Penibel recherchiert und fesselnd erzählt
Der junge Kölner Jude Joseph Salomon kann Anfang 1939 gerade noch rechtzeitig aus Nazi-Deutschland fliehen. Er lässt seinen jüdischen Freund Jakub und Hilda, die Tochter eines Nazis, zurück.
Im März 1945 ...
Der junge Kölner Jude Joseph Salomon kann Anfang 1939 gerade noch rechtzeitig aus Nazi-Deutschland fliehen. Er lässt seinen jüdischen Freund Jakub und Hilda, die Tochter eines Nazis, zurück.
Im März 1945 kehrt Joseph, nunmehr Joe Salmon, als sogenannter Ritchie Boy, in US-amerikanischer Uniform nach Köln zurück. Er erhält von Colonel Patterson den Auftrag, den Lynchmord an Richard „Ripper“ Rohrer, einem just über dem Kölner Dom abgestürzten Piloten der US-Army, aufklären. Seine Ortskenntnis und Muttersprache sind die passenden Voraussetzungen dafür. Obwohl die Stadt in Trümmern liegt und die US-Army auf der linksrheinischen Seite bereits mit dem Aufbau einer neuen Verwaltung beginnt, leisten die letzten deutschen Soldaten und der Volkssturm vom rechten Rheinufer, also von Deutz her, noch erbitterten Widerstand.
Zur Tarnung, denn Joe soll ja verdeckt ermitteln, wird ihm ein britischer Kriegsberichterstatter, namens Eric Arthur Blair, den die Nachwelt unter seinem Pseudonym George Orwell kennenlernen wird, zur Seite gestellt. Gemeinsam suchen sie nun nach den Tätern. Nebenbei benutzt er seine dienstlichen Recherchen, um Jakub und Hilda zu finden. Recht bald begegnet er Hildas behinderten Bruder Paul, der aus zunächst noch unbekannten Gründen, dem Euthanasie-Programm der Nazis entkommen ist, und nun in den Ruinen von Köln nach Verwertbarem sucht. Die Erleichterung darüber, dass Hilda überlebt hat, wird getrübt, als Joe von Paul erfährt, dass Hilda verheiratet ist.
Joe muss erkennen, dass die kurzen, aber schrecklichen 12 Jahre des Tausendjährigen Reiches die Menschen in Köln nachhaltig verändert haben und das nicht zu ihrem Vorteil.
Meine Meinung:
Wie ich es von Cay Rademacher gewöhnt bin, ist auch dieser historische Roman aus der Nachkriegszeit penibel recherchiert. Gekonnt verquickt er Fakten mit Fiktion. Wir begegnen neben George Orwell, Colonel Patterson auch Konrad Adenauer.
Bei meinem Besuch in Köln vor einiger Zeit, habe ich bei einer privaten Führung eines befreundeten Ehepaares einiges zur Geschichte der Stadt während des Zweiten Weltkriegs erfahren. Dabei habe ich zahlreiche Fakten, die hier in Rademachers Erzählung Platz haben, kennengelernt. Ich außerdem schon einige Bücher zu diesem Thema sowie über die Ritchie Boys gelesen.
Cay Rademacher hat die Stimmung dieser Tage des Jahres 1945 sehr gut eingefangen. Niemand will etwas gewusst haben, niemand war in der Partei - sie aller haben unter dem Bombenterror der Alliierten gelitten. Ein Unrechtsbewusstsein - Fehlanzeige. Erschreckend zu lesen ist, was mit guten Beziehungen zu den Machthabern während der NS-Zeit doch alles möglich gewesen ist. Doch alles hat seinen Preis: Ein Leben gegen ein anderes.
Die Charaktere sind wie immer bei Cay Rademacher sehr gut ausgefeilt. Auch die Darstellung der Ereignisse aus mehreren Perspektiven ergibt ein mehr dimensionales Bild. Der Autor vermittelt Geschichtsunterricht sehr subtil, so dass die Leser gar nicht immer merken, Geschichtsunterricht zu erhalten. So lässt er Joe, der in den USA (Kunst)Geschichte studiert hat, über die Baukunst des Mittelalters sprechen als er vor den Trümmern des Kölner Doms steht.
Schmunzeln musste ich, als Orwell erzählt, dass er einen Roman in der Schublade hat, in denen Schweine die Bösewichte sind. Ein Grund, Animal Farm, wieder einmal zur Hand zu nehmen.
Fazit:
Gerne gebe ich diesem historischen Roman aus dem zerstörten Köln vom März 1945 eine Leseempfehlung und 5 Sterne.