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Veröffentlicht am 13.03.2021

Die Welt gegen die Vereinigten Staaten

Der Fall des Präsidenten
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Es beginnt mit einem Paukenschlag: Douglas Turner, republikanischer Ex-Präsident der USA, wird in Griechenland verhaftet. Man beschuldigt ihn, für Kriegsverbrechen in Afghanistan verantwortlich zu sein. ...

Es beginnt mit einem Paukenschlag: Douglas Turner, republikanischer Ex-Präsident der USA, wird in Griechenland verhaftet. Man beschuldigt ihn, für Kriegsverbrechen in Afghanistan verantwortlich zu sein. Ihm droht ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof ICC. Auf diese Anschuldigungen reagiert er, wie wir es kennen und erwarten: selbstherrlich, aggressiv und laut pöbelnd. Jetzt kann nur noch der amtierende Präsident helfen. Die Maschinerie läuft an. Zuerst muss dafür gesorgt werden, dass die Medien keinen Wind von der Verhaftung bekommen, dann wird mit Sanktionen gedroht, zumal die USA keine Veranlassung sehen, sich mit den Anschuldigungen des ICC auseinanderzusetzen, haben sie diesen doch nie anerkannt. Aber zu spät, ein Video ist bereits im Umlauf und schlägt international hohe Wellen.

Wie bereits in Blackout, Gier etc. kreiert Elsberg auch in diesem Roman ein Szenario, das realistischer nicht sein könnte. Die Vereinigten Staaten, die sich über das Gesetz stellen und alle Register ziehen, um die Auslieferung des Ex-Präsidenten in die Niederlande zu verhindern. Kurssturz an der Börse und eine Weltwirtschaft, die auf den Abgrund zusteuert. Falschmeldungen, mit denen die sozialen Netzwerke geflutet werden. Chaotische Zustände. Mittendrin die Anklägerin, eine junge Juristin, unterstützt von einem griechischen Kollegen, die gegen ein Heer amerikanischer Anwälte kämpft und um das Leben ihres einzigen Zeugen fürchtet. Könnte man sich durchaus so vorstellen. Bleibt die Frage, ob die USA damit durchkommen.

Internationales Recht ist jetzt nicht unbedingt das spannendste Thema, aber der Autor schafft es, durch verschiedene ineinanderlaufende Handlungsstränge, das Interesse des Lesers auf konstant hohem Niveau zu halten. Und er ruft uns einmal mehr die Kriegsverbrechen Amerikas in Erinnerung, die selbst so hoch angesehene Ex-Präsidenten wie Obama mit seinen Drohnen an der Zivilbevölkerung nicht nur in Afghanistan begangen haben.

Wie ich es von Marc Elsberg erwartet habe, liefert er mit diesem Politthriller eine ebenso spannende wie interessante Lektüre ab, die meinen Eindruck von dieser rücksichtslosen Weltmacht einmal mehr untermauert.

Veröffentlicht am 12.03.2021

Eine berührende Liebeserklärung

Eine Formalie in Kiew
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Acht Jahre war Dmitrij Kapitelman alt, als er Mitte der neunziger Jahre mit seiner Familie als Kontingentflüchtling aus der Ukraine in Deutschland ankam. Mittlerweile ist er 34 und denkt, dass es an der ...

Acht Jahre war Dmitrij Kapitelman alt, als er Mitte der neunziger Jahre mit seiner Familie als Kontingentflüchtling aus der Ukraine in Deutschland ankam. Mittlerweile ist er 34 und denkt, dass es an der Zeit ist, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Gedacht, getan, die benötigten Dokumente hat er beisammen. Aber er hat nicht mit der deutschen Bürokratie gerechnet, die zusätzlich noch eine Apostille braucht, sprich ein Beglaubigungsdokument, das deren Echtheit bestätigt. Mir fiel dazu sofort der Songtext von Reinhard Meys „Ein Antrag auf Erteilung eines Antragformulars ein“. Und diese Apostille gibt es nur in seiner Geburtsstadt. Also macht er sich auf nach Kiew, versehen mit den guten Ratschlägen seiner Eltern.

Diese Reise in die Vergangenheit ist bittersüß. Es sind nicht nur die Erinnerungen, die er mit der Realität abgleicht, sondern auch das, was ihm über die Ukraine vermittelt wurde. Und gleichzeitig wird ihm immer mehr die Kluft bewusst, die sich zwischen ihm, dem „Demokratiedeutschen“ und seinen Eltern aufgetan hat.

