verlaufen. Nun ist sie deutsche Botschafterin in Montevideo, eine beschauliche Stelle. Bis eine deutsche Touristin verschwindet. Zum ersten Mal in ihrer Karriere scheitert Fred an einer Aufgabe. Als Konsequenz wird sie als Konsulin nach Istanbul versetzt. Dort lernt sie nicht nur ihre persönlichen Grenzen, sondern auch die Grenzen der Diplomatie kennen. Es kommt der Punkt, an dem Fred ihre Geduld verliert und eine Entscheidung trifft, die sie mehr als nur ihre Stellung kosten könnte.

Der Roman erzählt in einem nüchternen, sachlichen Stil vom Leben einer Diplomatin. Fred ist eine Frau mittleren Alters, die schon einiges erlebt hat. Sie war einige Jahre in der Botschaft in Bagdad tätig, bevor sie in das ruhige Montevideo versetzt wurde. Echte Freunde oder eine Beziehung gibt es in ihrem Leben nicht. Auch der Kontakt zu ihrer Mutter in Hamburg ist selten.
Zu diesem Leben passt der Erzählstil perfekt. Es ist kein Platz für schmückendes Beiwerk. Mehr Emotionalität bekommt die Geschichte durch die Ereignisse in Istanbul. Man spürt Freds Veränderung, die langsam vonstatten geht. Dennoch bleibt die Geschichte sehr fokussiert. Zudem gibt das Buch Einblicke in den Alltag von Diplomaten, die sich mit banalen Dingen auseinandersetzen müssen, aber auch um das bestmögliche Ergebnis ringen, wenn es z.B. um Menschenleben geht.
Der Roman ist schnörkellos, der Humor trocken, aber die Geschichte ist voller Intensität.

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Veröffentlicht am 17.10.2025

Schwach

Wenn unsere Welt kippt
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Die Vorfahren der Familie Fall sind die Begründer der kleinen Stadt Paradies Springs in Kalifornien.
Doch auf der Familie liegt ein Fluch, der mit der Rivalität zweier Brüder begann und sich bis in die ...

Die Vorfahren der Familie Fall sind die Begründer der kleinen Stadt Paradies Springs in Kalifornien.
Doch auf der Familie liegt ein Fluch, der mit der Rivalität zweier Brüder begann und sich bis in die heutige Zeit auswirkt. Vor zwölf Jahren verunglückte der Vater von Wynton, Miles und Dizzy schwer. Danach verschwand er und niemand hat seitdem etwas vom ihm gehört. Jeder in der Familie trauert für sich allein. Bis eines Tages eine junge Frau mit Haaren in den Farben des Regenbogens auftaucht und endlich Licht ins Dunkel bringt.


Die Zusammenfassung des Romans klingt vielversprechend. Ein Coming-of-Age Roman ab 14 Jahren, über 600 Seiten stark, der die Geschichte einer kalifornischen Familie erzählt.
Doch schon nach dem ersten Drittel verliert sich der Roman in detailreiche Ausschweifungen. Es geht mehr um das, was in der Vergangenheit liegt, als um die aktive Handlung in der Gegenwart. Immer wieder werden unterschiedliche Stile vermischt. So wird beispielsweise ein Handlungsstrang durch Ausschnitte von E-Mails oder Briefen unterbrochen. Dann wiederum findet sich der Leser in einer Fabel bzw. in einer märchenhaften Erzählung wieder.
Hinzu kommt, dass die gesamte Handlung von Problemen, Drama und Tragik völlig überladen ist. Die Familie Fall lässt nichts aus. Von Mobbing über Vernachlässigung von Kindern, Drogen, Alkoholsucht, Betrug, Missbrauch und Depression, es ist alles dabei. Sehr kritisch sehe ich die Passagen, in denen es um sexuelle Fantasien und Handlungen geht, gerne auch unter Drogen, da der Roman für Heranwachsende sein soll.
Alles in allem fehlt dem Roman der Fokus. Weniger Drama, weniger unnützer Stilmix, dafür mehr aktive Handlung und 300 Seiten weniger, würden die Figuren authentischer machen, der Erzählung mehr Tiefe verleihen und so könnte ein Spannungsbogen entstehen, der den Leser fesselt. Das Buch kann ich keinem Heranwachsenden empfehlen, denn es ist in weiten Teilen langweilig, konfus und vermittelt aus meiner Sicht nichts Positives, weder in Sachen Gemeinschaft oder Freundschaft und schon gar nicht in Sachen Familie.

