Profilbild von Aniya

Aniya

Lesejury Profi
offline

Aniya ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Aniya über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.07.2021

Karte

Die Karte
0

Ich mochte Thriller immer. Aber in letzter Zeit stören mich die klischeehaften Charaktere und der oft eher simple Schreibstil doch sehr. Und so richtig überraschen kann mich auch selten was. Bei diesem ...

Ich mochte Thriller immer. Aber in letzter Zeit stören mich die klischeehaften Charaktere und der oft eher simple Schreibstil doch sehr. Und so richtig überraschen kann mich auch selten was. Bei diesem Buch war das leider auch wieder der Fall, es kommen aber noch andere Sachen hinzu, über die ich mich geärgert habe.

Die Geschichte beginnt mit einem Mann, der eine Gestalt am Haus der Nachbarinnen beobachtet, diese zur Rede stellen möchte und dafür ein Messer ins Auge gerammt bekommt. Kurze Zeit später wird eine dieser Nachbarinnen beim Joggen brutal ermordet. Jens Kerner ermittelt.

Eins meiner größten Probleme waren die beiden Frauen, Laura und Eva, die ein Paar sind. Da hat man schon mal queere Charaktere und dann werden sie natürlich gnadenlos sexualisiert. Den ersten Blick auf die zwei wirft man durch die Gedanken des Nachbarn, der sich grade überlegt, seine Frau zu schlagen und dann dazu übergeht das Paar beobachten zu wollen, um hoffentlich zu sehen, wie die beiden "es sich besorgen". Ich kotze.

In der einzigen Szene, in der die zwei Frauen miteinander interagieren, geht es natürlich auch darum, dass sie später noch Sex haben werden.
Jens Kerner bemerkt ebenfalls immer wieder die Körper der Frauen, sei es die enge Shorts von Eva (dass sie eng sind, wird mehrfach betont) oder wie trainiert sie sind.

Da eine von ihnen stirbt (kein Spoiler, das passiert relativ am Anfang und man sieht es eine Meile weit kommen), haben wir hier wieder den Bury Your Gays Trope, aber naja, bei einem Thriller verzeih ich es mal.

Merkwürdig finde ich auch, dass die beiden in einem "gläsernen" Haus wohnen, keine Gardinen oder Vorhänge haben und man von überall rein gucken kann. Hat sich mir nicht erschlossen, zumal es sie ja stört, dass zum Beispiel der Nachbar gafft.

Das ist auch gleich das nächste Ding. Laura erzählt Kerner zweimal, dass sie häufig angegafft wurden oder mit dummen Sprüchen zu kämpfen hatten, vor allem auch beim Joggen. Statt das zu akzeptieren, die Realität dieser Frauen ernst zu nehmen und sich vielleicht mal zu überlegen, wie belastend und nervig solche alltäglichen (!) Erfahrungen sein können, denkt er nur (sinngemäß): "Oh Mann, schon der zweite Hieb gegen Männer, nicht alle Männer sind so."

Den Reflex hat er dann später nochmal, als ihn eine Anwältin über die wahnsinnige Gewalt an Frauen und die Incel-Szene aufklärt. Dass es hier ein sehr auffälliges und vor allem strukturelles Problem gibt, das sich nicht mit „not all men“ lösen lässt, ignoriert er.

Was mir in letzter Zeit auch häufiger in Thrillern begegnet, sind die Seitenhiebe gegen Social Media, Selfies etc. Da werden Leute verurteilt, weil sie ihre Fitnessergebnisse teilen und es gewagt haben, knappe Laufklamotten zu tragen, die wahrscheinlich auch einfach funktional sind. Das sowas auch Motivation sein kann ist ja wurscht. Kerners Haltung: Internet böse!
Ich frage mich übrigens sowieso, wieso der Gute noch im Dienst ist, weil er offensichtlich generell die letzten zwanzig Jahre der technischen Entwicklung verpennt hat, aber gut.

Irgendwie ist es auch immer merkwürdig, wenn weibliche Charaktere explizit als "starke Frauen" beschrieben werden, so als müsste man das dazu sagen, weil Frauen halt normalerweise eher schwach sind. Hab noch nie Sachen wie "er war offensichtlich ein starker Mann" gelesen.

