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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.11.2018

Wir alle sind Teil vieler Zöpfe…

Der Zopf
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„Ich widme meine Arbeit all den Frauen, die durch ihre Haare miteinander verknüpft sind wie zu einem großen Seelengeflecht.“ sagt die Perückenmacherin im Epilog dieses Romans. Und wie kunstvoll eine solche ...

„Ich widme meine Arbeit all den Frauen, die durch ihre Haare miteinander verknüpft sind wie zu einem großen Seelengeflecht.“ sagt die Perückenmacherin im Epilog dieses Romans. Und wie kunstvoll eine solche Verknüpfung beschrieben werden kann, zeigen die drei Geschichten, die in diesem Buch zueinanderfinden.

Es sind die Geschichten von Smita, einer indischen „Unberührbaren“. Von Giulia, einer jungen Sizilianerin, deren Vater eine Perückenknüpferei besitzt. Und von Sarah, einer erfolgreichen Staranwältin aus Montreal. Natürlich ahnt man früh in diesem Buch, wie die Leben dieser drei Frauen miteinander verbunden sind. Aber das wurde anhand der drei interessanten Frauenschicksale für mich auch nebensächlich.

Besonders berührt hat mich die Geschichte von Smita. Ich gehe davon aus, dass die Autorin die Lebensumstände der indischen „Unberührbaren“ gut recherchiert hat und deshalb hat es mich tief getroffen, was ich lesen musste. Während ich jeden Tag gut genährt meiner geregelten Arbeit nachgehe, einen ebenso geregelten Feierabend habe, außerdem genügend Geld für ein schönes Zuhause und die kleinen und großen Annehmlichkeiten des Lebens, hat Smita… nichts. Weder genug zu essen, noch Bildung, noch Perspektiven für ihre kleine Tochter. Es ist zuweilen schon grausam, was die Autorin hier in unaufgeregter Sprache erzählt. Aber ich fürchte es ist die Wahrheit und diese Geschichte war wieder einmal ein Anlass, demütig zu werden und mich beim Schicksal zu bedanken, dass es mir ein so sorgenfreies Leben geschenkt hat.

Auch die beiden anderen Geschichten sind lesenswert. Die junge Giulia muss früh ihren eigenen Weg im Leben finden. Sarah will mit Durchhaltevermögen und eisernem Willen ihrer Krankheit trotzen und merkt, dass sie ihre Kraft für ganz andere Dinge einsetzen muss, als sie in ihrer renommierten Großkanzlei plötzlich nicht mehr als leistungsfähig eingeschätzt wird. Sie macht einen harten Lernprozess durch, der ihr Leben von Grund auf ändert.

Am Ende sind es drei vollkommen unterschiedliche Leben, die hier beschrieben werden. Und doch haben alle ihre Kämpfe auszufechten – die eine mehr, die andere mutmaßlich weniger. Und trotzdem fügen sich ihre Geschichten zu einem versöhnlichen Ende, das eigentlich kein Ende ist (mehr soll nicht verraten werden). Ich habe aus diesem Buch gelernt, dass sich wohl viele Dinge gegenseitig beeinflussen, auch wenn man das selbst vielleicht gar nicht wahrnimmt. Und dass unscheinbare Dinge, die wir tun, anderen eine große Hilfe sein können.

Es tat gut, daran mal wieder erinnert zu werden. In welchem Zopf wohl Taten von mir stecken?

Veröffentlicht am 17.11.2018

Es war einmal in einem dunklen Wald…

Bretonische Geheimnisse
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Der siebente Band der Urlaubskrimis aus der Bretagne führt Kommissar Dupin und seine Kollegen in den Foret de brocéliande, einen tiefen Wald, der mit der Artussage in Verbindung gebracht wird. Eigentlich ...

Der siebente Band der Urlaubskrimis aus der Bretagne führt Kommissar Dupin und seine Kollegen in den Foret de brocéliande, einen tiefen Wald, der mit der Artussage in Verbindung gebracht wird. Eigentlich sollte es ein Betriebsausflug werden – aber dazu kommt es gar nicht erst. Im Mittelpunkt steht diesmal eine Gruppe von Wissenschaftlern, die an der Artussage forschen. Aber der Kreis wird durch mehrere Morde immer kleiner… und Dupin, der sich in diesem dunklen Zauberwald nicht wohlfühlt und merkwürdige weiße Tiere vorbeihuschen sieht, läuft die Zeit davon.

