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Veröffentlicht am 29.05.2017

Der Teufel spielt die erste Geige

Die Schatten von Edinburgh
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1888. Ian Frey, durch und durch snobistischer Engländer aus einer wohlhabenden, angesehenen Familie arbeitet bei der Londoner Kriminalpolizei. Als Schützling von Sir Charles Warren fällt er tief, als dessen ...

1888. Ian Frey, durch und durch snobistischer Engländer aus einer wohlhabenden, angesehenen Familie arbeitet bei der Londoner Kriminalpolizei. Als Schützling von Sir Charles Warren fällt er tief, als dessen Stuhl aufgrund des Ripperdebakels abgesägt wird, und man versetzt ausgerechnet ihn nach Edinburgh, Schottland. Alles hier stößt ihn ab. Die Menschen empfindet er als grobschlächtig und unzivilisiert, die Straßen als schmutzig. Ganz besondere Abneigung hegt er gegen seinen neuen Chef McGray, bei dem er auch noch wohnen muss. Gleich der erste Fall, den diese beiden unterschiedlichen Männer zu lösen haben, entpuppt sich als harte Nuss mit überirdischen Anzeichen. Jemand ist in einen verschlossenen Raum eingedrungen und hat einen Geiger umgebracht, ihn ausgeweidet, was sehr an den Ripper erinnert. Hat sich auch dieser nach Schottland abgesetzt oder ist ein übernatürliches Wesen am Werk?

Dieser Frey ist nicht durchgehend sympathisch, was ich gut finde. Vielleicht ist er ein wenig zu sehr englisch überzeichnet, aber das passt gut zu dem übertrieben schottischen McGray. Dem Zusammenraufen der beiden Inspectoren steht also jede Menge Konflikt im Wege, und das macht Spaß zu lesen. Auch der Fall entwickelt sich in eine interessante Richtung, nebenbei gibt es auch noch die ein oder andere Action. Was mich auf Dauer wirklich gestört hat, war das übermäßige Einsetzen stilistischer Mittel, die man eher nicht mit dem Holzhammer verwenden sollte. Kursivschreiben zum Beispiel. Oder das ständige Foreshadowing, das fast an jedem Kapitelende kommt. Das nervt übelst, zumindest mich. Trotzdem interessiert mich, wie es mit Frey und McGray, hoffentlich entwickelt sich auch der Schreibstil des Autors mit seinen Figuren weiter.

Veröffentlicht am 29.05.2017

Im Palast des Feindes

Das Herz des Verräters
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Dieses Buch schließt sich nahtlos an den ersten Band an. Lia ist von Kaden und seiner Assassinentruppe entführt und nach Venda gebracht worden, genauso wie Rafe, der sich als sein eigener Gesandter ausgibt, ...

Dieses Buch schließt sich nahtlos an den ersten Band an. Lia ist von Kaden und seiner Assassinentruppe entführt und nach Venda gebracht worden, genauso wie Rafe, der sich als sein eigener Gesandter ausgibt, um in Lias Nähe bleiben zu können. Für beide ist das lebensgefährlich, denn der Komizar lässt normalerweise alle Feinde Vendas sofort töten. Doch hier sieht er Vorteile für sich und sein Volk: Rafe überzeugt ihn, dass der Prinz mit ihm gemeinsame Sache machen wird und für Lia hat er große Pläne: Der Komizar beschließt, sie zu heiraten, denn seine Leute glauben, dass sie die Gabe hat und ihnen eine Zukunft verspricht. Trotzdem ist Lia nicht mehr als eine Gefangene und muss jeden Schritt und jedes Wort bedenken. Sie kommt einer ungeheuren Verschwörung auf die Spur und weiß, dass sie alles daran setzen muss, sie zu verhindern, sonst wird es bald viele, viele Tote geben.

