Cover-Bild Bruder und Schwester Lenobel
26,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Hanser, Carl
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 544
  • Ersterscheinung: 20.08.2018
  • ISBN: 9783446259928
Michael Köhlmeier

Bruder und Schwester Lenobel

Roman
Im Mai mailt Hanna an ihre Schwägerin in Dublin: Komm, dein Bruder wird verrückt! Zwei Tage später landet Jetti Lenobel in Wien – und Robert ist verschwunden. Doch Jetti glaubt nicht daran, dass der Bruder verrückt geworden ist. Sie kennt ihre sehr ungewöhnliche jüdische Familie. In der ist immer mit allem zu rechnen. Dann kommt die Nachricht des Bruders: „Ich bitte dich, dass Du mit niemandem darüber sprichst!!! Ich will es so. Ich bin in Israel, dem Land der Väter. Aber an die Väter denke ich nicht.“
In den merkwürdigen, verschlungenen Lebensläufen der Geschwister Jetti und Robert, seiner Frau, ihrer Kinder und Freunde, erzählt Köhlmeier packend von dem, was jeder sein Leben lang mit sich trägt.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.10.2018

Ein großartiges und meisterhaft geschriebenes Buch

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Michael Köhlmeier, Bruder und Schwester Lenobel, Hanser 2018, ISBN 978-3-446-25992-8-

Michael Köhlmeiers neuer voluminöser Roman „Bruder und Schwester Lenobel“ ist ein neues Beispiel seiner großen Erzählkunst. ...

Michael Köhlmeier, Bruder und Schwester Lenobel, Hanser 2018, ISBN 978-3-446-25992-8-

Michael Köhlmeiers neuer voluminöser Roman „Bruder und Schwester Lenobel“ ist ein neues Beispiel seiner großen Erzählkunst. Manche Rezensenten seines Buches haben ihm vorgeworfen, seine Geschichten und Episoden, die das Buch bevölkern, seien ausgeufert und hätten den roten Faden aus dem Blick verloren.

Ich kann das nach meiner Lektüre nicht bestätigen. Ich war begeistert von dieser unbändigen Lust am Erzählen, von der poetischen Kraft von Köhlmeiers Sprache und seiner Kunst, in den Ablauf seiner Handlung eine Vielzahl sehr interessanter Themen einzuflechten.
Es geht um die Familie Lenobel in Wien. Robert Lenobel, etwa 56 Jahre alt, Jude ohne spirituelle Heimat, arbeitet als Psychoanalytiker der klassischen Freudschen Schule unweit der ehemaligen Wirkungsstätte seines großen Lehrers. Er ist verheiratet mit Hanna. Sie führt zusammen mit einer Freundin die einzige jüdische Buchhaltung in Wien, obwohl beide nicht von Juden abstammen. Doch Hanna hat eine Affinität zum Judentum.
Robert hat eine sechs Jahre jüngere Schwester namens Jetti, eine schöne und beruflich erfolgreiche Frau, der es jedoch trotz vieler Beziehungen zu Männern nie gelungen ist, den „Richtigen“ zu finden. Als sie doch einmal nahe dran ist mit einem Mann konstatiert sie: "Er ist der Richtige für mich, aber ich bin nicht die Richtige für ihn." Ihr Leben zerrinnt ihr zwischen den Fingern.

Es ist Mai, Jetti lebt seit einigen Jahren in Irland, wo sie mit anderen eine erfolgreiche Kulturagentur betreibt, als sie von ihrer Schwägerin Hanna eine fast panische Mail bekommt. Sie soll sofort nach Wien kommen, ihr Bruder Robert werde anscheinend verrückt. Jetti fliegt nach Wien und findet ihre Schwägerin aufgelöst. Robert ist ohne irgendeinen Hinweis zu geben, verschwunden. Doch Jetti glaubt nicht daran, dass ihr Bruder verrückt geworden ist. Sie kennt ihre sehr ungewöhnliche jüdische Familie, deren bewegte und für alle folgenreiche Geschichte Köhlmeier in vielen Rückblicken erzählt. Das eine Großelternpaar von Robert und Jetti, die KZ-Großeltern, wie sie in der Familie seit jeher genannt werden, sind im Holocaust ermordet worden. Und die anderen Großeltern, die rechtzeitig vor den Nazis nach Palästina geflohen sind, haben sich 1967 in Israel gemeinsam umgebracht. Keine Frage, dass eine solche Geschichte bis in die zweite und dritte Generation der Nachkommen folgenreiche Auswirkungen hat. Jetti weiß aus Erfahrung, dass in ihrer Familie immer mit allem zu rechnen ist.
Dann, nach einigen Tagen, kommt eine Email-Nachricht von Robert: „Ich bitte dich, dass Du mit niemandem darüber sprichst!!! Ich will es so. Ich bin in Israel, dem Land der Väter. Aber an die Väter denke ich nicht.“

