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Veröffentlicht am 24.03.2017

Über Entscheidungen im Leben und deren Konsequenzen

Der Mann, der zu träumen wagte
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„Der Mann, der zu träumen wagte“ im gleichnamigen Buch von Graeme Simsion heißt Adam Sharp, ist Jahrgang 1963 und wohnt als IT-Berater in London. Vor 22 Jahren war er in Melbourne/Australien eine Zeit ...

„Der Mann, der zu träumen wagte“ im gleichnamigen Buch von Graeme Simsion heißt Adam Sharp, ist Jahrgang 1963 und wohnt als IT-Berater in London. Vor 22 Jahren war er in Melbourne/Australien eine Zeit mit der Schauspielerin Angelina Brown liiert, während er für seinen Arbeitgeber einen Auftrag dort vor Ort zu erledigen hatte. Doch Bedenken auf beiden Seiten für eine feste Bindung führten zum Ende der Beziehung. Vergessen hat er sie nie.

Eines Tages sitzt er zu Recherchezwecken vor seinem Computer als er eine E-Mail erhält. Es ist nur ein schlichter einsilbiger Gruß, aber er ist von Angelina. Inzwischen lebt Adam seit vielen Jahren mit seiner Freundin Claire zusammen. Beide sind durch ihre Berufe stark eingebunden und haben unter anderem dadurch ihre Differenzen. Die E-Mail gibt Adam jetzt die Möglichkeit den Kontakt wieder aufleben zu lassen. Er zögert mit einer Antwort, macht sich Gedanken darüber, warum sie ihm geschrieben hat. Schließlich antwortet er ihr. Erinnerungen werden wach bei ihm und eine gewisse Melancholie über die damalige Trennung. Dann schreibt Angelina ihm von ihrem bevorstehenden Urlaub, den sie gemeinsam mit ihrem Ehemann im eigenen Ferienhaus in Frankreich verbringen wird und lädt ihn dazu ein! Wie wird Angelina nach so langer Zeit auf ihn reagieren? Wäre es möglich ihre Liebe von damals nicht nur auf- sondern auch weiterleben zu lassen? Träumen darf man, aber wie viel ist Adam bereit, für seinen Traum aufzugeben?

Adam stammt aus einer zerrütteten Ehe, daher hat er Bindungsängste. Er selbst spielt leidenschaftlich gern Klavier, obwohl sein strenger Vater ihn früher zum Üben anhalten musste. Ich vermute, dass der Graeme Simsion ein großer Musikfan ist, denn der ganze Roman ist mit Musik durchzogen. Für jede Situation kennt der Protagonist einen Song. Bedeutsam dafür ist auch, dass er Angelina in einer Bar kennengelernt hat, während er dort Klavier spielte. Adam erscheint manchmal unsicher, aber in der Musik kann er seine Gefühle ausdrücken. Die Idee der Einbindung von Musik in eine Geschichte finde ich grundsätzlich interessant. Am Ende des Buchs hat der Autor eine Playlist zusammengestellt. Einige der Lieder kenne ich, leider aber nicht alle. Und so konnte ich manchmal die damit verbundenen Empfindungen leider nicht nachvollziehen.

An den beiden vorigen Romanen von Graeme Simsion habe ich vor allem die amüsanten Situationen geschätzt, die durch die Auslegung bestimmten Verhaltens durch den Protagonisten entstanden. Diese vergnüglichen Szenen habe ich hier vermisst. Adam Sharp ist ein durch sein Elternhaus geprägter Charakter, der betrübt darüber ist den Möglichkeiten die das Leben ihm bisher geboten hat, nicht nachgekommen zu sein. Dabei zweifelt er, ob sie die bessere Wahl gewesen wären. Bei der ihm nun dargebotenen Chance lebt er seine Gefühle auf eine solche Weise aus, die moralisch anzuzweifeln ist. Mir ist die Figur dadurch auch nicht nahe gekommen genauso wenig wie Angelina. Dennoch muss ich dem Roman eine geschickte Konstruktion zuschreiben, verbunden mit einem leicht und gut lesbaren Schreibstil. Durch die Erzählung in der Ich-Form des Protagonisten verbleibt der Leser an der Seite von Adam, erfährt dessen Gedanken und kann sich so selbst ein Urteil über sein Verhalten bilden.