Eigentlich ist es nicht viel mehr als das, was ich beschrieben habe und jetzt, im Nachhinein, sieht es fast mager aus. Aber das ist es nicht. Die Autorin schafft es echt, banal erscheinende Dinge spannend zu erzählen und sie lässt Kopfkino entstehen, wenn sie über Venda und das entbehrungsreiche Leben der Vendaner schreibt. Ich habe mich nicht eine Minute gelangweilt, und dafür, dass es sich um ein Jugendbuch mit einem Dreieckliebesgedöns handelt, hat es mir gut gefallen, weil das Liebesgeschmachte zum Glück nur relativ wenig Raum einnimmt. Stattdessen wird uns eine starke Protagonistin präsentiert, welche der Gefahr ins Gesicht sieht, sie erkennt und dementsprechend handelt. Von daher bin ich gespannt auf den nächsten Teil, denn ich erwarte noch viele Konflikte, Intrigen und Wendungen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Charaktere
  • Atmosphäre
  • Erzählstil
  • Gefühl
Veröffentlicht am 28.05.2017

Ziemlich beste Bullen

Kommando Abstellgleis
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Sie sind der Abschaum der Pariser Polizei: Säufer, Depressive, Krankfeierer, in Ungnade gefallene. Sie werden in eine extra für sie geschaffene Abteilung abgeschoben, in ein Büro, das nicht annähernd genug ...

Sie sind der Abschaum der Pariser Polizei: Säufer, Depressive, Krankfeierer, in Ungnade gefallene. Sie werden in eine extra für sie geschaffene Abteilung abgeschoben, in ein Büro, das nicht annähernd genug Platz hat für die 40 Leute, aus denen dieses Kommando Abstellgleis bestehen soll. Allerdings erwartet sowieso keiner, dass alle immer zur selben Zeit auftauchen, nicht einmal Anne Capistan, die diese Abteilung leiten soll. Sie war einst der Superstar der Kriminalpolizei, bis sie einmal zu oft und zu schnell geschossen hat. Eigentlich sollen diese Loser nur eines: Däumchen drehen, die Klappe und den Ball flach halten. Dass man ihnen ungelöste Fälle auf den Tisch wirft, ist eher Augenwischerei. Doch dann entdecken diese Abgeschobenen eine Verbindung zwischen zweien dieser Fälle und plötzlich besinnen sie sich ihrer Fähigkeiten und tun das, was gute Bullen tun: sie ermitteln. Und das fast ohne Ausrüstung und Befugnis, dafür mit mehr Einsatz und Originalität.

Ein großer Spaß, dieses Buch! Sehr französisch, was ich eigentlich nicht mag, dafür mit großer Leichtigkeit und Humor, was mir liegt. Natürlich ist eine ganze Menge an den Haaren herbeigezogen, die Verbindungen, die Zufälle, aber das wird wettgemacht durch eine zweigleisig erzählte Geschichte, in der als Versager abgestellte Beamte plötzlich zu Hochform auflaufen. Da werden mit Babyphonen Räume abgehört, ein Hungerstreik wird durch eine Mittagspause unterbrochen und ein Killer hat ein Herz für Katzen. Die Sprecherin kam super mit den französischen Namen und Ausdrücken zurecht und so kann ich nur sagen, dass ich dieses Buch empfehle für Leute, die mit fremdländischen Namen zurechtkommen und sich auf die unendliche Leichtigkeit des Seins einlassen können. 4,5/5 Punkten.

Veröffentlicht am 25.05.2017

"Kriminal" Haarmann

Haarmann
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Hannover, zwischen Ende des 1. Weltkrieges und 1924. Weimarer Republik, ausgeblutetes Volk, Typhus, Hunger, Abgestumpftheit prägen diese Zeit. Alle sehen zu, dass sie irgendwie über die Runden kommen, ...

