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Veröffentlicht am 18.12.2022

As tears go by (Rolling Stones)

Der Salon
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1963 München. Leni Landmann hat lange gebraucht, bis sie den Unfalltod ihres Bruders Hans einigermaßen verdaut hat, ebenso haben Mutter Käthe und Hans‘ Freundin Charlotte nebst Sohn Peter gelitten, die ...

1963 München. Leni Landmann hat lange gebraucht, bis sie den Unfalltod ihres Bruders Hans einigermaßen verdaut hat, ebenso haben Mutter Käthe und Hans‘ Freundin Charlotte nebst Sohn Peter gelitten, die nun alle unter einem Dach in Lenis Elternhaus in Hebertshausen zusammenleben. Als Käthe sich endgültig aus dem Berufsleben zurückziehen und Leni ihren Friseursalon übertragen will, ergreift Leni mit beiden Händen die von ihrem Chef Alexander Keller gebotene Chance, ein dreimonatiges Praktikum bei Vidal Sassoon in London zu absolvieren, um die Entscheidung ihrer Mutter hinauszuzögern. Während Leni sich auf den Weg ins aufregende London macht, erhält Charlotte durch eine Zufallsbegegnung mit Maria Bogner eine Anstellung beim Modehaus Bogner. Käthe kümmert sich ebenso liebevoll um ihren Enkel Peter wie Patenonkel Schorsch, so dass Charlotte den Rücken frei hat, um beruflich Karriere zu machen. Dabei lernt sie den charismatischen Fotografen Walter kennen. Leni lebt sich derweil in London immer mehr ein, findet Geschmack an dem dortigen Modestil und der immer populäreren Musik der Rolling Stones. Nach ihrer Rückkehr begegnet sie nicht nur einer alten Liebe, sondern muss auch weitreichende Entscheidungen für ihr künftiges Leben treffen…

Julia Fischer hat mit „Ein hoffnungsvoller Aufbruch“ den zweiten Teil ihrer Salon-Dilogie rund um ihre Hauptprotagonistin Leni Landmann vorgelegt, der an sowohl an Unterhaltungswert als auch mit wunderbar recherchiertem historischem Hintergrund den Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln weiß. Der farbenfrohe, flüssige und gefühlvolle Erzählstil entführt den Leser in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, wo er über wechselnde Perspektiven auf Leni Landmann, Käthe, Charlotte und Schorsch trifft und die Entwicklungen in ihrem Leben hautnah miterlebt. Der damalige Zeitgeist sowohl gesellschaftlicher als auch politischer Art wurde von der Autorin wunderbar eingefangen und mit ihrer Geschichte verwebt. So erlebt der Leser nicht nur Lenis Praktikumszeit beim Starfigaro Vidal Sassoon in London mit und trifft dort mit ihr gemeinsam auf Prinzessin Margret und Minirock-Erfinderin Mary Quant, sondern sieht dort auch die Rolling Stones in einem Club. Mit Charlotte darf der Leser in die internationale Modewelt eintauchen, mit Schorsch die Olympiade in Innsbruck erleben. Die Sechziger bedeuten nicht nur einen Aufbruch in der Gesellschaft, die sich etwas bunter, vielfältiger und offener zeigt, sondern lässt auch Leni, Charlotte, Alexander und Schorsch an ihren Aufgaben wachsen und sich entwickeln. Gerade dieser Mix an realem Historie und fiktiver Geschichte wirkt hier unwiderstehlich und vielschichtig, ist er doch durch das Talent der Autorin ebenso mitreißend wie authentisch. Die Lektüre lässt das Kopfkino anlaufen und die Seiten an den Fingern des Lesers kleben.