Komplett kurios auch die Frage von Kerner, ob das Opfer "ausschließlich lesbisch" war, statt zu fragen, ob sie vielleicht bi gewesen sein könnte.

Oh und es gibt Becca, Kerners Geliebte im Rollstuhl, die an ihm so toll findet, dass er nicht so "krampfhaft politisch korrekt" mit ihr ist und die ihn so richtig schön über den Klee lobt. Allgemein wird er von Außenstehenden als der absolut zuverlässige Held mit riesen Gerechtigkeitssinn dargestellt, auch wenn ich ihn nicht so empfunden habe.

Das Ende war dann aber richtig an den Haaren herbeigezogen.

Ich will nichts spoilern aber im Prinzip trieft diese Geschichte nur so vor Misogynie (und alle Hauptopfer sind mal wieder weiblich – die Obsession mit toten Frauen in Thrillern ist schon echt bezeichnend) während es dem Autor super wichtig war, irrationale Männerhasserinnen zu beschreiben (die in ihrem "Hass" übrigens ziemlich zahm und meistens sogar im Recht sind). Fast schon wie eine veränderte Form der Hufeisentheorie. Ich war echt baff.

Wie immer ist das aber nur meine ganz subjektive Meinung und wenn andere das Buch genießen konnten, dann freue ich mich. Nichts ist schlimmer als verschwendete Lesezeit.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.06.2021

Greenglass House

Greenglass House
0

Der zwölfjährige Milo lebt in einem waschechten Schmugglerhotel, das von seinen Adoptiveltern geführt wird. Eigentlich will er die ruhigen Winterferien genießen, als plötzlich und kurz hintereinander gleich ...

Der zwölfjährige Milo lebt in einem waschechten Schmugglerhotel, das von seinen Adoptiveltern geführt wird. Eigentlich will er die ruhigen Winterferien genießen, als plötzlich und kurz hintereinander gleich fünf unerwartete Gäste auftauchen. Außerdem findet Milo eine geheimnisvolle Karte und Gegenstände verschwinden einfach. Ist ein Dieb oder eine Diebin unter den Gästen? Milo und Meddy, die Tochter der Köchin, machen sich an die Detektivarbeit.

"Greenglass House" ist ein schönes, ruhigeres Buch, das man am besten im Winter lesen sollte, eingemummelt in eine Kuscheldecke und mit Tee und Keksen, denn es ist voller Schnee, Kerzen, heißer Schokolade, Kaminfeuer, Sternenhimmel, Weihnachtsschmuck und Gemütlichkeit.

Die Geschichte lebt eindeutig von den tollen und interessanten Charakteren, die alle ihre eigenen Gründe dafür haben, bei einem solchen Wetter im ziemlich abgelegenen Hotel gelandet zu sein.
Am besten gefallen hat mir aber Milo, der Protagonist mit den chinesischen Wurzeln. Er ist ein aufgewecktes, neugieriges und vor allem freundliches und höfliches Kind. Obwohl er seine (absolut großartigen) Adoptiveltern liebt, hadert er damit, dass er nicht wie sie aussieht und fragt sich doch, wer wohl seine leibliche Verwandtschaft ist.
Sein Ärger über die verdorbenen Winterferien verschwindet dank Meddy schnell, die ihn in die Welt des Pen-and-Paper-Rollenspiels einführt. Die beiden denken sich Charaktere aus und übertragen das Spiel auf die wirkliche Welt, um die Geheimnisse des Hauses und der Gäste lüften zu können.
Es ist eine unfassbare Freude mit den beiden durch das Hotel zu schleichen und nach Hinweisen zu suchen oder mit ihnen die merkwürdigen Leute subtil zu verhören.

Obwohl es ein paar Längen gibt, erwärmt dieses Buch das Herz und am Ende warten sogar ein paar interessante Twists auf die Lesenden. Absolute Empfehlung für alle ab 10 Jahren!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.06.2021

Götter

Die Götter müssen sterben
0

"Die Götter müssen sterben" ist eines dieser Bücher, in denen so viel richtig gemacht wird, die mich aber leider dennoch nicht komplett abholen konnten.

Wie offenbar schon einige vor mir hatte ich Schwierigkeiten, ...

"Die Götter müssen sterben" ist eines dieser Bücher, in denen so viel richtig gemacht wird, die mich aber leider dennoch nicht komplett abholen konnten.

