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Veröffentlicht am 11.07.2021

Die heimliche Liebe zu Worten

Dein Herz in tausend Worten.
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Als „Allrounderin“ arbeitet die schüchterne Millie in dem kleinen Verlag Anderson & Jones und kümmert sich rührend um die Mitarbeiter, die sie allerdings kaum bemerken. Neben ihrer Tätigkeit kann sie ihrer ...

Als „Allrounderin“ arbeitet die schüchterne Millie in dem kleinen Verlag Anderson & Jones und kümmert sich rührend um die Mitarbeiter, die sie allerdings kaum bemerken. Neben ihrer Tätigkeit kann sie ihrer Leidenschaft frönen, abgelehnte Manuskripte vor der Vernichtung zu bewahren und heimlich zu lesen. Als sie eines mit dem Titel „Dein Herz in tausend Worten“ liest, ist sie so bewegt von der Geschichte, dass sie beschließt, wenigstens einzelne Zitate aus dem Roman in Umlauf zu bringen und den Findern damit ein kleines Trostpflaster zu schenken. Allerdings hat sie die Rechnung ohne den Autor William Winter gemacht, denn der fühlt sich betrogen und will den Übeltäter auf jeden Fall finden. Doch dann trifft er auf Millie…
Judith Pinnow hat mit „Dein Herz in tausend Worten“ einen ganz netten Roman vorgelegt, der einem modernen Märchen gleichkommt und dem Leser einige unterhaltsame Momente beschert. Der flüssige, leicht melancholische Erzählstil gewährt dem Leser schnell Einlass in Millies Welt, wo er ihre Welt kennenlernt, in der sie sich aufgrund ihrer Schüchternheit in Bücher und Worte verliert, die ihre Einsamkeit für eine kurze Zeit in den Hintergrund schieben. Neben eingestreuten Auszügen aus dem abgelehnten Manuskript lässt die Autorin ganz langsam eine Romanze aus einer Zufallsbekanntschaft entstehen und ihre Hauptprotagonistin von Schritt zu Schritt immer mehr aus ihrem selbstgewählten Schneckenhaus heraustreten. Die muss erst einmal lernen, die Welt nicht nur auf sich wirken zu lassen, sondern auch an ihr teilzunehmen. Millies enge familiäre Bande zu ihrem Bruder sind empathisch in die Geschichte integriert und tragen viel zum Verständnis für Millies Verhalten bei. William, der Autor des Manuskripts, versucht mit seinen hingeschriebenen Worten seiner Seele Luft zu machen und seine Verletztheit damit irgendwie zu kompensieren, wenn es bisher auch nicht viel geholfen zu haben scheint. Die erst zufällige und dann intensiver werdende Begegnung der beiden trägt zur beidseitigen Heilung bei, mehr noch finden sich zwei Seelen, die vieles gemeinsam haben. Mit ihrem Setting greift die Autorin zu einem bewährten Ort zurück, denn der Londoner Stadtteil Knotting Hill steht nicht nur für eine schöne Umgebung, sondern ruft auch Assoziationen bezüglich des gleichnamigen Films hervor. Auch wenn die Geschichte etwas Zauberhaftes hat, so fehlt es ihr doch an einem Schuss mehr Romantik. Zudem verlaufen einige Dinge einfach so im Sande und man fragt sich, warum sie überhaupt erwähnt wurden. Insgesamt bedient die Handlung das Klischee eines modernen Märchens.
Die Charaktere sind lebhaft und glaubwürdig in Szene gesetzt, leider schaffen sie es nicht, den Leser mit ins Boot zu holen, der den Posten als stiller Beobachter bezieht und von dort dem Treiben zusieht, ohne jedoch groß mitzufühlen und zu fiebern. Millie ist eine sehr zurückhaltende und schüchterne junge Frau, was ihrer verständlichen Verlustangst zuzuschreiben ist. Sie hat nicht nur ein Herz für andere, die sie liebevoll, aber unauffällig, umsorgt, sondern vor allem für Bücher und Geschichten, für Worte, die ihr einsames Herz berühren. Bruder Felix kümmert sich rührend um sie, ist ihr Fels in der Brandung und immer für sie da. Ebenso ist Kollegin Rebecca mit ihrer impulsiven und fröhlichen Art schon fast sowas wie eine Freundin. William Winter ist ein zutiefst verletzter Mann, der den Glauben an die Liebe aufgegeben hat. Und dann gibt es noch Mrs. Crane, die wie die gute Fee aus dem Märchen wirkt.
„Dein Herz in tausend Worten“ ist märchenhaft, surreal, romantisch, aber auch manchmal schon fast so klebrig wie Zuckerwatte. Ganz nett zu lesen, allerdings ohne den Leser nachhaltig zu beeindrucken. Eingeschränkte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 10.07.2021