Die Charaktere wurden liebevoll ins Bild gesetzt und haben durchweg einige realistische Entwicklungen erfahren. Mit ihren authentischen menschlichen Eigenheiten schleichen sie sich schnell ins Leserherz, der mit ihnen fiebert, hofft und bangt. Leni hangelt sich nach einem schweren Schicksalsschlag mühsam wieder ins Leben zurück, doch ihre lebensfrohe, positive Art reißt mit. Sie ist offen für Neues, wagt sich hervor und tritt immer selbstsicherer auf. Charlotte ist eine liebevolle Mutter, die sich nach mehr sehnt. Schorsch ist der heimliche Star, denn er ist nicht nur der Ruhepol, sondern vor allem empfindsam, großzügig und hilfsbereit. Walter wirkt auf den ersten Blick erfolgsverwöhnt und etwas arrogant, doch im Grunde ist er auch nur auf der Flucht und wünscht sich etwas Normalität. Käthe ist die gute Seele, die alle zusammenhält. Aber auch Alexander, Günther, Marie und weitere Protagonisten verleihen diesem Roman Vielfalt und Farbe.

„Ein hoffnungsvoller Aufbruch“ ist nicht nur ein farbenfrohes Potpourri der 60er Jahre, sondern verführt mit wunderbaren Protagonisten, Schicksalen, Liebe, Familiensinn und einer Prise Dramatik den Leser zu unvergesslichen Lesestunden. Absolute Leseempfehlung für dieses Highlight!!!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 04.12.2022

Abschiede sind Tore in neue Welten. (Albert Einstein)

Labyrinth der Freiheit
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1922 Berlin. Während die Stadt unter unruhigen Zeiten leidet, die Inflation sowie Armut für die Menschen immer schlimmer wird und die gegenseitigen politischen Lager sich gnadenlos bekämpfen, halten Anwältin ...

1922 Berlin. Während die Stadt unter unruhigen Zeiten leidet, die Inflation sowie Armut für die Menschen immer schlimmer wird und die gegenseitigen politischen Lager sich gnadenlos bekämpfen, halten Anwältin Isi, Kameramann Carl und der umtriebige Arthur als alte Freunde und Dreigestirn eng zusammen. Als auf Isi in ihrem eigenen Zuhause ein Anschlag verübt wird, kann sie sich in letzter Minute retten, indem sie aus dem Fenster springt und als Folge davon ihr Baby verliert. Carl und Arthur eilen ihrer alten Freundin sofort zur Hilfe, und gemeinsam machen sie sich daran, die Strippenzieher des Anschlags aufzuspüren, wobei sie sich immer wieder Gefahren aussetzen und so manchen Schicksalsschlag überstehen müssen…