Hannover, zwischen Ende des 1. Weltkrieges und 1924. Weimarer Republik, ausgeblutetes Volk, Typhus, Hunger, Abgestumpftheit prägen diese Zeit. Alle sehen zu, dass sie irgendwie über die Runden kommen, die meisten mehr schlecht als recht. Zu dieser Zeit tauchen so viele Knochen in der Leine auf, dass sie irgendwann abgelassen wird, um diese Sache zu untersuchen. Und bald steht fest - es sind menschliche Überreste. Jemand bringt Leute um. Dieser Jemand - damit spoilere ich nicht, da es den Tatsachen entspricht - heißt Fritz Haarmann und ist Polizeispitzel, was es ihm erleichtert, auf dem Bahnhof junge Männer anzusprechen und mit nach Hause zu nehmen. Er hat Sex mit ihnen, bringt sie um und verkauft dann ihr Fleisch an Nachbarn und ein Wirtshaus, auch die Sachen der Ermordeten finden dankbare Abnehmer. Lange Zeit geht er fast unbelästigt seinen grausamen Taten nach, geschützt durch unglaubliche Zufälle und geschützt durch die Polizei selbst, die einen "guten" Spitzel nicht verdächtigen will.

Eine Graphic Novel, die sich mit einem Serienkiller beschäftigt? Kann man da der Materie überhaupt gerecht werden? Man kann. Und das sehr gut. Bezeichnend für diese Geschichte ist wohl, dass hier nicht nur das reißerische Hauptaugenmerk auf dem Killer liegt. Tatsächlich erhält der seine Charakterstudie dadurch, dass mit ihm interagierende Personen durch ihre Handlungen und ihr Denken Haarmann besser beschreiben, als das durch den intensiven Fokus auf ihm selbst geschehen könnte. Die Geschichte ist sehr gut ausgefeilt und wird durch die Superzeichnungen getragen. Im Innenteil des Buches gibt es Kurzbeschreibungen all seiner Opfer (auch wenn die Story der Beschreibung des Friedel Rothe widerspricht) und am Ende gibt es auch noch einmal eine Kurzzusammenfassung zu Haarmann und der Zeit, in der er agierte. Eine empfehlenswerte GN, düster, beklemmend und man fragt sich manchmal, wer das Monster ist: derjenige, der tötet oder diejenigen, die durch ihre Gier, ihre Selbstzufriedenheit und durch ihre Arroganz den Morden Vorschub leisteten.

Veröffentlicht am 23.05.2017

Parallelwelten

Der Brief
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Marie ist Journalistin in Hamburg, lebt mit Johanna zusammen und ist an und für sich zufrieden mit ihrem Leben. Das ändert sich eines Tages, als sie den Brief einer alten Schulfreundin - Christine - erhält. ...

Marie ist Journalistin in Hamburg, lebt mit Johanna zusammen und ist an und für sich zufrieden mit ihrem Leben. Das ändert sich eines Tages, als sie den Brief einer alten Schulfreundin - Christine - erhält. Die schreibt ihr aus Berlin und in dem Brief geht sie auf Maries Leben ein, das angeblich in Paris stattfindet und wo sie verheiratet ist mit einem Mann namens Victor. Sie spricht von Ereignissen und Lebensumständen, die Marie gänzlich unbekannt sind - und dann wieder doch seltsam vertraut vorkommen. Dieser Brief bleibt nicht der einzige, und so begibt sich Marie auf Spurensuche - in Paris und Berlin und in ihrem eigenen Kopf.

Ich fand die Idee gut, hatte jedoch bedeutend mehr erwartet. Mehr Spannung, mehr Substanz, mehr Hintergrund, mehr Auflösung vor allem. Es ist ein dünnes Buch, eigentlich keine Zeit zum Langweilen, doch fesselnd war es auch nicht. Das lag an der emotionslosen Schreibweise, die wie ein Schüleraufsatz wirkte als eine Novelle. Ab und zu Marie wie einen Teenager in Tränen ausbrechen zu lassen ist keine Grundlage, Gefühle zu vermitteln. Einige Sachen sind auch nicht stimmig - erst kann sich Marie nicht mal richtig erinnern, wer Christine überhaupt ist, dann heißt es, sie waren wie siamesische Zwillinge, niemals einer ohne den anderen. Und dann der Schluss: Was war los, keine Ahnung mehr, wie man das zu einem schlüssigen Ende bringt oder drohte eine Deadline? Das war jedenfalls kein befriedigendes Ende, genauso wie das Buch auch nicht halten konnte, was der Klappentext versprach.