„Der Mann, der zu träumen wagte“ ist ein romantisch geschriebener Roman über zwei Menschen, die sich nach Jahren wiedersehen und sich über das Ausleben ihrer Gefühle und den Konsequenzen daraus klar werden müssen.

Veröffentlicht am 22.03.2017

Einfühlsam geschrieben mit einigen überraschenden Wendungen

Luana
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Ein Brief aus Brasilien löst bei André Caraval, Mitte 40 und Allgemeinmediziner in London, Erinnerungen an seine Jugend in Rio de Janeiro aus. Doch bereits seit Monaten träumt er von der Absenderin Luana, ...

Ein Brief aus Brasilien löst bei André Caraval, Mitte 40 und Allgemeinmediziner in London, Erinnerungen an seine Jugend in Rio de Janeiro aus. Doch bereits seit Monaten träumt er von der Absenderin Luana, dem früheren Dienstmädchen der Familie. In seinen Träumen ist sie für ihn unerreichbar.

Im gleichnamigen Roman konfrontiert Luiza Sauma gleich zu Beginn den Leser damit, dass André etwas in seinem Inneren ganz tief verborgen hat. Der Brief bringt Gefühle in ihm an einen langen heißen brasilianischen Sommer an die Oberfläche. Es war 1985 kurz nach dem Tod seiner Mutter und das Jahr in dem er seinen schulischen Abschluss gemacht hat. Luana war in diesem Sommer 16 Jahre alt. Schon das Titelbild in schwarz-weiß führt den Leser in der Zeit zurück. Das Cover zeigt eine junge Frau, die am Fenster Abkühlung im leichten Windzug sucht und offenbart dabei auf den zweiten Blick erkennbare Intimität, die eine zweite anwesende Person in der Szene erwarten lässt.

Andrés Familie ist wohlsituiert und beschäftigt ihrem Stand entsprechend ein Dienstmädchen. Luanas Mutter ist in dieser Rolle der Familie von André seit vielen Jahren verbunden. Seit einiger Zeit wird sie durch ihre Tochter unterstützt. Der Vater von André ist als Chirurg bis spät abends beschäftigt. André und sein zehn Jahre jüngerer Bruder sind also, nachdem die Mutter verstorben ist, häufig mit den beiden Bediensteten zu Hause allein. Luanas Haut lässt vermuten, dass ihr Vater ein Weißer ist, doch näheres erfährt sie nicht von ihrer Mutter.

Sie ist anmutig und hübsch, ihrem Charme kann André sich nicht gänzlich entziehen. Aus der Sicht eines heute verheirateten, aber seit kurzem getrennt lebenden Manns mit zwei Kindern blickt er auf die Ereignisse Mitte der 1980er Jahre zurück. Mag der räumliche Abstand von seiner Heimat es ihm ermöglicht haben, das damalige Geschehen auszublenden, vergessen hat er es nicht. Jetzt beginnt er seine eigene Handlungsweise zu hinterfragen und aufzuarbeiten.

Obwohl ein Dienstmädchen möglichst präsent im Haushalt ihres Dienstherrn zu sein hatte, war ihr Platz grundsätzlich in der Küche oder dem eigenen kleinen Zimmer im Haus, wo sie Essen oder einer Beschäftigung außerhalb des Haushalts nachgehen konnte. Ihre Lebenswege scheinen auf diese Weise vorgezeichnet zu sein. Doch wenn er mit Luana allein ist, weichen die Grenzen zwischen ihnen zurück. In seinen Schilderungen kommt zum Ausdruck, dass er seine Mutter sehr stark vermisst. In der Wohnung bleibt alles an seinem Platz, vieles muss ihn an sie erinnern. Vielleicht ist es die Suche nach Geborgenheit, die er bei dem jungen Dienstmädchen zu finden hofft. Vielleicht ist es aufgrund der fehlenden Vaterfigur die Suche nach männlicher Stärke von der Luana André entgegen getrieben wird.

