Familiendrama im Lockdown
Happiness FallsAngie Kim hat viel reingepackt in ihren Roman "Happiness Falls", dessen Titel, wie sich beim Lesen zeigen wird, vielschichtig das Drama einer amerikanisch-koreanischen Familie vorwegnimmt. Neben einem ...
Angie Kim hat viel reingepackt in ihren Roman "Happiness Falls", dessen Titel, wie sich beim Lesen zeigen wird, vielschichtig das Drama einer amerikanisch-koreanischen Familie vorwegnimmt. Neben einem Vermisstenfall und den Erschütterungen einer Familie handelt der Roman ebenso auch von Identität, Zuschreibung, Alltagsrassismus, Umgang mit Behinderten, ist durchaus auch eine Coming of Age Geschichte.
Kim erzählt aus der Perspektive der 20-Jährigen Mia. Der Corona-Lockdown hat die Studentin zurück ins Elternhaus zum Onlinestudium vertrieben. Mia und ihr Zwillingsbruder John sind beide hochbegabt, allerdings völlig unterschiedliche Charaktere: Während John ein eher musischer und optimistischer Mensch ist, der äußerlich seinem weißen amerikanischen Vater ähnelt, hat Zwillingsschwester Mia das asiatische Aussehen ihrer koreanischen Mutter geerbt. Sie ist vor allem technisch-analytisch begabt, neigt dazu, alles zu hinterfragen und ist mitunter anstrengend selbstgerecht. Und dann ist da noch Eugene, der 14-jährige Junior der Familie, der mit einem seltenen Gendefekt geboren wurde und obendrein autistisch ist. Eugene kann nicht sprechen, seine motorischen Fähigkeiten sind eingeschränkt.
Eines Morgens kommt Eugene allein von einer Wanderung mit seinem Vater in ein nahegelegenes Naturschutzgebiet zurück - mit blutiger Kleidung und offensichtlich verstört. Dass der Vater nicht heimgekommen ist, wird dem Rest der Familie erst nach stundenlanger Verzögerung klar, auch weil Mia eine falsche Wahrnehmung hatte. Als aus anfänglicher Unruhe Angst und Sorge werden, sucht die Familie zunächst auf eigene Faust, sucht nach einer natürlichen Erklärung für das Verschwinden des Vaters.
Dass Eugene sich nicht mitteilen kann, verkompliziert die Lage noch. Als die Polizei hinzugezogen wird, richtet sich die Aufmerksamkeit der Ermittler schnell auch auf Eugene, der bei Gefühlsausbrüchen auch aggressiv werden kann. Hat er etwas mit dem Verschwinden des Vaters zu tun? Und welche Geheimnisse hatte der Vater? Ist er womöglich untergetaucht? Wäre das eine erträglichere Lösung, als wenn er einem Verbrechen zum Opfer fiel oder verunglückte?
Mia entwirft wechselnde Szenarien, die ihr möglich erscheinen, auf der Grundlage von Erkenntnissen aus dem Notizbuch ihres Vaters. Der emotionale Rollercoaster Mias ist nicht nur der angespannten Situation geschuldet, sondern wohl auch der Tatsache, dass sie vor nicht allzu langer Zeit noch ein pubertierender Teenager war. Kim hat eine mitunter anstrengende und weitschweifige Protagonistin gewählt, doch gleichzeitig entsprechen die staccatoartigen Gedankengänge Mias der Dramatik einer Familie, die sich von einem Augenblick auf den anderen in einer Ausnahmesituation wiederfindet. Die Autorin sorgt trotz einiger Längen mit immer neuen Entwicklungen für Spannung.