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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.12.2021

Langatmig und verwirrend

Der Uhrmacher in der Filigree Street
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Gaslicht, Nebelschwaden und mechanische Erfindungen, dazu eine Bombenexplosion. Das alles verortet im London des Jahres 1883, so dass dieser viktorianische Hintergrund die optimalen Voraussetzungen für ...

Gaslicht, Nebelschwaden und mechanische Erfindungen, dazu eine Bombenexplosion. Das alles verortet im London des Jahres 1883, so dass dieser viktorianische Hintergrund die optimalen Voraussetzungen für einen interessanten Steampunk-Roman bietet. Die Frage ist nur, ob „Der Uhrmacher in der Filigree Street“ dieses Versprechen einlösen kann.

Die Handlung ist um eine geheimnisvolle Taschenuhr und drei Hauptfiguren herum aufgebaut: Nathaniel Steepleton, ein kleiner Angestellter im Innenministerium, der sich um die Übermittlung der ein- und ausgehenden Nachrichten kümmert. Grace Carrow, eine unkonventionelle Physikstudentin an Oxfords neuem College für Frauen. Herr Mori, ein exzentrischer japanischer Uhrmacher mit besonderen Fähigkeiten. Verbunden wird dies durch den Bombenanschlag auf Scotland Yard, bei dem die Taschenuhr eine nicht unwesentliche Rolle spielt, und der offenbar auf das Konto der Fenier, einer Geheimorganisation, die für ein unabhängiges Irland kämpft, geht. Doch wer hat die Bombe gebaut, und was hat die Taschenuhr damit zu tun? Jetzt könnte ein Sherlock Holmes von Nutzen sein, der deduktiv und für die Leser*innen nachvollziehbar den Hintergrund dieses Ereignisses aufklärt.

Aber leider fehlt eine solche Figur, die Tempo und Spannung in die Handlung gebracht hätte. Zwar verbindet die Autorin die Geschichten der Figuren, schlägt aber immer wieder völlig überflüssige Haken, gibt Informationen, die für den Fortgang der Handlung keinerlei Relevanz haben und deren Sinn sich nicht erschließt. So wird aus diesem Erstling eine langatmige, verwirrende, mit Banalitäten überhäufte pseudo-philosophische Abhandlung über Zufall, Schicksal und Vorbestimmung als ein atmosphärischer und spannender Steampunk-Roman.

Veröffentlicht am 16.12.2021

Über das Überleben in schwierigen Zeiten

Die Übersetzerin
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Handlungsort des Romans von Jenny Lecoat, zu dem sie sich durch ihre eigene Familiengeschichte inspirieren ließ, ist die Kanalinsel Jersey, und wahrscheinlich sind die wenigsten Leser*innen mit deren jüngere ...

Handlungsort des Romans von Jenny Lecoat, zu dem sie sich durch ihre eigene Familiengeschichte inspirieren ließ, ist die Kanalinsel Jersey, und wahrscheinlich sind die wenigsten Leser*innen mit deren jüngere Geschichte vertraut. Mir war zumindest bis zu einem Urlaub vor vielen Jahren nicht bekannt, dass Jersey das einzige britische Gebiet war, das im Zweiten Weltkrieg von den Nationalsozialisten besetzt wurde. Bis heute zeugen davon die baulichen Überreste von Bunkern, Wachtürmen etc., die dem Atlantikwall zuzurechnen sind. Der Plan, Jersey als Basis zu benutzen, um von dort über die englische Südküste Großbritannien zu erobern, misslang glücklicherweise.

Im Zentrum der Handlung steht Hedy Bercu, eine österreichische Jüdin, die 1938 aus Wien nach Jersey flüchtet, um der Deportation zu entgehen. Wirklich willkommen ist sie, wie alle Flüchtlinge, dort nicht, sondern wird eher geduldet. Das ändert sich, als 1940 die Wehrmacht die Insel okkupiert und die Registrierung der Ausländer verlangt. In erster Linie geht es ihnen darum, ihre Macht zu demonstrieren und Juden aufzuspüren. Anfangs scheint sich für Hedy alles zum Guten zu wenden, bekommt sie doch einen Job als Übersetzerin bei den Deutschen und findet in einem Wehrmachtsoffizier einen Freund. Doch die Zeiten ändern sich, und so bleibt ihr drei Jahre später nichts anderes übrig, als ihr Überleben in fremde Hände zu legen und unterzutauchen.