"Das macht die Berliner Luft so mit ihrem holden Duft..." (Bolten-Baeckers/Lincke)

Die Damen vom Pariser Platz
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1926 Berlin. Die humanistisch gebildete Gretchen lässt die Provinz hinter sich, um dem Ruf ihrer Freundin Henni in die schillernde Metropole zu folgen und dort ihrem Leben etwas mehr Pep zu geben. Nach ...

1926 Berlin. Die humanistisch gebildete Gretchen lässt die Provinz hinter sich, um dem Ruf ihrer Freundin Henni in die schillernde Metropole zu folgen und dort ihrem Leben etwas mehr Pep zu geben. Nach dem Einzug als Untermieterin bei Frieda Notter, findet sie auf Umweg über den Schönheitssalon von Helen Broos eine Anstellung als Tippfräulein bei der geheimnisvollen und sagenumworbenen Nachtclubsängerin Isis mit dem von Narben entstellten Gesicht, die ihre Memoiren verfasst haben möchte. Von Beginn an bewundert Gretchen ihre neue Arbeitgeberin und rätselt, wer der selbstbewussten Sängerin wohl das Gesicht zerschunden haben könnte, denn Isis hat immer neue Geschichten darüber auf Lager. Derweil benimmt sich Henni Gretchen gegenüber völlig unmöglich, behandelt sie von oben herab und sonnt sich mit ihrem Pianisten-Freund Fred, der bei Gretchen schnell für Herzrasen sorgt. Zu Hennis Freundeskreis gehören zudem Erik und Stoffel. Schon bald ist Gretchen mitten im verrückten Berlin angekommen und erlebt so allerlei…
Joan Weng hat mit „Die Damen vom Pariser Platz“ einen wunderbar unterhaltsamen und temporeichen historischen Roman vorgelegt, der nicht nur die Goldenen Zwanziger im alten Berlin wieder zum Leben erweckt, sondern auch mit einer bunten Schar von Protagonisten aufwartet, die man als Leser sehr gern begleitet. Mit flüssigem und farbenprächtigem Erzählstil katapultiert Weng den Leser mitten hinein ins Geschehen, wo dieser sich Gretchen als Schatten an deren Fersen heftet, um ihren Neustart in der pulsierenden Metropole und deren Eroberung mitzuerleben. Schon bald taucht man ab in die Welt der Bohemiens und der (Über-)lebenskünstler und lernt illustre Gestalten wie die geheimnisvolle Sängerin Isis kennen, die mit großem Selbstbewusstsein ihre Gesichtsvernarbung vor sich her