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Veröffentlicht am 14.09.2025

Eine andere Art Krimi

Über die Toten nur Gutes
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Eines Tages bekommt der Trauerredner Mads Madsen einen Brief, in dem sich scheinbar nur ein leeres Blatt befindet. Kurz darauf erfährt er von seinem Freund Fiete, dass ihr gemeinsamer Freund aus Kindheitstagen ...

Eines Tages bekommt der Trauerredner Mads Madsen einen Brief, in dem sich scheinbar nur ein leeres Blatt befindet. Kurz darauf erfährt er von seinem Freund Fiete, dass ihr gemeinsamer Freund aus Kindheitstagen gestorben ist. Mads erinnert sich wieder an die kurze, aber intensive Freundschaft zu Patrick, der ebenso unerwartet, wie er in Mads Leben gekommen war, auch wieder verschwand. Und Mads erinnert sich wieder an ihre Geheimschrift. Das unbeschriebene Blatt in dem Brief ist keine leere Seite, es enthält eine Botschaft von Patrick, der ihn bittet die Trauerrede für ihn zu halten.
Mads beginnt nachzuforschen, was mit seinem Freund geschehen ist und bringt damit nicht nur sich in große Gefahr.


Über die Toten nur Gutes ist ein etwas anderer Krimi. Mads ist Trauerredner, ein eher ungefährlicher Beruf. Er lebt hoch im Norden Deutschlands mit seinem leicht verschrobenen Vater zusammen. Ein ganz normales Leben. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Mads seine Nachforschungen über Patricks Tod sehr naiv angeht. Und schon gerät er in große Gefahr.
Gerade diese liebenswerte Naivität und Mads Unbedarftheit machen den Charme der Geschichte aus. Hinzu kommen noch die eigentümlichen Figuren, wie beispielsweise Mads Vater oder der geheimnisvolle Mitarbeiter von Fietes Bestattungsunternehmen. Erwartet hatte ich einen unterhaltsamen und humorvollen Krimi, aber das wird dem Roman nicht gerecht. Neben den liebenswerten Charakteren und vielen komischen Abschnitten, beeindruckt die Geschichte mit Tiefgang und Liebe zum Detail. So wie man es von den vorherigen Romanen des Autors kennt.
Der Auftakt dieser Krimireihe ist absolut gelungen und hat mich positiv überrascht. Der Roman ist spannend geschrieben und hat einige unerwartete Wendungen zu bieten.

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Veröffentlicht am 27.08.2025

Kein einfacher, aber ein bewegender Roman

Das Geburtstagsfest
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Der 50. Geburtstag vom Kim soll groß gefeiert werden. Seine Frau Ines und die drei Kinder legen sich dafür mächtig ins Zeug. Auch wenn Kim ungern im Mittelpunkt steht, lässt er seiner Familie die Freude, ...

Der 50. Geburtstag vom Kim soll groß gefeiert werden. Seine Frau Ines und die drei Kinder legen sich dafür mächtig ins Zeug. Auch wenn Kim ungern im Mittelpunkt steht, lässt er seiner Familie die Freude, das Fest vorzubereiten. Seine Kinder haben als besondere Überraschung Tevi eingeladen, eine alte Freundin der Familie.
Kim und Tevi sind in Kambodscha aufgewachsen und vor den Gewalttaten der Roten Khmer geflüchtet. So kamen sie als Teenager nach Österreich. Der Kontakt zwischen ihnen ist seit langem abgerissen. Jeder lebt sein Leben. Die erwartete große Wiedersehensfreude bleibt jedoch aus. Kim, Ines und Tevi, früher beste Freunde, begegnen sich mit kühler Distanz.


Es ist keine leichte Lektüre. Die Geschichte wird auf mehreren Zeitebenen erzählt und wechselt zwischen den 1970er Jahren in Kambodscha, den 1980er Jahren in Österreich und der Gegenwart. Judith W. Taschler hat einen genauen Blick auf ihre Figuren. Die Beschreibung der Zeit vor den Roten Khmer und während ihrer Herrschaft führt einem vor Augen, wie unbarmherzig dieses Regime war. Die Schreibweise hierbei bleibt sachlich, dennoch kann man sich der Brutalität nicht entziehen. Nur langsam fügen sich die einzelnen Schicksale zu einem Ganzen zusammen.
Der unprätentiöse Schreibstil und das genaue Hinsehen, wie sich Erlebtes auf die Figuren auswirkt – und damit meine ich nicht nur die Geschehnisse in Kambodscha – machen den Roman zu etwas Besonderem. Es ist ein Roman, der mich sehr bewegt hat.

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