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Veröffentlicht am 13.06.2021

Das Palais im politischen Kreuzfeuer

Palais Heiligendamm - Stürmische Zeiten
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Die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs stecken allen noch in den Knochen, als sich Deutschland wiederum als machthungrige Nation begreift mit dem absurden Ziel der Weltherrschaft. Mittendrin das Palais ...

Die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs stecken allen noch in den Knochen, als sich Deutschland wiederum als machthungrige Nation begreift mit dem absurden Ziel der Weltherrschaft. Mittendrin das Palais und die Familie Kuhlmann in der zweiten und dritten Generation, getrieben von der Armut vergangener Zeiten mit dem Glauben an eine bessere Zeit, welches sich schnell als Irrtum entpuppt.

1922- Das Palais erstrahlt in neuem Glanz, doch Gäste bleiben fern, bis sich die Möglichkeit ergibt, dass das wunderschöne Hotel in Bad Doberan als Kulisse für einen Blockbuster dient. So kommen sich auch Julius und Elisabeth wieder näher, wäre da nicht das Misstrauen, das sich zwischen sie gesellt. Paul hingegen zweifelt immer mehr an der Entscheidung für eine Ehe mit Helene und lässt sich in den Strudel der NSDAP ziehen in Form von Carl, der in von der neuen Ordnung der Welt überzeugt und so das Palais und seine ganze Familie in den politischen Strudel der Zeit zieht.

Der Stil ist leicht wie eh und je, die Handlung authentisch, der Beginn in Anknüpfung an Band 1 nachvollziehbar gezeichnet und somit nahezu nahtlos. Die Figuren sind gekennzeichnet durch die traumatischen Ereignisse des ersten Teils und wirken nicht mehr so sehr konzentriert auf lapidare Ereignisse. Elisabeth ist der jugendlichen Wildheit entwachsen und leitet nun das Palais mit großem Geschick und Selbstbewusstsein. Die Beziehung zu Julius ist angespannt und Elisabeth sowie er selbst stehen ihrem Glück wieder selbst im Weg. Paul kann seine wahre Gesinnung nicht weiter verheimlichen und sieht in Carl seine Möglichkeit auf ein glückliches Leben. Die politische Maschinerie ist der dominante Part der Erzählung und dadurch rückt das Palais und der Hotellerie Charme in den Hintergrund. Leider ist auch das Tempo der Geschichte sehr rasant, wo ich mir gerne noch Zeit gelassen hätte. Mir gefällt jedoch der bekannte Charme des ersten Teils und die weitere Integration geliebter Charaktere. Eine Empfehlung für Fans von leichten Erzählungen, familiären als auch politischen Verstrickungen und herzerwärmender Liebesgeschichten.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Geschichte
Veröffentlicht am 21.03.2021

Thriller mit Start/Stopp Funktion

Die Stimme der Rache
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Nach den ersten Zeilen war ich gefangen- in der Geschichte, in dem Moment, inmitten erstarrter Angst, Bewegungslosigkeit und der Hoffnung, dass es noch einen Ausweg gibt. So intensiv startet "Die Stimme ...

Nach den ersten Zeilen war ich gefangen- in der Geschichte, in dem Moment, inmitten erstarrter Angst, Bewegungslosigkeit und der Hoffnung, dass es noch einen Ausweg gibt. So intensiv startet "Die Stimme der Rache" von Ethan Cross, der zweite Band rund um Francis Ackerman Jr. und Nadia Shirazi, seine Partnerin des FBI.
Mitten im Nirgendwo von Virginia versucht November McAllister wiederum den Fängen des Black Rose Killers zu entwischen. Sie ist sein bisher letztes Opfer, jedoch das einzige, dass bisher entkommen konnte. In diesem Farmhaus sollte sie unter Polizeischutz gesichert in ein neues Leben starten, doch der Black Rose Killer hat sie aufgespürt und alle Polizisten getötet. Bevor Francis Ackerman Jr. und seine Partnerin Nadia am Tatort ankommen, ist er bereits verschwunden, mit November in seinen Fängen. Ein Katz und Maus Spiel beginnt mit einem Gegner, der Francis Ackerman würdig erscheint- grausam, skrupellos und kaum vorhersehbar.
Der Stil ist fesselnd und spannened, der Einstieg hat mich nicht mehr losgelassen. Die Sprache ist dabei leicht, einfach zu verfolgen und so entpuppt sich der Thriller schnell als Pageturner. Die Charaktere zeigen Tiefgang, vor allem Francis Ackerman mit seiner dunklen Vergangenheit lüftet immer wieder Geheimnisse und Geschichten, die ihn geformt haben und sein Wesen erklären. Nadia wird ebenfalls tiefergehend beleuchtet und wirkt dadurch nahbarer. Die Geschichte an sich hat für mich klare Höhen und Tiefen. Der fulminante Start mit dem intensiven Tempo und der schauderhaften Atmosphäre wird stellenweise pausiert und führte für mich sehr oft in Passagen, die Francis Ackerman in ein Licht stellen, dass zwischen Selbstbeweihräucherung und der Ergatterung von etlichen Sympathiepunkten schwankte. Zudem war für mich die Aufklärung zu früh und ich präferiere Thriller mit etlichen Wendepunkten, die mich zu überraschen vermögen. Der Einsatz von Gewalt ist sehr explizit und leider zu wenig mit dem Black Rose Killer verbunden. So erinnerte mich der Roman an die Start/Stopp Funktion eines Autos, hat mich somit zwischendurch immer wieder gewonnen, jedoch auch verloren, was in einer inkonsequenten Leseerfahrung mündete. Eine Empfehlung für Fans der Reihen von Ethan Cross, die sich bereits im Bann befinden.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
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  • Spannung
Veröffentlicht am 27.02.2021

Die Grenzen der Kommunikation

Sprich mit mir
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Faszination Schimpansen- ich konnte mich davon noch nie lossagen. Angefangen bei Bildern von Jane Goodall, die ihr Verhalten intensiv studierte, unter ihnen lebte und ihren Kampf für die Schimpansen bis ...

Faszination Schimpansen- ich konnte mich davon noch nie lossagen. Angefangen bei Bildern von Jane Goodall, die ihr Verhalten intensiv studierte, unter ihnen lebte und ihren Kampf für die Schimpansen bis heute führt, über Hollywood Filme und zahlreiche Dokumentationen. Die Frage, die immer wieder auftaucht, ist der grundlegende Unterschied zwischen Affen und uns, denn wenn wir allein den Faktor Erbgut betrachten, dann stimmt dieses zu 99% überein. Wo fängt das Tier sein an, wo hört es auf und gibt es die Möglichkeit einen Schimpansen so zu erziehen, dass wir ihn nicht mehr als Tier wahrnehmen, sondern als Mensch?

Genau diesem Thema widmet sich das neuste Werk von T.C. Boyle in "Sprich mit mir" vom Hanser Verlag in eindringlicher, herausfordernder Art und Weise, bewusst mit dem Ziel anzuecken, stellenweise zu übertreiben und mich sensibilisiert zurückzulassen.

Sam ist ein zweijähriger Schimpanse, der Menschen aufgrund seiner Aufzucht als Artgenossen auffasst, die Gebärdensprache dank seines Ziehvaters Dr. Schermerhorn in erstaunlicher Art und Weise beherrscht. Der Schimpansen Junge wird von eben diesem in der Nähe des Campus aufgezogen. Eine junge Frau mit Namen Aimee studiert dort und bewirbt sich zunächst auf einen Job als Hilfe für Sam. Schnell wird aus dem Job eine Passion, als jedoch der eigentliche Besitzer von Sam, Dr. Moncrief, in der Studie zur Erforschung der sprachlichen Interaktion zwischen Mensch und Tier nicht mehr den geforderten Erfolg sieht, holt er Sam kurzerhand ab, der von nun an für pharmazeutische Experimente herhalten soll. Aimee ist erschüttert und zögert nicht lange, bevor sie zu der abenteuerlichen Reise zur Rettung von Sam aufbricht, die ihr Leben nachhaltig verändern wird.