Obwohl Hedys Erfahrungen ein Teil ihrer Familiengeschichte sind, schaut die Autorin äußerst distanziert auf deren Schicksal. Mitgefühl oder Empathie sucht man in diesen Beschreibungen vergebens, aber auch Hedy ist keine Sympathieträgerin. Was um sie herum passiert, interessiert sie nur soweit, wie es ihr eigenes Leben und ihre Sicherheit tangiert. Selbst diejenigen, die ihr zu überleben helfen, beurteilt sie mit Überheblichkeit und lediglich danach, ob und wie sehr sie ihr nützlich sein könnten.

Unter dem Strich ist „Die Übersetzerin“ ein enttäuschender Roman über das Überleben in schwierigen Zeiten, der sein Potenzial verschenkt hat. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Veröffentlicht am 15.12.2021

O tempora, o mores

Silverview
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Ein Kaff in East Anglia, in dem sich Julian Lawndsley einen Lebenstraum verwirklicht und eine Buchhandlung eröffnet, obwohl von Literatur und Autoren gänzlich unbeleckt. Unterstützung bekommt er von Edward ...

Ein Kaff in East Anglia, in dem sich Julian Lawndsley einen Lebenstraum verwirklicht und eine Buchhandlung eröffnet, obwohl von Literatur und Autoren gänzlich unbeleckt. Unterstützung bekommt er von Edward Avon, einem seiner wenigen Kunden. Avon ist ein smarter älterer Herr, der sowohl über die entsprechende Bildung verfügt als auch Ideen hat, wie man das Geschäft ankurbeln könnte. Aber Avon hat auch einen Vergangenheit, früher aktiver Topagent, hat er sich mit seiner todkranken Frau Deborah auf den nahe gelegenen Landsitz „Silverview“ zurückgezogen. Auch sie hat für den Auslandsgeheimdienst MI6 gearbeitet, und ihren Scharfsinn hat die ehemalige Nahost-Analystin trotz ihrer schweren Erkrankung nicht verloren. Offenbar gibt es einen Maulwurf in den Reihen des Dienstes, und Deborah befürchtet, dass ihr polnischstämmiger Mann den Geheimnisverrat begangen haben könnte. Sie informiert den MI6 von ihrem Verdacht, woraufhin die hektische Suche nach dem Leck beginnt.

„Silverview“ ist aus einem Manuskript aus John Le Carrés Nachlass entstanden, das von seinem Sohn fertiggestellt wurde, was sich aber glücklicherweise nicht auf die Qualität ausgewirkt hat. Es ist das sanfte Resümee eines Autors, der sich zeit seines Lebens aktiv in Agentenkreisen bewegt und darüber geschrieben hat. Allerdings richtet er hier seinen Blick nicht auf die Vorgehensweise und Arbeit der Spione, sondern auf deren Wirken in Zeiten des Wandels. Die Schlapphüte und die konspirativen Treffen haben ausgedient, heutzutage beschafft man sich die benötigten Informationen auf anderen Wegen. Keine toten Briefkästen oder dunkle Ecken mehr, diese Zeiten sind endgültig vorbei.

Ungewissheiten, Rückblicke, verflossene Liebschaften, moralische Grauzonen und die über weite Strecken sinnfreien Aktivitäten der Geheimdienste, die nirgendwo hinführen, all das beschreibt Le Carré elegant, mit feiner Ironie und herrlich britischen Dialogen. Und das wirkt nicht altersmilde oder resignativ, sondern gespeist aus den Erkenntnissen und Erfahrungen eines langen Lebens.

Veröffentlicht am 12.12.2021

Manchmal bedarf es nicht vieler Worte

Eifersucht
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Ich bin kein Fan von Kurzgeschichten, sind diese doch meist zu sehr auf eine Person bzw. eine wesentliche Aussage reduziert, so dass für eine feine Ausarbeitung der Charaktere kaum Platz ist. Deshalb bin ...

Ich bin kein Fan von Kurzgeschichten, sind diese doch meist zu sehr auf eine Person bzw. eine wesentliche Aussage reduziert, so dass für eine feine Ausarbeitung der Charaktere kaum Platz ist. Deshalb bin ich auch mit einer gehörigen Portion Skepsis an das neue Buch von Jo Nesbø herangegangen, dessen Kriminalromane um und mit Harry Hole, dem einzelgängerischen Ermittler mit den unkonventionellen Methoden, ich sehr schätze.

Sieben Short Stories, ein Motiv, so der Untertitel von Nesbøs „Eifersucht“, in dem er diese Empfindung und ihre Auswirkungen, schon so oft in der Literatur thematisiert, in den vielen Facetten beschreibt. Was löst dieses Gefühl aus und was macht es mit dem Menschen? Richtet es sich gegen das Objekt oder entfaltet es gar eine selbstzerstörerische Wirkung? Kann man damit leben oder führt es zu unberechenbaren Konsequenzen? Das sind die Kernfragen, denen sich der Autor stellt und differenziert zu beantworten versucht.