trägt und deren Ursache mit immer neuen Geschichten für andere zum Rätsel werden lässt. Eigentlich ist Gretchen ja ihrer Freundin gefolgt, vielleicht wäre sogar ihr Traum von einem Studium über kurz oder lang möglich, doch gerade Henni lässt sie von Beginn an ziemlich im Stich und trägt die Nase ziemlich weit oben. Die zwischenmenschlichen Beziehungen der unterschiedlichsten Protagonisten puschen die Geschichte immer weiter voran, so dass der Leser sich kaum von den Seiten lösen kann. Dabei ist die Entwicklung der diversen Charaktere wunderbar zu beobachten, und während man ihrer Berliner Schnauze lauscht, streift man mit ihnen durch die Künstlerszene oder das Nachtleben.
Die Charaktere sind so schillernd und bunt wie die Geschichte der Autorin, mit ihren Ecken und Kanten wirken sie sehr realistisch und ihrer Zeit angepasst. Der Leser fühlt sich schnell unter ihnen wohl und folgt ihnen auf Schritt und Tritt, um nicht einen Augenblick zu verpassen. Gretchen ist zu Beginn unbedarft und etwas naiv, dabei aber sehr gebildet. Sie braucht einige Zeit, um Selbstbewusstsein zu erlangen, doch ist sie immer liebenswürdig und gutmütig, was man einer auch auszunutzen weiß. Vermieterin Frieda ist eine Frau mit Herz und Schnauze, die das Leben pragmatisch sieht und sich nichts vormacht. Jedoch kommt es oftmals dann doch anders! Gretchens Freundin Henni ist eine arrogante, egoistische und gehässige Person, die in Wolkenkuckucksheim lebt und nicht damit rechnet, auch mal auf die Nase zu fliegen. Fred ist zwar ein Träumer, doch bleibt er auch Realist. Isis ist das personifizierte Mysterium, die sich immer wieder neu erfindet und dabei ein Selbstbewusstsein an den Tag legt, von dem sich so mancher etwas abschneiden könnte. Erik weiß, was er will, doch fehlt ihm noch der Mut, es offen für sich einzufordern.
„Die Damen vom Pariser Platz“ ist eine interessante Zeitreise ins Berlin der Zwanziger Jahre, wo der Leser auf Illustre Charaktere und allerlei Geheimnisse stößt und in rasantem Tempo von einem Schauplatz zum anderen jagt. Ein wunderbares Kopfkino, das bestens unterhält! Toll gemacht, absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 07.07.2021

