Eine Überraschung
Es ist Isabels letztes Jahr am College, Ende der 90er Jahre. In der Luft liegt Aufbruchsstimmung und gleichzeitig naive Unsicherheit. Wer weiß schon was er nach dem College machen will und wo es hingehen ...
Es ist Isabels letztes Jahr am College, Ende der 90er Jahre. In der Luft liegt Aufbruchsstimmung und gleichzeitig naive Unsicherheit. Wer weiß schon was er nach dem College machen will und wo es hingehen soll? Isabel jedenfalls nicht. Sie weiß nicht, was sie vom Leben oder der Liebe erwartet. Nach einem traumatischen Erlebnis mit ihrem Mitstudenten lässt sie sich völlig kopflos auf eine Affäre mit dem neuen Vertretungsprofessor für Literatur ein, der ihre ersten schriftstellerischen Versuche fördert und voran treibt. Bis Grenzen verschwimmen und sie auch hier nicht mehr weiß, was richtig und falsch ist...
Dieser Roman hat mir eine Gänsehaut nach der anderen beschert. Erst nach und nach entfaltet er sein ganzes Spektrum an Themen und Tiefe. Am Ende fügt sich alles zusammen, dann versteht man, gemeinsam mit Isabel, was tatsächlich vorgefallen ist. Auf den ersten Blick ist es eine Geschichte, die man kennt - junges, leichtgläubiges Mädchen, ein Mitstudent ("du wolltest es doch auch!") und ein Dozent ("nur ich verstehe, was in die vorgeht"). Aber sie transportiert viel mehr, als mir bewusst war. Es ist ein leiser Roman, der sehr subtil mit Andeutungen und einem Grauen zwischen den Zeilen arbeitet. Hier geht es um Frauen, die Gewalt erleben und selbst nicht einordnen können, ob sie tatsächlich Gewalt erlebt haben. Die gesellschaftlich abgewimmelt werden mit Sätzen wie "Du wusstest doch, worauf du dich da einlässt." Wussten Sie es wirklich? Ist Frau selbst schuld, wenn sie manipuliert wird? Sind Frauen einfach nur zu leichtgläubig, wenn Männer ihre Machtpositionen ausnutzen? Kann in einem großen Macht- und Hierarchiegefälle überhaupt Einvernehmlichkeit bestehen?
Der Roman eröffnet viele Bedeutungsebenen und einiges an Diskussionspotential. Das habe ich so nicht kommen sehen, als ich mit der Lektüre begonnen hatte. Für mich eine Überraschung, ein kluger und intensiver Beitrag zur MeToo-Debatte.