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Veröffentlicht am 15.05.2025

Das Schicksal steht in den Sternen - oder doch nicht?

Stars
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Von Hegel, Kant oder Schopenhauer hat sich Carla Mittmann seit ihrem Philosophiestudium weit entfernt. Statt akademischer Weihen und Kritik der reinen Vernunft bestimmt die Abwicklung von Möbelbestellungen ...

Von Hegel, Kant oder Schopenhauer hat sich Carla Mittmann seit ihrem Philosophiestudium weit entfernt. Statt akademischer Weihen und Kritik der reinen Vernunft bestimmt die Abwicklung von Möbelbestellungen für Behörden ihr Dasein. Akademisches Prekariat eben, Leserinnen mit einem geisteswissenschaftlichem Abschluss werden bei der Lektüre von Katja Kullmanns Roman "Stars" wissend nicken, jedenfalls wenn ihr Studium ebenfalls in eine Zeit viel, in der auf dem Arbeitsmarkt nicht verzweifelt nach jungen Menschen gesucht wurde.

Die Horoskop-Webseite, die Carla betreibt, ist ein Überbleibsel eines Studienprojekts, eine on-off-Sache und kleiner Nebenverdienst. Sie hat sich eingerichtet in einem Alltag, der ausgesprochen unspektakulär ist. Für ihren Job ist sie überqualifiziert, aber immerhin, die Kolleginnen sind nett. Und den rechten Schwung für Veränderungen hat sie eh nicht, bis es zu einem nächtlichen Zwischenfall vor ihrer Zweizimmerwohnung in bescheidener Nachbarschaft kommt: Ein Stein fliegt durch ihr Schlafzimmerfenster, auf den Bürgersteig wurde die Botschaft "Freiheit für Carla Mittmann" gesprüht und vor ihrer Wohnungstür ist ein Karton mit 10.000 Dollar.

Carla weiß nicht, was sie davon halten soll, doch sie beschließt, etwas an ihrem Leben zu ändern. Sie sorgt für ein neues Branding ihrer Horoskopseite, präsentiert sich als Astrophilosophin mit internationaler Erfahrung, kündigt den Job im Möbelhaus. Und siehe da: Mit einer gut vernetzten High Society-Klientin nimmt ihr Astro-Service Fahrt auf. Clara erzielt Einnahmen, von denen sie nicht zu träumen gewagt hätte. Per aspera ad astra, gewissermaßen. Fernsehsendungen, Zeitschriftenartikel und ein wachsender Kundenkreis - und mittendrin Clara zwischen Selbstzweifeln und neuen Überzeugungen. Ist sie eigentlich ein Art Hochstaplerin, oder haben die Sterne ihr tatsächlich etwas zu sagen? Ist ihr das Schicksal samt vergleichsweise spätem Erfolg durch die Sterne vorbestimmt gewesen?

Kullmann erzählt locker und folgt dem Aufstieg ihrer Protagonistin, die als Ich-Erzählerin durch das Geschehen führt, mit Humor und einem Schuss Ironie. Die Pointe am Schluss sorgt dann noch einmal für einen gelungenen Abschlusspunkt.

Für Leser
innen, die Katja Kullmanns Sachbücher kennen, ist "Stars" sicherlich überraschend und ganz anders als ihre Bücher über Feminismus, Frauenrollen und Gesellschaft. Die Unterhaltung ist aber auch hier mit klugen Beobachtungen gewürzt.

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Veröffentlicht am 14.05.2025

Diplomatengattin auf Irrwegen

Teddy
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"Teddy" von Emily Dunlay ist eine Zeitreise in die Gesellschaft der frühen 60-er Jahre, als die Lebenswirklichkeit von Frauen noch eine ganz andere war. Teddy, 34 Jahre alt und Tochter einer reichen texanischen ...

"Teddy" von Emily Dunlay ist eine Zeitreise in die Gesellschaft der frühen 60-er Jahre, als die Lebenswirklichkeit von Frauen noch eine ganz andere war. Teddy, 34 Jahre alt und Tochter einer reichen texanischen Familie mit Verbindungen in die Politik, kommt als frischgebackene Diplomatengattin nach Rom, in der Hoffnung auf Glamour und reiches gesellschaftliches Leben, gleichzeitig aber auch voller Ängste und Unsicherheiten.