"Wer im Alter noch herzhaft lacht, macht sich bei seinen Erben unbeliebt." (Alexander Onassis)

Erben wollen sie alle
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Die 75-jährige geschiedene Bianca hat ihren Lebensmittelpunkt in einer Finca im mallorquinischen Sóller und erst vor kurzem in dem Rentner Wolfgang, genannt Wolfi, eine neue Liebe gefunden, mit dem sie ...

Die 75-jährige geschiedene Bianca hat ihren Lebensmittelpunkt in einer Finca im mallorquinischen Sóller und erst vor kurzem in dem Rentner Wolfgang, genannt Wolfi, eine neue Liebe gefunden, mit dem sie gern ihre Zeit verbringt und für die Zukunft noch so große Pläne hat. Wäre da nur nicht die liebe Verwandtschaft, die sich schon um ihr Erbe betrogen sieht, wenn Muttern das Geld mit einem Fremden verjubelt. Kurzerhand fallen sie zu Biancas Geburtstag alle auf Mallorca ein, um Fürsorge vorzutäuschen und ein Auge auf Mutter und die Moneten zu haben. Doch Bianca ist welterfahren genug zu wissen, was Sache ist und stellt ihre Bagage auf die Probe, denn nur wer sich wirklich um sie sorgt, soll was vom Vermögen abkriegen. Um das herauszufinden, lässt sich die rüstige lustige Witwe so einiges einfallen…
Tessa Hennig hat mit „Erben wollen sie alle“ einen unterhaltsamen und recht tiefgründigen Roman vorgelegt, der eine humorige Steilvorlage des normalen Lebens ist und dabei so einige alltägliche Lebensprobleme in sich vereint. Flüssig, farbenfroh und mit einigem Witz nimmt die Autorin den Leser mit auf die malerische spanische Insel, um dort Bianca sowie ihr Umfeld kennenzulernen. Durch wechselnde Perspektiven bekommt der Leser nicht nur Einsicht in die Gedankenwelt der einzelnen Protagonisten, sondern weiß auch um die Gefühle, die den einzelnen umtreiben. Die Autorin hält ihrer Leserschaft mit ihrer Geschichte einen Spiegel vor, denn wie es nun einmal so ist: wo es was zu holen gibt, sind alle schnell zur Stelle, das Hauen und Stechen geht los, um nur bloß nicht zu kurz zu kommen. Dem Leser schwillt oftmals der Kamm, denn das Anspruchsdenken der Kinder geht einem schon gehörig gegen den Strich. Obwohl bisher nichts fürs Erbe geleistet, haben Sohn Stefan und Tochter Anja schon genaue Vorstellungen davon, was ihnen angeblich gehört und was sie vielleicht sogar damit anstellen wollen. Dabei ist Bianca schließlich noch quicklebendig und hat eigene Pläne mit ihrem Eigentum. Neben bildhaften Landschaftsbeschreibungen, die dem Leser einiges an Urlaubsfeeling vermitteln, bringt die Autorin neben den Erbstreitigkeiten zusätzlich Themen wie Altersarmut, Einsamkeit, Alzheimer und Altenpflege in ihrer Handlung unter, die für Biancas Altersgruppe eine große Rolle spielen.
Die Charaktere sind glaubwürdig und lebensnah gezeichnet, so dass der Leser das Gefühl hat, sie schon länger zu kennen und mit Interesse der Geschichte folgt. Bianca ist mit 75 noch sehr agil und unternehmungslustig. Sie besitzt Humor, Freundlichkeit, Cleverness sowie Altersweisheit, was ihr dabei hilft, manche Situation gelassener zu nehmen als sie eigentlich ist. Enkelin Luisa hat ein einnehmendes Wesen und ein manchmal loses Mundwerk, aber sie liebt ihre Oma sehr. Sohn Stefan und Tochter Anja haben mit ihren eigenen Familien selbst so viel um die Ohren, dass sie die Besuche bei ihrer Mutter immer wieder nach hinten schieben. Auch Wolfi, Teresa und Felix spielen in dieser Geschichte tragende Rollen und machen die Handlung insgesamt schön rund.
„Erben wollen sie alle“ ist ein humoriger, aber auch nachdenklich stimmender Roman, der nicht nur mit einer Familiengeschichte und bunten Charakteren unterhält, sondern Themen anspricht, die mitten aus dem Leben gegriffen sind und uns alle angehen. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 06.07.2021

"Die Baukunst soll ein Spiegel des Lebens und der Zeit sein." (Walter Gropius)

Die Architektin von New York
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1865 New York. Die Stadtteile Manhattan und Brooklyn sind durch den East River getrennt und nur durch den Fährbetrieb miteinander verbunden. Dass die Überquerung des Flusses gerade im Winter eine große ...

