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Veröffentlicht am 10.10.2016

Eine Pilgerreise, die sich ziemlich zieht und mir nur wenige emotionale Berührungspunkte bieten konnte

Die Canterbury Schwestern
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Che de Milan muss eine ganze Reihe an Schicksalsschlägen einstecken. Erst stirbt ihre Mutter, dann verlässt sie ihr Freund. Che beschließt, dem letzten Wunsch der Mutter nachzukommen. Da diese schwer krank ...

Che de Milan muss eine ganze Reihe an Schicksalsschlägen einstecken. Erst stirbt ihre Mutter, dann verlässt sie ihr Freund. Che beschließt, dem letzten Wunsch der Mutter nachzukommen. Da diese schwer krank wurde, bevor sie sich den Traum einer Pilgerreise nach Canterbury erfüllen konnte, möchte nun Che die Asche ihrer Mutter an den magischen Ort bringen und dort verstreuen.
Eigentlich ist sie eher eine Einzelgängerin, aber nun schließt sie sich einer Reisegruppe an, um nach Canterbury zu pilgern. Zusammen mit acht anderen Frauen macht sie sich auf den Weg.
Während der mehrtägigen Wanderung haben die Frauen Gelegenheit, sich gegenseitig näher kennenzulernen, und jede von ihnen erzählt ihre Geschichte. Dies ist ganz im Sinn der Canterbury Tales aus dem 14. Jahrhundert. Während der Pilgerreise gelingt es Che, zur Ruhe zu kommen und Ordnung in ihr Gefühlschaos zu bringen.

Als ich den Klappentext des Buches gelesen habe und mir der Bezug zu den alten Canterbury Tales aufgefallen ist, hat mich das neugierig auf den Roman gemacht. Che hat einen außergewöhnlichen familiären Hintergrund, denn sie stammt aus einer Hippie-Familie. Daher rührt ihr exzentrischer Vorname, denn sie wurde nach dem Revolutionär Che Guevara benannt.
Allgemein kann ich sagen, dass mir der lebendige Schreibstil und die stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen schon gut gefallen haben. Allerdings war mir das Gewusel der neun beteiligten Frauen zu viel, denn anfangs konnte ich die Charaktere nur schwer auseinander halten, da man die Frauen zuerst nur bruchstückhaft vorgestellt bekommt.
Die Geschichten der Frauen waren dann auch nicht dazu angetan, mich zu fesseln oder gar zu berühren, vor allem weil sich schnell herausstellt, dass sie zum Teil von den Erzählerinnen nur erfunden sind. Meist geht es darin um Partnerschaftsprobleme, um Treue und Untreue, um Liebe und Gleichgültigkeit. Die Pilgerreise und damit das Buch haben sich für mich gezogen wie Kaugummi, denn alles plätschert so dahin, und auch die Ankunft in Canterbury, die Art, wie Che dem letzten Wunsch ihrer verstorbenen Mutter nachkommt, das wirkte auf mich alles eher banal.
Lediglich auf den letzten siebzig Seiten tut sich doch so einiges, das mich fesseln konnte. Aber so richtig emotional hat mich der Roman leider nicht erreicht.

Veröffentlicht am 08.10.2016

Drei faszinierende Frauenschicksale im Ägypten zu viktorianischer Zeit

Im Land der goldenen Sonne
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Die 23-jährige Harriet Heron leidet unter schwerem Asthma. Das neblig-feuchte Londoner Klima mit dem Rauch der Fabriken ist Gift für die junge Frau. Um ihre Gesundheit wieder herzustellen, setzt sie bei ...

Die 23-jährige Harriet Heron leidet unter schwerem Asthma. Das neblig-feuchte Londoner Klima mit dem Rauch der Fabriken ist Gift für die junge Frau. Um ihre Gesundheit wieder herzustellen, setzt sie bei ihrem Arzt und ihrer Familie durch, dass sie in den Süden reisen darf. Ihre Mutter Louisa und ihre Tante Yael sollen sie begleiten. Voller Hoffnung brechen sie zu einer langen Reise nach Ägypten auf.
Unterwegs haben die drei Frauen mehrere schicksalhafte Begegnungen. Jede von ihnen kommt nach Ägypten, in dieses fremde, geheimnisvolle Land, mit anderen Empfindungen und Erwartungen, von denen sich einige so ganz anders erfüllen als gedacht.