Wie offenbar schon einige vor mir hatte ich Schwierigkeiten, mir die Namen und dazugehörigen Personen zu merken. Mit wechselnden Perspektiven habe ich sowieso schon meine Probleme, auch wenn ich bei den meisten Geschichten irgendwann reinkomme. Hier hat es mich jedoch so richtig verwirrt und jedes Mal aus der Story gerissen.
Und... ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Mir fehlte es manchmal an Spannung? Es fühlt sich irgendwie falsch an, das so zu schreiben, weil ja eigentlich auch ziemlich viel passiert. Aber meine Gedanken gingen die ganze Zeit auf Wanderschaft und ich musste manche Stellen mehrfach lesen, weil ich nicht bei der Sache war.

Trotzdem punktet die Geschichte beim Zwischenmenschlichen. In dieser Welt haben verschiedene Geschlechter ihren Platz, es gibt unfassbar viele tolle Kriegerinnen, Homosexualität, Consent, liebevolle Beziehungen... davon will ich mehr!
Ernsthaft, ich liebe Fantasy, aber die immer gleiche, langweilige, patriarchale Welt, in der alle Charaktere gleich aussehen und die einzige Frau mit einer Sprechrolle der Loveinterest von irgendeinem der Hauptcharaktere ist, kann langsam mal weg.
Und das heißt nicht, dass in "Die Götter müssen sterben" alle lieb und nett zueinander sind und es keine Reibungspunkte gibt. Im Gegenteil, Gewalt spielt eine große Rolle (das sind immerhin noch Amazonen!), es wird blutig und an manchen Stellen grausam.

Protagonistin Areto mochte ich sehr. Zu Beginn der Geschichte ist sie unfreiwillig mit einem Mann verheiratet, obwohl sie Frauen lieber mag, wird dann aber von den Kriegerinnen aufgenommen und bringt einen Sohn zur Welt. Außerdem spricht sie immer wieder von ihrem "Schatten", den ich als Depression gelesen habe - und darüber könnte ich leider ganze Balladen singen. Aus meiner ganz subjektiven Sicht wirkte dieser Teil glaubhaft und ich konnte mich darin wiederfinden.

Die Autorin dankt im Nachwort ihren Sensitivity Readern und mich wundert es überhaupt nicht, dass es diese gibt. Jedes sensible Thema erschien mir respektvoll und gut umgesetzt, so weit ich das beurteilen kann.

Am Ende ist das hier leider eine typische "es liegt an mir, nicht an dir, liebes Buch" Sache, weil ich einfach nicht den vollen Zugang finden konnte. Trotzdem hoffe ich, dass die Geschichte von vielen Menschen eine Chance bekommt!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.06.2021

Nachrichten

Nachrichten von Männern
0

Normalerweise mache ich um solche Bücher ja einen Bogen, weil mich der Humor meistens nicht kriegt. Da ich aber die Torten der Wahrheit von Katja Berlin so liebe, war ich guter Hoffnung und wollte es doch ...

Normalerweise mache ich um solche Bücher ja einen Bogen, weil mich der Humor meistens nicht kriegt. Da ich aber die Torten der Wahrheit von Katja Berlin so liebe, war ich guter Hoffnung und wollte es doch lesen. Und naja... ich hatte trotzdem so meine Schwierigkeiten.

Natürlich ist mir klar, dass alles super überspitzt und aus humoristischen Gründen klischeehaft dargestellt wird. Trotzdem leben solche Geschichten auch davon, dass man sich irgendwo wiederfindet, schmunzelt, wissend nickt. Und das war bei mir halt absolut gar nicht so.

Immer wenn es wieder hieß "du kennst das..." war ich so: "Äh, nee".
Dabei wurde mir halt klar, wie krass anders mein Leben (verglichen mit den Autorinnen) läuft. Aber hey, irgendwann habe ich es aufgegeben, relaten zu wollen und das Buch stattdessen als Einblick in eine völlig andere Welt betrachtet. Dann wurde es doch noch ganz unterhaltsam.

Hin und wieder gibt es sogar ein paar feministische Momente (für mich die besten Stellen!) und ernste Töne (z.B. wenn es um eine tatsächlich toxische Beziehung geht und klar gesagt wird, dass man da raus muss).

