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Veröffentlicht am 03.11.2025

Spannung ohne Tiefgang

Die Buchreisenden - Eine Tür aus Silber und Lügen
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“Eine Tür aus Silber und Lügen” ist der zweite Teil und Abschluss von Akram El-Bahays Dilogie “Die Buchreisenden”. Diese Rezension enthält möglicherweise Spoiler zum ersten Band.

Adam, Elisa, William ...

“Eine Tür aus Silber und Lügen” ist der zweite Teil und Abschluss von Akram El-Bahays Dilogie “Die Buchreisenden”. Diese Rezension enthält möglicherweise Spoiler zum ersten Band.

Adam, Elisa, William und ihr Team aus Buchfiguren machen sich auf die Jagd nach den letzten Sätzen und Büchern, um die silberne Tür zu öffnen - und hoffentlich endlich Jane Archer zu befreien. Es gilt den Sommernachtstraum zu ergattern, das noch unbekannte Buch zu identifizieren und sich dem Vampyr zu stellen. Und die skrupellosen Libronauten sind ihnen dicht auf den Fersen. Die Zeichen stehen auf Action - und die liefert das Buch auch. Rasant und zunehmend atemlos fegen die Protagonisten durch die Handlung, stellen sich ihren Gegnern, enthüllen Geheimnisse, fahren Verluste ein.
Hohes Tempo, hohes Spannungsniveau? Ja, aber dieses pausenlose Rumgehetze von einer (Lebens)Gefahr in die nächste hat mich beim Lesen auch etwas abgestumpft. Wie schon im ersten Band gab es wenige Erholungspausen, in denen sich die Figuren und Leser:innen den Verlusten und Beziehungen widmen durften. Vielleicht sogar noch weniger. Jedenfalls zu wenige für mich. Die Figuren waren mir noch gleichgültiger und/oder unsympathischer als im ersten Band - das hat das Buch für mich eher zu einer Abfolge emotionsloser Actionszenen gemacht, bei denen ich nicht so wirklich mitfiebern konnte. Dafür blieb meine Konzentration an all den kleineren und grösseren Logiklücken und Plotholes hängen, die das Buch leider auch bietet. Auf viele meiner Fragen kann ich mir keine andere Antwort denken als “weils der Plot verlangt”. Und leider haben mich auch die bereisten Welten diesmal weniger abgeholt. Die liebevollen und phantastischen Details und Tiefen waren zu rar gesät und haben durch die Atemlosigkeit der Geschichte zu wenig Platz erhalten.
Und obwohl mir die propagierte moralische Botschaft als solche gefällt, fand ich sie im präsentierten Kontext nicht stimmig sondern aufgesetzt.

‘Eine Tür aus Silber und Lügen‘ rundet die Dilogie temporeich und grösstenteils schlüssig ab, bleibt für mich aber emotional belanglos. Etwas mehr Raum für Figuren und Atmosphäre hätte der Geschichte gutgetan. Wer gerne plotgetriebene Geschichten liest mag hier auf seine Kosten kommen. Für mich war die Handlung zu sehr konstruiert und die Figuren zu flach.

Ich bedanke mich beim Lübbe Verlag für das Rezensionsexemplar. Meine Meinung bleibt wie immer trotzdem meine eigene.

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  • Fantasy
Veröffentlicht am 10.10.2025

Unkonventionell spannend

Die Spur der Vertrauten
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“Die Spur der Vertrauten” ist ein Einzelband von Christelle Dabos. In dieser phantastischen Dystopie entführt die Autorin ihre Leser:innen in eine Welt, in der die individuellen Instinkte der Menschen ...

“Die Spur der Vertrauten” ist ein Einzelband von Christelle Dabos. In dieser phantastischen Dystopie entführt die Autorin ihre Leser:innen in eine Welt, in der die individuellen Instinkte der Menschen Imperativ sind und das Wir über allem steht. Claire, eine Vertraute, und Goliath, ein Schützer, sind durch ihre Instinkte nicht prädestiniert, aufeinander zu treffen. Doch beide sind auf die Spur der Unauffindbaren gestossen. Und ihr gemeinsames Abenteuer setzt Dinge in Gang, die weit über ihr Vorstellungsvermögen hinaus gehen.