Es ist keine spezielle Jahreszahl angegeben, aber es geht aus diversen Bemerkungen hervor, dass der Roman im viktorianischen Zeitalter spielt. In dieser beginnenden Zeit der Industrialisierung war die Luft über London geschwängert von giftigen Dünsten der Fabriken.
Die Reise der drei Frauen, ihre Ankunft in Ägypten, ihre Erlebnisse und Gefühle sowie das Land selbst, das alles ist sehr bildhaft und ausdrucksstark geschildert. Harriet, Louisa und Yael sind drei grundverschiedene Charaktere, wobei jede der drei Frauen als interessante Persönlichkeit dargestellt wird.
Harriets Gesundheitszustand bessert sich, und die junge Frau findet in Ägypten neuen Lebensmut und ihre persönliche Erfüllung, als sie die Möglichkeit erhält, bei historischen Ausgrabungen assistieren zu können. Über Louisa erfährt man einiges aus ihrer Vergangenheit. Da gab es Erfahrungen, die sie zeitlebens geprägt haben. Ihr Hang zum Spiritismus bringt sie zu so mancher irrtümlichen Einschätzung, und sie begeht fast einen verhängnisvollen Fehler.
Yael findet ihre Berufung in diesem fremden Land. Sie ist erfüllt von dem Wunsch, den armen und kranken Kindern Ägyptens zu helfen.

Dieser Roman entführt seine Leser in das rätselhafte Ägypten der damaligen Zeit. Es ist fesselnd, die Protagonistinnen auf ihrem Weg zu begleiten. Während ich Louisas Hang zur Dramatik und ihre Handlungsweise zwar mit Faszination wahrgenommen habe, aber nicht immer nachvollziehen konnte, ging mir Harriets Schicksal sehr nahe. Die junge Frau kämpft nicht nur um ihre Gesundheit, sondern daneben auch um ihr Lebensglück und ihre persönliche Freiheit, denn dies alles war ihr in London verwehrt, da sie dort weitgehend ans Bett gefesselt war.
Für Yael, die ich anfangs ein wenig wegen ihrer betulichen Art belächelt habe, empfand ich im weiteren Verlauf der Geschichte Bewunderung.
Der Ausgang des Romans hat mich mit gemischten Gefühlen zurück gelassen. Im Nachhinein konnte ich für vieles, das sich mir nicht sofort erschlossen hatte, Verständnis gewinnen. Einige Begebenheiten waren dramatisch und haben mich sehr berührt, denn das Schicksal geht zum Teil seltsame Wege, und es meint es nicht mit allen Beteiligten gut.
Mich hat dieser faszinierende Roman mitgerissen und bis zuletzt in Atem gehalten.

Veröffentlicht am 08.10.2016

Ein unterhaltsamer und erfrischender Roman, gerade richtig für den Sommer

Glück ist, wenn man trotzdem liebt
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Isabelle ist ein richtiges Gewohnheitstier. Sie hat ihr festes Wochenprogramm, von dem sie möglichst selten abweichen möchte. Sie liebt ihre Arbeit als Floristin in dem kleinen Blumenladen. Ihre Mittagspausen ...

Isabelle ist ein richtiges Gewohnheitstier. Sie hat ihr festes Wochenprogramm, von dem sie möglichst selten abweichen möchte. Sie liebt ihre Arbeit als Floristin in dem kleinen Blumenladen. Ihre Mittagspausen verbrachte sie bisher immer bei ihrem Stamm-Vietnamesen, Mr. Lee, gleich gegenüber, aber an dieser Stelle hat nun vor wenigen Tagen ein neues Restaurant eröffnet. Äußerst skeptisch und nach langem Zögern beschließt Isabelle, das „Thiels“ doch einmal auszuprobieren. Aber Jens, der neue Inhaber und Koch, tischt ihr alles mögliche auf, wo sie doch nur ihre geliebte und gewohnte vietnamesische Nudelsuppe haben möchte.
Dies ist nicht die einzige Veränderung in Isas kleiner Welt, wo bisher alles seine gewohnte Zeit und seinen festen Platz hatte. Zu ihrer Entrüstung wird auch noch ihre Lieblings-Soap „Liebe, Liebe, Liebe“ abgesetzt. Von der Liebe hat die 27-jährige Isa ihre ganz eigene Vorstellung. Sie glaubt fest daran und ist der Meinung, es muss „BÄMM“ machen, wenn ihr eines Tages der richtige Mann begegnet.
Und dann überschlagen sich die Ereignisse, denn es treten gleich mehrere Männer in ihr Leben und wirbeln es kräftig durcheinander. Neben Jens, der sie letztendlich doch mit seinen Kochkünsten überzeugt, gibt es da auch noch den starken Friedhofsgärtner Tom und den smarten Alex, der ihrer Idealvorstellung vom Traummann schon gewaltig nahe kommt.

So Isa, nun musst du dich entscheiden, wer soll denn dein Herzblatt sein?
Tom, der Kraftmeier, der nicht nur deinem Rhododendron auf die Sprünge hilft, sondern sich selbst gerne in Szene setzt,
Jens, der Anti-Romantiker, der nichts von Kuschelrock und Duftkerzen hält, deinen Gaumen aber mit Schokoladen-Malheur verwöhnt
oder der perfekte Alex, der dir die Türe aufhält und dir bei Kerzenschein im Aquarium eine Scheibe Leberwurst kredenzt?

Dies ist ein schöner Sommerroman, bei dem man auch an heißen Tagen beim Lesen nicht ins Schwitzen kommt, denn er ist luftig leicht geschrieben.
Hamburg im Hochsommer – die Atmosphäre ist wunderbar dargestellt, und man kann sich sehr gut in die Geschichte hineinversetzen. Man lernt Isas Lieblingsplätze kennen und kann nur allzu gut verstehen, was ihr daran so gut gefällt. So waren beispielsweise die Szenen in der Nähe der Startbahn des Flughafens ein richtiges Highlight für mich. Welche Bewandtnis es damit hat, muss man einfach selbst lesen.
Der Roman kann mit tollen Charakteren aufwarten, die fast alle sehr sympathisch wirken. Auch Isa, die Hauptperson, ist äußerst liebenswert, allerdings war für mich ihre Persönlichkeit nicht immer glaubwürdig, denn einerseits ist sie eine ganz normale junge Frau, die viele gute Freunde hat, mit denen sie sich regelmäßig zu Unternehmungen trifft, die ein gutes Händchen für Design hat und auch mit modernen Kommunikationsmedien bestens zurecht kommt. Dazu wollen einige ihrer sonstigen Charaktereigenschaften so gar nicht passen, denn manchmal wirkt Isa regelrecht schrullig.
Wenn es ums Essen geht, ist sie so richtig mäkelig, und man kann ihr kaum etwas recht machen. Die Story, dass sie elf Jahre lang jeden Tag die Nudelsuppe von Mr. Lee gegessen haben soll, war für mich doch sehr skurril. Auch wirkten manche ihrer Reaktionen so naiv, dass sie kaum zu einer jungen Frau passen wollen, die inmitten Hamburgs lebt und mit beiden Beinen im Leben steht.
Auch Isabelles Wandlung, die sich innerhalb weniger Wochen in diesem heißen Sommer vollzieht, kam für mich etwas zu plötzlich. Hier wurde doch so einiges zurecht gebogen, damit es eine amüsante Geschichte ergeben hat. Diese kleinen Unstimmigkeiten haben aber das Lesevergnügen keineswegs geschmälert. Der Roman hat mich gut unterhalten und mich des öfteren zum Schmunzeln gebracht. Es ist die perfekte Sommer- und Ferienlektüre und lässt sich besonders gut an einem schattigen Plätzchen bei einem erfrischenden Getränk genießen. Das im Buch enthaltene Rezept für Schokoladen-Malheur sollte man sich nicht entgehen lassen, sondern unbedingt einmal ausprobieren, aber Vorsicht, hoher Suchtfaktor!!!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Endlich ein Wiedersehen mit dem Waringhams!

