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Veröffentlicht am 15.11.2025

Rekonstruktionsversuch eines Lebens anhand weniger Quellen

Fräulein Hedwig
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"Fräulein Hedwig" war die Großtante von Christoph Poschenrieder. Selbst ist der Autor 1964 geboren, während sie nur bis zu den 1940er-Jahren lebte - persönlich hat er sie also nicht mehr kennen gelernt. ...

"Fräulein Hedwig" war die Großtante von Christoph Poschenrieder. Selbst ist der Autor 1964 geboren, während sie nur bis zu den 1940er-Jahren lebte - persönlich hat er sie also nicht mehr kennen gelernt. Hedwig hatte eine Schwester Marie, und zwei Brüder, einer von letzteren der Großvater des Autors. Marie wiederum hat sich viel um die ältere, psychisch erkrankte Schwester gekümmert, und nach deren Tod damit begonnen, die Familiengeschichte aufzuschreiben - ein Vorhaben, das unvollendet geblieben ist.

Basierend auf Maries Notizen und eigenen Quellenforschungen versucht der Autor nun, in diesem Buch das Leben seiner Großtante Hedwig nachzuzeichnen. Wir finden Auszüge aus ihren Krankenakten, Bittbriefe der Mutter an das Staatsministerium um finanzielle Unterstützung nach dem frühen Tod des Familienvaters, Briefe von anderen Familienangehörigen und eben Maries unvollendete Familiengeschichte. Sehr sorgfältig und behutsam legt der Autor diese Quellen offen und nimmt dazu Stellung, was wir wissen können, was wir vermuten können und was im Dunkeln bleibt.

So entsteht das Bild einer sehr intelligenten, aber auch sensiblen, eher introvertierten jungen Frau, für die schon früh die damals so verbreitete ausschließliche Rolle der Gattin und Mutter nicht so recht zu passen schien, die musikalisch interessiert war und gerne Musikerin geworden wäre, als Mädchen auch nicht studieren durfte, und von ihrer Mutter gedrängt wurde, Lehrerin zu werden. Eine besondere Berufung zu dieser Tätigkeit scheint Hedwig vermutlich nicht verspürt zu haben und es muss für sie herausfordernd, überwältigend und zugleich einsam gewesen sein, als in der Stadt Aufgewachsene erst einmal am Land als Hilfslehrerin für über 40 Kinder in einem Raum zuständig zu sein. So bricht auch in ihren 20ern zum ersten Mal klar sichtbar ihre bipolare Erkrankung aus, sie muss immer längere Krankenstände nehmen und Zeit in Kliniken verbringen. Ein "Fräulein" wird sie ihr Leben lang bleiben, denn sie heiratet nie.

Dem guten sozialen Status der Familie ist es zu verdanken, dass man sich in den Kliniken erstmal sehr um sie bemüht, sie hat auch ein geräumiges Einzelzimmer, es gibt schöne Parklandschaften zum Spazieren-Gehen und die Familie weiß Hedwig dort erst einmal gut versorgt, auch wenn sie sich Sorgen macht. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass in späteren Jahren die Gefahr, die im Dritten Reich von diesen Kliniken ausging, als menschenverachtendes Gedankengut schon längst weit verbreitet war, von den Verwandten nicht gesehen wurde.

Insgesamt ist das Buch ein interessantes Porträt einer intelligenten Frau, die viel Potential gehabt hätte, das sie unter den gegebenen Umständen nicht leben konnte. Ich habe es sehr gerne gelesen, vor allem mit dem Fokus auf "Was können wir wissen?" und "Wie können wir uns anhand spärlicher Quellen ein Bild von einer verstorbenen Verwandten zu machen versuchen?".

Wer sich hier aber einen spannend geschriebenen Roman erwartet, ist mit diesem Buch nicht gut beraten. Es ist eben sehr nah an den Quellen erzählt und diese Quellen sind spärlich, das reicht insgesamt für einen großen Spannungsbogen oder viel Unterhaltungswert nicht aus. Es ist ein stilles, ruhiges Buch, das zum Nachdenken anregt, aber auch aufzeigt, wie viele weiße Löcher in einer Geschichte bleiben, wenn jemand schon länger tot ist und es nicht mehr viele erhaltene Quellen gibt.