1865 New York. Die Stadtteile Manhattan und Brooklyn sind durch den East River getrennt und nur durch den Fährbetrieb miteinander verbunden. Dass die Überquerung des Flusses gerade im Winter eine große Herausforderung und nicht ganz ungefährlich ist, bekommt die jung verheiratete Emily Roebling am eigenen Leib zu spüren. Als die Stadt den Bau einer Hängebrücke von Brooklyn nach Manhattan plant, bekommt Emilys Schwiegervater, der Architekt John Augustus Roebling, den Auftrag für den Entwurf und den Bau der Brücke. Sein Sohn Washington reist mit Emily sogar nach Europa, um Emily nicht nur seine alte thüringische Heimat zu zeigen, sondern sich vor allem viele Brückenkonstruktionen anzusehen. Als John Roebling 1870 stirbt, übernimmt Washington die weitere Durchführung zur Fertigstellung der Brücke, doch als er schwer erkrankt, will Emily ihm seinen größten Wunsch erfüllen und leitet entgegen jeglichen Widerstand die Baustelle der Brücke…
Petra Hucke hat mit „Die Architektin von New York“ einen unterhaltsamen und informativen historischen Roman mit einem Mix aus Fiktion und belegten Personen vorgelegt, der sich mit dem Bau der Brooklyn Bridge befasst. Jeder, der diese Hänge- und Schrägseilbrücke schon einmal überquert hat, ist von ihrer Konstruktion und Schönheit beeindruckt. Der flüssige und farbenfrohe Erzählstil lässt den Leser eine Zeitreise antreten, um sich im New York des 19. Jahrhunderts wiederzufinden, wo er auf Emily, ihren Ehemann Washington und Schwiegervater John Roebling trifft und im Zeitraum von 1865 bis 1883 so einiges erleben darf. Gerade noch einem winterlichen Fährunglück entkommen, darf man als Leser an der Seite von Emily die Planungen und Vorbereitungen zum Bau der Brücke hautnah miterleben. Emily ist ihrer Zeit weit voraus, interessiert sich für technische Ausführungen, Statik und Architektur, was bei ihren Mitmenschen damals eher ein Naserümpfen hervorrief, denn die Rolle der Frau sollte die einer Ehefrau und Mutter sein. Umso interessanter zu beobachten, wie Emily sich immer mehr Fertigkeiten und Ingenieurskenntnisse aneignet, um dann in die Rolle ihres erkrankten Mannes zu schlüpfen und den Bau fertigzustellen. Die Autorin hat die damalige Zeit sehr gut eingefangen und lässt beim Leser ein ansprechendes Kopfkino entstehen. Jedoch nehmen die vielen technischen Informationen oftmals überhand, werden langatmig ausgeführt, so dass nach und nach bei der Lektüre Langeweile aufkommt. Interessant sind dagegen Schilderung der damaligen Wohnverhältnisse der Bevölkerung, der Kampf um das Frauenwahlrecht, der Besuch der Weltausstellung sowie Emilys Engagement in Frauen- und Wohltätigkeitsorganisationen, gerade diese Einschübe lockern die Handlung etwas auf. (Wenn man selbst weiter recherchiert, erfährt man übrigens, dass Emily sogar 1899 sogar einen Abschluss in Jura absolvierte.) Der Buchtitel ist zudem recht irreführend, denn Emily war keine ausgebildete Architektin.
Die Charaktere bleiben leider durchweg recht blass und gehen in der Geschichte fast unter. Der Leser ist dazu verdammt, auf Distanz und in der Rolle des Beobachters zu bleiben. Emily ist eine offene, selbstbewusste und starke Frau, die sich nicht in Schubladen einsortieren lässt, sondern ihren eigenen Weg geht, auch wenn sich ihr immer wieder Widerstände in den Weg legen. Sie hat einen wachen Verstand und saugt alle nötigen Informationen auf. Washington ist ein heller Kopf, der sich einiges bei seinem Vater abgeschaut und dessen Liebe zum Planen und Bauen geerbt hat.
„Die Architektin von New York“ ist für all jene, die sich sehr für historische Bauwerke und Architektur interessieren, eine wahre Fundgrube an Informationen. Farblose Charaktere sowie fehlende Emotionalität ergeben dagegen nur eine mäßig unterhaltsame Geschichte, auch wenn geschichtlich belegte Persönlichkeiten mit eingebracht werden. Eingeschränkte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 05.07.2021

"Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab." (Marcus Cicero)

Hier wohnt das Glück
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Nachdem sie jahrelang ihre Mutter aufopferungsvoll gepflegt hat, weiß die 61-jährige Berlinerin Sylvie nach deren Tod erst einmal nichts mit sich anzufangen, zumal sie auch noch in den Ruhestand gegangen ...

