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Veröffentlicht am 19.11.2023

Auge um Auge

Klytämnestra
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Madeline Miller hat 2018 mit „Ich bin Circe“ erfolgreich den Reigen der Nacherzählungen griechischer Mythologie eröffnet. In der Zwischenzeit haben aber auch andere Autorinnen dieses nun nicht mehr unbeackerte ...

Madeline Miller hat 2018 mit „Ich bin Circe“ erfolgreich den Reigen der Nacherzählungen griechischer Mythologie eröffnet. In der Zwischenzeit haben aber auch andere Autorinnen dieses nun nicht mehr unbeackerte Feld für sich entdeckt, und so gibt es nun auch in der Belletristik weitere unverstellte Blicke und Neuinterpretationen interessanter und rebellischer Frauen der Sagenwelt wie z.B. Ariadne, Elektra oder Atalanta. Gemeinsam ist ihnen ein von Männern vorbestimmter Lebensweg ohne Mitspracherecht, aber auch der starke Wille, sich aus einem von männlicher Dominanz geprägten Leben zu befreien und eigene Wege zu gehen.

Nun also gesellt sich „Klytämnestra“ zu diesem illustren Kreis. Mutter von Iphigenie, Orestes, Elektra und Chrysothemis, Gattin des Agamemnon, König von Mykene, der ihren ersten Mann und kleinen Sohn getötet hat, nun Anführer im Trojanischen Krieg, der die gemeinsame Tochter Iphigenie ohne Zögern opfert, um die erzürnte Göttin Artemis zu besänftigen. Klytämstra, in tiefer Trauer aber auch seit langem voll unbändiger Wut, besinnt sich auf ihre Herkunft als starke Spartanerin, schmiedet Rachepläne und beschließt, Agamemnon nach seiner Rückkehr aus Troja zu töten.

Costanza Casati, italo-amerikanische Autorin, ausgebildet in Altgriechisch und antiker griechischer Literatur, hat für ihr Debüt die dramatischen Eckpunkte im Leben dieser faszinierenden Kämpferin herausgegriffen und diese so verdichtet, dass daraus die Härte, die Kompromisslosigkeit und das Wachsen ihrer Protagonistin sichtbar wird. Eine logische Entwicklung hin zu deren Freiheit und selbstbestimmtem Handeln. Der Ansatz, mit dem sie das weibliche Leben in diesen archaischen Männerwelten unter die Lupe nimmt, ist zeitgemäß und feministisch, lässt aber mit Blick auf Klytämnestras Aufwachsen in Sparta durchaus erkennen, dass ihre spätere Stärke bereits in jungen Jahren angelegt wurde.

Eine interessante, spannende und lesenswerte Nacherzählung, in der eine der interessantesten Frauenfiguren der griechischen Mythologie im Mittelpunkt steht. Lesen!

Veröffentlicht am 13.11.2023

Robin Undercover

Das strömende Grab
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War der Vorgänger „Das tiefschwarze Herz“ noch ein sperriger, anstrengend zu lesender Krimi aus den Tiefen der Online-Welt, ist J.K. Rowling aka Robert Galbraith mit „Das strömende Grab“ ein fesselnder ...

War der Vorgänger „Das tiefschwarze Herz“ noch ein sperriger, anstrengend zu lesender Krimi aus den Tiefen der Online-Welt, ist J.K. Rowling aka Robert Galbraith mit „Das strömende Grab“ ein fesselnder Pageturner gelungen, in dem sie ein Horror-Szenario für Robin Ellacott geschaffen hat, das an die Nieren geht.

Sir Colin Edensor, ein besorgter Vater, dessen labiler Sohn Will den Kontakt zur Familie abgebrochen und sich der Glaubensgemeinschaft UHC angeschlossen hat, bittet Cormoran Strike um Hilfe. Er soll Will aus den Fängen der Sekte befreien, die es offensichtlich darauf angelegt hat, mit zweifelhaften Mitteln dessen Treuhandfond zu leeren. Strike zögert, bedeutet es doch, dass dieses Vorhaben nur dann gelingen kann, wenn sich jemand aus der Detektei ins Zentrum des Hurrikans begibt. Robin hingegen ist redet ihm zu, den Auftrag zu akzeptieren und erklärt sich bereit, diesen Part zu übernehmen, hat sie doch in der Vergangenheit ihr Talent als Undercover-Ermittlerin bewiesen. Wäre sie sich aber dessen bewusst gewesen, was sie auf dem abgelegenen Bauernhof in Norfolk erwarten würde, hätte sie sicher nicht so blauäugig ihren Einsatz angeboten.

