Cover-Bild Brüder
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11,99
inkl. MwSt
  • Verlag: Hanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Ersterscheinung: 19.08.2019
  • ISBN: 9783446265097
Jackie Thomae

Brüder

Zwei Männer. Zwei Möglichkeiten. Zwei Leben. Jackie Thomae stellt die Frage, wie wir zu den Menschen werden, die wir sind.

Mick, ein charmanter Hasardeur, lebt ein Leben auf dem Beifahrersitz, frei von Verbindlichkeiten. Und er hat Glück – bis ihn die Frau verlässt, die er jahrelang betrogen hat. Gabriel, der seine Eltern nie gekannt hat, ist frei, aus sich zu machen, was er will: einen erfolgreichen Architekten, einen eingefleischten Londoner, einen Familienvater. Doch dann verliert er in einer banalen Situation die Nerven und steht plötzlich als Aggressor da – ein prominenter Mann, der tief fällt. Brüder erzählt von zwei deutschen Männern, geboren im gleichen Jahr, Kinder desselben Vaters, der ihnen nur seine dunkle Haut hinterlassen hat. Die Fragen, die sich ihnen stellen, sind dieselben. Ihre Leben könnten nicht unterschiedlicher sein.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.09.2019

Trifft genau meinen Geschmack.

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>>>Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2019 (Shortlist)

>>>Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2019 (Shortlist)<<<

Meine Begegnung mit diesem Buch möchte ich wie folgt beschreiben: Stellt euch vor, ihr habt ein Blind Date. Die Person, mit der ihr euch treffen werdet, ist euch nicht bekannt, aber ihr habt eine grobe Vorstellung von ihr, vielleicht, weil ihr ahnt, wer sie sein könnte, vielleicht, weil ihr ein bestimmtes Bild vor Augen habt. Jedenfalls stimmt euch eure Vorahnung optimistisch. Dann kommt ihr zum Date und stellt fest, dass es sich doch um eine ganz andere Person handelt. Ihr seid im ersten Moment enttäuscht, bleibt aber doch und nehmt das Date an. Schon nach kurzer Zeit stellt ihr fest, dass die euch zuvor unbekannte Person sehr nett und interessant ist. Ihr redet, tauscht euch aus, ihr "klickt" - das Date wird ein voller Erfolg und am Ende seid ihr überglücklich und gleichzeitig traurig, weil der Abend zu Ende ist.

So in etwa war das mit "Brüder" und mir. Nach Lesen des Klappentextes hatte ich so eine Art Parallelgeschichte über zwei Halbbrüder erwartet, die sich sich zufällig (?) treffen und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede erforschen. Oder sowas in der Art. Bisschen Familiendrama, bisschen Exotik, bisschen Ostalgie - beide Brüder wuchsen in der DDR auf, haben je eine weiße Mutter und einen schwarzen Vater, also wird sicher Rassismus oder Identitätsfindung im sozialistischen Bauernstaat und der Nach-Wende-Zeit das beherrschende Thema sein? Und dann kam alles anders. Nicht ganz anders, aber ziemlich.

Erste Überraschung: Frau Thomae erzählt ihre Geschichten hintereinander. Nicht nur strukturell, also erste Hälfte Mick, der stets getriebene Lebemann, der Berufsjugendliche, der Nicht-Festleger und Nie-Ankommer, zweite Hälfte Gabriel, der Geordnete, Geerdete, Gemachte.

Auch zeitlich folgen die Geschichten aufeinander. Micks Geschichte beginnt tatsächlich in seiner DDR-Jugend, lässt sich dann aber schnell auf die Zeit nach der Wende ein, mit unserem Hauptcharakter als Animateur der Berliner Technoszene der 90er Jahre, von Party zu Party und Frau zu Frau. Bis zum großen Crash. Der echt bitter ist. Gabriels Strang setzt zeitlich danach ein, und hat, grundsätzlich irgendwie ähnlich, dann aber doch ganz anders, eher den großen Bogen vom Aufbau bis zum Niedergang der perfekten Illusion, möglicherweise bedingt durch eine identitätsleere Midlifecrisis, zum Inhalt. Auch Gabriel erleidet einen Crash - der zu den denkwürdigsten Ausrastern zählt, die ich überhaupt je gelesen habe.

Dritte Überraschung: Die unterschiedlichen Erzählweisen. Micks Part springt zwischen verschiedenen Erzählstimmen in dritter Person hin und her. Zwar übernimmt Mick den überwiegenden Part, doch es kommen zahlreiche weitere Personen zu Gehör, kleinere und größere Rollen, die teils nur Kurzauftritte haben, trotzdem sehr genau gezeichnet sind. Hat mich hier und da an die Erzählweise meiner geliebten Reihe "Das Leben des Vernon Subutex" erinnert, auch wenn Frau Thomae weit weniger zynisch/böse als Frau Despentes schreibt (was nicht heißen soll, dass Frau Thomae nicht dahin geht, wo es weh tut, denn das tut sie durchaus).

