Gib den Tagen mehr Leben
Tilda steht kurz vor ihrem 60. Geburtstag vor dem beruflichen Aus, denn ausgerechnet ihr wichtigster Auftraggeber bricht als Einnahmequelle ihres Schreibbüros weg. Apropos weg - ihr Freund Günther packt ...
Tilda steht kurz vor ihrem 60. Geburtstag vor dem beruflichen Aus, denn ausgerechnet ihr wichtigster Auftraggeber bricht als Einnahmequelle ihres Schreibbüros weg. Apropos weg - ihr Freund Günther packt die Taschen, nimmt sich eine Auszeit in Kanada und verkündet kurz vor der Abreise, dass es aus ist zwischen ihnen. Wie soll Tilda nun die gefürchtete Zahl 60 überstehen?
Eine Kleinanzeigemacht sie neugierig, denn eine rüstige alte Dame sucht eine Privatsekretärin, die ihr hilft, Ordnung in ihr Leben zu bringen. Tilda ist zuerst skeptisch, macht sich aber auf den Weg und der hält einige Überraschungen für sie bereit…
Dagmar Hansen lässt schon gleich Beginn ihres Buches Bon Jovi mit „It’s my life“ auf der Bildfläche erscheinen und dieser Titel taucht immer wieder im Roman auf, um federführend für die ganze Geschichte zu sein. Doch anstatt sich ein Beispiel an der quirligen, lebenslustigen Ruth zu nehmen, ist Tilda eher mit angezogener Handbremse in ihrem eigenen Mikrokosmos unterwegs. Sie verkriecht sich in ihrer Trauer, denn sie hat schon vor Jahren ihren Mann verloren. Tilda hat es sich in ihrem Selbstmitleid und ihrer Lethargie sehr bequem eingerichtet und kommt wenig bis gar nicht aus dieser selbstgewählten Ödnis heraus. Selbst ihre beiden Freundinnen schaffen es nur ansatzweise, Tilda aus diesem tiefen Tal der Trauer herauszuholen. Dieser negative Grundkonsens macht mir Tilda von Anfang an unsympathisch und ich frage mich, warum sie sich, nach all den Jahren, nicht endlich einmal am Schopf packt und sich selbst aus diesem Sumpf der Tränen und der Selbstzerfleischung herausholt. Das zieht selbst den stärksten Leser mit hinunter und drückt auf die Stimmung.
Die Geschichte ist geprägt von Tildas Mantra, nie wieder im Leben wirklich richtig glücklich zu sein und einen Partner zu finden…wenn ich mir etwas lange und oft genug einrede, dann glaube ich auch daran und es tritt ein- schade für Tilda, dass sie sich so hängen lässt ☹
Ganz anders Ruth -die alte Dame sprüht regelrecht über vor guter Laune, tollen Ideen und Energie. Auch wenn es in ihrem Leben nicht immer glatt gelaufen ist, so hat sie nie wirklich den Kopf in den Sand gesteckt und will nun, mit Tildas Hilfe, endlich aufräumen, um unwichtigen Dingen Adieu zu sagen und nur sich nur noch mit den wichtigen Dingen zu befassen.
Leider schafft es die Autorin nicht, mich von ihrer guten Grundidee zu begeistern – die Erzählung wirkt eher seicht und recht einfach gehalten. Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele gute Einfälle unbedingt aufs Papier gebracht werden müssen, ohne dabei so recht an die gelungene
Umsetzung gedacht zu haben. Auch stört es mich, dass die Erwähnung vieler Markennamen im Buch zu finden sind – das wirkt wie Schleichwerbung und das hat Dagmar Hansen eigentlich nicht nötig.
Die Geschichte ist schnell erzählt, aber auch wieder schnell vergessen. Denn ganz ehrlich, so wie Tilda möchte ich mit 60 definitiv nicht sein. Ich möchte dem Leben mit offenem Blick begegnen und Freude an jedem einzelnen Tag verspüren.
Das Motto des Buches, dass man den Tagen mehr Leben geben sollte, ist in meinen Augen nicht wirklich gut ausgearbeitet und an den Leser vermittelt worden…sehr, sehr schade ☹
Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.
Cicely Saunders