Der Verlag verspricht im Klappentext eine "unvergessliche Heldin mit hohem Identifikationspotential" - da muss ich passen. Zwar kann ich durchaus ein gewisses Mitleid mit dem "poor rich girl" empfinden, das mit Mitte 30 noch immer keine Rolle für sich gefunden hat und ziemlich orientierungslos durchs Leben taumelt.

Andererseits: mit so viel Privileg geboren und aufgewachsen und nichts daraus gemacht? Identifikationspotential sehe ich hier überhaupt nicht, im Gegenteil: Teddy ist eine Frau voller Oberflächlichkeiten und Konsumzwänge, gibt das Geld mit vollen Händen aus, ohne jemals eine Ahnung bekommen zu haben, wie schwer es zu verdienen ist und wirft Psychopillen ein wie eine Weltmeisterin. Nein, mit Teddy kann ich einfach nicht warm werden.

Das ändert aber nichts daran, dass Dunlay die römische Diplomatengesellschaft mit leichter Hand und gut lesbarem Stil skizziert, während sie gleichzeitig einen Spannungsbogen aufrechterhält. Schon früh lässt sich ahnen: Teddy hat sich in Schwierigkeiten gebracht, mal wieder. Falsche Freunde, falsches Verhalten ohne großes Nachdenken. Sie weiß sich einfach nicht zu helfen.

Gegen Ende des Buches sorgt Dunlay allerdings für einen Aha- und Überraschungseffekt, der noch einmal für einen ganz neuen Dreh sorgt. Hier gewinnt der Roman, der vorher an Teddys Seite häufig zu seicht vor sich hinplätscherte. Als Gesellschaftsroman einer Zeit, in der Frauen vor allem schöne Dekoration zu sein hatten, lässt sich "Teddy" jedenfalls als Urlaubslektüre empfehlen.

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Veröffentlicht am 13.05.2025

Churchills Geheimnisse am Gardasee

Was am Ufer lauert
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Mit "Was am Ufer lauert" schickt Lenz Koppelstätter, bisher vor allem für seine Südtirol-Krimis bekannt, zum zweiten Mal die Polizeireporterin Gianna Pitti am Gardasee auf Ermittlungen. Hatte der erste ...

Mit "Was am Ufer lauert" schickt Lenz Koppelstätter, bisher vor allem für seine Südtirol-Krimis bekannt, zum zweiten Mal die Polizeireporterin Gianna Pitti am Gardasee auf Ermittlungen. Hatte der erste Band der Reihe angesichts der Einführung mehrerer Handlungsträger noch einige Längen, geht es nun mehr zur Sache. Nachdem ihr totgeglaubter Vater, ein Investigativjournalist, wieder aufgetaucht ist, deutet alles auf eine Vater-Tochter-Kooperation hin. Doch das Treffen mit einem Informanten am Seeufer gerät anders als gedacht: Gianna findet eine tote Frau und eine leere CD-Hülle. Später ist die Leiche sogar verschwunden. Und auch sonst gibt es manche gefährliche Situation.

Ist Gianna zunächst eher ahnungslos zu dem Treffen gestartet, kommen nach und nach mehr Informationen: Es geht um möglicherweise brisante Informationen, die auch die britische Geschichte umschreiben könnten. Winston Churchill verbrachte in den 1920-er und 30-er Jahren immer wieder seinen Urlaub am Gardasee und soll in jenen Jahren unter anderem Briefe an Mussolini geschrieben haben. War der eiserne Premierminister, der seine Landsleute auf den Krieg gegen Nazi-Deutschland eingeschworen hatte, etwa zumindest zeitweise ein heimlicher Faschist?

Es gibt sogar Verbindungen in die eigene Familie, denn Giannas Urgroßvater traf der Familiengeschichte zufolge öfter mit Churchill zusammen. Giannas Onkel, der Marquese, stürzt sich in die Familienarchive, während Gianna zum ersten Mal gemeinsam mit ihrem Vater recherchiert. Ihre eigentliche Chefin sieht es mit gemischten Gefühlen, ist Gianna doch ihre beste Reporterin. Das Verschwinden eines britischen Historikers und Churchill-Experten sind ein weiterer Hinweis, dass die Geister der Vergangenheit höchst lebendig sind und heftige Reaktionen in der Gegenwart hervorrufen.