In mäandernden Erzählungen und Geschichten, die von der Gegenwartsebene immer wieder zurückblicken auf die Geschichte vor allem von Robert und Jetti, aber auch von Hanna und auch dem gemeinsamen Freund und Schriftsteller Sebastian Lukasser, folgt Michael Köhlmeier den merkwürdigen und verschlungenen Lebensläufen dieser Menschen. Überbordend, Worte wie ein sprudelnder Brunnen hervorbringend in einer kraftvollen und poetischen Sprache erzählt er von dem, was jeder in dieser jüdischen Familie ein Leben lang mit sich herumträgt und von den oft vergeblichen Versuchen, sich daraus zu befreien.

Man spürt jeder Satzkonstruktion, jeder eingesprengten Untererzählung die Lust am Fabulieren ab. Doch niemals verliert Köhlmeier seinen Erzählungsfaden. Deshalb folgt man als Leser gerne seinen Umwegen. Ich war von diesem Buch, das voller Tragik steckt und gleichzeitig voller hintergründigem Witz, regelrecht begeistert und habe mich über mehrere Tage von seiner erzählerischen Leidenschaft und seiner inhaltlichen und menschlichen Tiefe entführen lassen.

Ein großartiges und meisterhaft geschriebenes Buch.






Veröffentlicht am 25.09.2018

Ein Roman, in dessen Verzweigungen man sich gerne verliert

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Das Cover des Romans „Bruder und Schwester Lenobel“ zeigt eine Ansicht der Stadt Wien. Michael Köhlmeier hat seine Geschichte hier angesiedelt. Über der Stadt spannt sich der Himmel weit auf, so wie die ...

Das Cover des Romans „Bruder und Schwester Lenobel“ zeigt eine Ansicht der Stadt Wien. Michael Köhlmeier hat seine Geschichte hier angesiedelt. Über der Stadt spannt sich der Himmel weit auf, so wie die Erzählkunst des Autors sich im Buch entfaltet. Doktor Robert Lenobel, der Bruder in diesem Buch, ist Psychiater in Wien. Seine Schwester Henriette, Jetti genannt, lebt aber inzwischen in Dublin. Das überraschende Verschwinden von Robert und die Suche nach ihm ziehen sich als roter Faden durch den Roman.

Jetti folgt der Aufforderung ihrer Schwägerin Hanna, die sie per E-Mail erhält. Hanna wünscht sich, dass sie zu ihr nach Wien kommen soll, denn ihr Mann würde verrückt. Als sie zwei Tage später in der Stadt eintrifft ist er verschwunden, gemeinsam geben sie eine Vermisstenanzeige auf. Beide glauben nicht, dass Robert den Freitod gewählt hat, aber Gründe für eine planlose Reise können sie sich auch nicht vorstellen.

Der 55 Jahre alte Robert und die sechs Jahre jüngere Jetti sind sich von Kindheit an in besonderer Weise verbunden. Der Bruder ersetzte der Schwester in einigen Dingen den Vater, der noch eine zweite Familie hatte und irgendwann ganz fern blieb. Jetti unterstützte Robert während seines Studiums als sich bei der Mutter die Symptome einer psychischen Erkrankung verstärkten. Nachdem Robert mit Hanna liiert war, haben die beiden ihre Fürsorge auf diese ausgedehnt und auch bereits zu dritt manche Krise miteinander.