Mit den imperativen Instinkten und dem übergeordneten Wir hat Dabos eine explosive Prämisse und daraus eine faszinierende Welt erschaffen. Allmählich und durch die Augen ihrer Figuren tauchen die Leser:innen in diese vertraute und zugleich fremde Welt ein, immer ganz nah an den Menschen dran und mittendrin. Die Figuren selbst sind unkonventionell, sowohl überzeichnet als auch realistisch mehrdimensional, originell anders und eben doch nahbar, in ihrer Perspektive und in ihren Mustern gefangen und kämpfen doch darum, über den Tellerrand hinaus zu schauen - frustrierend wie befriedigend lebendig.

Auch die Plotstruktur ist bemerkenswert unkonventionell. Die erste Hälfte rast fast atemlos auf einen Höhepunkt zu, dessen Auflösung der Geschichte in der zweiten Hälfte eine unerwartete neue Richtung gibt. Ja, der Plot ist ziemlich exzentrisch, vielleicht sogar bizarr, bleibt aber in sich logisch, wenn man die Prämisse akzeptiert hat. Und die Auflösung ist revolutionär und doch ganz sanft.

Erzählt wird das alles von mehreren Ich-Erzählern. Hauptsächlich sind es Goliath und Claire, durch dessen Augen die Leser:innen mitfiebern. Aber auch hier weicht Dabos von der Norm ab und gibt Einblicke in die Köpfe und Wahrnehmungen mehrerer Nebenfiguren.

“Die Spur der Vertrauten” bricht auf originelle Weise mit Konventionen und Mainstream des dystopischen Genres, trumpft mit liebevoll skurrilen Figuren und schwindelerregender Spannung. Für mich hat dieses Buch das Potenzial zum Jahreshighlight.

Ich bedanke mich beim Rotfuchs Verlag für das Rezensionsexemplar. Meine Meinung bleibt natürlich und wie immer trotzdem meine eigene.

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Veröffentlicht am 10.10.2025

Kann man lesen

Amazonenbrüste
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“Amazonenbrüste” ist Reyhan Şahins autobiografische Erzählung ihrer Brustkrebserkrankung. Mir war die Autorin bis anhin kein Begriff, weder als Schriftstellerin noch in ihren Rollen als Rapperin oder Wissenschaftlerin. ...

“Amazonenbrüste” ist Reyhan Şahins autobiografische Erzählung ihrer Brustkrebserkrankung. Mir war die Autorin bis anhin kein Begriff, weder als Schriftstellerin noch in ihren Rollen als Rapperin oder Wissenschaftlerin. Meine Lesemotivation war das Thema Brustkrebs.

Şahin erzählt von der ersten Verdachtsdiagnose, dem Schock, ihren Erfahrungen mit den Ärzt:innen, ihren Ängsten, der Unterstützung die sie erfahren hat, der Chemo, den Sorgen und ihrem Leidensweg und den Menschen, denen sie auf ihrer Reise begegnet ist. Ein Erfahrungsbericht Diagnose Brustkrebs eben, der zur Sichtbarkeit der Thematik in der Öffentlichkeit beiträgt. Bemerkenswert fand ich, wie offen Şahin offenbar mit ihrer Diagnose umging, wie weit sie die Information gestreut hat. Ein solcher Umgang und die Beispiele der positiven und unterstützenden Reaktionen mögen für Betroffene ermutigend sein und Vorbildcharakter haben.