1300 Seiten bieten Frau Rowling natürlich sehr viel Raum, um nicht nur die Geschichte von Robins Aufenthalt in der UHC zu erzählen, sondern auch noch zahlreiche Nebenhandlungen einzuarbeiten. Ob dies unbedingt nötig war, sei dahingestellt aber zumindest der Verzicht auf den Stalking-Fall wäre meiner Meinung nach kein großer Verlust gewesen, da dieser lediglich unnützen Umfang generiert und keine Verbindung zur irgendeinem der angeschnittenen Themen hat.

Was allerdings gut gelungen ist und sich offensichtlich an den Berichten von Aussteigern orientiert, sind die Beschreibungen der Vorgänge innerhalb der Sekte. Gehirnwäsche und Nötigung, der komplette Verlust der Privatsphäre, angeordneter Arbeitseinsatz bis zur völligen Erschöpfung, grausamer Bestrafung bei der Verletzung/Nichteinhaltung der (absurden) Regeln, Missbrauch. All dies ist Teil des geschilderten Alltags, den Robin auf der Farm durchlebt und den Rowling so anschaulich beschreibt, dass man passagenweise den Atem anhält, mitfiebert und hofft, dass sie den Aufenthalt unbeschadet übersteht.

Ach ja, und dann ist da natürlich noch das Privatleben der beiden Protagonisten, Strikes familiäre Störfeuer oder das erneute Auftauchen seiner Ex Charlotte oder die Probleme, die sich aus einem unüberlegten Two-Night-Stand ergeben, während sich Robin auf eine Beziehung zu einem Polizisten eingelassen hat, die mit Sicherheit nicht von Dauer sein wird.

Alles in allem ein spannender, unterhaltsamer Krimi, der trotz mancher Längen meine Erwartungen erfüllt und mir aufgrund des Umfangs eine veritable Sehenscheidenentzündung beschert hat.

Veröffentlicht am 30.10.2023

Gegen die Stigmatisierung der Einsamkeit

Die einsame Stadt
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Wie fühlt es sich an, wenn man der Liebe wegen die Koffer packt und sein vertrautes Leben aufgibt, um zukünftig in New York zu leben? Wenn man die Heimat verlassen hat, nur um dann festzustellen, dass ...

Wie fühlt es sich an, wenn man der Liebe wegen die Koffer packt und sein vertrautes Leben aufgibt, um zukünftig in New York zu leben? Wenn man die Heimat verlassen hat, nur um dann festzustellen, dass es mit diesem Partner nicht funktioniert? Wenn man zwar die Millionen Menschen der Metropole um sich herum hat, aber sich dennoch einsam und verlassen fühlt? Kapituliert man und setzt sich in den nächsten Flieger zurück, oder bietet man dieser Situation die Stirn?

Olivia Laing, die englische Journalistin und Autorin, wählt einen dritten Weg und verarbeitet ihr Gefühl der Einsamkeit und Isolation in „Die einsame Stadt. Vom Abenteuer des Alleinseins“, einem beeindruckenden Werk, gleichzeitig Memoir und geschliffener Blick auf Werk und Leben diverser Künstler, allen voran Edward Hopper, dessen Gemälde allesamt eine Abgeschnittenheit von der Außenwelt vermitteln, in der sie sich wiedererkennt.