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Veröffentlicht am 14.11.2025

Tiefgründigkeit versteckt hinter Langatmigkeit

Was wir wissen können
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Die Bewertung dieses Buches fällt mir sehr schwer und ich denke seit Wochen darüber nach. Insgesamt habe ich mich dazu entschieden, dem Buch 3 Sterne zu geben, doch das ist eine Durchschnittswertung, die ...

Die Bewertung dieses Buches fällt mir sehr schwer und ich denke seit Wochen darüber nach. Insgesamt habe ich mich dazu entschieden, dem Buch 3 Sterne zu geben, doch das ist eine Durchschnittswertung, die diesem Buch insgesamt auch kaum gerecht wird.

Bevor ich näher auf den Inhalt eingehe, erkläre ich deshalb, wie ich diese 3 Sterne ergeben. Es sind der Durchschnitt aus:

1 Stern für das unglaublich langweilige Leseerlebnis, das ich bei diesem Buch über weite Strecken hatte. Da werden ewig lang im ersten Teil ein viktorianisch anmutendes Abendessen mit unzähligen Charakteren und über das ganze Buch verteilt diverse Sexeskapaden einer Protagonistin, die zur weiteren Handlung nach meiner Ansicht nur wenig beitragen, geschildert. Ich lese viel und habe mich schon lange nicht mehr dermaßen durch ein Buch gequält und gelangweilt. Ohne begleitende Leserunde hätte ich die Lektüre sicherlich abgebrochen.

Allerdings bin ich schon auch froh, sie nicht abgebrochen zu haben, denn ich vergebe außerdem:

5 Sterne für die Tiefgründigkeit, die in diesem Buch versteckt ist. An der Oberfläche ist oben beschriebene Langatmigkeit, die zu diesem in weiten Teilen mühsamen Leseerlebnis führen kann, das ich beschrieben habe. Doch dahinter gibt es so viel mehr an versteckten Ebenen und Botschaften, die clever konstruiert sind, auch nach Wochen noch zum tiefgehenderen Nachdenken anregen und wegen denen man das Buch durchaus noch öfter lesen könnte, um noch mehr davon zu entdecken (wenn es denn nicht an der Oberfläche so langweilig wäre - ihr merkt meine Ambivalenz):

Da ist zum einen das Titelthema "Was wir wissen können". Wir befinden uns in der ersten Erzählebene des Buches im Jahr 2119 in einer dystopischen Zukunft, die durch viele kleine Details liebevoll beschrieben wird: der Klimawandel ist weit fortgeschritten, zusätzlich gab es im 21. Jahrhundert noch einige schreckliche Kriege, sodass es nur mehr etwa halb so viele Menschen gibt wie jetzt. Kontinentaleuropa ist von Russland besetzt, die USA sind keine Demokratie mehr, Großbritannien ist noch einigermaßen frei, aber überflutet. Die gute Botschaft: Universitäten und Wissenschaftler gibt es nach wie vor, auch in den Geisteswissenschaften, auch wenn diese weniger Ansehen genießen als die Naturwissenschaften und deren Wissenschaftler etwa nur jeden zweiten Tag die KI nützen dürfen, und sich auch mit eher untalentierten und unambitionierten Studierenden rumplagen müssen.

Vor diesem Hintergrund sucht der Literaturwissenschaftler Thomas Metcalfe gemeinsam mit seiner Frau Rose nach einem verschollenen Gedicht, dem "Sonettenkranz für Vivien", das der berühmte Dichter Francis Blundy, der zu unserer jetzigen Zeit lebte und wirkte, für seine geliebte Frau Vivien verfasst und bei einem legendären Abendessen vorgetragen haben soll. Leider ist dieses Gedicht verschollen, es finden sich nur Referenzen darauf. Dabei könnte es uns vielleicht beim Verständnis der damaligen Zeit und bei dem, was man vielleicht damals schon hätte ahnen oder wissen können (über den Klimawandel? Über die Zukunft?) helfen? Und was können wir überhaupt über die Vergangenheit wissen, anhand der bruchstückhaften Quellen, die wir finden und interpretieren können? Was war wirklich und was scheint nur so und war möglicherweise ganz anders? Und welchen Quellen und Erzählerinnen und Erzählern können wir überhaupt wie sehr vertrauen?