Im zweiten Teil sind es Gabriel und seine Frau Fleur, die abwechselnd aus der Ich-Stimme ihre eigene und gemeinsame Geschichte wiedererzählen, was sich im Laufe der Erzählung zu einem sehr intimen und hintergründigen Beziehungsporträt auswächst, das mir alleine als Geschichte schon gereicht hätte. Ich kann trotzdem nicht sagen, welcher Teil mir besser gefallen hat, beeindruckt haben mich beide auf ihre ganz eigene Art.

Diese drei Besonderheiten haben das Buch für mich sehr interessant und gleichzeitig sehr zugänglich gemacht. Hatte ich anfangs mehr Parallelen erwartet - die sich in den Geschichten der beiden Halbbrüder, so unterschiedlich sie auch sein mögen, durchaus finden lassen - waren es vor allem diese "gleichzeitigen" Unterschiede, die mich mit jeder Seite mehr begeistert haben.

Jackie Thomae schreibt genau so, wie ich es liebe. Sie erschafft Charaktere, die echt sind, die Macken haben, Ecken und Kanten, die real sind. Die den Plot, die Geschichte bestimmen und vorantreiben, durch ihre Echtheit. Weil sie manchmal richtig ätzend sind. Weil sie Angst haben. Weil sie richtig Mist bauen - und sich nicht mal dafür schämen. Oder rechtfertigen. Und sie Beziehungen jeglicher Art durchleben und -leuchten: Paare, Freunde, Bekannte, Eltern-Kind, Kind-Eltern, andere Verwandschaftsverhältnisse.

Jackie Thomae packt zahlreiche Themen aufs Tableau, große Themen, einige davon habe ich bereits erwähnt: Identität, Herkunft, Rassismus, Liebe, Treue, Selbstfindung, Zwänge. Und sie erzählt davon - aber stets auf erfrischende Art und "Nebenbei"-Weise. Hier kommt kein Holzhammer zum Einsatz, eher eine freundliche Einladung, sich doch mal neben Frau Thomae zu setzen und mit ihr zu sinnieren und subtil zu hinterfragen: Und, wie ist das bei dir so? Erzähl doch mal!

Es gibt da noch zwei, drei Specials, die das Werk weiter würzen. Zum einen dieses herrliche Bonmot, das im Teil über Mick vorkommt, den man durchaus als "schwanzgesteuert" bezeichnen kann. Das wird er mit folgenden Worten angesprochen: "[...]Du bist so schwanzgesteuert wie ein Typ, den sich eine verbitterte Frau ausgedacht hat." Ha! Sehr schön. Auch schön: Irgendwann kommt auch Idris, der Vater der beiden Halbbrüder mal ins Bild. Und schließlich der Epilog, hach, was soll ich sagen - ich hatte wirklich Tränen in den Augen. Die letzten Seiten haben mich den Roman endgültig lieben lassen, denn das Ende war - für mich - absolut perfekt.

Tl;dr: Ein wunderbares Leseerlebnis. Jackie Thomae erzählt unaufgeregt und doch aufwühlend. Eine beeindruckende, unaufgesetzte, facettenreiche Charakterstudie, mit Themen und Inhalten, die sehr aktuell sind, das Buch aber eher subtil begleiten als permanent bestimmen. Ich hab's sehr gerne gelesen, für mich ganz genau das Richtige.

Veröffentlicht am 09.06.2020

Eine interessante Geschichte

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Mick und Gabriel wurden im gleichen Jahr geboren und haben denselben Vater, der ihnen die Hautfarbe mitgegeben hat. Aber sie wissen nicht voneinander. Mick ist in Ostberlin geboren und zog dann mit seiner ...

Mick und Gabriel wurden im gleichen Jahr geboren und haben denselben Vater, der ihnen die Hautfarbe mitgegeben hat. Aber sie wissen nicht voneinander. Mick ist in Ostberlin geboren und zog dann mit seiner Mutter in den Westen. Er hat eine Beziehung zu Delia, fühlt sich aber eher nicht gebunden. Seine Welt sind die Clubs das Partyleben. Doch damit kommt der Unstete nicht immer durch, seine Freundin hat andere Erwartungen und verlässt ihn.
Gabriel ist in Leipzig geboren und wächst bei seinen Großeltern auf. Er war ehrgeizig und zielstrebig und wurde ein erfolgreicher Architekt und hat Familie. Dazu doziert er an der Uni. Doch eine recht banale Sache lässt sein bisheriges Leben zusammenbrechen.
Dazwischen erfahren wir auch einiges von dem Vater der beiden. Idris stammt aus dem Senegal und studiert mit Stipendium in der DDR Medizin. Er lernt die Mütter seiner Söhne kennen, hat aber auch keine Beziehung zu ihnen. Dann geht er zurück in sein Heimatland und praktiziert dort als Zahnarzt. Ein besuch in Deutschland bringt Erinnerungen hoch.
Ein Vater und zwei so unterschiedliche Söhne…
Immer wieder stellt man sich die Frage „Was macht uns zu dem Menschen, der wir sind?“ Ist es das, was von Geburt an in uns steckt? Oder ist es unsere Erziehung und unser Umfeld?
Mick und Gabriel wachsen ohne ihren Vater auf. Vermissen sie ihn jemals? Die Protagonisten sind lebendig und authentisch beschrieben und ich habe viel über sie erfahren, sympathisch wurde mir keiner von ihnen.
Es ist eine vielschichtige und komplexe Familiengeschichte, die auch die Zeitgeschichte mit betrachtet.