Nachdem sie jahrelang ihre Mutter aufopferungsvoll gepflegt hat, weiß die 61-jährige Berlinerin Sylvie nach deren Tod erst einmal nichts mit sich anzufangen, zumal sie auch noch in den Ruhestand gegangen ist. Da ist Luftveränderung nötig, um wieder zu sich selbst zu finden und dann mutig einen Blick in die Zukunft zu wagen. Auf einer Internet-Häusertauschbörse wird sie auf einen Zirkuswagen aufmerksam, der in Angelsby an der Flensburger Förde beheimatet ist und schlägt sofort zu. Mit Besitzer Arne ist sie sich nicht nur schnell einig, die beiden verstehen sich von Beginn an gut. Während sich Sylvie auf den Weg in ihr neues Domizil macht, zieht Arne in ihre Berliner Stadtwohnung. Doch die von Sylvie geplante Auszeit will sich einfach nicht einstellen, denn nicht nur Ziegen, Katzen und ein Hund bringen schon ihre Ankunft durcheinander, sondern auch Arnes alleinerziehende Nichte Jördis nebst Anhang lassen Sylvie nicht gerade zur Ruhe kommen. Auch Arne ruft immer wieder an, um einfach nur zu quatschen, oder ihre geplanten Unternehmungen werden durch Wildschweine sabotiert. Aber irgendwie liegt gerade hier der Reiz, denn die Ablenkungen von ihrem wohlfeilen Plan bringen Sylvie nicht nur auf andere Gedanken, ganz klammheimlich fühlt sie sich von Tag zu Tag wohler und freundet sich schon bald mit den Einheimischen an. Ob sie in Angelsby ein neues Zuhause finden wird?
Dagmar Hansen hat mit „Hier wohnt das Glück“ einen unterhaltsamen Roman vorgelegt, der mit viel Empathie und Feingefühl das Leben beschreibt, wie es meistens stattfindet. Der flüssige, farbenfrohe und mit Humor bestückte Erzählstil platziert den Leser schnell als unsichtbaren Begleiter an Sylvies Seite, wo er ihr bei der Häusertauschaktion über die Schulter sieht, um dann mit ihr gemeinsam das Abenteuer „Angelsby“ in Angriff zu nehmen. Schon die Anreise entpuppt sich als kleines amüsantes Fiasko, bei Sylvie die Stadtpflanze mehr als deutlich raushängen lässt und man sich als Leser fragt, wie lange sie das wohl durchhalten wird. Die Autorin hat ein geschicktes Händchen für Situationskomik, denn die arme Sylvie wird so manches mal „gebeutelt“, ob nun durch Ziegen, Wildschweine oder auch nur durch Jörgis und ihre Blagen. Dafür schleicht sich andererseits mit Arnes Telefonaten ein wenig Romantik ein, die Sylvies durch die Jahre arg strapazierte Seele streicheln. Die Geschichte lebt auch von den zwischenmenschlichen Beziehungen, denn neue Begegnungen und Bekanntschaften lassen sich Sylvie dort immer wohler und heimischer fühlen, während die Anstrengungen der letzten Jahre so langsam immer mehr von ihr abfallen. Mit bildhaften Landschaftsbeschreibungen lässt die Autorin den Leser vom Leben am Wasser träumen und den alten Zirkuswagen direkt vor sich sehen. Aber vor allem geht das Herz auf, denn die Geschichte ist wie aus dem Leben gegriffen und spiegelt Menschen im Hier und Jetzt wider.
Die Charaktere sind lebendig und glaubwürdig gestaltet, sie überzeugen vor allem mit ihren menschlichen Wesenszügen, die sie dem Leser schnell ans Herz wachsen lassen. Sylvie hat sich jahrelang aufgeopfert und ihre eigenen Wünsche zurückgestellt, doch nie ihren Mut und ihre Weltoffenheit verloren. Mit 61 steht sie mitten im Leben und besitzt noch Wagemut und Lebensfreude. In Jördis und ihrem Anhang findet sie eine kleine Ersatzfamilie. Hauke ist ein Unikum, der sagt, was er denkt, wobei er öfters den Schalk im Nacken sitzen hat. Aber auch Maria, Arne und Grete tragen ihren Teil dazu bei, dass die Handlung abwechslungsreich und unterhaltsam ist.
„Hier wohnt das Glück“ ist durch und durch ein Roman zum Wohlfühlen und Mitfiebern, denn neben den schönen Landschaftsbeschreibungen punktet die Geschichte vor allem mit Protagonisten, die viel Charme und Herz versprühen. Sehr empfehlenswert!