Luiza Sauma nähert sich dem alles ändernden, entscheidenden Zeitpunkt im Leben von André eher vorsichtig, aber äußerst offen, aus der Perspektive des inzwischen erwachsenen André in der Ich-Form erzählt. Sein Verhalten wird neben dem Unfalltod der Mutter auch beeinflusst von den Anforderungen des Vaters an ihn, den Erwartungen seiner Freunde und dem in der Gruppe üblichen Alkohol und Drogenkonsum gegen die endlose Langeweile der Kinder reicher Eltern. Der Sommer 1985 ist für beide Protagonisten eine wichtige Zeit in der ihnen die Gestaltung ihrer Zukunft offen stehen sollte. Aber für beide existieren aus unterschiedlichen Gründen Einschränkungen und Alternativen fehlen.

Die Autorin schreibt in einem leicht lesbaren Schreibstil in den sie einige portugiesische Wörter eingeflochten hat, die die Gestaltung des Umfelds abrunden. Die Kenntnis der Gegebenheiten in ihrem Geburtsort Rio de Janeiro lässt die Geschichte glaubhaft und real erscheinen. Während ich glaubte, die Hitze des Sommers zu spüren und die Luft flirren zu hören, habe ich ganz nebenbei auch einiges von der Lebensweise der Brasilianer in Ipanema erfahren können. Durch die Briefe Luanas konnte ich mir bereits einige Vorstellungen davon machen, was damals passiert ist. Doch meine Vermutungen reichten nicht daran heran, was wirklich geschah. Über allem liegt ein geheimnisvoller Schleier, der ein gewisses Spannungselement in den Roman einbringt und erst sehr spät gelüftet wird.

„Luana“ ist ein einfühlsam geschriebener Roman mit einigen überraschenden Wendungen über die gesellschaftliche Stellung durch Geburt, die Auswirkung des Vertuschens von Verfehlungen und der Unmöglichkeit der Korrektur verpasster Möglichkeiten. Im Vordergrund steht jedoch immer die Liebe zum Leben. Mir hat das Buch sehr gut gefallen und daher empfehle ich es gerne weiter.

Veröffentlicht am 21.03.2017

Must-Read für Carl Morck-Fans

Selfies
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Im mittlerweile siebten Fall für das in Kopenhagen beheimatete Sonderdezernat Q unter der Leitung von Carl Morck geht es auch um „Selfies“ wie der gleichnamige Titel schon sagt, aber nur am Rande. Einen ...


Im mittlerweile siebten Fall für das in Kopenhagen beheimatete Sonderdezernat Q unter der Leitung von Carl Morck geht es auch um „Selfies“ wie der gleichnamige Titel schon sagt, aber nur am Rande. Einen wesentlich größeren Platz im Buch nehmen diesmal die Väter ein. Ihr Verhalten kann ihre Kinder in bedeutender Weise mit nachhaltigen Folgen beeinflussen. Wenn die Söhne oder Töchter keinen Ausweg mehr sehen, sich dem Einfluss zu entziehen, wenn also alle Stricke reißen wie es auf dem Cover angedeutet wird, dann sind ungeahnte Handlungen überaus wahrscheinlich. Doch dazu möchte ich nicht zu viel verraten.

Bevor die Ermittlungen des Sonderdezernats Q im Mai 2016 zum aktuellen Fall beginnen, nimmt Jussi Adler Olsen im Prolog den Leser mit ins Jahr 1995 und ich lernte Dorrit, ihre Mutter, ihre Oma und den nationalsozialistisch eingestellten Großvater kennen, die später eine große Rolle spielen werden. In 2016 begegnete ich Dorrit wieder, war aber verwundert, dass sie sich inzwischen in Denise umbenannt hat. Sie lebt von der Sozialhilfe und lernt auf dem Sozialamt Michelle und Jazmine kennen, die etwa so alt sind wie sie selbst und sich ebenso gerne wie Denise aufbrezeln und von Männern aushalten lassen. Ihr Ziel ist es, talentlos berühmt zu werden. Doch die Sachbearbeiterin des Amts meint es nicht gut mit ihnen. Die Antipathie ist auf beiden Seiten gleich groß.