Eine junge Frau, die ihre eigene Tötung in Auftrag gibt. Ein Brüderpaar, das sich wegen der Liebe zu einer Frau entzweit und das geschwisterliche Band durchtrennt, was für einen von ihnen tödliche Konsequenzen hat. Ein Ohrring auf dem Rücksitz eines Taxis, der eine Ehe Richtung Abgrund treibt. Alles so ähnlich schon einmal gelesen, aber von dem Autor durch die komprimierte Form äußerst intensiv und stellenweise auch unerwartet verstörend beschrieben.

Im Gegensatz zu den Kriminalromanen wirken diese Kurzgeschichten wesentlich literarischer, ausgefeilter und konzentrieren sich stärker auf die psychologische Komponente, verzichten aber dennoch nicht auf unerwartete Wendungen und bieten somit auch die Spannung, die wir von dem Autor gewohnt sind.

Manchmal bedarf es eben nicht vieler Worte, um auf den Punkt zu kommen. Lesen!

Veröffentlicht am 10.12.2021

Ein Ärgernis!

NATRIUM CHLORID
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Wieder einmal muss sich das Sonderdezernat Q um einen Cold Case kümmern, der weite Kreise zieht. Ausgangspunkt ist die Explosion in einer Autowerkstatt vor über dreißig Jahren, bei der nicht nur sämtliche ...

Wieder einmal muss sich das Sonderdezernat Q um einen Cold Case kümmern, der weite Kreise zieht. Ausgangspunkt ist die Explosion in einer Autowerkstatt vor über dreißig Jahren, bei der nicht nur sämtliche Mechaniker ums Leben kommen sondern auch das Kind einer Kundin getötet wird, die ihren Wagen abholen möchte. Die Mutter überlebt, begeht aber an ihrem 60. Geburtstag Selbstmord, was dazu führt, dass sich das Sonderdezernat den zurückliegenden Fall genauer anschaut. Die Untersuchungsberichte lassen nichts Ungewöhnliches erkennen, mit Ausnahme eines Häufchens Salz, das am Unglücksort gefunden wurde.

Was folgt ist die detaillierte Beschreibung der Arbeit von Mørcks Mitarbeitern Assad, Rose und Gordon, die alte Unterlagen nach diesem seltsamen Detail durchforsten und erkennen, dass es in regemäßigen Abständen Todesfälle gibt, in denen am Fundort der Leiche Salz zu finden ist. Offenbar gibt es eine/n Serienmörder/in, der/die unbehelligt seit dreißig Jahren in regelmäßigen Abständen mordet. Aber welche Bedeutung hat das titelgebende „Natriumchlorid“ an den Tatorten?

Das ist auch schon die interessanteste Frage, denn sowohl Täterschaft als auch Motiv sind bereits nach der Hälfte des Buches eindeutig geklärt. Die verbleibenden 250 Seiten widmen sich der Jagd nach dem Täter, schildern die Gefangenschaft des neuesten Opfers und lassen als Nebenhandlung einen neuen alten Fall aufploppen, in den Mørck involviert war und der ihn jetzt seine Karriere kosten könnte…

Die fast ausschließlich positiven Besprechungen dieses neuen Bandes aus der Sonderdezernat Q-Reihe kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Ist das „…ein hochspannender Thriller, bei dem sich Jussi Adler Olsen selbst übertroffen hat“, wie ein Rezensent schreibt? Diese Frage muss ich für mich mit einem klaren Nein beantworten. Ein Thriller? Nein. Ein durchsichtiger Plot, durch das frühzeitige Entlarven des Täters auch null Spannung, keine unerwarteten Wendungen, keine Weiterentwicklung der Personen, der Stil zäh und langatmig.

Der größte Kritikpunkt ist für mich allerdings die Sprache, die von mangelndem Respekt gegenüber den Charakteren zeugt (ob das der Autor oder der Übersetzer zu verantworten hat, kann ich nicht beurteilen) und absolut nicht in die heutige Zeit passt. Da wird etwas „herausklamüsert“, Gordon von seiner Kollegin als eine „blasse Bohnenstange“ angesehen, und, als ob das noch nicht genug wäre, nennt Mørck seine Mitarbeiterin Rose in Gedanken abwechselnd „dumme Gans“, „dumme Schachtel“ und „Waschweib“. Ein Ärgernis!