Der Palast der Meere
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Der aktuelle Roman und zugleich fünfte Band der Waringham-Saga spielt zur Regierungszeit Elizabeths I., und die Handlung beginnt im Jahr 1560, also genau 200 Jahre nach 'Das Lächeln der Fortuna', wo alles ...

Der aktuelle Roman und zugleich fünfte Band der Waringham-Saga spielt zur Regierungszeit Elizabeths I., und die Handlung beginnt im Jahr 1560, also genau 200 Jahre nach 'Das Lächeln der Fortuna', wo alles begann.
Diesmal dreht sich die Handlung in der Hauptsache um die Kinder und Enkelkinder von Nicholas of Waringham, dem Hauptcharakter des letzten Bandes 'Der dunkle Thron'. Francis, sein ältester Sohn, der jetzige Earl of Waringham, führt die familieneigene Pferdezucht mit Erfolg und außerdem das Internat in Waringham. Einen besonders großen und wichtigen Part des Romans nehmen jeweils Isaac und Eleanor, Francis' jüngere Geschwister, ein.

Eleanor lebt am Hof Elizabeths I. und wird überall nur 'Das Auge der Königin' genannt. Als ihre Milchschwester und enge Vertraute ist sie eine Meisterin darin, brisante Informationen für Elizabeth in Erfahrung zu bringen und geheime Machenschaften auszuspionieren. Sie hat sich voll und ganz der Königin verschrieben, und ihr Privatleben ist gleich Null, bis sie Gabriel Durham kennenlernt und sich in ihn verliebt. Diese Liaison ist völlig unmöglich und ganz und gar nicht standesgemäß, denn Gabriel ist der König der Diebe. Um nicht bei ihrer Königin in Ungnade zu fallen, trifft sich Eleanor heimlich mit ihm.

Isaac lebt bei einem Onkel in London, bis Francis' Sohn Lappidot an den Pocken erkrankt und sein Augenlicht verliert. Daraufhin wird Isaac nach Hause beordert, da er nun eines Tages Francis' Nachfolge antreten soll, aber seine Erinnerungen an den Familiensitz Waringham sind nicht die besten. Dorthin zurückzukehren erfüllt ihn mit Unbehagen, und so macht er sich aus dem Staub. Als blinder Passagier schleicht er sich auf ein Schiff im Hafen. Dass ihn diese Reise jedoch so weit von zuhause wegführt, hat er sich nicht träumen lassen. Als er entdeckt wird, arbeitet er eine Zeitlang für den Kapitän und Freibeuter Hawkins als Schiffsjunge, aber Hawkins ist skrupellos und verkauft den Fünfzehnjährigen auf der Insel Teneriffa als Sklaven. Damit beginnt eine Leidenszeit für den jungen Mann, denn es dauert lange, bis er seine Freiheit zurück erlangt und die Heimat wiedersieht.

Isaac ist ein waschechter Waringham und hat die gleichen Eigenschaften, die ich schon an seinen Vorfahren so mochte, denn auch wenn er in noch so verzwickten, ausweglosen und gefährlichen Situationen steckt, also in Zeiten höchster Not, hat er noch einen trockenen Spruch auf den Lippen.
Diesen schlagfertigen Humor, gepaart mit einer draufgängerischen, aber zugleich herzlichen, sympathischen Art, haben die meisten Helden von Rebecca Gablés Romanen.
Eigentlich ist es verwunderlich, dass Isaac und Eleanor sich nicht leiden können, denn im Verlauf der Handlung entdeckt man, dass sie viele Gemeinsamkeiten haben.

Wie eigentlich schon der vierte Band, so ist auch dieser neue Roman ganz anders als die drei Vorgänger, die im Mittelalter spielten. Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen die Lebensart. Die Ära der tapferen, edelmütigen Ritter, die ihr Leben in so mancher Schlacht aufs Spiel setzten und auch oft verloren, gehört der Vergangenheit an. Dafür ist die Welt für die Menschen größer geworden, denn mit dem Schiff erreichen sie auch entfernteste Winkel der Erde. Die Seefahrt in fremde Länder und die Freibeuterei bringen neue Gefahren und Abenteuer mit sich, und Isaac muss für seine Ideale und damit gegen die Sklaverei kämpfen, die er so bitter am eigenen Leib erfahren hat.

Häufige Szenenwechsel im Roman, die an den englischen Königshof und dann wieder auf die raue See bzw. in ferne Länder führen, machen das Buch zu einem kurzweiligen Lesevergnügen. Da die Überschriften der einzelnen Kapitel immer den jeweiligen Ort und das Datum verraten, wo man sich gerade befindet, fallen die Sprünge zwischen den verschiedenen Handlungssträngen leicht.
Der Ort Waringham spielt diesmal eher eine untergeordnete Rolle, da sich das Leben der Familie mehr und mehr an Elizabeths Hof abspielt, denn auch Lappidot geht seinen Weg, der ihn von seinem Zuhause weg und an den Königshof führt.

Hier erfährt man mehr über Elizabeths Probleme mit ihrer papistischen Cousine Mary Stewart, die ihr nach dem Thron trachtet und sich ein katholisches England zurück wünscht. Wie man es von der Autorin gewohnt ist, fließt sehr viel Wahres, historisch Verbürgtes, in die Handlung ein. Wenn man die englische Geschichte der damaligen Zeit kennt, merkt man, wie aufmerksam und gründlich Frau Gablé hier recherchiert hat und wie authentisch sie ihre fiktiven Charaktere um die wahren historischen Persönlichkeiten herum arrangiert und so eine glaubhafte und spannende Geschichte daraus macht. Gerade die aufreibenden Machtkämpfe zwischen der protestantischen Elizabeth und ihren katholischen Gegnern ist ein großes Thema des Romans. Eine weitere Besonderheit ist die neue Rolle der Frauen. Diese sind nicht mehr länger nur schmückendes Beiwerk, sondern stehen mit beiden Beinen im Leben und sind die aktuellen Heldenfiguren.

Interessant finde ich an Rebecca Gablés Romanen, dass sie die historischen Personen, wie eben hier Elizabeth I., Mary Stewart, Robert Dudley und einige andere, immer aus dem Blickwinkel ihrer Protagonisten, eben der Waringhams, sieht und darstellt. Das bringt oft ganz andere Wesenszüge zutage als man von den entsprechenden Personen aus Geschichtsbüchern kennt, aber es macht die Geschichte und die Menschen dieser Zeit lebendig und vorstellbar.
Ich könnte hier noch ewig so weiterschreiben, denn bei einem Wälzer von über 950 Seiten gibt es so viele Eindrücke, dass mir nachträglich gar nicht mehr alles einfällt, was mir beim Lesen durch den Kopf gegangen ist und ich mit wenigen Sätzen gar nicht allem gerecht werden kann. Aber Tatsache ist, dass mich auch dieser fünfte Band wieder begeistern und mitreißen konnte. Ich habe jede Seite sehr genossen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Geschichte einer Jahrtausendflut

Zorn des Himmels
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„Zorn des Himmels“ schildert eine Naturkatastrophe ungeheuren Ausmaßes, die Deutschland im Jahr 1342 heimsuchte und große Verwüstungen und Zerstörungen hinterließ. Es geht um die Madgalenenflut, die mir ...