Im Moment versuchen Carl Morck und sein Team einen länger zurückliegenden Fall zu lösen, bei dem eine junge Lehrerin hinterrücks erschlagen wurde. Der Fall hat große Ähnlichkeit mit einem aktuellen bei dem eine ältere Frau, die Großmutter von Denise, auf die gleiche Weise ums Leben gekommen ist. Rose geht es zu dieser Zeit nicht gut. Ein Rüffel von Carl bringt einen Widerstand gegen Autorität in ihr zum Klingen, der sie aus der Bahn wirft. Erst wünscht sie sich wieder wie eine ihrer Schwestern zu sein, doch die Depression wächst sich weiter aus und nimmt verstörende Züge an, die das Team des Sonderdezernats veranlassen, sich auf die Suche nach Roses Vergangenheit zu begeben. Dann wird Michelle, inzwischen eine Freundin von Denise, von einem Auto überfahren und es sieht so aus, als ob es sich um eine vorsätzliche Tat handelt.

„Selfies“ hat mir sehr gut gefallen, besser als die letzten beiden Serienteile. Warum ist das so? Einerseits liegt es sicher an meiner Neugier mehr über die Vergangenheit der dubiosen Charaktere aus dem Team von Carl Morck zu erfahren, die der Autor über die letzten Fälle hinweg aufgebaut hat und die nun in wenigstens einem Fall befriedigt wurde. Andererseits sind die Täter und Opfer diesmal Personen, die jeder aus dem Alltag kennt, vielleicht etwas überzeichnet, aber durchaus realistisch.

Außerdem verbindet der Thriller wieder einen Fall aus der Vergangenheit mit der Gegenwart, es sind Ähnlichkeiten und Unterschiede heraus zu arbeiten. Auf der Dienststelle gibt es für das Q-Team eine neue Variante durch die ihre Ermittlungsarbeit gestört wird. Vor allem aber verwebt Jussi Adler Olsen wieder mehrere Fälle in einer sehr interessanten komplexen Weise, die einfach Spaß zu lesen macht. Mit Denise und ihren Freundinnen sowie der Sachbearbeiterin vom Sozialamt schafft der Autor Charaktere, die man eigentlich nicht mögen will, die einem aber auch irgendwie leid tun. Ich konnte mich diesem Spiel mit Gut und Böse nicht entziehen.

Die Spannung kommt bei diesem Thriller eher leise daher, nimmt dann an Fahrt zu und hält bis zum Ende seinen Spannungsbogen. Die Geschichte spielt zwei Jahre nach dem sechsten Ermittlungsfall. Das Buch ist auch diesmal wieder in sich abgeschlossen, eine Kenntnis der vorherigen Fälle ist nicht nötig. Allerdings wird aus dem bisherigen Privatleben der Ermittler wenig wiederholt und die Relevanz der Kenntnis von Roses Vergangenheit kann nicht so gut eingeschätzt werden.

In den Dialogen mit Carls Assistenten Assad kommt es wieder zu dem besonderen Wortwitz aufgrund der Auslegung bestimmter Wörter. Doch die Reaktion von Assad auf die Korrekturen durch Carl deuten wie auch einige andere kurze Einwürfe an, dass es in seinem Leben noch einiges Unbekanntes gibt, der Stoff im nächsten Serienteil sein wird, wird schon zu erfahren war. Darauf freue ich mich schon.

Der siebte Fall für das Sonderdezernat Q hat mich spannungsmäßig gefesselt und vom Aufbau her überzeugt. „Selfies“ isst definitiv eine Empfehlung wert und für Carl Morck Fans ein absolutes „Must-Read“.

