Shai Tamus ist ein Journalist, der am Anfang seines Weges durch seinen frischen Schreibstil und seine häufigen Fernsehauftritte einige Berühmtheit erlangte. Doch über die Jahre sinkt sein Erfolg, seine Kolumnen werden auf die hinteren Seiten der Zeitung verbannt, und er ist fast vergessen. Auch die Liebe seiner Frau Alona, die sich in angesehenen Galeristenkreisen bewegt, scheint er zu verlieren. Und die Kinder interessieren sich immer weniger für ihn. Als er die Gelegenheit erhält, wieder im Fernsehen aufzutreten, auf der ganz anderen Seite, im patriotischen Kanal, ergreift er sie wie einen Rettungsring. Shai merkt nicht, wie er instrumentalisiert wird, und tut nun alles, damit ihm der Erfolg nicht wieder abhandenkommt.
Yishai Sarid ist ein Autor, der in seinen Büchern über gesellschaftspolitische Themen in Israel schreibt. So auch hier in seinem neuen Roman über einen durchschnittlichen Mann, der sich zur falschen Seite ...
Yishai Sarid ist ein Autor, der in seinen Büchern über gesellschaftspolitische Themen in Israel schreibt. So auch hier in seinem neuen Roman über einen durchschnittlichen Mann, der sich zur falschen Seite hin verführen lässt.
Shai ist ein Journalist, der nach kurzen Erfolg in die Mittelmäßigkeit versank. Durch einen Zufall bekommt er Kontakt in politische Kreise und ist von der Aufmerksamkeit begeistert. Er ist bereit sich dem rechtsgerichteten Premierminister anzudienen und in dessen Sinne zu agieren. Er wird ein Mitläufer.
Der Autor zeigt diesen Prozess langsam, Schritt für Schritt und daher gründlich und nachvollziehbar. Da man als Leser dicht bei der Figur ist, lernt man, dessen Handeln zu verstehen, ohne es akzeptieren zu müssen.
Das ist meisterhaft gemacht. Ein intensives Buch eines klugen Autors!
Shai ist studierter Journalist. Durch einen frischen Schreibstil steigt er schnell auf und ist auch bald im Fernsehen sehr gefragt. Die Familie kann sich einen guten Lebensstil leisten. Doch nach und nach ...
Shai ist studierter Journalist. Durch einen frischen Schreibstil steigt er schnell auf und ist auch bald im Fernsehen sehr gefragt. Die Familie kann sich einen guten Lebensstil leisten. Doch nach und nach bröckelt Shais Beliebtheit und er rutscht ab, bis nur noch eine kleine Fangemeinde übrig bleibt. Die Fernsehauftritte werden weniger, der Lebensstil kann so nicht mehr aufrecht erhalten werden und die Ehe beginnt zu kriseln. Shai sucht jedoch weiter nach Bestätigung und er findet diese an einer anderen politischen Front. Stück für Stück rutscht Shai hin in die rechtspopulistische Szene.
Was macht es mit einem, wenn man plötzlich weniger Bestätigung findet? Shai hat es nicht gut verkraftet. Er sucht sich seine Lücken, um auch weiterhin den Rausch zu fühlen. Die Figur von Shai ist fast ein wenig tragisch. Innerlich scheint er nicht so stark zu sein, sonst würde er nicht zwanghaft Bestätigung von außen brauchen. Die Veränderung ist schleichend. Und es zeigt, wie schnell man in schwachen Momenten auf die falschen Dinge "hereinfallen" kann. Shais Abkehr von seinen bisherigen Werten ist sehr schön dargestellt, spontan erinnere ich mich an die Szene mit der arabischen Putzkraft. Es zeigt, wie schnell Schwachstellen gezielt genutzt werden können um so die Leute für sich zu gewinnen, obwohl sie vorher ganz anderer Überzeugung waren. EIne tolle Geschichte, die so absolut in die heutige Zeit und auch nach Deutschland passen würde. Das Lesen fand ich stellenweise etwas langatmig, aber dies ist persönliches empfinden und tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch.
Nein, einen Sympathieträger hat Yishai Sarid mit seinem Protagonisten Shai Tamus in dem Roman "Chamäleon" wirklich nicht geschaffen. Der Journalist, Vater zweier mehr oder weniger erwachsenen Kinder, hat ...
Nein, einen Sympathieträger hat Yishai Sarid mit seinem Protagonisten Shai Tamus in dem Roman "Chamäleon" wirklich nicht geschaffen. Der Journalist, Vater zweier mehr oder weniger erwachsenen Kinder, hat seine besten Berufsjahre hinter sich. Für das Zeitalter der sozialen Medien und permanenten Selbstvermarktung fehlt ihm ein wenig der Biss, vor allem aber der Instinkt, sich in den Vordergrund zu drängen. Und auch seine Ausgewogenheit, sein Harmoniebedürfnis haben eine kurze Zeit der Fernsehpräsenz und damit eines gestiegenen Bekanntheitsgrads schnell wieder sinken lassen. Er fühlt sich in die mediale und gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit versinken - und das gefällt ihm gar nicht.
