Ein feines Stück literarischer Popkultur
Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die LuftDer Kanal von Maja und Merle heißt FOAMO. Sie filmen sich dabei, wenn sie am Samstag in den Wald gehen und Sachen in die Luft jagen. Sie tragen Sneaker, dunkle Tücher vor dem Mund, haben lange braune Haare ...
Der Kanal von Maja und Merle heißt FOAMO. Sie filmen sich dabei, wenn sie am Samstag in den Wald gehen und Sachen in die Luft jagen. Sie tragen Sneaker, dunkle Tücher vor dem Mund, haben lange braune Haare und verpixeln ihre Augen. Sie graben ein Loch, werfen Sachen rein, füllen auf, zünden an und rennen weg. Bumm. Era verfolgt den Stream der Mädchen regelmäßig. Sie selbst führt analog Buch, klebt jeden ausgestorbenen Vogel hinein, von dem sie hört, daneben kleine Infos auf Notizzetteln. Heute ist die Turteltaube dran (Streptopelia turtur)
Era lebt mit ihrer Mutter in einer Hütte direkt am Waldrand. Ihre Mutter will, dass sie ein wenig vor die Tür geht. Nicht nur weil sie in Ruhe an ihrem Archiv arbeiten will, auch weil Era die meiste Zeit in ihrem Zimmer verbringt. Es ist Samstag. Era hört einen leisen Knall, folgt dem Geräusch eine ganze Weile und dann sieht sie die beiden. Sie sieht Maja in Real Life, unverpixelt und das gefällt ihr. Tatsächlich kennt sie Maja aus der Ferne. Sie auf der einen Seite des Schulhofs, Maja auf der anderen. Zwischen ihnen hundert Quadratmeter heißer Asphalt. An Sommertagen müssen sie sich von großen Asphaltflächen fernhalten, so die Vorgabe, aber wann ist eigentlich kein Sommer?
Die Mamas von Maja und Merle sind Momfluenzerinnen. Sie hatten als Jugendliche angefangen, Videochallenges zu produzieren und lebten bald von Markenkooperationen. Später kauften sie eine Villa und dokumentierten ihre Schwangerschaften und das Aufwachsen der Mädchen. Maja ist seit ein paar Jahren nicht mehr dabei. Majas Mamas bedienen viele geschlechterspezifische Stereotype. Deswegen schlägt ihnen reichlich Hass im Netz entgegen, aber auch per Post.
Fazit: Fiona Sironic ist ein feines Stück popkultureller Literatur gelungen. Ihre Protagonistin ist unfreiwillige Einzelgängerin. Sie lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter in den Auswirkungen einer Umwelt, die sich heute ankündigt. Tiersterben, Waldbrände, Überschwemmungen, Pandemien und Geldentwertung. Sie trifft auf die Momfluenzerinnentöchter und verliebt sich in Maja, die mit ihrer Schwester gegen ihre Mütter und die Datenspeicher rebelliert. Majas Desillusionierung und Machtlosigkeit schwappt um in Wut und sie radikalisiert sich, während Era ihr hilflos dabei zusieht. Die Geschichte ist aus der Sicht Eras erzählt. Ich mag das apokalyptische Setting, die Wut Majas wegen des digitalen Missbrauchs. Das ist schon ziemlich abgefahren, liest sich aber flüssig weg. Das Genre kann ich schlecht einordnen. Irgendwas zwischen Coming-of-Age, Dystopie und zeitgenössischer Romantik. Von mir eine klare Leseempfehlung für diese Story, die es gestern auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2025 geschafft hat.