Wunderbare düstere Fantasy
MoonstoneIch habe lange kein Buch mehr gelesen, das solche Vibes ausstrahlt. Viktorianische Zeit, irgendwie gefangen zwischen Camilles elitärer Erziehung und der Lebensrealität bei ihrer Tante, versetzt mit einem ...
Ich habe lange kein Buch mehr gelesen, das solche Vibes ausstrahlt. Viktorianische Zeit, irgendwie gefangen zwischen Camilles elitärer Erziehung und der Lebensrealität bei ihrer Tante, versetzt mit einem gruseligen Geheimnis, dem sie auf die Spur kommen muss.
Camille ist nach einem Ball ein gefallenes Mädchen, deshalb Wird sie zu ihrer Patentante und deren Tochter Lucy aufs Land geschickt. Lucy ist an einer merkwürdigen Krankheit erkrankt - und obendrein will sie Camille schnellstmöglich wieder aus dem verfallenen Jägerhaus vertreiben. Zudem birgt der Wald ein schreckliches Geheimnis …
Wir lernen Camille auf den ersten Seiten verändert und nach den Ereignissen in Feldwood kennen. Sie ist manisch, krank und hungrig - und wird von ihrer Familie gepflegt. Der Einstieg hat mich schon von den ersten Seiten an gefesselt. Ich wollte hinter das Geheimnis kommen, wie Camille von dem unbedarften Mädchen zu einer solchen Kreatur werden konnte. Unbedarft? Nun, ja - sie ist behütet aufgewachsen und wurde auf Heirat, Hausführung und Kinder vorbereitet. Sie tanzt vor Fellwood auf Bällen und lässt sich einen Kuss stehlen. Ihr Lebensinhalt drehte sich nur auf dieser Fläche - deshalb unbedarft. Dass hinter dem Kuss und hinter dem Mann mehr steckt, als Camille zunächst vermutet, war mir von Beginn an klar. Wir treffen im Verlauf des Buches mehrere Male auf Collin Rendell - Camilles Beziehung zu ihm bleibt zwar schwärmerisch, sie hinterfragt aber auch seine Absichten. Sie fliegt ihm also nicht blind in die Arme - worüber ich sehr froh war!
Moonstone hat natürlich Schauerelemente - und ich habe sie gefeiert. Herrlich traditionell kommen sie daher - ein Heulen in der Nacht, verdächtige Kräuter auf dem Küchentisch, mysteriöse Kratzspuren in den Türen und verbotene Orte. Über ganz Fellwood lag eine Atmosphäre, die mir wohlige Schauer über den Rücken hat laufen lassen. Befeuert wurde diese Atmosphäre noch durch Purcells Stil - er war so bildhaft, dass ich die schwarze Erde schmecken und die Anstrengung, die es erforderte, den Handkarren durch den Wald ins Dorf voller misstrauischer Bewohner zu ziehen, spüren konnte. Es ist wie Abtauchen in eine vergangene Welt.
Die aufblühende Freundschaft zwischen Camille und Lucy empfand ich als sehr schön. Die beiden waren nicht gleich beste Freundinnen - viel mehr musste Camille die Schale aus Einsamkeit und Vorsicht, die Lucy im Laufe der Jahre um sich herum errichtet hatte, aufmeißeln - dass dabei viel Characterbuilding mit einfließt ist selbstverständlich - das spielt mir in die Karten.
Auch ihre Patentante und Bridget, die versuchen, das schreckliche Geheimnis zu hüten und gleichzeitig für Lucy da zu sein, haben mir gut gefallen.
Eine Logiklücke gab es trotzdem noch - aber die war wohl für den Spannungsaufbau notwendig und hat mich kaum gestört. Der Fokus liegt in diesem schaurigen Roman auf der Freundschaft der beiden Mädchen und der wunderbar erschaffenen Atmosphäre von feuchten Blättern, Mondlicht und Wolfsgeheul.