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Veröffentlicht am 28.09.2019

International

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Mick wächst noch in der ehemaligen DDR auf. An seinen Vater kann er sich nicht erinnern. Der kam als Gaststudent aus Afrika und verließ Berlin bald wieder. Und so schlägt sich Mick durchs Leben. Irgendwie ...

Mick wächst noch in der ehemaligen DDR auf. An seinen Vater kann er sich nicht erinnern. Der kam als Gaststudent aus Afrika und verließ Berlin bald wieder. Und so schlägt sich Mick durchs Leben. Irgendwie hat er eine Künstlernatur, der es am besten in der Club-Szene gefällt. Was Mick nicht weiß, seinen Vater hat es auch nach Leipzig verschlagen und dort hat sein unbekannter Bruder Gabriel seine Jugend verbracht. Inzwischen ist er erfolgreicher Architekt in London. Gabriel ist der, der zielstrebig seine Karriere vorantrieb, geheiratet hat und einen Sohn zeugte.

Die Brüder Mick und Gabriel, nahezu gleich alt wissen sie nichts voneinander. Wegen ihrer dunklen Haut fallen sie auf. Doch sie lassen sich davon nicht beeinträchtigen. Wo Mick mit Leichtigkeit durchs Leben geht und irgendwann feststellen muss, dass er doch nicht mit allem durchkommt, ist Gabriel der Ernsthafte, der bei seinen Großeltern aufwächst und anscheinend viel von der Durchsetzungskraft seines Großvaters übernommen hat. Wo Mick manchmal lügt oder sich die Wahrheit zurechtbiegt, kennt Gabriel keine Lüge. So unterschiedlich die Brüder sind, so suchen sie doch beide nach etwas. Ihr Vater Idris, der ehemalige Medizinstudent, müsste inzwischen in die Jahre gekommen sein. Denkt er noch an seine Zeit in Deutschland.

Eine kunterbunt zusammengewürfelte Familie hat sich die Autorin ausgedacht. Die Geschichte zweier Brüder, die nichts voneinander wissen, ist ein spannender Ansatzpunkt, der die Phantasie beflügelt. Kann ein Zufall sie zusammenführen, werden sie den Vater suchen oder wird der Vater sie suchen. Die Brüder wirken in ihrer Gegensätzlichkeit etwas extrem. Jeder ist auf seine Art eigen und eigentlich kein Familienmensch. Mick als Bruder Leichtfuss erscheint erst spät gesetzt und Gabriel, dem eher drögen, könnte mehr Spontanität gut tun. Die Geschichte entwickelt sich ganz anders als nach dem ersten Gedanken vermutet werden kann. Zwei getrennte Lebensläufe, die auf ihre Art einen unfertigen Eindruck erwecken. Die kluge Idee dieses heutzutage zum Glück nicht mehr so ungewöhnlichen Hintergrundes ist dennoch ansprechend beschrieben.

Veröffentlicht am 20.09.2019

Ein Roman in Überlänge

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Brüder ist ein Roman um zwei Brüder, Mick und Gabriel.
Jackie Thomaes Debütroman Momente der Klarheit von 2015 hatte mich damals nicht so ganz überzeugt, daher habe ich zu Brüder hauptsächlich deswegen ...

Brüder ist ein Roman um zwei Brüder, Mick und Gabriel.
Jackie Thomaes Debütroman Momente der Klarheit von 2015 hatte mich damals nicht so ganz überzeugt, daher habe ich zu Brüder hauptsächlich deswegen gegriffen, weil es immerhin in der Shortlist für den Deutschen Bücherpreis ist. Leider wurde ich leicht enttäuscht. Es gibt zwar viele sprachlich gut gemachte Passagen, aber die Themen werden nicht klar herausgebracht und eigentlich bleibt alles banal und oberflächlich. Den Gedanken des Protagonisten Mick, insbesondere in der ersten Hälfte, fehlt jegliche Tiefgründigkeit. Das ändert sich in der zweiten Hälfte mit Gabriel als Hauptfigur. Da gibt es auch ein paar außergewöhnliche Szenen und mehrere Erzählperspektiven.Trotzdem bleibt es leider so, dass mich die Ereignisse kaum berühren.

Dabei ist die Geschichte zweier Halbbrüder mit dunkler Hautfarbe nicht uninteressant. Teilweise handelt es in der DDR und der Nachwendezeit, mit Gabriel auch in den Nullerjahren in London bis in die Gegenwart. Man hätte aber wirklich mehr daraus machen können.