Mit „Labyrinth der Freiheit“ hat Andreas Izquierdo nun den finalen Band seiner „Wege der Zeit“-Trilogie vorgelegt, der den beiden Vorgängerbänden in punkto historische Fakten sowie durchgängige Spannung und liebenswerten Charakteren in nichts nachsteht. Der flüssige, farbenfrohe und empathische Erzählstil lässt den Leser gedanklich eine Reise in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts antreten, wo er sich unsichtbar unter das Freundeskleeblatt mischt und ihre Abenteuer hautnah aus der Sicht von Carl mitverfolgt. Isi als Kämpferin der Armen und Unterdrückten ist mit ihrem streitbaren Wesen einigen ein Dorn im Auge, und an ihr soll ein Exempel statuiert werden. Doch Isi ist nicht allein, denn ihre alten Freunde stehen verlässlich an ihrer Seite, obwohl sie sonst alle ihr eigenes Leben führen. Carl arbeitet inzwischen bei der UFA unter Regisseur Fritz Lang und ist bei der Entstehung des ersten Sprechfilmes dabei. Währenddessen fühlt sich Artur in der zwielichtigen Unterwelt wohl, wo er die Strippen zieht und mit seiner Gesichtsmaske einiges an Aufsehen erregt und so manchen das Fürchten lehrt. Gemeinsam müssen sie sich gegen mächtige Gegner behaupten, die ihre Spitzel und Helfershelfer anscheinend in allen wichtigen Instanzen der Stadt und der Politik sitzen haben. Izquierdo nutzt die Geschichte seiner drei Protagonisten dazu, die historischen Begebenheiten der damaligen Zeit als Hintergrundkulisse wunderbar miteinzuflechten. Der Leser darf nicht nur die Entwicklungen auf dem Filmset miterleben, sondern kann sich auch ein Bild der gesellschaftlichen und politischen Lage im damaligen Berlin machen. Die eingebettete Geschichte um das Dreigestirn sorgt für einen Spannungsbogen, der den Leser durchgängig atemlos hält und mitfiebern lässt.
Die Charaktere sind lebendig in Szene gesetzt und überzeugen mit menschlichen Eigenheiten, die sie dem Leser schnell ans Herz wachsen lassen. Unsichtbar folgt dieser ihnen, um alles aus erster Hand mitzuerleben. Isi ist eine energische, intelligente, mutige und kämpferische Frau, die sich den Mund nicht verbieten lässt und sich für andere einsetzt. Arthur genießt seine Rolle als entstellter Gauner, ihm fehlt es nicht an Selbstbewusstsein und der nötigen Cleverness, um sich durchzusetzen. Dabei versteckt er in sich ein gutes Herz. Carl ist der liebenswerte Ruhepol in dem Dreigestirn, der seinen Traum beim Film wahr gemacht hat, jedoch auch gerade dort oftmals verzweifelt. Aber für seine Freunde ist er immer da, auch wenn sich die drei nicht mehr so oft sehen wie früher.
„Labyrinth der Freiheit“ ist ein spannender historischer Roman um drei Freunde, die wie Pech und Schwefel zusammenhalten und füreinander einstehen. Ein gelungener Abschluss, der die Trilogie einmal mehr mit wunderbaren Charakteren und geschichtlichem Hintergrund krönt. Ein toller Pageturner, der dem Leser ein Wahnsinnskopfkino beschert und in alte Zeiten abtauchen lässt. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 20.11.2022