Komplett fremd war mir das alles dann natürlich doch nicht, denn zumindest der Wütende, der gerne mal beleidigend wird (vor allem, wenn man ihn zurückweist), ist mir auch schon untergekommen.

Und immerhin weiß ich jetzt, wofür diese nervigen Buchstabenkombis auf Datingprofilen stehen! Astrologie für Männer... sowas hatte ich mir ja schon gedacht.

Schlecht ist das Buch also wirklich nicht und wenn du in einer Großstadt lebst, unbedingt im Büro arbeitest, ständig "Projekte" bekommst, oft reist, unfassbar viele Freundinnen und Bekannte hast, zu Übertreibungen und Drama neigst, alles gern in Wein (oder sonstigen Alkohol) ersäufst und sehr viele Typen datest, die ganz genauso sind, dann findest du dich hier auf jeden Fall so richtig wieder. :)

Naja, und da ich mit den meisten im Buch beschriebenen Nachrichten-Typen keine Erfahrung habe, füge ich als kleinen Zusatz hier mal einen hinzu, der mit tatsächlich sehr oft begegnet: Der Komplimente-Fischer!
Der schreibt schon gleich am Anfang Sachen wie: "Hey, sag mal, was hat dich denn dazu bewogen, mein Profil zu liken? Was gefällt dir so an mir? Hast du Fragen zu meinen Bildern?"
Mir wäre das ja zu peinlich und da ich nicht nur Männer date, kann ich behaupten, dass zumindest queere Frauen sowas nie schreiben würden. ;)

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.05.2021

Ohne Rücksicht

Ohne Rücksicht auf Verluste
0

Uff, das war wirklich keine leichte Lektüre.
Das Buch ist gut geschrieben, die Autoren klären sachlich und fundiert auf. Das ist wichtig und richtig.
Trotzdem musste ich den eReader immer mal wieder zur ...

Uff, das war wirklich keine leichte Lektüre.
Das Buch ist gut geschrieben, die Autoren klären sachlich und fundiert auf. Das ist wichtig und richtig.
Trotzdem musste ich den eReader immer mal wieder zur Seite legen, weil mich der Inhalt so ausgelaugt hat und ich einfach nicht mehr konnte.
Hier werden nicht nur die (für mich) völlig grotesken Headlines und Artikel der Bild zitiert, sondern auch Kommentare ihrer wutschnaubenden Leser. Da wird natürlich ordentlich nach unten getreten, es geht aber auch um schwer verdauliche Themen wie Mord und (sexuelle) Gewalt - das sollte man bedenken, wenn man das Buch lesen möchte.

Ich wusste ja schon, dass es bei der Bild wenig bis gar keine Skrupel gibt, aber das alles nochmal so gebündelt zu lesen... wow.

In unterschiedlichen Kapiteln geht es um Prominente, die erpresst oder nach dem Verweigern eines exklusiven Interviews negativ dargestellt werden, um Menschen, die (fälschlicherweise) zu Straftätern oder gleich für tot erklärt werden, um das widerliche Sexualisieren von Sportlerinnen oder minderjährigen (!) Mädchen, um die Ärmsten in Deutschland, die als faule und dumme Schmarotzer hingestellt werden, um das wiederholte Verletzen von Persönlichkeitsrechten, das Pushen erzkonservativer Haltungen, die Jagd auf Menschen, die Angehörige verloren haben (und das ekelhafte "Witwenschütteln"), um unsaubere Recherche oder einfach Lügen, um die Bild früher - und natürlich auch etwa ausführlicher um Julian Reichelt.

Zu allem gibt es Fußnoten, die in der eBook-Version als dicker Anhang mit jeder Menge Links aufwartet.

Ich bin den Autoren (beide vom Bildblog) wirklich dankbar für ihre Arbeit und den langen Atem, den man für so ein Projekt braucht. Ich will schon nach diesem Buch am liebsten nie wieder was von der Bild hören oder sehen... aber sie jeden Tag zu lesen und zu kritisieren oder zu widerlegen? Ich bin echt froh, dass ich das nicht machen muss und halte es gleichzeitig für unfassbar wichtig.

Jedenfalls: große Leseempfehlung, so ein Buch gehört unterstützt!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere