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Veröffentlicht am 06.04.2021

Großartiger Roman

Hard Land
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„In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“

Sam ist fünfzehn und lebt 1985 in Grady, einer Kleinstadt in Missouri. Seine Mutter ist unheilbar an Krebs erkrankt. Der Junge möchte nicht ...

„In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“

Sam ist fünfzehn und lebt 1985 in Grady, einer Kleinstadt in Missouri. Seine Mutter ist unheilbar an Krebs erkrankt. Der Junge möchte nicht ständig mit der Sorge um sie konfrontiert werden. Er nimmt deshalb einen Ferienjob in einem alten Kino an und schließt dort Freundschaft mit Cameron, Hightower und Kirstie, die ebenso im Kino arbeiten. Der Sommer mit den drei Schulabsolventen, mit Kinofilmen, Musik, Feiern, Mutproben, der Sommer, in dem Sam den 49 Geheimnissen seiner langsam verschwindenden Heimatstadt Grady auf den Grund geht und in dem er sich verliebt, wird für immer unvergesslich bleiben. Doch dann bringt ein Unglück Sam auf den Boden der Tatsachen zurück.

Benedict Wells schreibt aus der Sicht seiner Hauptfigur Sams. Und das tut er er auf beeindruckend prägnante, klare, für mich meisterhafte Erzählweise. Immer wieder formuliert er erstaunliche Sätze, die so einfach wie wahr sind, die ich immer und immer wieder lesen wollte.

Protagonist Sam ist eine wunderbare Figur. Er mausert sich vom unscheinbaren, schüchternen Jungen zum jungen Erwachsenen. Sam war mir von Anfang an sehr nah. Ich konnte ganz genau nachvollziehen, wie er sich fühlt. Mehr noch ich habe die Emotionen, die Sam empfindet beim Lesen beinahe selbst empfunden, so authentisch und berührend schildert er sie.
Sams todkranke Mutter, die so weise und lebensklug wirkt, die so viel Verständnis für ihren Sohn hat, die ihn jederzeit ernst nimmt und stärkt, hat mir sehr imponiert.
Aber auch mit anderen Figuren wie Kirstie oder Cameron hat Sam sehr wertvolle, bereichernde Gespräche, die ihn bewegen und verändern.

Eigentlich geht es in „Hard Land“ doch nur um einen Sommer. Aber es ist eben nicht irgendein Sommer, sondern der Sommer, den es nur einmal im Leben gibt: Ein magischer Sommer, von dem Sam sich wünscht, dass er nie enden soll und ein schreckliche Sommer, der gleichzeitig nie hätte sein sollen.
Selten habe ich einen Roman mit einer derartig einnehmenden Atmosphäre gelesen. Benedict Wells fängt den „Zauber eines Sommers“ exakt ein. Im Hintergrund erklingen Songs von Journey oder Bruce Springsteen, Marty Mac Fly reist auf der Kinoleinwand in die Vergangenheit seiner Eltern und das Lebensgefühl der 80er ist auch überall sonst in der sterbenden Stadt Grady präsent.

Die gesamte Handlung, der Aufbau des Romans ist für mich absolut stimmig und rund, alles passt perfekt zusammen. Während Sam sich in der Schule mit dem Gedichtband „Hard Land“ des aus Grady stammenden Autors William Morris und den darin erwähnten 49 Geheimnissen von Grady befasst, erlebt er selbst seine persönlichen Geheimnisse in einem Grady, das seine besten Zeiten längst hinter sich hat. Immer wieder nimmt die Handlung des Romans selbst Bezug zu Gesprächen von Sam mit anderen Charakteren auf, seien es Dialoge über Gedichte, Gefühle, die Vergangenheit oder erste Sätze von Romanen. Kirsties Wortschöpfung Euphancholie, eine Mischung aus Euphorie und Melancholie, fasst beispielsweise genau die Stimmung zusammen, die „Hard Land“ auszeichnet. Es ist schwer zu beschreiben, was diesen Roman so grandios macht. Man sollte ihn wohl einfach lesen und es selber herausfinden.

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Veröffentlicht am 05.04.2021

Bezauberndes, liebevoll gestaltetes Wimmelbuch mit motivierenden Reimen

Wer wohnt denn da im tiefen Wald?
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Im Bärenwald ist das ganze Jahr über viel los: Da blühen alle pflanzlichen und tierischen Bewohner im Frühling auf, gemeinsam wird der Frühjahrsputz in Angriff genommen, die Tierkinder besuchen die Waldschule, ...