„Zorn des Himmels“ schildert eine Naturkatastrophe ungeheuren Ausmaßes, die Deutschland im Jahr 1342 heimsuchte und große Verwüstungen und Zerstörungen hinterließ. Es geht um die Madgalenenflut, die mir erstaunlicherweise bis dato noch kein Begriff war. Obwohl zu dieser Zeit alle großen deutschen Flüsse über die Ufer traten und die Spuren bis heute sichtbar sind, liest man nur sehr wenig über diese gigantische Flut, die sich seither nicht in diesem Umfang wiederholte.
Hauptsächlicher Schauplatz des Romans ist Franchenfurt-Sassenhusen, denn da wütete die Flut, der viele Menschenleben zum Opfer fielen, sehr extrem und riss ganze Gebäude und Teile der Brücke mit sich.
Der Roman beginnt in Hasefurthe, dem heutigen Hassfurt, denn in den Gebieten südöstlich von Franchenfurt tobte das Unwetter bereits einige Tage früher.
Die Fährmannstochter Philippa, die den Main zwischen Franchenfurt und Sassenhusen kennt wie ihre Westentasche und auf dem Fluss zuhause ist, hat plötzlich ein ungutes, unheimliches Gefühl. Sie ahnt, dass sich etwas verändert hat. Nicht nur die Strömung ist ungewohnt, auch führt das Wasser unheimliches Treibgut mit sich, das auf Verwüstungen andernorts hindeutet.
Am Ufer des Mains lernt Philippa einen Mann kennen, der seltsam verloren wirkt. Er kann sich nicht an seine Vergangenheit erinnern. Die junge Frau setzt sich über alle Konventionen hinweg und kümmert sich um den Fremden, der sich Matthias nennt, da er seinen richtigen Namen nicht weiß. In langen, vertraulichen Gesprächen auf dem Mühlberg kommen sie sich näher. Philippa glaubt, in Matthias einen Seelenverwandten gefunden zu haben, aber dann erfährt sie einiges, was sie an ihm zweifeln lässt, denn angeblich soll er ein Attentat auf den in der Stadt weilenden Kaiser Ludwig geplant haben. Sie muss sich entscheiden, wem sie ihr Vertrauen schenken kann. Währenddessen bricht eine Katastrophe über die Stadt herein, denn das Unwetter schickt schreckliche Vorboten.

Eindringlich, bildhaft und wortgewaltig, aber immer mit einem Quäntchen Humor, schildert der Autor die prekäre Lage. Er lässt den Leser dieses gewaltige Unwetter sehr intensiv nachempfinden. Man fühlt mit den Menschen, die so gar nicht wissen, wie ihnen geschieht.
Umweltkatastrophen diesen Ausmaßes schreibt man eigentlich eher unserer Zeit zu, aber dem ist nicht so, denn auch in früheren Jahrhunderten musste die Bevölkerung mit derartigen Heimsuchungen fertig werden. Und auch damals war die Ursache zum großen Teil bei den Menschen selbst zu suchen und auf massiven Raubbau an der Landschaft und Natur zurückzuführen.

Philippa, die Heldin des Romans, ist eine für die damalige Zeit sehr fortschrittliche junge Frau, die weiß was sie will. Wenn es ihrem Empfinden widerstrebt, setzt sie sich schon mal über gesellschaftliche Regeln hinweg und entscheidet aus dem Bauch heraus, was für sie selbst richtig ist. Alle anderen Charaktere, die im Roman in Erscheinung treten, sind ebenso ausführlich dargestellt, dass man sich ein lebendiges Bild von ihnen machen kann.
Neben den erdachten Protagonisten treten auch einige historische Persönlichkeiten auf den Plan, in erster Linie Kaiser Ludwig, der in Franchenfurt weilt und dessen Leben bedroht ist. Der Kirchenbann, der ihm auferlegt ist und die Gefahr, die von Karl von Luxemburg, seinem Kontrahenten um den Thron, ausgeht, sind neben der großen Katastrophe ein wichtiges Thema.
Fiktion und historische Wirklichkeit gehen hier eine eindrucksvolle Verbindung ein und machen den Roman zu einem fesselnden, spannungsgeladenen Drama.

Das Cover zeigt einen Teil der Brücke, die Franchenfurt mit Sassenhusen verbindet, und man kann auf dem Bild schon die entfesselten Naturgewalten sehen. Das Vorsatzpapier ist mit einer Luftansicht der gesamten Brücke und der näheren Umgebung geschmückt, und auch wenn man noch nie vor Ort war, kann man sich die Ausmaße des Mains und der geschilderten Zerstörung sehr gut vorstellen.
Ein Nachwort des Autors, mit Erläuterungen zur Entstehung des Romans und zur Recherche, komplettiert das Buch, zusammen mit einer Auflistung der genannten Orte und einer Personenübersicht gleich am Anfang. Wie bereits von anderen Romanen Richard Dübells gewohnt, findet man in der Personenliste eine kurze, humorvolle und sehr treffende Beschreibung zu jeder Person. Nur bei Kaiser Ludwig ist hier anscheinend ein kleiner Druckfehler passiert, denn hier ist er als Ludwig I. erfasst. Meines Erachtens handelt es sich aber um Ludwig IV., der den Beinamen „der Bayer“ führte.