Die einzig sichere Freiheit liegt im Aufbruch. (Robert Frost)

Kinder des Aufbruchs
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1967 Berlin. Sechs Jahre nach ihrer dramatischen Flucht und dem Mauerbau und leben die Zwillingsschwestern Emma Laakmann und Alice Weiß mit ihren Familien nun in Westberlin. Während Emma als Dolmetscherin ...

1967 Berlin. Sechs Jahre nach ihrer dramatischen Flucht und dem Mauerbau und leben die Zwillingsschwestern Emma Laakmann und Alice Weiß mit ihren Familien nun in Westberlin. Während Emma als Dolmetscherin tätig ist, arbeitet Alice als Journalistin für eine Tageszeitung. Bei einem Übersetzungsauftrag in einem Kinderheim findet Emma einen kleinen Jungen in ihrem Auto, der sich als italienisches Waisenkind entpuppt und nicht das erste Mal aus dem Heim ausgebüchst ist. Emma, die gerade an einer Fehlgeburt zu knabbern hat und mit deren Ehe es momentan auch nicht zum Besten steht, nimmt sich des kleinen Luca an. Währenddessen steckt Schwester Alice mitten in der Berichterstattung über die Studentenunruhen anlässlich des Besuchs des Schah von Persien. Als die Sängerin Irma Assmann, eine ehemalige Bekannte aus Alice‘ Heimvergangenheit in der DDR mit Emma Kontakt aufnimmt und Alice davon erfährt, läuten bei ihr alle Alarmglocken, befürchtet sie doch, dass Irma sie oder ihre Schwester als Spionin für den KGB observieren soll. Der Hilferuf eines alten Bekannten aus dem Osten bringt die Zwillingsschwester nebst ihren Familien in größte Gefahr. Sie geraten zwischen die Aktivitäten der Geheimdienste von Ost und West…
Claire Winter hat mit „Kinder des Aufbruchs“ eine brillante Fortsetzung ihres Romans „Kinder ihrer Zeit“ vorgelegt, der das Schicksal der Zwillingsschwestern Emma und Alice sowie deren Familien weitererzählt und mit einem exzellent recherchierten historischen Hintergrund eng verknüpft ist. Der flüssige, bildgewaltige und atmosphärisch-dichte Erzählstil nimmt den Leser von der ersten Zeile an als Geisel, lässt ihn in die Zeit des Kalten Krieges reisen, wo er über Perspektivwechsel die Sichtweise sowie die Gedanken- und Gefühlswelt der einzelnen Protagonisten studieren darf. Emma und Alice haben sich mit ihren Ehemännern Max und Julius in Westberlin eingelebt, doch ihre Vergangenheit sowie ihre Gesinnung können sie nicht wie einen Handschuh abstreifen. Sie folgt ihnen wie ein unsichtbarer Schatten, um ihnen an der nächsten dunklen Ecke frech ein Bein zu stellen. Winter lässt nicht nur den Zeitgeist der damaligen Jahre wiederaufleben, sondern den Leser die Zerrissenheit, Angst, Schuldgefühle und das Misstrauen ihrer Protagonisten wunderbar spüren, die unterschwellig die Spannung immer mehr in die Höhe treiben, während auch in Berlin die Unruhen und die Spionage der unterschiedlichsten Geheimdienste einem Pulverfass gleichen, das jeden Moment explodieren kann. Viele historisch belegte Begebenheiten pflastern die Handlung, machen sie dadurch noch authentischer und lassen die Grenzen zwischen Fiktion und Wahrheit völlig verschwimmen. Als Leser hat man während der Lektüre nicht nur ein Wahnsinnskopfkino, sondern das Gefühl, selbst Teil der Geschichte zu sein.
Die Charaktere sind facettenreich und lebendig in Szene gesetzt, sie können den Leser mit ihren glaubwürdigen Eigenheiten sofort für sich einnehmen, der ihnen keine Sekunde von der Seite weicht. Emma ist eine freundliche und mitfühlende Frau, die sich für die Schwachen stark macht. Sie knabbert an einem Schicksalsschlag, doch lässt sie sich nicht unterkriegen. Alice kämpft mutig gegen die Schatten ihrer Vergangenheit, indem sie als Journalistin Missstände aufdeckt. Doch insgeheim ist Furcht ihr ständiger Begleiter. Aber auch Max und Julius können sich von den vergangenen Ereignissen noch nicht befreien, was ihnen den Blick in eine glückliche Zukunft verwehrt.
„Kinder des Aufbruchs“ lebt nicht nur von hervorragend inszenierten Protagonisten, sondern vor allem im Zusammenspiel mit dem brillant recherchierten historischen Hintergrund, der diesen Roman zu einer fantastischen Thrillerlektüre macht. Lebendige Schicksale und dramatische Handlungsabläufe lassen den Leser Geschichte leibhaftig erleben. Absolute Leseempfehlung für einen leuchtenden Stern am Bücherhimmel! Chapeau!!!

Veröffentlicht am 20.11.2022

KaDeWe - (Familien-)Geschichte eines Luxuskaufhauses

KaDeWe. Haus der Träume
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Berlin. 1907 eröffnet der Kaufmann Adolf Jandorf mit dem KaDeWe ein Kaufhaus der Luxusklasse. Judith Bergmann, Tochter von Jandorfs Justiziar, ist schon immer ein Leben in Wohlstand gewohnt und soll einmal ...