Veröffentlicht am 14.03.2017

Vielfalt einer Großstadt

Truggestalten
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Im Buch „Truggestalten“ von Rudolph Herzog sind sieben sagenhafte Erzählungen versammelt. Wie der Titel bereits andeutet, beinhalten die unterschiedlichen Geschichten Figuren, die unrealistisch sind, teils ...

Im Buch „Truggestalten“ von Rudolph Herzog sind sieben sagenhafte Erzählungen versammelt. Wie der Titel bereits andeutet, beinhalten die unterschiedlichen Geschichten Figuren, die unrealistisch sind, teils weil sie ausschließlich unserer Fantasie entspringen, teils weil sie durch Sagen in unsere Köpfe gekommen sind. Keine von ihnen hält einer realen Betrachtung stand. Das Titelbild des Buchs zeigt das East Side Hotel in Berlin, so wie wir es heute besuchen können. Die Kinder auf der Kaimauer passen mit ihrer Kleidung nicht ins Bild, stehen aber für vergangene Zeiten in der Stadt. In jeder Story wird eine Episode aus der Vergangenheit angeschnitten, die mich als Leser dazu veranlasste, mir diese ins Gedächtnis zu rufen und nach weiteren Informationen darüber im Netz zu suchen.

Die Erzählungen basieren manchmal auf genau jenen Erinnerungen, die auf unerklärbare Weise sich ihren Weg in das Bewusstsein der Berliner Bewohner, gleich welchen Alters drängen. Da sind beispielsweise polnische Zwangsarbeiter im zweiten Weltkrieg oder auch eine als verrückt erklärte Näherin aus dem 19. Jahrhundert. Erinnerungen an den Hungerwinter nach dem Krieg, aber auch an dem Mauerfall werden wach. Und wer bisher noch nicht wusste, woran es liegt, dass der neue Berliner Flughafen noch nicht fertig ist, wird hier eine Erklärung finden. Doch nicht nur die Vergangenheit dient der Erklärung der trügerischen Gestalten. Hierhinter verbergen sich auch Wiedergänger, Aufsitzer und Dschinn. Immer wieder finden sich Begebenheiten, die zwar weder zur Begründung noch zum Ablauf der jeweiligen Geschichte beitragen, aber interessant und abwechslungsreich sind.

Die Schilderungen spielen in unterschiedlichen Teilen der Hauptstadt Berlins, als Leser begegnete ich dort verschiedenen Kulturen. Nicht nur den Zeitgeist, sondern auch die aktuelle gesellschaftliche Lage versteht der Autor einzufangen. Rudolph Herzog schreibt in der allwissenden Erzählperspektive ebenso wie in der Ich-Form aus Sicht einer Frau und eines Manns. Die Gestaltung der Storys in der Verbindung zu historischen Geschehnissen verbunden mit Mystik hat mich sehr angesprochen. Gefehlt hat mir ein wenig die Verbindung zwischen den Geschichten, denn neben dem Handlungsort Berlin findet man nur gelegentlich eine Figur, die einem vage aus einer anderen Erzählung bekannt vorkommt und die vergleichbar mit einem Wimpernschlag auch schon wieder entschwunden ist.

Das Buch hat bei mir wohlige Schauer des Gruselns ausgelöst. Es zeigt die Vielfalt einer Großstadt, die Bedeutung des Einzelnen und Flüchtigkeit des Moments. Gerne kann es mehr solcher Geschichten geben.

Veröffentlicht am 08.03.2017

Turbulente Geschichte für abenteuersuchende Leser

Simsaladschinn – Das Mädchen aus der gelben Tasche – Band 1
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Alle guten Zutaten für das Buch „Simsaladschinn“ von Corinna Wieja umkreisen auf dem wunderbar gestalteten Cover die zeichnerisch dargestellte Protagonistin. Sie ist „Das Mädchen aus der gelben Tasche“ ...