Im Bärenwald ist das ganze Jahr über viel los: Da blühen alle pflanzlichen und tierischen Bewohner im Frühling auf, gemeinsam wird der Frühjahrsputz in Angriff genommen, die Tierkinder besuchen die Waldschule, das Kaninchen feiert Geburtstag, im Sommer findet ein Sportfest statt, alle Waldtiere genießen die Sonne oder erfrischen sich beim Schwimmen am See, es wird gepicknickt, Theater gespielt, die Tiere feiern ein Herbstfest, erleben einen kühlen Regentag, malen gemeinsam in den letzten sonnigen Herbsttagen Bilder, sitzen am Lagerfeuer, machen Wintersport, organisieren ein Winterfest oder schlafen am Ende gemütlich und ganz ruhig in ihren Höhlen in einer kalten Winternacht.

Auf jeder Doppelseite erzählt Autorin Rachel Piercey in einem treffenden, gelungenen Gedicht von der dargestellten Situation. Die Reime sind für Kinder eingängig, motivierend und gut verständlich formuliert. Einige wichtige Wörter des Gedichts werden hervorgehoben und sind in einer anderen Schriftart gedruckt. Auf jeder Seite gibt es konkrete Aufträge, nach bestimmten Motiven Ausschau zu halten. Da sollen die jungen Leser z.B. eine Eule finden, die versucht zu schlafen oder Oma Kaninchen, die dekoriert. Am Ende ist noch ein kleiner „Naturlehrpfad“ mit Bildausschnitten aus den vorherigen Seiten angehängt. Zu Stichpunkten wie „Blätter“ oder „Höhlen“ sind kurze, interessante Informationen zum Thema zusammengefasst, teils werden auch Anregungen zum Forschen oder kleine Rätsel angeboten. Die Kinder erhalten also auch einige Sachinformationen rund ums Thema „Wald“.

Freya Hartas hat wunderschöne Bilder zum Verlieben gestaltet. Es macht Spaß, sich in den lebendigen, idyllischen Illustrationen zu verlieren. Sie sind so reich an Details, dass man immer wieder Neues entdeckt. So wird das Buch niemals langweilig.
Kinder ab drei Jahren sollten das Buch gemeinsam mit Erwachsenen anschauen, die ihnen die Gedichte und Suchaufträge vorlesen können, ältere Kinder im Grundschulalter gehen vermutlich lieber alleine auf Entdeckungsreise.
Das Buch ist ausgesprochen „schön“ und hochwertig aufgemacht. Die Seiten sind allerdings recht dünn und nicht so robust wie bei Pappwimmelbüchern für kleinere Kinder. Dafür ist das Buch mit 40 Seiten sehr umfangreich. Die Schrift auf dem ansprechenden Cover ist teils in Gold geprägt. Schon am Titelbild konnten meine Kinder und ich uns einfach nicht sattsehen.
Ein kleines Manko des Buchs ist, dass manche Teile der Bilder nicht ganz genau betrachtet werden können, weil sie sich direkt im Falz befinden. Gerade auf den ersten Seiten wölbt sich in der Mitte der Doppelseite das Papier recht stark und muss ganz vorsichtig glattgestrichen werden, um die gesamte Szene genießen zu können.

Ein wirklich besonderes, zauberhaftes, umfangreiches und vielfältiges Wimmelbuch, an dem kleine und große Leser sicher sehr lange Freude haben werden. Für uns ein echtes Wimmelbuch-Highlight.

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Veröffentlicht am 03.04.2021

Ein Hoch auf den einzigartigen, genial-witzigen König Eddi

King Eddi und das Monster von Krong
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Gerade sitzt König Eddi wenig enthusiastisch beim Essen vor einem Berg aus gesundem Gemüse, als ihn spektakuläre Nachrichten erreichen. Der Wulitz, ein extrem gefährliches, riesiges Monster mit unzähligen ...

Gerade sitzt König Eddi wenig enthusiastisch beim Essen vor einem Berg aus gesundem Gemüse, als ihn spektakuläre Nachrichten erreichen. Der Wulitz, ein extrem gefährliches, riesiges Monster mit unzähligen Augen macht das Eddiland unsicher. Natürlich muss Eddi als König das Monster vertreiben. Er möchte es im Zweikampf besiegen, um seine Untertanen zu beschützen. Doch der finstere Imperator Nurbison hat ganz andere Pläne und versucht, Eddi in eine Falle zu locken.

Andy Riley erzählt kindgemäß, in gut verständlicher, einfacher Sprache mit einem ganz eigenen, trockenem und extrem witzigen Humor. Sehr unterhaltsam sind z.B. die eigenen Wortschöpfungen des Autors wie „Nunst“, „Debel“ oder „Grässling“.
Die Schrift ist relativ groß gedruckt mit etwas weiterem Zeilenabstand. Oft variieren Schrifttypen und -größe, auf manchen Seiten finden sich auch Sprechblasen. Jede Seite enthält großflächige teils beschriftete, comicartige Illustrationen, so dass die Leser sich nicht von der Menge des Textes abschrecken lassen müssen und dabei zusätzlich motiviert werden, den Text zu lesen, um zu erfahren, welche absonderliche Situation da denn genau im Bild dargestellt wird. Überhaupt sind die Zeichnungen des Autors überaus amüsant anzuschauen. Wenn auf der einführenden Landkarte neben der Burg des Imperators oder dem Dorf ein einzelner Kieselstein oder ein „mies gelaunter Fisch“ eingezeichnet ist, dann ist das schon echt komisch. Und komisch geht es garantiert auf jeder einzelnen folgenden Seite weiter.
Zum Vorlesen ist das Buch für Kinder ab fünf Jahren geeignet, Leseanfänger und Kinder, die sich mit dem Lesen schwer tun, können gemeinsam mit einem Erwachsenen abwechselnd lesen, sich z.B. am Entziffern der Sprechblasen versuchen oder nur die oft lautmalerischen Wörter und Ausrufe in Großbuchstaben vorlesen - am Ende gibt es als Extra noch einen witzigen Comicstrip. Fortgeschrittene Erstleser und Zweitklässler werden das Buch wahrscheinlich alleine bewältigen können, lediglich die Aussprache der englischen Namen und mancher nicht alltäglicher längerer Wörter wie „Heidekraut-Dunkeldistel-Unterplauz-Schmilli“ könnten ein kleineres Problem darstellen.

Die Figuren sind wirklich witzig und originell. Eddi ist ein König, der noch ein Kind ist und ausgefallene Vorstellungen hat, wie z.B. ein Zweikampf auszusehen hat oder was der ideale Reiseproviant ist. Eddi besticht durch seine genialen Einfälle und verliert nie den Mut, auch wenn es einmal richtig brenzlig wird. Begleitet wird Eddi von seiner Hofnärrin Megan, die mit schwerem Gepäck reist und ihrem König was vernünftiges, erwachsenes Verhalten betrifft nicht unbedingt Vorbild ist. Außerdem treten noch ein Einsiedler auf, vom dem niemand weiß, ob er unter seiner Haar- und Bartpracht bekleidet ist, ein bitterböser Imperator, den fiesesten Herrscher, den die Welt je gesehen hat und natürlich ein gigantischer, starker Wulitz mit unzähligen Augen.

Superkomisch und superspannend Eddis Reise zum Wulitz. Mein siebenjähriger Sohn geht momentan in die erste Klasse. Er hat mir die Geschichte vorgelesen, musste aber immer wieder dabei kichern, weil die Erzählweise ganz genau seinen Humor trifft. In der Geschichte geht echt ordentlich was ab und King Eddis drollige kindliche Naivität ist auch für mich als Erwachsene einfach nur zum Schießen. „King Eddi und das Monster von Krong“ ist alles andere als konventionell, manchmal ziemlich skurril und unterscheidet sich stark von den sonstigen oft etwas drögen Erstlesebüchern. Und nebenher erfahren die Leser, dass auch Gemüse einen ganz wichtigen Daseinszweck hat, ja durch nichts zu ersetzen ist. Hätten wir in der Nähe einen Hutladen, würden wir uns sofort einen Hut kaufen, um ihn in die Luft zu werfen und Eddi zuzujubeln. Mein Sohn ist restlos begeistert von King Eddi und ich bin es auch.

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Veröffentlicht am 03.04.2021

Wenn Märchengegenstände sich in die echte Welt verirren - magisch, abenteuerlich und auch noch witzig

Grimmskrams - Ein Klonk um Mitternacht
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Tom und seine Familie sind vor fünf Wochen in das moderne Hochhaus mitten in der Stadt gezogen, den Grimm Tower. Als Tom um Mitternacht von einem lauten „Klonk“ geweckt wird, ahnt er nicht, dass das der ...

Tom und seine Familie sind vor fünf Wochen in das moderne Hochhaus mitten in der Stadt gezogen, den Grimm Tower. Als Tom um Mitternacht von einem lauten „Klonk“ geweckt wird, ahnt er nicht, dass das der Beginn eines ganz besonderen Abenteuers ist. Gemeinsam mit seiner Nachbarin Milli steigt er auf das Dach und beobachtet eine Drohne, die eine Kiste auf dem Hubschrauberlandeplatz des Gebäudes abwirft. Die Kinder öffnen die Kiste und entdecken lauter merkwürdige Gegenstände, die sich wie von Zauberhand selbstständig machen. Die beiden versuchen zwar sofort alles wieder einzusammeln, doch die Suche erweist sich als überaus kompliziert und herausfordernd. Und was sind das überhaupt für seltsame Dinge? Natürlich müssen Tom und Milli das genauer wissen und kommen dabei nicht nur dem dubiosen Hausbesitzer Mister Grimm in die Quere.

Marikka Pfeffer und Miriam Mann erzählen kindgemäß und flüssig. Ich habe das Buch meinen Kindern vorgelesen, die im Altern von fünf bis neun Jahren sind. Wir fanden sofort einen Zugang zur Geschichte. Die äußere Aufmachung des Buches überzeugte uns ebenso auf Anhieb. Das Buch wirkt sehr hochwertig. Die Illustrationen sind in besonderem, individuellen Stil gezeichnet, die Figuren sehen ein wenig kantig aus, teils verniedlichend mit großen Augen, aber dennoch sehr ansprechend. Einige Bilder wie die Darstellung von Tom und Milli oder die Grafiken der Seiten mit den Kapitelüberschriften wiederholen sich zwar, aber trotzdem sind die Seiten generell motivierend und abwechslungsreich gestaltet. Das zweigeteilte wilde Cover zeigt sehr deutlich, dass es in der Geschichte einerseits dunkel und geheimnisvoll, anderseits fröhlich und abenteuerlich zugeht.
Leser ab neun Jahren dürften keine Probleme haben, das Buch selbstständig zu lesen. Zum Vorlesen ist die Geschichte auch schon für jüngere Kinder geeignet.

Tom und Milli sind wie Kinder so sind, aufgeweckt, abenteuerlustig und neugierig. Die Leser werden sie sicher schnell ins Herz schließen, sich rasch in sie und ihre Situation hineinversetzen können und mit ihnen mitfiebern.
Der düstere Mister Grimm wirkt dagegen viel furchteinflößender und irgendwie gruselig, fast wie ein böser Zauberer. Oder täuscht der erste Eindruck?
Unsere absolute Lieblingsfigur war allerdings eine andere. Über den Froschkönig und seine herrlich direkte, sehr witzige Art haben wir immer wieder schmunzeln müssen. Er bringt sehr viel Spaß in die Geschichte, ebenso tut das die etwas orientierungslos wirkende, aus der Zeit gefallene Frau Fee.

Als große Märchenfans haben wir sehr gerne und ausgiebig gerätselt, aus welchem Märchen denn nun die einzelnen magischen Gegenstände stammen, ein regelrechter Märchen-Rätsel-Krimi war das. Und auch sonst geht es sehr turbulent, ziemlich magisch und ganz schön nervenaufreibend zu.
Uns hat Toms und Millis erstes Abenteuer mit den verschiedenen Grimmskramsen wirklich prima unterhalten. Beim nächsten Mal sind wir sehr gerne wieder mit dabei.

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Veröffentlicht am 31.03.2021

Eine spannende Abenteuergeschichte und gleichzeitig ein Plädoyer für Mitgefühl und Hilfsbereitschaft

Calypsos Irrfahrt
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Der vierwöchige Mittelmeer-Segeltörn, den Oscar mit seinen Eltern auf der Calypso unternimmt, entwickelt sich völlig anders als erwartet. Die Familie entdeckt auf offener See zwei Kinder, Nala und Moh, ...