Die Eltern, die eigentlich nie wirklich in Deutschland angekommen sind, noch immer in diesem Niemandsland zwischen alter und neuer Heimat hängengeblieben sind, ihre Identität und sich selbst verloren haben. Die Mutter, die kein Interesse mehr an dem hat, was um sie herum geschieht und deren Lebensinhalt mittlerweile nur noch die unzähligen sibirischen Katzen sind, mit denen sie sich umgibt. Der Vater, dem seine einstige Fröhlichkeit und Aufgeschlossenheit abhanden gekommen ist und der sich mehr und mehr in sich selbst zurückzieht, in ein Land, zu dem nur er Zugang hat.

Auch wenn Kapitelman ein guter Beobachter ist, mit Wortwitz und Ironie die Absurditäten der ukrainischen Gegenwart analysiert, so liegt doch über all dieser Unbeschwertheit eine tiefe Traurigkeit. Und so wird aus dieser Suche nach den Wurzeln eine berührende, nie kitschige Liebeserklärung an seine Eltern, denn jetzt versteht er.

Veröffentlicht am 11.03.2021

Schweigen, wo Reden angebracht wäre

Unter Wasser Nacht
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Die Älteren unter uns kennen das Wendland, diese ursprüngliche, vom Wasser geprägte Landschaft am Rand der Lüneburger Heide, vielleicht noch aus den Protestaktionen der Anti-AKW-Bewegung. Wir sind damals ...

Die Älteren unter uns kennen das Wendland, diese ursprüngliche, vom Wasser geprägte Landschaft am Rand der Lüneburger Heide, vielleicht noch aus den Protestaktionen der Anti-AKW-Bewegung. Wir sind damals mitmarschiert, so wie auch die beiden Paare Sophie und Thies und Bodo und Inga, die im Zentrum der Handlung stehen. Mittlerweile sind die Freunde im bürgerlichen Leben angekommen, bewirtschaften gemeinsam einen Hof, haben geheiratet und Kinder bekommen. Aber das Idyll hat Risse, denn während aus Jella und Lasse Vorzeigekinder und der ganze Stolz ihrer Mutter Inga wurden, hat sich Aaron, der Sohn von Sophie und Thies, zu einem aggressiven Problemkind entwickelt, das speziell seine Mutter so manches Mal an den Rand der Verzweiflung bringt. Doch dann verschwindet er spurlos, bis einige Tage später seine Leiche aus der Elbe gefischt wird. Niemand steckt den Tod eines Kindes einfach weg, am wenigsten die Eltern, die daran zu zerbrechen drohen. Jede/r ist für sich allein mit seiner Trauer. Die Stimmung verändert sich erst wieder mit der Ankunft einer jungen Frau, die ihre Kindheit inmitten der turbulenten Protestbewegung verbracht hat. Mit ihrem Blick zurück in die Vergangenheit wirbelt sie reichlich Staub auf, bringt Vergessenes und Verdrängtes ans Licht und zwingt so die Beteiligten, sich unliebsamen Wahrheiten zu stellen.

Zentrales Thema dieses Romans ist die Sprachlosigkeit der Menschen, aber auch das Unvermögen oder vielleicht auch die mangelnde Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit problematischen Situationen. Dies zeigt uns die Autorin durch die Perspektivwechsel, bei denen man peu à peu in das Innerste der Hauptfiguren eintaucht, ihr Verhalten und ihre Ängste in dieser Ausnahmesituation miterlebt, ihr Schweigen, wo Reden angebracht wäre. Eine Familiengeschichte, geplottet mit psychologischem Feingefühl, deren Dramatik sich erst allmählich entfaltet. Atmosphärisch dicht durch die gelungenen Landschaftsbeschreibungen, die sich nahtlos in die Seelenzustände der Protagonisten einfügen. Lesen!

Veröffentlicht am 11.03.2021

Liebeserklärung und Anklageschrift

Als ich einmal in den Canal Grande fiel
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Das Buch ist keine bloße Liebeserklärung an Venedig, sondern vor allem eine zornige Anklageschrift, die beim Namen nennt, was für die Zerstörung von Reskis Wahlheimat, der „Serenissima“, verantwortlich ...

Das Buch ist keine bloße Liebeserklärung an Venedig, sondern vor allem eine zornige Anklageschrift, die beim Namen nennt, was für die Zerstörung von Reskis Wahlheimat, der „Serenissima“, verantwortlich ist. Und was sie beschreibt, kann ich bestätigen. Unser einziger Besuch in der Lagunenstadt liegt zwanzig Jahre zurück, aber bereits damals zeichnete es sich ab, dass der verantwortungslose Umgang der Lokalpolitik mit den Schätzen Venedigs dieses Kleinod in ein Freiluft-Disneyland verwandeln würde.