Bei all ihren Unterschieden und gelegentlichen Kontroversen ziehen die Pittis an einem Strang, um die Wahrheit herauszufinden. Das ist spannend zu lesen und spart nicht mit viel Lokalkolorit. Daneben thematisiert Koppelstätter auch ein höchst aktuelles Thema, den Niedergang der traditionellen Zeitung, die angesichts kostenloser Onlineangebote plötzlich aus der Zeit gefallen scheint. Das wird eine Herausforderung ganz anderer Art für Gianna werden, wie sich am Ende herausstellt. Wobei die Darstellung ihrer Chefin, die mit Mitte 40 keine Ahnung von neuen Medien zu haben scheint, im modernen Medienbetrieb nicht wirklich realistisch sein dürfte - da hat der Autor wohl ein paar Vorurteile gegen Frauen und Technik.

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Veröffentlicht am 12.05.2025

Frauenfreundschaft und -solidarität

Dream Count
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Mit ihrem Buch "Dream Count" hat sich die US-nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie nach längerer Pause mit einem Roman zurückgemeldet. Sie hat lange an dem Roman gearbeitet, und mit ...

Mit ihrem Buch "Dream Count" hat sich die US-nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie nach längerer Pause mit einem Roman zurückgemeldet. Sie hat lange an dem Roman gearbeitet, und mit dem Schreibprozess fielen die Corona-Pandemie sowie der Tod ihres Vaters (den sie in ihrem Buch "Trauer ist das Glück, geliebt zu haben" verarbeitete) und nur ein Jahr später der Tod ihrer Mutter, der sie den neuen Roman widmete.

Tatsächlich ist "Dream Count" vor allem ein Buch über die Lebensgeschichten, -träume und Freundschaften von Frauen. Wobei die Mutter-Tochter-Verhältnisse, die darin beschrieben werden, teils innig, teils durchaus ambivalent sind. Es ist auch ein Spagat zwischen den Welten in Nigeria beziehungsweise Westafrika und den USA, Adichies Wahlheimat.

Drei der Protagonistinnen entsprechen so gar nicht dem Klischee, das viele Menschen in Europa und Nordamerika von Afrikanerinnen haben: Die Reiseschriftstellerin Chiamaka, die Anwältin Zikora und die Bankerin Omelegor sind Hochschulabsolventinnen, stammen aus reichen Familien und sind ausgesprochen privilegiert aufgewachsen. Kadiatou aus Guinea, die bei der in den USA lebenden Chiamaka als Haushaltshilfe arbeitet, verkörpert das andere Afrika: Aufgewachsen auf dem Dorf, Opfer traditioneller Genitalverstümmelung, ohne Bildungschancen, im Gegensatz zu ihrer älteren, früh verstorbenen Schwester auch ohne den Mut, Chancen und Perspektiven für sich einzufordern. Doch für ihre Tochter will die alleinerziehende Mutter ein besseres Leben. Sie schafft es, als Asylbewerberin anerkannt zu werden und arbeitet neben dem Job für Chiamaka als Zimmermädchen in einem Hotel in Washington.

Ich-Erzählerin Chiamaka ist es denn auch, die die Erzählstränge und Verbindungen zwischen den Frauen zusammenfügt: Zikora ist ihre beste Freundin, Omelegor ihre Cousine. "Dream Count" beschreibt die unterschiedlichen Lebensentwürfe und -ziele der vier Frauen, die stark auch von deren ökonomischen Hintergründen abhängen - Chiamaka ist als Reiseautorin nur mäßig erfolgreich, aber aufgrund ihres reichen Elternhauses kann sie es sich leisten, nach Belieben zu reisen, ob ihre Texte eine Veröffentlichung finden oder nicht.

Omelegor, die anders als die anderen drei Frauen weiter in Abuja lebt, hat als Bankerin Politikern und Geschäftsleuten geholfen, Reichtümer in ihre privaten Kassen umzuwidmen. Sie ist darüber reich geworden, aber auch zunehmend angeekelt von der Korruption des Landes und der Rolle, die sie dabei gespielt hat. Mit ihrer Firma "Robyn Hood" unterstützt sie Frauen, die sonst keine Chance auf die Gründung eines Kleinbetriebs bekämen. Und sie bloggt über das Thema Pornographie und wie es Männer in ihrem Frauenbild beeinflusst. Kadiatou dagegen träumt vor allem von einem besseren Leben für ihre Tochter und sieht bereits in ihrem bescheidenen Leben in den USA einen sozialen Aufstieg, von dem sie nie zu träumen gewagt hätte.