Das ist, neben der interessanten dystopischen Zukunft, ein wiederum sehr spannendes Hintergrundthema, das sich nach und nach immer stärker zeigt, je weiter man mit der Lektüre dieses Buches kommt, die langatmigen Schilderungen des Abendessens durchsteht, und sich auf das Buch einlässt. Das letzte Drittel des Buches ist dann auch noch einmal aus einer völlig anderen Perspektive geschildert, die noch einmal ein neues Licht auf die Vergangenheit wirft und damit sehr zum Nachdenken anregt.

Insgesamt ist es ein tiefgründiges und interessantes Buch, das aber den Leserinnen und Lesern aufgrund der Langatmigkeit einiges abverlangt. Dennoch kann ich genau diese dem Autor nicht zum Vorwurf machen, denn vielleicht wollte er uns dabei spiegeln, wie es Geisteswissenschaftlern und Geisteswissenschaftlerinnen gehen kann, die sich durch einen Haufen scheinbar banales und uninteressant wirkendes Quellenmaterial wühlen müssen, um dann hoffentlich ein paar Erkenntnisperlen zu finden.

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Veröffentlicht am 14.11.2025

Solide Unterhaltung mit Fantasy-Elementen

Unbeugsam wie die See
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Besonders angesprochen hat mich bei diesem Buch das schöne Cover und dass ich insbesondere über den Vorgängerband der Autorin, "Die Unbändigen" schon viel Gutes gehört hatte.

Dieses Buch erzählt in wechselnden ...

Besonders angesprochen hat mich bei diesem Buch das schöne Cover und dass ich insbesondere über den Vorgängerband der Autorin, "Die Unbändigen" schon viel Gutes gehört hatte.

Dieses Buch erzählt in wechselnden Erzählsträngen Ausschnitte aus dem Leben von zwei Schwesterpaaren zu verschiedenen Zeiten. Da gibt es die Zwillinge Mary und Eliza, die um 1800 aus Großbritannien nach Australien verschifft und dabei getrennt werden. Dann Lucy im Jahr 2019, deren Schwester Jess verschwunden ist. Jess wiederum lernen wir in der Vergangenheit kennen und erfahren mehr über ihre Geschichte.

Das Buch hat märchenhafte, mystische bis fantastische Elemente, da werden etwa Frauen plötzlich zu Meerjungfrauen. Das muss man mögen in so einem Buch. Ansonsten ist es solide Unterhaltung. Ich wurde mit den Figuren nicht sonderlich warm und habe auch die Sprache nicht sehr besonders gefunden, vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich sonst viele Bücher lese, die eher zur höherwertigen Literatur zählen, was dieses Buch nicht leisten können muss.

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Veröffentlicht am 13.11.2025

Inspirierendes Buch für eine positive Lebenseinstellung

Glimmer
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Der Heilpraktiker und Hypnosetherapeut Bernhard Tewes stellt mit "Glimmer" einen Ansatz vor, der dem weit verbreiteten Fokus auf negative "Trigger" etwas Positives und Heilsames entgegensetzt. Anschaulich ...

Der Heilpraktiker und Hypnosetherapeut Bernhard Tewes stellt mit "Glimmer" einen Ansatz vor, der dem weit verbreiteten Fokus auf negative "Trigger" etwas Positives und Heilsames entgegensetzt. Anschaulich erklärt er anhand von Fallbeispielen, wie viele Menschen dadurch, dass sie in ihrem Leben ihre Aufmerksamkeit auf Negatives, etwa ständig auf Katastrophennachrichten oder auf ihre eigenen Unzulänglichkeiten, richten, ihr eigenes Unglück verstärken. Dabei gibt es an jedem Tag und in jedem Leben viele kleine Glücksmomente wahrzunehmen oder auch aktiv herzustellen, mit uns selbst und in der Begegnung mit anderen. Wir können bewusst wählen, wie wir unsere Morgenroutinen gestalten, wie wir uns mit wohltuender Musik umgeben, nährende Beziehungen zu anderen und eine inspirierende Umgebung für uns kreieren.