Für mich als nicht betroffene Person war die Lektüre zwar informativ aber auch etwas oberflächlich. Nach dem Klappentext hatte ich etwas tiefere Auseinandersetzungen mit dem medizinischen System, vielleicht mit gesellschaftlichen Strukturen erwartet. Es gibt zwar immer wieder kleine Erörterungen und Exkurse - diese stehen aber nur lose im Zusammenhang mit der Krankheitsgeschichte und fokussieren eher auf den persönlichen und beruflichen Hintergrund der Autorin. Interessant, aber eben nicht das, was ich zu lesen gehofft habe. Gewürzt wird der Text immer wieder mit persönlichen und direkte Kursivgedanken - Englische Ausrufe und Flüche, türkische Wendungen, Hiphopslang und Unmengen von Ausrufe- und Fragezeichen. Das macht den Text zwar authentisch, aber auch anstrengend zu lesen.

Insgesamt war “Amazonenbrüste” ein kurzweiliger Ausflug in eine mir unbekannte Erfahrungswelt. Ich hoffe, dass Betroffene - von Brustkrebs und/oder Diskriminierung aufgrund ihrer Migrationsgeschichte - und Fans von Şahin daraus Kraft und Mut schöpfen können. Für mich wars leider nicht gehaltvoll genug, um mich zu inspirieren oder zu begeistern.

Ich bedanke mich bei Vorablesen und dem Tropen Verlag für das Rezensionsexemplar. Meine Meinung bleibt natürlich und wie immer trotzdem meine eigene.

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Veröffentlicht am 19.09.2025

Die Katharsis der Alice Law

Katabasis
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“Katabasis” ist der neuste gesellschafts- und sozialkritische Fantasyroman von Rebecca F. Kuang. Ich erwähne das hier extra deutlich, denn wer aus dem Klappentext ein höllisches Mainstreamabenteuer mit ...

“Katabasis” ist der neuste gesellschafts- und sozialkritische Fantasyroman von Rebecca F. Kuang. Ich erwähne das hier extra deutlich, denn wer aus dem Klappentext ein höllisches Mainstreamabenteuer mit romantischem Fokus herausliest, wird mit falschen Erwartungen an dieses Buch heran treten. Ja, die Hölle wird physisch betreten und von Alice und Peter auf ihrer Suche nach dem Professor durchwandert und durchlitten. Es ist aber auch und vor allem eine Reise in die Hölle der elitären akademischen Welt und in Alice’ ganz persönliche Abgründe.

Wie schon im Genrevorgänger Babel erschafft Kuang auch für Katabasis ein magisches Setting, das eng mit der akademischen Welt einer Eliteuniversität verwoben ist. Und wiederum fasziniert mich die Art und Weise, wie sie die Realität mit dem Phantastischen verwebt und dabei mühelos ein wissenschaftlich und sogar plausibel anmutendes Magiesystem erschafft. Besonders gefreut hat mich, dass dieses sorgfältig durchdachte System auch zu tatsächlich praktischer Anwendung kommen darf und eine relativ prominente und aktive Rolle erhält. Das Setting hat mich mit seiner organischen Lebendigkeit und Plotrelevanz definitiv überzeugt.

Sprachlich war Katabasis - wie nicht anders zu erwarten - ein Genuss. Kuangs Stil ist präzise und dennoch anschaulich, der Ton situativ angepasst ironisch, humorvoll, akademisch und/oder bedrückend. Die Autorin weiss definitiv mit Sprache umzugehen und traut ihren Leser:innen gewisse Standards zu. Oder verlangt sie ihnen ab - vor allem auch inhaltlich. Das Buch spielt in einer akademischen Welt und die Protagonisten gehören in dieser zur Elite. Entsprechend verhandeln sie im Laufe der Geschichte theoretische Konzepte, die nicht allen Lesenden geläufig sein dürften. Meiner Meinung nach gelingt es Kuang aber grossmehrheitlich bemerkenswert gut, diese abstrakten Theorien so zu präsentieren, dass ich auch als Leserin mit bescheidenerem Bildungskontext gut folgen konnte.