Unfähige und korrupte Politiker, die mit dem Großkapital klüngeln und die staatlichen Immobilien an den Meistbietenden verhökern, natürlich ohne Nutzungsauflagen. Das Megaprojekt Mose, das nicht nur nachhaltig das Ökosystem der Lagune zerstört hat sondern durch seine nicht durchdachte Konstruktion dafür sorgen wird, dass die Überschwemmungen zukünftig wesentlich heftiger ausfallen und die Pegelstände höher als in der Vergangenheit sein werden. Die Verbreiterung der Fahrrinne für die mehr als 500 Kreuzfahrtschiffe, deren Passagiere alljährlich die Stadt überschwemmen und dafür sorgen, dass die Läden des täglichen Bedarfs nach und nach verschwinden, weil es gewinnbringender ist, Touristenkitsch aus Fernost zu verkaufen. Tourismus ist das goldene Kalb, ein Fluch für die Einheimischen, die keine bezahlbaren Wohnungen finden, weil die Besitzer lieber lukrative AirBnB Quartiere daraus machen. Die veränderte Infrastruktur sorgt für einen Exodus Richtung Festland. Weitgehend unberücksichtigt lässt Reski allerdings diejenigen, die sich keine „Adelsetage“ im Palazzo bzw. dessen originalgetreue Renovierung leisten können. Wenn mir alljährlich die Wohnung überschwemmt würde, würde ich auch die Koffer packen und dorthin umziehen, wo die Füße trocken bleiben.

Doch es könnte auch ganz anders kommen. „Venedig eilt der Entwicklung voraus“, sagt der Venezianer, ist eine Stadt der Moderne, in der Nachhaltigkeit schon immer groß geschrieben wurde (S. 204). Bleibt zu hoffen, dass dies auch die Verantwortlichen endlich erkennen und danach handeln.

Veröffentlicht am 10.03.2021

Das Vergangene ist nicht vergessen

Sommernacht
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Es ist der Tag vor der Hochzeit von Jules und Will. Jules, die Herausgeberin eines erfolgreichen Lifestyle Magazins, er der smarte Star einer Reality TV Serie. Es soll ein Jahrhundert-Ereignis werden, ...

Es ist der Tag vor der Hochzeit von Jules und Will. Jules, die Herausgeberin eines erfolgreichen Lifestyle Magazins, er der smarte Star einer Reality TV Serie. Es soll ein Jahrhundert-Ereignis werden, Freunde und Familie sind zu den Feierlichkeiten auf eine kleine Insel vor der irischen Küste geladen. Alles exklusiv, alles teuer, alles bis ins Detail getaktet. Aber manchmal schreibt das Leben seinen eigenen Plan. Alte Animositäten kommen ans Licht, brechen sich Bahn und enden schließlich mit einem gewaltsamen Todesfall.

So weit, so konventionell, und die Geschichte braucht einige Zeit, bis sie in Fahrt kommt, bis alle Backstories erzählt und aufgedröselt sind. Die vier Schulfreunde aus dem Eliteinternat, das Paar, dessen Ehe auf der Kippe steht, die Trauzeugen, die mit ihren Dämonen kämpfen, die beiden Besitzer der Insel, die als Hochzeitsplanerin und Koch fungieren. Und nicht zuletzt die abgelegene und in sich geschlossene Insel mit ihrer mysteriösen und dunklen Atmosphäre.

Der Aufbau ist fast schon schematisch für eine „closed room“ Story, wie wir sie beispielsweise von Agatha Christie kennen, aber dennoch gekonnt getaktet. Das erste Drittel stellt die Personen vor, liefert eher oberflächliche Informationen zu deren Lebensumständen. Teil zwei steigt tiefer in deren persönliche Geschichten ein, schildert traumatische Ereignisse, bis schließlich im letzten Drittel das Tempo spürbar anzieht, die Abschnitte kürzer werden und auf die unausweichliche Katastrophe zusteuern.

Foley lässt alle Beteiligten nach und nach zu Wort kommen, entwickelt deren persönliche Tragödien behutsam, fast schon bedächtig, legt den Schwerpunkt auf die Charakterisierung der Personen und lässt uns so an deren innersten Empfindungen teilhaben, eher eine Ansammlung psychologischer Profile als ein tempogetriebener Thriller. Geheimnisse, Ängste, Lügen, alles unter dem Deckel gehalten und schließlich in einem Akt brutaler Gewalt endend. Alles in allem ein Tick zu viel Tragödie, aber dennoch eine spannende Lektüre.