Aber auch Andy Warhol, David Wjnarowicz und Henry Darger (plus Klaus Nomi, der allerdings eine Sonderrolle einnimmt) finden ihr Interesse. Und so taucht sie in deren Leben ein, studiert ihre Biografien und setzt sich mit ihrem künstlerischen Schaffen auseinander, bewegt sich kreuz und quer durch New York, schaut sich in Museen die Werke an und gräbt in Archiven nach Informationen. Die Übertragung des eigenen Problems auf das Leben dieser Künstler ermöglicht es Laing, einerseits auf Distanz zu gehen und andererseits eine lohnende Beschäftigung zu haben, die ihre Schaffensfreude anfacht und schließlich dafür sorgt, dass sie diese Stigmatisierung der Einsamkeit hinter sich lassen und das Alleinsein im urbanen Raum als bereichernde Erfahrung annehmen kann.

Ein sehr gelungenes Buch. Persönlich, tiefsinnig, interessant und informativ, speziell dann, wenn man sich für die genannten Künstler und deren Werk interessiert (umfangreiche Bibliografie am Ende des Buchs inklusive). Lesen!

Veröffentlicht am 28.10.2023

Von Liebe und Schuld

Der späte Ruhm der Mrs. Quinn
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Ich bin ein großer Fan der englischsprachigen Koch- und Backwettbewerbe, die bei den Streaming-Diensten zu sehen sind, da diese Produktionen bei weitem nicht so dümmlich Dialog lastig wie die deutschen ...

Ich bin ein großer Fan der englischsprachigen Koch- und Backwettbewerbe, die bei den Streaming-Diensten zu sehen sind, da diese Produktionen bei weitem nicht so dümmlich Dialog lastig wie die deutschen Produktionen bei den Privaten daherkommen. Von daher war mein Interesse gleich geweckt, als ich die Verlagsvorschau für Olivia Fords Debüt „Der späte Ruhm der Mrs Quinn“ entdeckt habe.

Jennifer Quinn und ihr Ehemann Bernard leben in einem kleinen englischen Dorf. Sie sind fast sechzig Jahre verheiratet und gemeinsam alt geworden. Bernard ist gesundheitlich leicht angeschlagen, sucht keine Herausforderungen mehr, er ist mit ihrem beschaulichen Leben zufrieden. Pantoffeln, die Zeitung, eine Tasse Earl Grey und dazu der leckere Kuchen, den seine Frau gebacken hat, so lässt es sich aushalten. Jenny hingegen fragt sich, ob das schon alles gewesen sein kann. Was wird sie hinterlassen wird, wenn das Leben zu Ende geht? Einmal noch möchte sie aus dem alltäglichen Trott ausbrechen, etwas nur für sich tun. Und so beschließt sie sich als Kandidatin für die Fernsehsendung „Das Backduell“ zu bewerbe. Bernard sagt sie davon nichts, er soll ja nicht das Gefühl haben, dass sie mit dem gemeinsamen Leben unzufrieden wäre. Und außerdem hat sie Angst davor, dass sie scheitert und/oder sich lächerlich macht.

In jeder Zeile dieses Romans fühlt man die große Empathie, die Olivia Ford diesen Menschen entgegenbringt. Man sieht die alte Dame vor sich, die in der Küche vor sich hin werkelt, man spürt die Zweifel, die sie hat, als sie sich fragt, ob ihre Bewerbung nicht allzu optimistisch war und man merkt ihr die leise Besorgnis an, als Bernard von der Diagnose seines Arztes erzählt. Sie kann sich nicht vorstellen, allein zurückzubleiben, falls er je vor ihr sterben sollte. Gedanken, die jede/r schon einmal hatte, der in einer langen Beziehung lebt. Es ist das Backen, das ihr in diesen dunklen Stunden Ablenkung und Trost bietet.

Die Autorin beschreibt nicht nur sehr anschaulich den Wettbewerb, sondern auch Jennys Gedanken, die sich in ruhigen Stunden anschleichen, wenn sie Bilanz zieht. Dabei bleibt Ford in ihren Beschreibungen warmherzig, vermeidet Kitsch und erzählt nicht nur von einer großen Liebe, sondern auch von Nichtgesagten und Schuldgefühlen, die sich über die Jahrzehnte aufgetürmt haben. Aber so wie ihre Protagonistin allmählich durch ihre Erfolge, aber auch durch die Rückschläge an Stärke gewinnt, findet sie auch im Privaten schlussendlich den Mut, reinen Tisch zu machen.