Der vierwöchige Mittelmeer-Segeltörn, den Oscar mit seinen Eltern auf der Calypso unternimmt, entwickelt sich völlig anders als erwartet. Die Familie entdeckt auf offener See zwei Kinder, Nala und Moh, die auf einem Rettungsring treiben und zieht die beiden aufs Schiff. Nala und Moh stammen aus dem Kongo, sind Geschwister und wollten mit weiteren Menschen auf einem Boot flüchten, fielen dabei aber über Bord. Oscars Eltern versuchen, die Geschwister in einem Auffanglager für Flüchtlinge unterzubringen. Doch in keinem der angesteuerten Häfen sind Flüchtlinge willkommen. Während der Fahrt gewinnt die Familie, allen voran Oscar, die beiden Kinder immer lieber. Doch die Kinder können nicht einfach bei ihren Rettern bleiben, der unvermeidliche, schmerzliche Abschied rückt jeden Tag ein Stück näher...

Cornelia Franz schreibt kindgemäß und sehr flüssig. Meine Kinder und ich fühlten uns sofort von der Geschichte angesprochen und hatten keine Schwierigkeiten, uns in das Geschehen hineinzuversetzen. Kinder ab zehn Jahre können das Buch sicher schon selbstständig lesen und verstehen. Sie werden aber vermutlich Fragen zum Thema, zu rechtlichen Regelungen und zu Mohs und Nalas Situation haben, daher empfiehlt es sich für die Eltern, das Buch ebenfalls zu lesen.

Alle Figuren in „Calypsos Irrfahrt“ sind sympathische, angenehme Charaktere. Da ist Oscar mit seinem großen Herz, der offen und neugierig auf andere, in diesem Fall auf Moh und Nala, zugeht, sofort bereit ist, mit ihnen zu teilen und auf ihre Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Auch Oscars Eltern zeigen viel Mitgefühl, setzen sich engagiert für die Kinder auf der Flucht ein und tun alles, was in ihrer Macht steht, um es für die Geschwister so angenehm und erträglich wie möglich zu machen. Moh und Nala haben Dinge erlebt, die kein Kind erleben sollte. Nala wirkt für ihr Alter erstaunlich reif und gefasst, sie ist selbstständig und zupackend und liebt ihren Bruder über alles. Moh hingegen kann die Erlebnisse der Vergangenheit nicht vergessen, er wirkt zappelig, sehnt sich nach seinen Eltern, findet einfach keine Ruhe. Im Laufe der Geschichte verändert sich die Beziehung der Familien untereinander, sie kommen einander näher und näher. Auch die Charaktere entwickeln sich durch die Geschehnisse weiter.

Ganz schön abenteuerlich und spannend geht es auf der Calypso zu. Unterwegs gerät die Familie in einen lebensgefährlichen Sturm. Über allem steht aber die Frage, wie es mit Moh und Nala weiter geht. Und was die beiden von ihren früheren Erlebnissen berichten, lässt sicher keinen Leser kalt.
Anfangs war ich skeptisch, ob das hochkomplexe, vieldiskutierte politische Thema „Flüchtlinge“ wirklich für ein Kinderbuch geeignet ist. Wie können Kinder etwas verstehen, das selbst Erwachsenen überfordert? Cornelia Franz ist es gelungen, einen ganz individuellen Bezug zum Thema herzustellen. Sie sensibilisiert ihre Leser dafür, dass es Menschen gibt, die nicht so eine privilegierte Ausgangsposition haben wie sie selbst, dass es manche Menschen alleine nicht schaffen können und auf die Hilfe anderer angewiesen sind und dass wir es trotz aller Umstände in der Hand haben, sie in irgendeiner Form zu unterstützen. Cornelia Franz Buch ist genauso eine mitreißende Abenteuergeschichte wie Plädoyer für Hilfsbereitschaft und Mitgefühl. Die Geschichte erhebt sicher nicht Anspruch, komplett realistisch zu sein, aber sie zeigt einfühlsam und ohne zu laut zu werden, dass es im Hinblick auf globale Probleme auch und vor allem im Kleinen darauf ankommt, an andere zu denken, sich für andere einzusetzen und ganz intuitiv für sie da zu sein. Für mich wurde das Buch ganz zu recht mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet.

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