Sehr interessant war für mich zum Beispiel, über den Ansatz der "Low-stake-Kreativität" zu lesen: schon kleine kreative Tätigkeiten ohne Druck oder Anspruch, z.B. das Dekorieren eines Raumes oder das Kochen einer Speise, können durch die Freude am Schaffen und Gestalten viel Glück in unser Leben bringen, Stress reduzieren und Entspannung fördern, jenseits von Leistungsdruck und Bewertung.

Geschrieben ist das Buch sehr praxisnah und zugänglich: der Autor erzählt offen und ehrlich aus seinem eigenen Leben und seinen früheren Suchtproblemen sowie auch davon, wie er diese überwunden hat, Hypnosetherapeut wurde und mit welchen Methoden und Übungen er nun seine Klientinnen und Klienten unterstützt. Am Ende jedes Kapitels finden sich praktische Übungen, um die "Glimmer"-Momente im eigenen Leben zu fördern, z.B. drei Menschen ein ehrliches Kompliment zu machen, den Gesprächspartner als die interessanteste Person der Welt zu betrachten und wirklich aufmerksam zuzuhören, Dankbarkeit zu üben, die eigenen Werte zu reflektieren, einen schönen Moment der Vergangenheit innerlich nochmal zu erleben ("Revivikation" genannt) oder auch sich bewusst mit wohltuender Musik und angenehmen Berührungen (mit sich selbst oder im Konsens mit anderen Personen, z.B. auf Kuschelpartys) auseinanderzusetzen.

Insgesamt ist es ein schön gestaltetes, leicht lesbares und inspirierendes Buch, das wie ein Licht in einer Zeit der Krisen und Sorgen wirkt und das ich allen an Psychologie, Spiritualität und Persönlichkeitsentwicklung Interessierten auf jeden Fall empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 13.11.2025

Eine stille, behutsame Geschichte, die Lust auf Usbekistan macht

Und zuletzt Buchara
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Stephanie Clasemann liebt Usbekistan, beschäftigt sich seit langem mit dem Land und seinen mystischen Traditionen und begleitet Pilgerreisen dorthin. Nach ihrem wunderschön gestalteten spirituellen Usbekistan-Reisebegleiter ...

Stephanie Clasemann liebt Usbekistan, beschäftigt sich seit langem mit dem Land und seinen mystischen Traditionen und begleitet Pilgerreisen dorthin. Nach ihrem wunderschön gestalteten spirituellen Usbekistan-Reisebegleiter "Heiliges Usbekistan" hat sie nun mit diesem schmalen Büchlein einen etwas anderen Zugang gewählt, um dieses Land vorzustellen: eine Erzählung, eine stille, behutsame Geschichte, bei der wir locker und leicht eine junge Frau dabei begleiten, diese besondere Region zu entdecken.

Die Studentin Gesa hatte eigentlich vor, mit einer guten Freundin Nepal zu bereisen, dafür auch schon gespart und viel über das Land gelesen. Doch nun hat Jule einen neuen Freund und will die gemeinsame Reise verschieben. Zuerst ist Gesa traurig und enttäuscht, doch dann lernt sie zufällig durch ein Missgeschick in einem Café Sonja und Marc kennen, die mal ein Paar waren, nun getrennt sind, aber noch eine letzte gemeinsame Usbekistan-Reise unternehmen möchten und sie einladen, mitzukommen. Kurz entschlossen entscheidet sich Gesa, zuzusagen und ihr Erspartes dafür einzusetzen und so reisen die drei jungen Menschen gemeinsam in das Land.

Es ist ein ruhiges, nachdenkliches Buch, bei dem vordergründig nicht so viel passiert, aber im Hintergrund umso mehr: die drei reisen durch das Land, mal sind sie auch nur zu zweit, dann gibt es einiges Mysteriöses, was die Spannung aufrechterhält, aber sonst lebt das Buch zu einem großen Teil von der Atmosphäre und von dem Gefühl, mit den Charakteren durch Usbekistan zu reisen, zu meditieren, innezuhalten und ruhig zu werden. Damit gelingt es der Autorin auch mit diesem Buch wieder ausgezeichnet, Lust auf eine Reise ins unbekannte Usbekistan zu machen.

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