Endlich habe ich einen Dupin-Roman mal wieder so richtig genossen! Bei den letzten Bänden hatte ich immer das Gefühl, irgendwas fehlt... Diesmal war der Krimi für mich eine runde Sache. Die Stimmung passte, der Fall war aufgrund der vielen Verstrickungen zwischen den Wissenschaftlern kniffelig und da die gesamte Handlung innerhalb von zwei Tagen spielt, folgte Schlag auf Schlag und es wurde nicht langweilig. Ich als Leser hatte meine Freude dran, aber um Dupin habe ich mir zwischenzeitlich Sorgen gemacht – denn das was er hier leisten musste, war fast übermenschlich. Deshalb sei ihm auch das sehr versöhnliche Ende (in privater Hinsicht) und der Sonnenuntergang am Meer mehr als gegönnt – wobei ich mich frage, wann er denn endlich mal schlafen will Trotz allem birgt das Ende dieses Romans einen kleinen Cliffhanger, da sich für Dupin (ohne zuviel verraten zu wollen – Achtung Spoiler!) neue berufliche Perspektiven ergeben. Ich bin mir zwar relativ sicher, dass er sich richtig entscheiden wird… Nachlesen werde ich das im nächsten Band aber auf jeden Fall

Veröffentlicht am 13.11.2018

Überwältigend, berührend, erschütternd

Mudbound – Die Tränen von Mississippi
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Wer wissen möchte, wieso die USA so sind wie sie sind – dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Ich gebe zu, am Anfang wusste ich nicht so recht, wo dieser Roman hinführen soll. Wird es eine historische Familiengeschichte? ...

Wer wissen möchte, wieso die USA so sind wie sie sind – dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Ich gebe zu, am Anfang wusste ich nicht so recht, wo dieser Roman hinführen soll. Wird es eine historische Familiengeschichte? Eine Milieustudie? Gar ein Kriminalroman? All das ist es, und ich kann jedem empfehlen, sich von den ersten 50 Seiten (die für mich weder Fisch noch Fleisch waren) nicht entmutigen zu lassen. Denn nach einer gewissen Anlaufzeit hat der Roman auf mich eine regelrechte Sogwirkung entfaltet.

Im Buch kommen abwechselnd die Hauptpersonen der Geschichte zu Wort. Laura folgt ihrem Ehemann widerwillig aus der Stadt auf die abgelegene Farm „Mudbound“ in Mississippi. Henry, ihr Mann, ist überglücklich, eigenes Land ergattert zu haben und scheut die harte Arbeit nicht. Als Pächter leben auf diesem Land auch Hap und Florence Jackson mit ihren Kindern - eine farbige Familie. Henry behandelt die Jacksons, als sei er eine Mischung aus Arbeitgeber und Sklavenhalter. Er ist eben in den Südstaaten mit dem Glauben aufgewachsen, Farbige seien minderwertige Menschen – befeuert von seinem Vater („Pappy“), der ebenfalls mit auf der Farm lebt. Dann kehrt Jamie, Henrys jüngerer Bruder, aus dem Krieg zurück und kann die Kriegseindrücke nur schwer verdrängen. Auch die Jacksons können ihren ältesten Sohn wieder zuhause begrüßen – auch er hat in Europa gekämpft. Zwischen Aufbruchsstimmung, harter Landarbeit auf den Baumwollfeldern und Rassenunruhen entspinnt sich in dieser Konstellation eine Entwicklung, die in einer Tragödie endet.

Autorin Hillary Jordan hat für meine Begriffe eine wunderbare Art zu erzählen, gleichzeitig realistisch und poetisch. Ihr Stil passt wunderbar zu dieser Art von Geschichte und lässt sie sehr authentisch wirken. Inspiriert zu diesem Roman wurde sie – das erfährt man im Nachwort – von der Lebensgeschichte ihrer Großmutter, die ebenfalls als Städterin auf eine entlegene Farm kam und dort ein entbehrungsreiches Leben führte.

Die Geschichte entwickelt eine große Kraft und hat mich als Leser vollkommen mitgerissen. Nur für den etwas trägen Anfang habe ich einen Stern abgezogen. Ich finde das Buch trotzdem absolut lesenswert.

Veröffentlicht am 11.11.2018

ZDF-Sonntagabendfilm in Buchform

Mein wunderbarer Küstenchor
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Heute mal Lust auf ein Buch, das nur unterhält, schnell gelesen ist und bei dem man abschalten kann? Dann ist "Mein wunderbarer Küstenchor" sicher das Richtige. Als Entspannungslektüre ist es auf jeden ...