Dies alles ändert sich, als Shai nach einem wütenden Social Media Post die Aufmerksamkeit eines rechtspopulistischen Senders erhält. Man interessiert sich für ihn, bietet ihm eine Plattform, instrumentalisiert ihn. Immer mehr wird Shai nur Sprachrohr der Einflüsterungen eines Politfunktionär des Regierungschefs. Während alte Freunde und Nachbarn auf die Straße gehen gegen dessen Politik, verteidigt Shai sie mit immer beißenderer Polemik, nur um sich Aufmerksamkeit und mediale Präsenz zu erhalten. Auch innerhalb der eigenen Familie ist er immer isolierter.
Sarid zeigt die Karriere eines Opportunisten und Mitläufers, eines, der gegen besseres Wissen und seine alten Überzeugungen, die er immer radikaler verleugnet, sich an die Macht und die erhoffte Popularität anbiedert. Da das alles aus seiner Perspektive mit einer Mischung von Rechtfertigung und Selbstgerechtigkeit erzählt wird, wirkt dieser Charakter nur umso widerlicher.
Zugleich zeigt der Autor die Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft in politische Lager, ethnische Gruppen, Religiöse und Säkulare, ein schwarz-weiß-Denken und eine zunehmende Polarisierung, die auch in den privaten Bereich geht. Im Roman wie im wirklichen Leben wird der 7. Oktober zur Zäsur, denn Shais Tochter im Teenageralter wollte zu einem Musikfestival im Süden Israels. Erst die Ungewissheit und Todesangst um seine Tochter sind der Moment, in dem Shai innehalten und sich fragen muss, was ihm am wichtigsten ist.
Sarid erzählt eher langsam. Die Entwicklung zum Jasager, der sich instrumentalisieren lässt, geht über die israelische Gegenwart hinaus und ist überall denkbar.
Shai scheint als Journalist in Israel die besten Berufsjahre hinter sich zu haben: nach einem kurzen Ausflug in die Fernsehwelt war er als uncharismatisch abgestempelt worden und auch seine politischen ...
Shai scheint als Journalist in Israel die besten Berufsjahre hinter sich zu haben: nach einem kurzen Ausflug in die Fernsehwelt war er als uncharismatisch abgestempelt worden und auch seine politischen Kommentare sind nicht mehr so gefragt wie früher. Beruflich und einkommensmäßig sieht er sich am Abstellgleis. Auch mit seiner Ehe steht es nicht zum Besten: seine Frau wird von einem anderen Mann umgarnt, die beiden gemeinsamen Kinder sind nahezu erwachsen, das Verhältnis zu ihnen ist eher distanziert. In der Wohnung würden diverse Instandhaltungsarbeiten anstehen, die sich das Paar nicht so recht leisten kann. Es ist zwar insgesamt noch immer kein schlechtes Leben, das Shai da führt, und vieles ist immer noch angenehm und in Ordnung... doch der mangelnde Erfolg kratzt sehr am Ego des Mannes mittleren Alters.
Eines Tages schreitet er in einem Akt der Zivilcourage in Jaffa spontan ein, wird dafür von drei jungen arabisch wirkenden Männern bedroht und von deren Hund gebissen, kommt ins Krankenhaus und setzt einen wütenden Social-Media-Post ab, der ihn interessant für ein Interview in einem rechtspopulistischen Sender macht.
Schnell realisiert Shai seine Chance: wenn er, der sich bisher als politisch eher linksstehend eingeschätzt, die Dinge differenziert von verschiedenen Seiten aus betrachtet, vorsichtig formuliert und dementsprechende journalistische Kommentare verfasst hat, die Seiten wechselt und seine Botschaften zuspitzt, dann besteht die Chance, wieder gefragt zu sein. Dann darf er regelmäßig im Fernsehen auftreten, wieder viel besser verdienen, wird zu Abendessen mit wichtigen Politikern eingeladen und kommt sogar in die engeren Kreise des Premierministers. Mit so viel mehr Geld und Status könnte er auch für seine Frau wieder attraktiver werden, meint er. Was macht es schon, dafür seine bisherigen politischen Einstellungen und moralischen Prinzipien über Bord zu werfen und sich den Rechtspopulisten anzubiedern, wenn es dort so viel für ihn zu gewinnen gibt?
Wir erleben das ganze Buch aus Shais Perspektive. Dieser ist ein nicht besonders interessanter Charakter, der über keine sonderlich bemerkenswerten Eigenschaften oder Talente verfügt, selbstbezogen ist und zum Opportunismus neigt. Es ist also ein Buch über die Psyche eines eher nicht so sympathischen Menschen. Das Erzähltempo ist eher gemächlich, der Autor nimmt sich viel Zeit dafür, die langsame Zuspitzung der Ereignisse in vielen kleinen Detailszenen darzustellen. Das ist nicht unbedingt langweilig, aber man muss sich die Zeit und Ruhe dafür nehmen.
Wenn man das kann und will, ist es ein durchaus empfehlenswertes Psychogramm eines Opportunisten, das die vielen kleinen Schritte auf dem Weg zum öffentlichen Vertreten immer radikalerer Positionen und zum Verrat an den eigenen ursprünglichen Werten gut darstellt und dabei nachdenklich über die aktuelle politische Landschaft in Israel, aber auch über die Verflechtungen zwischen Medien, Kultur und Politik in diesem und in anderen Ländern macht.