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Thomas Manns 150. Geburtstag hat eine ordentliche Menge an Neuerscheinungen auf den Plan gerufen. eine sticht dabei besonders positiv hervor: Tilmann Lahmes Buch „Thomas Mann. Ein Leben„. Lahme nimmt dabei ...
Thomas Manns 150. Geburtstag hat eine ordentliche Menge an Neuerscheinungen auf den Plan gerufen. eine sticht dabei besonders positiv hervor: Tilmann Lahmes Buch „Thomas Mann. Ein Leben„. Lahme nimmt dabei die Freundschaft zwischen Thomas Mann und Otto Grautoff ins Visier. Alles andere gerät dabei in den Hintergrund. Das ist freilich nicht schlimm, denn das meiste hat man schon einmal gehört und gelesen. Mit der Veröffentlichung seines Tagebuchs wurde Thomas Mann quasi zum offenen Buch.
Unter die Räder kam aber dennoch die Kindheitsfreundschaft zwischen Thomas Mann und Otto Grautoff. Und das hat ganz unterschiedliche Gründe. Einmal ist das Tagebuch Thomas Manns zunächst mit vielen Auslassungen veröffentlicht worden. Das gilt auch für den Briefwechsel zwischen Thoms Mann und Otto Grautoff, der bis heute nicht vollständig veröffentlicht war. Irgendwie war der der Thomas-Mann-Forschung zu suspekt. Denn zum einen zeigt sich Thomas Mann immer wieder zutiefst herablassend und kaum wie ein echter Freund, zum anderen unterhalten sich die beiden so offen über ihre Homosexualität, dass zumindest biederen Thomas Mann-Forschern die Ohren schlotterten. Glücklicherweise hat sich Otto Grautoff nicht an das Diktum Thomas Manns gehalten, die Briefe zu vernichten. Freilich hat er „intimere“ Stellen mit der Schere entfernt.
Von „Jugendsünden“ sprach man früher in der Thomas Mann-Forschung. Tilmann Lahme gelingt es hingegen in seinem Werk, das Gegenteil zu beweisen. Schlüssig legt er dar, dass sich Thomas Mann an die so genannte Konversionstherapie Zeit seines Lebens hielt. Und dass die so erfolgte Unterdrückung seiner Sexualität mithilfe des Tagebuchs – neben anderem wie der Ernährung oder Hypnose – für Thomas Mann von großer Bedeutung war. Es half ihm im Einüben seiner „Selbstzucht“.
Fasziniert folgt man Lahmes chronologisch angelegten Ausführungen, die Verbindungen zum Werk Thomas Manns herstellen. Losgelöst voneinander könne man sich Manns Homosexualität und Werk nicht vorstellen. Nur so lasse sich etwa verstehen, weshalb im gesamten frühen Erzählwerk Thomas Manns die Liebe stets in den Untergang führe. Allzu sehr verwundert es nicht, dass es kein Hochzeitsfoto von Thomas und Katia Mann gibt.
Zugleich kommt man Thomas Mann als Person unglaublich nah. Seine Widersprüchlichkeit und Unbedarftheit in politischen Dingen macht Lahme deutlich, seinen Narzissmus und seine Eitelkeit, seine Neigung, Freunde auch fallen zu lassen, seine fehlende Kritikfähigkeit bei sich selbst, seine ungehobelte Unfreundlichkeit im Urteil über andere. Ja, Thomas Mann kann ein Arschloch sein. Auch das zeigt Tilmann Lahme.
Den Schwerpunkt seines Buches setzt Lahme in Manns Jugendjahren, wo er seine Entscheidung, die Ehe als Therapie anzustreben, verortet. Wenn einzelne Briefpassagen ausführlichst gedeutet werden, kann man sich als Leser sicher sein: Unbedeutendes ist hier nicht angesprochen. Allenfalls die Ausführlichkeit, mit der Susan Sontags Begegnung mit Thomas Mann als 16-Jährige thematisiert wird, wirkt wie ein Fremdkörper.
Fazit: Tilmann Lahmes Thomas-Mann-Biographie ist gut lesbar, bringt Thomas Manns Charakter nahe, zeigt seine inneren Kämpfe und verknüpft sie mit den damit verbundenen literarischen Erfolgen. Zugleich räumt er mit manch verstaubter Thomas Mann-Forschung auf.