Als Kadiatou Opfer eines sexuellen Übergriffs durch einen Hotelgast wird und den Vorfall meldet, gerät sie ungewollt in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit, muss aber auch ein Spießrutenlaufen durch Medien und eine skeptische Staatsanwaltschaft erdulden. Die Gewalt, die Kadiatou erlebt hat, rüttelt auch die anderen drei Frauen auf.

Auch wenn ein großer Teil der Romanhandlung in den USA spielt, flicht Adichie viel über Nigeria ein, sei es die ethnische und religiöse Vielfalt des Landes, die damit verbundenen Spannungen und Stereotypen, die Igbo-Kultur, aber auch innernigerianische und innerafrikanische Stereotypen und Vorurteile gegen andere Volksgruppen. Adichie schafft es, in wenigen Sätzen Farben und Gerüche heraufzubeschwören und die sozialen Unterschiede im bevölkerungsreichsten Land Afrikas. Ein lebendig geschriebenes Buch über Frauen, ihre Stärke und ihre Solidarität.

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Veröffentlicht am 08.05.2025

Wirtschaftsgeschichte für Nicht-Ökonomen

Die kürzeste Geschichte der Wirtschaft
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Vielleicht geht es ja nicht nur mir so: Wirtschaftsthemen können mitunter leicht überfordernd sein, wenn der Hintergrund und Expertenwissen fehlen. Mit Andrew Leighs "Die kürzeste Geschichte der Wirtschaft" ...

Vielleicht geht es ja nicht nur mir so: Wirtschaftsthemen können mitunter leicht überfordernd sein, wenn der Hintergrund und Expertenwissen fehlen. Mit Andrew Leighs "Die kürzeste Geschichte der Wirtschaft" gibt es einen gewissermaßen niederschwelligen und durchaus unterhaltsamen Zugang (etwas, wofür Wissenschaftler aus dem angelsächsischen Raum gar nicht genug gelobt werden können: Sie versuchen, nicht staubtrocken zu schreiben, sondern bei aller Wissenschaftlichkeit auch gefällig für die Leser*innen)

Wenn es um Preisniveaus in Reiseländern geht, kannte ich bereits den "Big Mac-Index" - was kostet ein Burger in verschiedenen Ländern, als Berechnung für die zu erwartenden Kosten. Leigh schafft den Einstieg ähnlich plastisch, in dem er vorrechnet, wieviel Arbeit für eine Beleuchtung mit der Leistung einer durchschnittlichen Glühbirne im Laufe der Jahrtausende verbunden war. Und da zeigen sich vom Feuer in den Höhlen unserer frühen Vorfahren über Öllampen bis hin zum heutigen Lichtschalter gleich enorme Unterschiede.

Leigh betrachtet auch Wirtschaftsgeschichte als eine Art Sozialwissenschaft, und so geht es in diesem Buch vor allem um die Entwicklung von Wirtschaftsleben, Handel und Handelsgeschichte, eingebunden in Eroberungen und Kolonialgeschichte. Auch Wirtschaftsphilosophie und die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und politischer Entwicklung und Ideengeschichte werden aufgenommen.

Dabei zeichnet Leigh zunächst die Geschichte von den Jägern und Sammlern bis zur Industriellen Revolution nach und zeigt, welche richtungsweisenden Erfindungen und Technologien das Leben der Menschen veränderten. Auch die Zusammenhänge zu Lebensstandard und Lebenserwartung gehören dazu. Je weiter er ins moderne Zeitalter vorrückt, desto mehr spielen auch globale Zusammenhänge und Warenflüsse bis zu den Problemen in der Zeit der Covid-Pandemie eine Rolle. Und auch ein paar Überraschungen gibt es: Wer hätte gedacht, dass das Spiel "Monopoly" ursprünglich nicht mir dem Gedanken an Kapitalismus von Kindesbeinen an erfunden wurde?

"Die kürzeste Geschichte der Wirtschaft" ist auch und gerade für Nicht-Ökonomen gut lesbar und macht Lust, sich vielleicht doch tiefer in die Materie einzuarbeiten.