Alle guten Zutaten für das Buch „Simsaladschinn“ von Corinna Wieja umkreisen auf dem wunderbar gestalteten Cover die zeichnerisch dargestellte Protagonistin. Sie ist „Das Mädchen aus der gelben Tasche“ dem der gleichlautende Untertitel gewidmet ist. Das Titelbild mit der Hintergrundfarbe lila und ganz vielen bunten Blümchen sowie Gegenständen, die in der Erzählung eine Rolle spielen, haptisch spürbar sind und durch Relieflack glänzen, wird vor allem Mädchen ansprechen. Aber die Geschichte enthält ganz viel Magie und handelt von Freundschaft bei der ein Junge im Mittelpunkt steht.

Für Diamandarazade, kurz Amanda genannt, steht der Abschluss ihrer Ausbildung als Dschinn bevor und damit der vielwöchige Dienst bei den Menschen. Amanda wählt zu Hause eine abgestoßene gelbe Handtasche aus dem Schrank mit den Aufbewahrungsgefäßen in der sie zur Erde reisen und in dem sie dort wohnen wird. Statt zu einem Flaschengeist wird sie so zu einem Taschengeist! Die Tasche landet in der Nähe von Jonas, der kurz vorher eine Auseinandersetzung mit zwei Klassenkameraden hatte. Nur mit Hilfe seiner Stiefschwester konnte er aus der schwierigen Situation entkommen. Er nimmt die Tasche mit nach Hause und säubert sie. Nach alten Dschinnregeln wird Jonas durch das Reiben an dem Gefäß zum Meister von Amanda, die kurz vorher von der Entführung ihres Lehrers Muffid erfahren hat. Amanda tüftelt einen Plan aus, wie sie mit Hilfe von Jonas Muffid zu Hilfe eilen kann. Leider hat sie nicht mit der Möglichkeit gerechnet, dass irgendetwas bei der Anwendung ihrer magischen Fähigkeiten schief gehen könnte. Hinzu kommt auch noch, dass Jonas ein eher zurückhaltender, furchtsamer Junge ist. Wird es ihr dennoch gelingen, ihren Lehrer zu befreien?

Das Buch ist geeignet für Kinder ab einem Alter von etwa neun Jahren. So fröhlich wie die Titelgestaltung ist auch der Grundton der Story, der sich vor allem aus dem Wortwitz ergibt. Amanda spricht als Dschinni natürlich alle Sprachen der Welt, aber Redewendungen, die sie nicht kennt, legt sie wörtlich aus. Natürlich ist das gerade beim Zaubern irreführend und für den Leser erheiternd. Hinzukommen außerdem Spannungselemente und auch eine gewisse Tiefgründigkeit vor dem Hintergrund des Mobbings.

Jonas hat schon früh seine Mutter verloren. Zu Beginn des Schuljahrs ist er gemeinsam mit seinem Vater zu seiner Stiefmutter gezogen, was einen Schulwechsel zur Folge hatte. Er ist ein guter Schüler, findet sich selbst aber nicht besonders mutig. Amanda dagegen ist ein wahrer Wirbelwind. Ihr Vater ist der Herrscher über das Wolkendschinnvolk. Sie ist selbstbewusst und erfinderisch. Das Buch ist aus einer allwissenden Erzählperspektive geschrieben, doch der Fokus liegt in den einzelnen Kapiteln im Wechsel auf Amanda und Jonas. Im Laufe der Geschichte ziehen beide ihre Erfahrungen aus dem gemeinsamen Abenteuer. Amanda erfährt die Grenzen ihrer Zauberkraft und gemeinsam erfahren sie durch ihre Freundschaft wie schön es ist, sich mit jemandem austauschen, beraten und helfen zu können. Dabei werden sie von ihren Familien unterstützen. An Jonas Seite ist auch seine Stiefschwester, die er von einer neuen Seite kennen und schätzen lernt.

„Simsaladschinn“ ist eine ansprechende, turbulente Geschichte für Kinder, die dank ihrer sehr guten Konstruktion vom Ablauf her funktioniert und schlüssig ist. Am Schluss ist man schon ein wenig traurig, dass sie vorbei ist, doch das Ende lässt auf eine Fortsetzung folgen. Klare Leseempfehlung für abenteuersuchende, der Magie nicht abgeneigte junge Leseratten.