Berlin. 1907 eröffnet der Kaufmann Adolf Jandorf mit dem KaDeWe ein Kaufhaus der Luxusklasse. Judith Bergmann, Tochter von Jandorfs Justiziar, ist schon immer ein Leben in Wohlstand gewohnt und soll einmal Jahndorfs einzigen Sohn Harry ehelichen. Durch einen Zufall lernen sich Judith und Rieke im Alter von 10 Jahren kennen. Rieke Krause stammt aus ärmlichen Verhältnissen und kennt das KaDeWe ebenfalls wie ihre Westentasche, denn ihre Mutter Käthe leitet die Putzkolonne des Hauses. 1914 ergattert Rieke im Kaufhaus eine Stelle als Kassenmädchen und darf nun täglich in den Luxustempel betreten, dessen Angebot und Ausstattung ihr immer wieder den Atem raubt. Sie hofft, im Kaufhaus Karriere zu machen, während eine Frauenschule besucht und sich ein Studium erträumt. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, müssen Rieke und Judith ihre Zukunftsträume auf Eis legen. Sowohl der Krieg als auch die Nachkriegszeit stellt die Bevölkerung vor große Herausforderungen, davon bleiben auch das KaDeWe und sein Eigentümer Jahndorf nicht verschont…
Marie Lacrosse hat mit „Haus der Träume“ den ersten Band ihrer historischen Dilogie rund um das KaDeWe vorgelegt, der dem Leser Unterhaltungslektüre auf höchstem Niveau bietet. Der flüssige, farbenprächtige und gefühlvolle Erzählstil der Autorin öffnet dem Leser schon mit dem Prolog die Tür zur Vergangenheit. Das Kaufhaus des Westens (KaDeWe) öffnet zum ersten Mal seine Tore und hat bis heute seinen Ruf als Luxustempel nicht eingebüßt. Über den Zeitrahmen von 1914 bis 1926 erhält der Leser zum einen Einblick in das privilegierte Leben von Judith Bergmann und deren Verbindungen zur Familie Jandorf, zum anderen ist er zu Gast bei Rieke Krause und ihrer Familie. Die Welten der Bergmanns und Krauses sind grundverschieden, während die einen wohlhabend und Teil der besseren Gesellschaft sind und Judith alle Türen einschließlich Bildung offen stehen, leben die Krauses als Arbeiterfamilie armen Verhältnissen, wo Streit und Gewalt durch den Vater an der Tagesordnung sind. Beide Frauen haben Hoffnungen und Träume, die sie mit viel Arbeit, Fleiß und Hartnäckigkeit verwirklichen wollen. Die Autorin hat wunderbar recherchiert und ihre fiktive Handlung mit vielen wahren Begebenheiten gestützt, aber auch den historischen Rahmen hervorragend miteingeflochten. So erlebt der Leser nicht nur die Auswirkungen des Krieges und der Nachkriegsjahre auf die Bevölkerung mit, sondern nimmt ebenso Anteil an der wachsenden freundschaftlichen Bindung zwischen Rieke und Judith. Die Handlung ist so spannend wie farbenfroh geschildert, dass dem Leser die Seiten nur so durch die Finger gleiten, während die Geschichte vor seinem inneren Auge wie ein Kinofilm abläuft. Interessant sind auch die Anmerkungen der Autorin im Nachwort, die ihre Handlung einmal mehr zu einer kostbaren Lektüre machen.
Die Charaktere sind detailliert und feinsinnig inszeniert, können den Leser mit ihrer Authentizität sofort für sich einnehmen. Judith ist eine patente Frau, die sich nicht auf dem Familienwohlstand ausruht, sondern in der Welt etwas bewegen will. Sie ist mitfühlend und hat das Herz am rechten Fleck. Rieke ist fleißig, weiß genau, was sie will und steckt für ihre Familie oftmals zurück. Sie ist verlässlich, stark und immer hilfsbereit. Adolf Jandorf ist ein Mann mit Visionen und Ideen, die bis in die heutige Zeit überlebt haben. Aber auch Riekes Schwester Sanni, Harry Jandorf, Judiths Bruder Johannes, Alice Salomon und viele weitere Protagonisten tragen zum Unterhaltungswert der Geschichte bei.
„Haus der Träume“ ist ein wunderbarer und äußerst kurzweiliger historischer Roman, der nicht nur durch eine exzellente Hintergrundrecherche sowie dem gekonnten Verweben von Fiktion und Realität brilliert, sondern auch mit zwei starken Frauencharakteren punktet, denen man als Leser zu gern sein Herz öffnet. Absolute Leseempfehlung für einen Pageturner der Extraklasse –Chapeau!

Veröffentlicht am 20.11.2022

Der Mutigen gehört die Welt...

Die Tochter der Hungergräfin
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17. Jh. Westerwald. Ernestine von Sayn und Wittgenstein verlebt eine behütete Kindheit auf der elterlichen Burg Freusburg, bis ihr jüngerer Bruder und einzige Erbe des Titels und der Grafschaft stirbt. ...