Der Stil ist leicht, einnehmend, zugleich intensiv, die Zeilen geladen voller Emotionen, Witz und Wahrhaftigkeit. Die aufgeworfenen Fragen sind essenziell und tiefgründig, führen den Leser immer wieder zurück zum Ziel des Projektes mit Sam- der Überwindung von nur tierischen Trieben hin zu einer gar menschlichen Kommunikationsbasis mit einer klaren Meinung von Seiten Sams, der es entsprechend auszudrücken weiß. Die Entwicklung und Interaktion mit dem Schimpansen ist mit viel Liebe zum Detail beschrieben und somit haben nicht nur die Protagonisten Tiefgang, sondern zugleich auch Sam durch die vielen Passagen, die ihm gewidmet sind, seinen Gefühlen, Launen und der Beziehungswelt, die er zu seinem Umfeld aufbaut. Für mich vordergründig ist die erstaunliche Reise der Figuren und die Ironie der Geschichte, die Achterbahnfahrt der Gefühle und das Bewusstsein, dass wir uns als menschliche Spezies tendenziell erhaben fühlen, allwissend, die Fakten definierend und dabei die kleinen, feinen Momente übersehen, die die Welt verändern könnten, wenn wir in der Lage wären sie wahrzunehmen. Ein Mahnmal für unsere Gesellschaft, den wissenschaftlichen Fortschritt und das fehlende Empathie Gefühl mittendrin, dass uns zurückwirft. Eine Empfehlung für alle, die die Kommunikation zwischen Menschen und Schimpansen faszinierend finden, Geschichten mit einer gewissen Tragik wertschätzen können und sich der Welt der Wissenschaft sehenden Auges öffnen möchten.

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  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.02.2021

Eine Reise- so bunt, wie das Leben

Miss Bensons Reise
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Orange, golden schimmernd, mit einem starken Pink, einem starkem Kontrast- so leuchtete mir das Buchcover von "Miss Bensons Reise" von Bestseller Autorin Rachel Joyce entgegen und ab diesem Moment habe ...

Orange, golden schimmernd, mit einem starken Pink, einem starkem Kontrast- so leuchtete mir das Buchcover von "Miss Bensons Reise" von Bestseller Autorin Rachel Joyce entgegen und ab diesem Moment habe ich es bereits geliebt, die Vorschusslorbeeren bereits verschenkt, mein Herz bereits vergeben, ohne wirklich zu wissen, worauf ich mich einlassen würde. So stark, so aufmerksamkeitsheischend, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ich meine Hände um das Cover schlingen würde, um in dieser farbenfrohen Geschichte zu versinken, so facettenreich wie ein Regenbogen, so dramatisch wie der Regenschauer zuvor, der die Erde zu verschlingen droht und so eindrücklich wie der kurze Moment nach dem Wolkenbruch, in dem die Sonne Überhand gewinnt und ein anderes Licht auf die Welt wirft.

Margery Benson ist, um es ohne Umschweife und ohne despektierlich zu wirken auf den Punkt zu bringen, eine triste Frau mittleren Alters, eine graue, unscheinbare Maus, die ihren uninspirierten Berufsalltag als Lehrerin fristet und darüber hinaus kaum nennenswert das Haus verlässt. Verwaschen wie London im Regen, so ist ihr Leben, ein verlaufenes Aquarell in Grautönen. Das Einzige, was sie zum Strahlen bringt, ist die Begeisterung für Käfer aller Art, besonders für den goldenen Käfer in Neukaledonien, der bisher eher Mythen entspringt als tatsächlichen Beweisen. Eines Tages begreift Margery, dass nur sie diesen Mythos aufklären und den Käfer finden kann, bucht ein Ticket in die unbekannte Welt zusammen mit ihrer neu gewonnenen Assistentin Enid Pretty, dem Inbegriff eines schillernden Showgirls mit dem Hang zur Übertreibung. Was sich für Margery zunächst als katastrophale Begleitung entpuppt, lässt sie jedoch im Verlauf der Reise begreifen, dass manche Gegensätze sich auf unbeschreibliche Art und Weise ergänzen können und die Kraft haben, Leben nachhaltig zu verändern.

Seit den ersten Seiten war ich gefangen von den Charakterbeschreibungen, dem Tiefgang, der Liebe zum Detail und der Emotionalität, mit der Rachel Joyce die Leser empfängt. Der Stil ist dabei leicht, fließend. Die Handlung durchquert alle Täler und Berge, die das emotionale Spektrum zu bieten hat, in teilweise sanfter Geschwindigkeit, die Zeit zum Verweilen lässt, zum Innehalten und in sich gehen, dann jedoch in rasanter Art und Weise alles hinter sich lässt, dabei überrascht und spannende Momente parat hält, denn neben den Tälern warten Hindernisse und Wendungen am Wegesrand auf das ungleiche Paar. Dabei ist die Geschichte so wunderbar abwechslungsreich, lässt den Leser lächeln, weinen und vor Spannung zittern. Besonders die Entwicklung der Protagonisten sei hier hervorgehoben, so authentisch, so liebevoll beschrieben und trotzdem mit großer Kraftanstrengung verbunden, die für den Leser komplett nachvollziehbar ist. Das Innere der beiden Frauen wird so ungeschönt nach außen gekehrt, wie ein nacktes Bonbon, das eingewickelt darauf wartet, langsam und Schritt für Schritt voller Wertschätzung entblößt zu werden. Das Augenzwinkern zwischendurch, die absurden Passagen und der schwarze Humor runden diese unperfekte perfekte Geschichte ab. Eine klare Empfehlung für alle, die Geschichten über Mut und Gegensätze lieben, die über sich hinauswachsen wollen und vielleicht den nötigen Schubser benötigen, um selbst in das eigene Abenteuer des Lebens zu starten.

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Veröffentlicht am 31.12.2020

Die kleine, feine Geschichte über unsere Gesellschaft

Fast ein neues Leben
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12 Geschichten. Kleine, kurze, kompakte Kapitel. Mehr braucht es nicht, um von einem alten Leben ins neue zu führen. Mehr braucht es nicht, um durch alle Höhen und Tiefen eines Menschen zu gleiten, der ...

12 Geschichten. Kleine, kurze, kompakte Kapitel. Mehr braucht es nicht, um von einem alten Leben ins neue zu führen. Mehr braucht es nicht, um durch alle Höhen und Tiefen eines Menschen zu gleiten, der sich von seinem Hintergrund nicht lösen kann. Mehr braucht es nicht, um fast ein ganzes Leben zu reflektieren, neu aber wiederum alt.

Einfach und reduziert begegnete mir physisch der Debütroman "Fast ein neues Leben" von Anna Prizkau. Ein handliches Format, schwarz mit weißem Kontrast, das Cover abstrakt, fast wie ein Gemälde von Pollock, bei dem alles nur die eigene Reflektion, das eigene Gefühl, die Archetypen aktiviert. Das innere des Romans hingegen bietet die komplette Bandbreite von Geschichten, die einer Einwandererfamilie begegnen. Die Tochter eben dieser schildert nicht chronologisch, sondern vielmehr vom Bauchgefühl getrieben alle Ereignisse, die ihr begegnen. Vom jungen Mädchen, die sich der Willkür und Macht ihrer Mitschülerin ausgesetzt sieht und das zerrüttete Verhältnis innerhalb der Familie registriert, hin zu einer jungen Frau, die sich mit Belästigungen auseinandersetzen muss, die sogar in Gewalt enden. Voller Hoffnung startet sie in ein vermeintlich neues Leben, aber alles, was ihr entgegen schlägt sind Vorurteile, Hass und Rassismus, gepaart mit psychischen Erkrankungen.

Anna Prizkaus Stil ist leicht, die Worte jedoch schwer, das Ungesagte zwischen den Zeilen verfolgt den Leser, erschüttert bis ins Mark und führt dazu, dass ich an vielen Stellen hinterfragen musste, ob ich selbst nicht auch an einigen Stellen in meinem Leben das „neue Leben“ verhindert habe, unbewusst und unbedacht. Die Geschichte springt in der Zeit, wirkt defragmentiert und doch wie kleine Puzzleteile, die sich immer weiter zu einem großen Bild zusammenfügen. Die Erzählerin erlebt eben all diese Kapitel selbst, interagiert an so vielen Fronten mit so vielen Protagonisten, dass ich die Überforderung gefühlt habe, die Verzweiflung und auch ihre anfängliche Naivität durch den Wunsch, dass dieses neue Leben funktioniert. Trotzdem ist die Erzählerin ungebrochen und der Funke der Hoffnung lodert. Eine Empfehlung für alle, die tragische Geschichten zu schätzen wissen, emotionsgeladene Handlungen aufsaugen und sich selbst bereits gefragt haben, wo sie sich zum Thema Rassismus positionieren und inwieweit wir uns alle nicht immer von Vorurteilen befreien können.

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