Wie bereits angedeutet, handelt es sich bei Katabasis nicht nur um ein Fantasyabenteuer. Kuang nutzt ihr Werk, um vielschichtige Kritik an der Gesellschaft zu üben, wodurch eine sehr figurenzentrierte Geschichte entsteht. Obwohl es immer wieder Momente äusseren und physischen Konfliktes gibt und die Plotspannung dadurch hochschiesst, handelt es sich doch vor allem um eine seelische Reise der Protagonistin, die oft von philosophischen Auseinandersetzungen und kontextualisierenden Rückblicken geprägt ist. Alice Katharsis hat damit durchaus - und je nach Erwartungshaltung und Geduld - durchaus ihre kleinen Längen und vielfältigen Wirrungen.

“Katabasis” war für mich ein sprachlich hochstehendes Lesevergnügen, das in eine faszinierende Welt, vor allem aber in die Erlebenswelt einer vielschichtigen jungen Frau entführt hat. Alice Konfrontation mit den Dämonen ihrer selbst und ihrer Welt war sowohl treffend und entlarvend, als auch hochgradig anregend zu lesen. Es ist eines dieser Bücher, das ich gerne noch ein zweites Mal in die Hand nehmen werde, weil ein einziger Durchgang der Fülle an Gehalt kaum gerecht werden kann.

Ich bedanke mich herzlichst beim Eichborn Verlag für das Rezensionsexemplar! Meine Meinung bleibt natürlich und wie immer trotzdem meine eigene.

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Veröffentlicht am 05.09.2025

Mehr als Biologie

Organisch
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“Organisch” ist das neue populärwissenschaftliche Werk von Giulia Enders, das, nach eigener Aussage, in enger Zusammenarbeit mit ihrer Illustratorin und Schwester Jill Enders entstanden ist. Das Hörbuch ...

“Organisch” ist das neue populärwissenschaftliche Werk von Giulia Enders, das, nach eigener Aussage, in enger Zusammenarbeit mit ihrer Illustratorin und Schwester Jill Enders entstanden ist. Das Hörbuch wurde von der Autorin selbst eingesprochen.

Nach ihrem Bestseller “Darm mit Charme” - den ich selbst nicht gelesen habe - verfolgt Enders diesmal einen holistischeren Ansatz und widmet sich nacheinander der Lunge, dem Immunsystem, der Haut, den Muskeln und dem Gehirn. Dabei präsentiert sie einerseits die biologischen Fakten und Funktionsweisen in anschaulicher und ansprechender Prosa und schafft es so, komplexe Logiken und uns normalerweise verborgene Abläufe eingängig und leicht verständlich zu vermitteln. Die wirkliche Leistung dieses Buches liegt für mich aber in der Botschaft, die stellenweise explizit, meistens aber implizit wunderschön mitschwingt. Enders erklärt uns nicht nur unseren Körper, sondern zeigt damit auf, was wir von ihm lernen können. In einer Welt, die so sehr auf das Aussen, den Schein und unsere Leistung fokussiert ist, kommt es einer kleinen Erleuchtung, jedenfalls einer Wohltat gleich, den Blick einmal ins Innen zu richten. Unsere Organe, unsere Biologie, hat sich über Jahrmillionen entwickelt, ihre Strategien, auf die Umwelt zu reagieren, angepasst und hat nur ein Ziel: Leben. Wieso also nicht einmal innehalten und dieser verborgenen Weisheit lauschen? Ja, lauschen - nicht nur der Inhalt lädt dazu ein, auch Giulia Enders Leseleistung passt genau zum Ton des Textes.

“Organisch” hat für mich das perfekte Gleichgewicht zwischen Wissensvermittlung und Inspiration getroffen und ist damit sowohl ein leicht verständliches, äusserst interessantes Sachbuch, als auch ein sanfter, inspirierender Lebensratgeber.

Ich bedanke mich bei Vorablesen und beim Verlag Hörbuch Hamburg für das Rezensionsexemplar. Meine Meinung bleibt natürlich und wie immer trotzdem meine eigene.

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