Heute mal Lust auf ein Buch, das nur unterhält, schnell gelesen ist und bei dem man abschalten kann? Dann ist "Mein wunderbarer Küstenchor" sicher das Richtige. Als Entspannungslektüre ist es auf jeden Fall geeignet - mir persönlich war es aber selbst dafür etwas zu oberflächlich angelegt.

Situationen, die mir entscheidend erschienen, wurden irgendwie husch, husch beschrieben und schon gings weiter... Das hat mich etwas unbefriedigt zurückgelassen. Dafür kamen die entscheidenden Informationen meist am Anfang eines Absatzes und der Rest war Geplänkel... gut für Leute, die ein Buch nur mal "querlesen" wollen - das funktioniert hier auf alle Fälle. Für mich hatte das Buch dadurch zu wenig Tiefgang und zu wenig echtes Gefühl. Ich konnte mich auch nicht so richtig mit Brittas Enthusiasmus um den Chor identifizieren. Für mich war das an mancher Stelle schon fanatisch zu nennen - aber das mag Geschmackssache sein.

Vom sommerlichen Cover sollte man sich übrigens nicht täuschen lassen - das Buch ist eigentlich ein Herbstbuch und die Jahreszeit spielt in den Beschreibungen im Roman auch oft eine Rolle.

Zu diesem Buch sollte man greifen, wenn man eine kurze Ablenkung vom Alltag sucht, die wenig Konzentration beim Lesen erfordert.

Veröffentlicht am 10.11.2018

Frauenschicksale im noch jungen 20. Jahrhundert

Die Frauen der Familie Marquardt
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Zunächst mal: dieses Buch ist vordergründig Unterhaltungslektüre. Aber: warum sollte Unterhaltungslektüre nicht auch gesellschaftliche Themen aufgreifen, die geschichtlich von großer Bedeutung sind? Ich ...

Zunächst mal: dieses Buch ist vordergründig Unterhaltungslektüre. Aber: warum sollte Unterhaltungslektüre nicht auch gesellschaftliche Themen aufgreifen, die geschichtlich von großer Bedeutung sind? Ich war (positiv!) überrascht, in diesem Roman einige davon zu finden…

Denn an sehr vielen Stellen wird die Rolle der Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts gespiegelt. Es gibt in diesem Buch ja einige Frauenfiguren, und so ziemlich jede hat an irgendeiner Stelle mit ihrer Rolle oder dem gesellschaftlichen Standesdenken zu hadern. Da ist Louisa, älteste Tochter des Kaufhausbesitzers Caspar Marquardt. Trotz guter Ideen, Engagement und bereits langer Mitarbeit im Kaufhaus des Vaters kann sie das Kaufhaus nicht erben – statt dessen holt der Vater einen entfernten (männlichen) Verwandten nach Köln, der sein Nachfolger werden soll. Ein Schlag ins Gesicht für die ehrgeizige junge Frau. Dann gibt es Mathilda, eine illegitime Tochter von Caspar, die er jedoch anerkannt hat. Er hat ihr eine Stelle im Kaufhaus verschafft – aber trotz ihrer offensichtlichen Qualitäten als Dekorateurin scheut er sich davor, ihr eine gehobene Position anzubieten. Eine Frau als Chefdekorateurin und noch dazu seine uneheliche Tochter – nein, wie soll denn das aussehen? Außerdem ist da Olga, eine noch recht junge Witwe, die sich gezwungen sieht Caspar zu erobern und durch eine Heirat mit ihm ihre Existenz zu sichern, die ansonsten auf wackeligen Füßen stünde. Und es gibt da Frau von Beltz, deren Mann sie liebt. Dennoch werden beide von der Gesellschaft geschnitten, weil das Gerücht geht, sie habe in der Vergangenheit ihren Lebensunterhalt auf zweifelhafte Weise verdient.

Alle Frauen haben unterschiedliche Probleme – und dennoch reduziert sich das Problem letztlich auf die (untergeordnete) Rolle der Frau im beginnenden 20. Jahrhundert. Dabei hat die Autorin das wunderbar in die Geschichte verpackt, so dass es weder aufdringlich noch belehrend wirkt. Und bei allen Debatten um (immer noch) ausstehende Geschlechtergerechtigkeit heutzutage habe ich gesehen, welch weiten Weg die Frauen in den letzten 100 Jahren schon erfolgreich zurückgelegt haben. Schön, dass einem dieser positive Aspekt auch mal in unterhaltender Weise vor Augen gehalten wird.

Kurz gesagt:
Ein Buch, das die Blütezeit der ersten pompösen Kaufhäuser zurückholt. Dazu ein Plädoyer für Frauenrechte. Ein toller historischer Roman!