Das Ehepaar hat zwei Kinder, doch Hannas erste Wahl, ein Familienmitglied über das Verschwinden ihres Manns zu informieren, fiel auf Jetti. So stark die Bande zu ihren Kindern auch sein mögen, umso stärker ist Hannas Vertrauen in Jetti von der sie sich Hilfe erhofft, die Gründe für Roberts Handeln zu verstehen. Doch die beiden kennen sich gut, zu gut erschien es mir manchmal, denn sie agieren ohne große Worte, beobachten einander und deuten jedes kleinste Tun auf der Basis vergangener Erfahrungen miteinander. Dabei erinnern beide sich nicht nur an positive Ereignisse, was zu deutlichen Spannungen führt. Schließlich sucht Jetti den Kontakt zu Roberts Freund Sebastian Lukasser, einem Wiener Schriftsteller, der schon in früheren Romanen Köhlmeiers eine tragende Rolle spielte. Es stellt sich heraus, dass er nicht nur für Robert ein Anlaufpunkt ist, sondern auch zu den beiden Frauen eine einzigartige Beziehung pflegt. Stückchenweise erfuhr ich als Leser schließlich auch die Beweggründe Roberts die dazu führten, dass er Abstand von einer Familie suchte.

Michael Köhlmeiers Erzählkunst ist detailreich. Er verfolgt jede Handlung möglichst aus der Sicht aller beteiligter Personen. Die Gedankengänge seiner Figuren zeigt er mit den Abwägungen über das Für oder Wider auf. Obwohl der Roman in der Gegenwart zeitlich nur wenige Wochen beinhaltet, schildert er die Vergangenheit aller Familienmitglieder und fächert die Erlebnisse des Einzelnen breit auf. 13 Kapiteln in vier Teilen stellt er zu Beginn jeweils ein Märchen voraus, welches man in der Nachbetrachtung durchaus in Bezug auf die folgende Handlung interpretieren kann.

„Bruder und Schwester Lenobel“ ist eine überbordende Geschichte, die wirklichkeitsnahe Gefühle des gelebten Lebens beinhaltet. Hass, tiefe Liebe, Vertrauen, Neid, Zweifel, Eifersucht, Missgunst sind zu finden, das Verzeihen ist von besonderer Dringlichkeit. Ein Roman, in dessen Verzweigungen man sich gerne verliert.

Veröffentlicht am 11.12.2018

Wo ist Lenobel?

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Michael Köhlmeier – Bruder und Schwester Lenobel

Eine Familiengeschichte, die den roten Faden doch ab und an verliert.

„Wo ist Robert Lenobel? Ist der Wiener Psychiater wirklich verrückt geworden? Seine ...

Michael Köhlmeier – Bruder und Schwester Lenobel

Eine Familiengeschichte, die den roten Faden doch ab und an verliert.

„Wo ist Robert Lenobel? Ist der Wiener Psychiater wirklich verrückt geworden? Seine Frau Hanna ist ganz sicher. Aber Jetti kennt ihn besser, sie kennt ihn schon immer, sie kennt ihn ein Leben lang – sie ist seine Schwester. Und sie kennt die eigene, sehr ungewöhnliche Familie. In der ist immer mit allem zu rechnen.“ (Klappentext)

Eine Familiengeschichte, die mit dem plötzlichen Verschwinden des Wiener Psychiaters Robert Lenobel, quasi von hinten aufgerollt wird. Beginnend bei Lenobel und seiner Frau, sowie seiner Schwester Jetti, umfasst sie auch noch die Lebensgeschichte der depressiven Mutter und wirft die Frage auf, wie uns Kindheitserlebnisse prägen bzw. unser ganzes Leben beeinflussen können.
Generell spricht Köhlmeier ganz viele hochinteressante Lebensfragen und -weisheiten an.
Er hat einen guten, sehr angenehmen Erzählstil, doch passagenweise wird er immer wieder recht abschweifend und langatmig. Mehrmals hatte ich das Gefühl, er ist von seiner eigenen Geschichte abgekommen, es geht gar nicht mehr darum Lenobel zu finden, oder auch nur zu verstehen, was passiert ist.

Die Protagonisten sind kaum geeignet, sich mit ihnen zu identifizieren, das war aber vermutlich auch nicht die Intention des Autors. Teils sind sie einfach auch zu blass gehalten, als dass der Leser Bindungen zu ihnen aufbauen könnte.

Ein inhaltlich anspruchsvoller Roman, der sich viel mit Psychologie beschäftigt. Auch das jüdische Kulturgut spielt eine Rolle. Gerade die vielen psychologischen Überlegungen fand ich sehr interessant.

Insgesamt also ein besonderer Roman mit unheimlich großem Potential, der dem Leser dennoch einiges an gutem Willen und Durchhaltevermögen abverlangt. Meiner Meinung nach, hätte sich der Autor auf die Hälfte der Seitenzahl beschränken können.