Ein Buch zum Herz-über-Kopf-Verlieben
Bei Neuauflagen bin ich immer etwas skeptisch, jedoch liefert der Sammelband "Die Cornwall-Saga" von Nicola Vollkommers den besten Beweis dafür, dass ihre beiden Romane „Wie Möwen im Wind“ und „Die Rückkehr ...
Bei Neuauflagen bin ich immer etwas skeptisch, jedoch liefert der Sammelband "Die Cornwall-Saga" von Nicola Vollkommers den besten Beweis dafür, dass ihre beiden Romane „Wie Möwen im Wind“ und „Die Rückkehr des Erben“ echte Herz-über-Kopf-Momente vereint. Der Blick durchs Schlüsselloch macht möglich, dass die Leser:innen ein Teil der Dienerschaft werden und gleichzeitig auch das Knistern von kostbaren Stoffen auf der Haut spüren, wenn der Perspektivwechsel vollzogen und die Welt der Adligen ihre Türen öffnet
Im ersten Teil begleiten wir die bezaubernde Charlotte, die zweite Tochter von Lord und Lady Greenwold, auf ihrem Weg durch eine Kindheit, die trotz elterlicher Ablehnung von Wärme und Zuneigung geprägt ist. Die Autorin schafft es mit ihrem einfühlsamen Schreibstil, Charlottes innere Kämpfe und Sehnsüchte so lebendig darzustellen, dass man als Leser:in mit ihr leidet und hofft. Besonders berührend ist die Beziehung zu ihrer Amme, die trotz ihrer eigenen Trauer Charlotte mit bedingungsloser Liebe umgibt. Diese emotionale Tiefe zieht sich durch das gesamte Buch und geht mitten ins Herz.
Der zweite Teil hält einen spannenden und gefährlichen Plo bereit, in dem ein habgieriger Verwandter den Anspruch auf das Greenwold-Anwesen erhebt. Die ständige Bedrohung, die sich über Charlottes neuem Leben und ihrer Familie ausbreitet, schwebt wie ein dunkler Schatten über allem und die Bedrohung sitzt wie eine kalte Hand im Nacken.Die Autorin verbindet die beiden Erzählstränge wie einen geflochten Zopf miteinander, sodass die Leserschaft die Entwicklungen beider Seiten mit Spannung verfolgt.
Die Beschreibungen der atemberaubenden Landschaft Cornwalls sind wie der Blick in ein imaginärens Landschaftkino. Vollkommner gelingt es, die Schönheit und die rauen Küsten des Landes so lebendig zu schildern, dass man beim Lesen das Gefühl hat, selbst durch die sanften Hügel und die stürmischen Klippen zu wandern. Diese idyllischen Bilder stehen im starken Kontrast zu den inneren Kämpfen und Konflikten der Protagonist:innen und bilden eine zusätzliche emotionale Verbindung zwischen Gelesenem und Gefühltem.
Besonders eindringlich sind die Themen von Misshandlung und psychologischem Druck, denen Charlotte ausgesetzt ist. Die Darstellung ihrer inneren Zerrissenheit und der verzweifelte Wunsch nach der Anerkennung ihrer Eltern sind so berührend, dass ich oft innehalten musste, um meine eigenen Emotionen zu ordnen - machmal ist der berühmte Kloß im Hals so präsent, dass sich die Gefühle erst einmal ihren Weg bahnen müssen, um weiterlesen zu können. Vollkommner schafft es, diese ernsten Themen mit einer solchen Sensibilität zu behandeln, dass man als Leser:in die Traurigkeit und den Kampf um Liebe und Akzeptanz hautnah mitfühlt und selbst durchlebt.
Im zweiten Teil, der sich mit der Erziehung von Charlottes Tochter Elinor beschäftigt, wird die Geschichte noch komplexer und fesselnder. Die Herausforderungen, die Elinor aufgrund ihrer Sehbeeinträchtigung und ihrer starken Persönlichkeit meistern muss, sind sowohl inspirierend als auch bewegend. Die Spannung, die durch die Bedrohung von außen entsteht, lässt die Leser:innen kaum Atem holen und sorgt dafür, dass ein regelrechter Lesesog entsteht.
Ein Sammelband, der nicht nur fesselnde Geschichten erzählt, sondern auch tiefgründige Themen behandelt, ein bisschen "Downton-Abbey-Feeling" verbreitet und die Höhen und eiefen des Lebens vor fantastischer Kulisse für die Lesenden bereit hält. Ein Buch, das denn Lesefrühling mit ganz vielen emotionalen Lesetunden bereichert.