17. Jh. Westerwald. Ernestine von Sayn und Wittgenstein verlebt eine behütete Kindheit auf der elterlichen Burg Freusburg, bis ihr jüngerer Bruder und einzige Erbe des Titels und der Grafschaft stirbt. Gemeinsam mit ihrer verwitweten Mutter, Gräfin Louise Juliane, muss sich Ernestine nun so manch mächtigen Gegner entgegenstellen, die alle nur eines im Sinne haben, ihnen den Anspruch auf die Grafschaft streitig zu machen. Dabei ist es nicht nur die eigene Verwandtschaft, auch andere Kurfürsten haben es auf den Landstrich abgesehen und glauben sich den Frauen überlegen. Gräfin Louise und Ernestine sehen sich großen Herausforderungen gegenüber, die ihnen nicht nur Hunger, Gefangenschaft und Flucht mit unvorhersehbarem Ausgang bescheren…
Annette Spratte hat mit „Die Tochter der Hungergräfin“ einen sehr unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der sich am wahren Leben der Gräfin Louise Juliane orientiert und Realität mit Fiktion wunderbar zu vermischen weiß. Der flüssige und bildgewaltige Erzählstil lässt den Leser mit den ersten Zeilen eine Reise in die Vergangenheit antreten, wo er für die Jahre von 1636 bis 1652 an Ernestines Seite steht, die die Erlebnisse dieser Zeit aus ihrer Sicht schildert und dem Leser so auch einen guten Einblick in ihre Gedanken- und Gefühlswelt gewährt. Spratte hat gut recherchiert und verbindet den historischen Hintergrund hervorragend mit dem Leben der beiden Gräfinnen von Sayn und Wittgenstein und deren Kampf um ihr Erbe sich während des 30-jährigen Kriegs abspielte. Sowohl die Flucht der Familie auf die Hachenburg als auch das gewaltsame Aushungern sind ebenso bildhaft beschrieben wie die damaligen Lebensverhältnisse, die der Leser während der Lektüre lebendig vor Augen hat. Ernestine, die bis zum Tod ihres Bruders ein beschauliches Leben geführt hat, muss sich völlig neu orientieren und schnell erwachsen werden in diesen gefährlichen Zeiten, in der auch die Rolle der Frau als Ehefrau und das Führen des Haushaltes begrenzt zu sein scheint. Spratte gelingt es, ihre Handlung spannend und unvorhersehbar zu gestalten und ihre Hauptcharaktere als starke Persönlichkeiten darzustellen. Dem Leser wird nicht nur Einblick in eine vergangene Zeit gestattet, sondern während der Lektüre auch ein tolles Kopfkino spendiert.
Die Charaktere sind lebendig und glaubwürdig ausgestaltet und in Szene gesetzt. Der Leser fühlt sich ihnen schnell verbunden und folgt ihnen auf Schritt und Tritt, um ihr Schicksal hautnah mitzuerleben. Louise Juliane ist eine starke und mutige Frau, die sich nicht unterkriegen lässt, einen festen Glauben hat und sich ihrer Verantwortung für ihre Familie und ihrer Untertanen voll bewusst ist. Sie lässt sich nicht bevormunden und besitzt genügend Hartnäckigkeit, ihr Vorhaben nie aus den Augen zu lassen. Ernestine wirkt zu Beginn verwöhnt, die Ereignisse lassen sie schnell reifen und zu einer großen Stütze ihrer Mutter werden. Aber auch Ernestines kleine Schwester Johannette sowie weitere Protagonisten bereichern die Handlung mit ihren Episoden.
„Die Tochter der Hungergräfin“ ist ein unterhaltsamer historischer Roman vor dem Hintergrund des 30-jährigen Krieges, der neben einem spannenden Erbstreit vor allem zwei starke Frauenrollen präsentiert, die ihren Mut, ihre Menschlichkeit und ihr Geschick trotz gefährlicher Widerstände nie verloren haben. Absolute Leseempfehlung für alle Geschichtsliebhaber!