Ein rundum gelungener Wohlfühl-Roman mit einem liebenswerten Personen-Ensemble, bestens geeignet für trübe Herbsttage, das nebenbei noch wertvolle Anregungen für ambitionierte Hobbybäckerinnen bietet.

Veröffentlicht am 25.10.2023

Inside Social Media

Unfollow Stella
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Patsy Logan, die sympathische deutsch-irische Kommissarin, kenne ich schon seit ihrer Zeit beim Münchner LKA, als sie noch davon ausging, den nächsten Schritt auf der Karriereleiter zu machen. Aber sie ...

Patsy Logan, die sympathische deutsch-irische Kommissarin, kenne ich schon seit ihrer Zeit beim Münchner LKA, als sie noch davon ausging, den nächsten Schritt auf der Karriereleiter zu machen. Aber sie hatte nicht mit ihrem hinterhältigen Kollegen Stani gerechnet, der ihr nicht nur die Stelle des Dezernatsleiters vor der Nase wegschnappte, sondern auch noch dafür verantwortlich ist, dass man sie für eine einjährige „Bildungskarenz“ in Dublin aus dem Verkehr gezogen hat.

Kurze Zusammenfassung des Status Quo: die Karriere auf Eis, die Ehe vor dem Aus, der Kinderwunsch erledigt. Ist Patsy deshalb angezählt? Mitnichten, und deshalb zögert sie auch nicht als Sam Feurstein, Polizeiattaché der österreichischen Botschaft, sie kontaktiert. Er benötigt ihre professionelle Unterstützung im Vermisstenfall Stella Schatz, beschäftigt in einer Content-Agentur und seit kurzem spurlos verschwunden. Noch haben Sam und Patsy keine Vorstellung davon, was sie erwartet, als sie im Zuge ihrer Nachforschungen in die Untiefen der Sozialen Medien eintauchen und in derem widerlichen Schlamm wühlen müssen…

Dass sowohl Patsy Logan als auch Ellen Dunne wesentlich mehr zu bieten haben, als wir in den ersten beiden Bänden lesen konnten, war für mich seit Band 1 offensichtlich. Honoriert wurde das mit dem Glauser-Preis 2023 für „Boom Town Blues“ (Band 3 der Reihe).

Die wahre Qualität der Autorin zeigt sich nämlich dann, wenn sie in ihren Kriminalromanen gesellschaftlich relevante Themen behandelt. In „Unfollow Stella“ ist das nicht nur die Realität jenseits der Katzenbilder von Social Media, sondern auch das Geschäftsgebaren der Multinationals, allen voran die Big Player unter den IT-Firmen, die in der Dubliner Steueroase seit Jahrzehnten ihre Profite ohne Rücksicht auf das Wohlergehen ihrer Angestellten maximieren.

Vergessen wir nicht Patsy Logan, die sympathische Protagonistin mit ihrer lässigen Art und lockeren Zunge, in Ermittlungen aber absolut fokussiert auf den Fall. Eine, die sich immer wieder durch ihr spontanes Handeln in Situationen hineinmanövriert, aus denen sie nicht ohne Blessuren herauskommt. Und damit meine ich nicht nur aufgeschürfte Knie und blaue Flecken.

Außerdem gibt es noch immer einen ungeklärten Handlungsstrang, nämlich den Verbleib von Patsys Vater, die Ungewissheit über sein Schicksal. Vor vielen Jahren ist er von heute auf morgen spurlos verschwunden, hat angeblich den Tod in der rauen Irischen See gesucht. Ob dem tatsächlich so ist, werden wir hoffentlich bald in der Fortsetzung der Reihe erfahren. Ich warte gespannt darauf und hoffe inständig, dass Patsy Logan nicht nach Deutschland zurückkehrt, sondern sich dazu entschließt, ihren Lebensmittelpunkt nach Dublin zu verlagern.

So oder so, für mich war „Unfollow Stella“ (btw ein etwas seltsamer Titel) ein Highlight in der Masse der Herbst-Neuerscheinungen. Bitte mehr davon!